Donnerstag, 18. Juli 2013

Nelson Mandela. Seine helle und seine dunkle Seite

Nelson Mandela ist für viele Menschen u.a. ein Symbol  für Freiheitskampf und den Sieg der Unterdrückten, aber auch für Versöhnung zwischen den Menschen in Südafrika und das auch zu Recht. Ich selbst habe seinen Weg und die Entwicklungen in Südafrika nicht wirklich intensiv verfolgt. Ich fand es einfach nur großartig, dass das Apartheitsregime in sich zusammenstürzte und Mandela 1994 der erste schwarze Präsident des Landes wurde. Außerdem fand ich es eindrucksvoll, dass die neue Regierungsmehrheit der Schwarzafrikaner nicht in Racheakte gegenüber den Weißen verfiel, sondern ein demokratisches Miteinander zum Ziel hatte.  Vor einiger Zeit habe ich etwas in seinem Buch „Mandela, N. (1994): Der lange Weg zur Freiheit. Autobiographie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.„ gelesen.

Mein Eindruck über diesen Menschen ist nach der Lektüre, dass Mandela vielschichtiger betrachtet werden muss. Der Ruhm, die Erfolge, die Aussöhnung, der Friedensnobelpreis, all dies hängt ihm aktuell nach und steht im Vordergrund. Man sollte aber im Rückblick auch seine dunkle Seite betrachten, von der er selbst offen berichtet.

Mandela sprach sich früher nach organisierten Streiks („Stay-at-Home“ Aktionen), die wenig ergiebig verliefen und  eine enorm große militärische Machtdemonstration des Staates auslösten, engagiert für ein Ende des gewaltlosen Widerstandes aus, entgegen anderen hochrangigen ANC Mitgliedern. Mandela erklärte gegenüber der Presse – ohne vorherige Absprache mit der Exekutive seiner Organisation - aus dem Untergrund: „Wenn die Reaktion der Regierung darin besteht, mit nackter Gewalt unseren gewaltlosen Kampf zu zermalen, so werden wir unsere Taktik zu überdenken haben. Nach meiner Vorstellung schließen wir ein Kapitel über die Frage einer gewaltlosen Politik ab.“ (S. 364) Mandela berichtet, wie er sich auch in nachfolgenden Diskussionen stark für die Abkehr von der Gewaltfreiheit einsetzte. (S. 365ff) Später wurde er bevollmächtigt, eine neue militärische, vom ANC losgelöste Organisation zu bilden.
Die Politik des ANC würde nach wie vor die der Gewaltlosigkeit sein. Ich wurde autorisiert, mit jedem zusammenzuarbeiten, mit dem ich wollte oder den ich brauchte, um eine Organisation zu schaffen, und ich würde nicht der unmittelbaren Kontrolle der Mutterorganisation unterstehen.“ (S. 369) Mandela informierte sich in der Folge über Guerillakriegsführung, auch über Werke von und über Che Guevara, Mao-Tse-tung und Fidel Castro. . (S. 370) (Auch in seinem späteren politischen Leben bekundete er offen Sympathie für Fidel Castro, Muammar al-Gaddafi und  Jassir Arafat, was ich persönlich kritisch sehe) Außerdem las er u.a. „Vom Kriege“ von Carl von Clausewitz. „Clausewitz´ zentrale These, dass der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, entsprach meinen eigenen Neigungen.„ (S.372) Mitte des Jahres 1962 schickte Mandela aus dem Untergrund einen Brief an südafrikanische Zeitungen. Er schrieb u.a.: „Ich werde gegen diese Regierung kämpfen, Seite an Seite mit euch, Meter für Meter und Meile für Meile, bis der Sieg errungen ist. Was werdet ihr tun? (…) Ich für meinen Teil habe meine Entscheidung getroffen. Weder werde ich Südafrika verlassen noch werde ich kapitulieren. Nur durch Leiden, Opfer und militante Tat kann Freiheit erreicht werden. (Hervorhebung durch mich) Der Kampf ist mein Leben. Ich werde bis zum Ende meiner Tage für die Freiheit kämpfen.“ (S. 372)

