Freitag, 27. Januar 2012

Wortgewalt in den deutschen Medien

Dass in der Sprache aber auch in medialen Bildern kindliche Gewalterfahrungen auftauchen, ist nicht nur logisch, sondern auch Bestandteil psychohistorischer Forschung. Bereits der Heraklit Spruch „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ oder Saddam Husseins berühmter Satz von der „Mutter aller Schlachten“ sagt viel über die Hintergründe. Noch Mitte der 60er Jahre galten Schläge bei 80 bis 85 Prozent aller deutschen Eltern als notwendiges Erziehungsmittel. Jedes dritte Kind wurde sogar mit einem Stock verprügelt. (DER SPIEGEL, 22.04.1964) Aktuellere Zahlen zeigen ein etwas besseres Bild, aber trotzdem ist Gewalt gegen Kinder immer noch Alltag in Deutschland. In den deutschen Medien ist die Sprache entsprechend voll mit Andeutungen oder direkten Wörtern, die sich auf kindliche Gewalterfahrungen beziehen und gleichsam unreflektiert für alle möglichen politischen Ereignisse genutzt werden. Die Sendung „Menschen bei Maischberger“ vom 02.11.2010 lief beispielsweise unter dem Titel „Aufschwung XXL: Warum verprügeln wir Schwarz-Gelb?".
"Mutti Merkel" und ihr Prügelknabe„ titelte der Stern am 23.06.2008 und im Textverlauf heißt es, dass „die CDU-Familie immer häufiger“ diesen Spitznamen verwendet. Wer statt der Autorität „Mutti Merkel“ stellvertretend verprügelt wird erfährt man auch: „Allzu gerne prügeln unzufriedene CDU-Politiker auf CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla ein, wenn sie sich offene Kritik an Angela Merkel nicht trauen.

Viele Medien nutzen gleich die Titel, um ihre „Prügelsprache“ unterzubringen. Einige Beispiele:

"Prügel für CDU-Reformkonzepte" („Rheinische Post-Online“, 03.12.2003)

„Politische Prügel für die CDU“ (titelte die RP-Online erneut am 13.03.2008)

„Prügel für die SPD“ (mal wieder RP-Online, 06.01.2011)

„Prügel von den Partnern für CDU und SPD“ (titelte Welt-Online, 04.05.2008)

„Verbale Prügel für die Grünen“ (Welt-Online, 25.11.2010)

„CDU im Umfragetief, Merkel abgewatscht“ (bz-berlin.de, 08.07.2011)

„CDU wird herb abgewatscht“ (Südwest Presse, 28.03.2011)

„Fraktionswahl. Steinbach von eigenen Leuten abgewatscht“ (Zeit-Online, 28.09.2010)

„SPD-Parteitag. Wird Scharping abgewatscht?“ (faz.net, 19.11.2001)

"Ohrfeige für CDU und FDP. Sellering hat die Wahl" (n-tv, 04.11.2011)

"Wulff-Affäre. Gabriels Ohrfeige und ihr Nebeneffekt" (Stuttgarter Zeitung, 10.01.2012)

"Südwest-SPD. Basis-Ohrfeige für Spitzenkandidat Schmid" (SPIEGEL-Online, 16.10.2010)

„Hat Merkel die Prügel verdient?“ (Bild.de, 22.05.2010)

„Rösler bricht das Tabu – und bezieht Prügel“ (Focus, 13.09.2011)

„Lafontaine bezieht weiter Prügel“ (Focus, 14.08.2004)

„Eine schallende Ohrfeige für Friedrich“ (Frankfurter Allgemeine, 07.12.2011)

„Prügel für den Buchhalter" (Anmerk. gemeint war die Finanzpolitik von Hans Eichel) (Focus, 08.09.2003)

„Westerwelle steckt von allen Seiten Prügel ein“ (Focus, 29.08.2011)

„Über diese Prügel darf sich die SPD nicht wundern“ (Grafschafter Nachrichten, 30.09.2009)

„Kritik an Bundesregierung. Koalition bezieht Prügel aus eigenen Reihen.“ (Handelsblatt, 02.01.2010)

„SPD bezieht Prügel für Hartz-IV-Vorschläge“ (Handelsblatt, 16.03.2010)