Bei der Planung von Richtung und Form der MK zogen wir vier Typen von Gewaltaktionen in Betracht: Sabotage, Guerillakrieg, Terrorismus und offene Revolution.“ schrieb er weiter. Man entschied sich dann für die Sabotage, um den Verlust von Menschenleben zu vermeiden. Mandela schrieb aber auch:  „Sollte die Sabotage nicht die gewünschten Resultate erbringen, so waren wir bereit, zur nächsten Phase überzugehen: Guerillakrieg und Terrorismus.“ (S. 381) Mandela ließ sich später auch  militärisch im Gebrauch von Waffen, Sprengstoff etc. ausbilden. „Ich fühlte, wie ich zu einem Soldaten geformt wurde, und begann zu denken wie ein Soldat – himmelweit anders als die Art, wie ein Politiker denkt.“ (S. 409) Die Ausbildung war ursprünglich auf sechs Monate angesetzt. Doch nach acht Wochen erhielt Mandela ein Telegramm vom ANC. Er wurde aufgefordert zurückzukehren, da der bewaffnete Kampf in Südafrika eskalierte. Nach seiner Rückkehr wurde er dann verhaftet und wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Zu der Eskalation der Gewalt und dem ersten Autobombenangriff des MK im Mai 1983, bei dem 19 Menschen starben und 200 verletzt wurden, schreibt Mandela: „Der Tod der Zivilisten war ein tragischer Unfall, und ich war zutiefst entsetzt über die Todesopfer. Doch so sehr sie mich auch verstörten, ich wusste, dass solche Unfälle die unvermeidliche Konsequenz der Entscheidung waren, einen militärischen Kampf aufzunehmen. Menschliche Fehlbarkeit ist vom Krieg nicht zu trennen, und der Preis dafür ist immer hoch. Gerade weil wir wussten, dass es zu solchen Vorfällen kommen würde, hatten wir die Entscheidung, zu den Waffen zu greifen, nur so schwer und widerstrebend getroffen. Doch wie Oliver zur Zeit der Bombenexplosion sagte, wurde uns der bewaffnete Kampf von der Gewalttätigkeit des Apartheidsregimes aufgezwungen.“ (S. 694)

Ich denke, dass an Hand dieser Auszüge deutlich wird, dass Mandela in der Lage war, sein Mitgefühl beiseitezuschieben und den Tod von Menschen (was er „Unfälle“ nennt; man bedenke, dass sein Buch 1994 veröffentlicht wurde und dieser Sprachgebrauch nicht aus früheren Zeiten stammt.) in Kauf zu nehmen. Er verbrachte ja weitgehend – 27 Jahre – seines Lebens im Gefängnis. Insofern wissen wir heute auch gar nicht, wie seine persönliche Entwicklung draußen gewesen wäre. Hätte er weiter im kriegsbereiten Untergrund agiert? Für wie viele Todesopfer wäre er mit-verantwortlich gewesen?  Dies bleibt Spekulation. Ich habe Gott sei dank nie in einer ähnlichen Situation leben müssen, wie die Schwarzafrikaner damals zur Zeit der Apartheid. Ihr Widerstand und ihr Streben nach Freiheit waren absolut legitim. Aus meiner Weltsicht heraus hört der berechtigte Freiheitskampf allerdings da auf, wo andere Menschen gezielt verletzt und sogar getötet werden.  In seiner Rechtfertigung der Opfer gleicht er anderen politischen Gewalttätern: Es gab Opfer, ja, aber der Kampf wurde ja von der Gegenseite angefangen und einem aufgezwungen. Schuld am Tod von Menschen wird somit auf die jeweils andere Seite geschoben, um sich selbst zu entlasten.

Interessant ist jetzt ein Blick auf seine Kindheit:

Meine Mutter war in Qunu für drei Hütten verantwortlich, die, soweit ich mich erinnern kann, immer voller Babys und Kinder meiner Verwandten waren. In der Tat kann ich mich kaum an irgendeinen Augenblick erinnern, wo ich alleine war. In der afrikanischen Kultur gelten die Söhne und Töchter der Tanten und Onkel als Brüder und Schwestern, nicht als Cousins und Cousinen. Wir machen, was unsere Verwandtschaft betrifft, nicht die gleichen Unterschiede wie die Weißen. Wir haben keine Halbbrüder. Die Schwester meiner Mutter ist meine Mutter; der Sohn meines Onkels ist mein Bruder, der Sohn meines Bruders ist mein Sohn.“ (S. 18)
Diese klassische afrikanische Kindheit wird sicher auch bedeutet haben, dass seine Mutter nicht wirklich viel Zeit für diesen Sohn aufbringen konnte. Zunächst möchte ich aber den Vater beleuchten. Mandela schreibt über ihn kurz und knapp:  „Mein Vater war sehr streng, und zur Züchtigung seiner Kinder benutzte er kräftig die Rute.“ (S. 14) Sein Vater war Häuptling und besaß nach Mandelas Angaben eine „stolze Aufsässigkeit, einen unbeugsamen Sinn für Fairness, die ich an mir selbst wiedererkenne.“ (S. 15+16) Mandelas Vater war pro Monat ca. eine Woche zu Hause und somit war vor allem die Mutter der Mittelpunkt seiner Existenz, wie er selbst schreibt. (S. 26) Im Alter von ca. neun Jahren stirbt der Vater und Mandela erinnert sich nicht daran, große Trauer empfunden zu haben (was kaum verwundert, in Anbetracht der häufigen Abwesenheit und der Gewalt), sondern eher an ein Gefühl des Abgeschnittenseins . (ebd.) Einige Zeit später sollte Mandela seinen Heimatort und seine Familie verlassen, um unter die Vormundschaft des Regenten Jongintaba zu treten, der ihn genauso behandelte sollte, wie sein eigenes Kind. (Mandela wurde also von klein auf zu einer Führungsperson geformt)
Über den Abschied von seiner Mutter berichtet er: „Wir schieden ohne Umstände voneinander. Sie hielt keine predigt, bot keine weisen Worte, keine Küsse. Vermutlich wollte sie nicht, dass ich mich nach ihrem Fortgehen irgendwie verwaist fühlte, und verhielt sich deshalb so sachlich nüchtern. Ich wusste, dass ich, dem Wunsch meines Vaters gemäß, eine gute Erziehung erhalten sollte, als Vorbereitung auf eine weite Welt; und das war in Qunu nicht möglich. Ihr zärtlicher Blick enthielt all die Zuwendung und den Zuspruch, die ich brauchte, und als sie davon ging, drehte sie sich noch einmal um und sagte: „Halt die Ohren steif, mein Junge!“(…) Während sich meine liebe Mutter und meine beste Freundin auf dem Heimweg befand, schwirrte mir der Kopf von den Freuden meines neuen Lebens. Ohren steif? Ich hätte den Kopf kaum höher tragen können.“ (S. 29+30)

Nelson Mandela erwähnt seine Mutter im Gegensatz zu seinem Vater noch einige Male in seinem Buch.  Er berichtet nichts Schlechtes über sie, aber führt auch keine positiven Erlebnisse aus oder beschreibt ihren Erziehungsstil. Das letzte Zitat ist letztlich die einzige Quelle bzgl. der Mutter-Sohn-Beziehung. Er erwartete Küsse zum Abschied ( ohne allerdings welche zu bekommen). Insofern scheint es zumindest vorher zärtliche Situationen gegeben zu haben. Er bezeichnet sie auch  als „liebe Mutter“ und „beste Freundin“ und einen zugewandten Blick. Insofern vermute ich schon, dass Mandela durch seine Mutter eine gewisse Zuneigung erfahren hat, die der Gewalt des Vaters etwas ausgleichend entgegenstand. Wenn dem so war, würde sich erklären, warum Mandela zwischen den Welten wandern konnte.  Er konnte kalt und berechnend sein und Menschenleben „opfern“.  Daran hatte er- das glaube ich ihm – im Gegensatz zu anderen Gewalttätern keinen Spaß oder persönliche Befriedigung. Er agierte auch ohne offenen Hass, ohne die Gegenseite wiederum wortgewaltig zu entmenschlichen und ging nach dem Ende der Apartheid einen echten Weg der Versöhnung und Demokratie.  In Mandela sehen wir einen Menschen, der zu beiden Seiten fähig ist, der dunklen und der hellen. Ich persönlich glaube nicht, dass er zum bewaffneten Widerstand fähig gewesen wäre, wenn er ohne elterliche Gewalterfahrungen aufgewachsen wäre. Für seinen späteren gewaltlosen, versöhnlichen und demokratischen Weg jedoch verdient er Respekt.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du bist mutig, diesen vielgeschätzten Mann, der einer Ikone gleicht, zu kritisieren, noch dazu zu einem Zeitpunkt, zu dem überall auf der Welt um sein Leben gebangt wid. Ich kann die Verherrlichung gewalttätiger Kämpfer auch nicht nachvollziehen, die Verehrung linker Helden wie Che Guevara und Fidel Castro ist mir zuwider. Internationale Solidarität muss auch noch was anderes sein. Die gewalttätige Vergangenheit Nelson Mandelas war mir neu und ist für mich eine wertvolle Information. Sie macht sein Bild vielschichtiger und warnt mich, die Glanzbilder der Medien und schwarz-weiß-malende Geschichtsschreibung immer weiter zu hinterfragen. Es gibt Leute, die haben ein Interesse daran, dass wir in Ehrfurcht vor großen Menschen erstarren und zu denken und handeln aufhören. Bleiben wir wachsam gegenüber der Macht. Sie liegt nie in nur gütigen Händen.
Und zeigen wir Respekt, da wo Macht verantwortungsvoll für den Frieden eingesetzt wird.
In diesem Sinne Danke für diesen Beitrag:)

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo,

ich habe den Beitrag auch gezielt an seinem Geburtstag online gestellt.

Dass Mandela nicht mehr lange leben wird, ist laut Medienberichten deutlich. Ich ahne bereits, wie sich die Medien in Ehrfurcht nach seinem Tod mit ihm befassen werden. Ich wollte präventiv ein etwas vielschichtigeres Bild abliefern. Freut mich, wenn dies auch gelesen wird :-)

Anonym hat gesagt…

Diesen Artikel sollten viele mal lesen. Ich bin auch der Meinung, dass der berechtigte Freiheitskampf dort aufhört, wo andere Menschen gezielt getötet werden. Danke für den tollen Artikel!