„Bartsch: Weniger Prügel für die SPD“ (Sueddeutsche.de, 03.03.2008)

„Vor NRW-Wahl. Union und SPD prügeln sich wegen Hilfe für Athen“ (Financial Times Deutschland, 28.04.2010)

„Verbale Prügel für Ratsherr Pepmeyer“ (Flensburger Tagesblatt, 24.11.2011)

"Hardliner Koch. Jetzt gibt's was hinter die Löffel Selbst aus der CDU hagelt es Kritik. Und Joschka Fischer prügelt mit." (Berliner Kurier, 15.01.2008)

Aber auch manche Politiker selbst nutzen die „Prügelsprache“:
Ich bin am Anfang fürchterlich verdroschen worden - sprachlich (…)“ (Gerhard Schröder über seine Anfänge in der Politik. Vgl. sueddeustche.de, 13.05.2005)
Guido Westerwelle im Interview für die Stuttgarter Zeitung: „Beiden ist von Karlsruhe der Hintern versohlt worden.“ Er bezog sich damit auf Merkel und Steinbrück und auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.
Klaus Ernst (DIE LINKE) am 15.12.2011 im Bundestag: "Vor Weihnachten gibt es den Nikolaus, und der Nikolaus hat eine Rute. Ich sage Ihnen: Wenn Sie dem Nikolaus begegnet wären, hätte er Ihnen wegen Ihrer Rentenpolitik so lange den Hintern versohlt, dass Sie bis Weihnachten nicht mehr sitzen könnten. (Beifall bei der LINKEN)"

Auch in Sportberichten, Wirtschaftsnachrichten usw. findet sich ein ähnlicher Sprachstil, wenn man denn danach sucht. Kurzum: Auch wenn diese "wortgewaltigen" Beispiele sicher nicht den Alltag in den Medien bestimmen, sie tauchen immer mal wieder auf. Spannend wäre es, einmal die Mediensprache historisch auszuwerten. Wie oft und in welcher Form tauchten in den 50er und 60er Jahren in den deutschen Medien symbolisch, direkt oder in Bildern kindliche Gewalterfahrungen auf, wie sah das ganze gar in den 20er und 30er Jahren aus? Ein solches Projekt wäre glatt eine Doktorarbeit wert, die vielleicht einmal jemand verfasst.

2 Kommentare:

DeutscheBürokratenseele hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Michael Kumpmann hat gesagt…

Ich muss sagen, bei vielen solcher Schlagzeilen lache Ich oft fast zufrieden. Deshalb habe Ich eine andere Vermutung. Ich glaube, dass ist nicht nur Erinnerung an eigene Gewalterfahrung. Ich denke, solche Schlagzeilen sind eine Form von Rachefantasie.

Was sind die 2 Aussagen jeder dieser Schlagzeilen?

1. Person X ist mächtig
2. Person X wird geprügelt.

Ich bin meistens kein Mensch, der sich daran erfreuen kann, wenn schwachen Leuten Leid zugefügt wird. Wieso hinterlassen solche Nachrichten ein zufriedenes Gefühl?

Gegenfrage: Wäre der logische Schluss nicht eher

Person X ist mächtig => Person schlägt zu

statt

Person X ist mächtig => Person ist das Ziel von Schlägen?

Dies läuft also immer auf eine Umkehr der Verhältnisse hinaus. Diese Nachrichten erzeugen immer das Bild von "Der Mächtige, der selbst Prügeln könnte, wird jetzt Opfer von Prügeln."

Oder sogar "Der Mächtige, der Prügelte wird jetzt Opfer von Prügeln"?

Also generalisiert: Auge um Auge, Zahn um Zahn?

Machen solche Nachrichten zufrieden, weil man als Leser seine Opfergefühle projiziert, aber anstatt ausgeliefert zu sein, dass der "Allmächtige" verspätet Opfer des Zurückschlagens wird? Zufrieden über Prügel sein impliziert ja "es geschieht ihnen recht" oder "endlich wird er geprügelt". Implizit also "Endlich wird zurückgeschlagen". (Das erinnert mich jetzt in gruseliger weise an "Seit 3 Uhr wird zurückgeschossen")