Montag, 5. Januar 2015

Kindheiten von RAF-Terroristen

Nachträglicher Hinweis: Die Kindheiten von Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Inge Viett, Horst Mahler, Stefan Wisniewski, Peter-Jürgen Boock, Lutz Taufer und Astrid Proll habe ich  in meinem Buch besprochen und dabei Infos und Quellen eingebracht, die ich zum Zeitpunkt dieses Blogbeitrages noch nicht vorliegen hatte. Irgendwann werde ich auch den Blog bzw. diesen Beitrag hier dahingehend aktualisieren. 

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Gleich Anfang des Jahres 2015 hatte ich ein „Aha-Erlebnis“. Ich googelte etwas über die Kindheit von RAF Terroristen. U.a. auch über Peter-Jürgen Boock. Ich fand die Information, dass Boock im Alter von 16 Jahren von seinen Eltern in ein Kinderheim (zur damaligen Zeit sehr strenge und gewaltvolle Orte für Kinder, wie wir heute wissen)  gesperrt wurde. Das Schicksal wollte es, dass Boock gerade dort die RAF-Gründer Andreas Baader und Gudrun Ensslin kennenlernte (diese engagierten sich damals für Heimkinder) bzw. diese ihn quasi aus dem Heim heraus rekrutierten. Er habe Baader geliebt, gestand Boock in einem Interview. „Da gab es einen Grad von Verlässlichkeit, wie er mir vorher in meinem Leben nicht begegnet war.“ (Kölner Stadtanzeiger, 23.04.2007, „ Boock hat nicht den besten Leumund“)
Während ich nach weiteren Informationen über Boocks Kindheit suchte (und keine fand) stieß ich - zu meinem eigenen Erstaunen - auf meinen Blog. Und zwar auf mein Nachwort zum „Grundlagentext“, in dem ich 2008 folgendes geschrieben hatte:
Am 18.10.07 gab es auf dem Sender N-TV eine Dokumentation über den „Terror der RAF“, in der auch der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock interviewt wurde. Er sagte dort aus, dass der Moment der Schleyer Entführung (damals kamen während der Entführung auch Begleiter von Schleyer ums Leben; Schleyer selbst wurde später umgebracht) und nachdem alles so „glatt gelaufen“ wäre, er sich so lebendig gefühlt habe, wie nie zuvor in seinem Leben. Wenn sich ein Mensch nur mit Hilfe von Terror „lebendig“ fühlen kann, dann sagt das viel über tiefere, emotionale Ursachen seiner Taten aus, die im Kern nichts mit politischen Zielen oder der Zeit usw. zu tun haben, wie ich meine.“
Ich hatte diese Textstelle glatt vergessen...
Nachträglich geben mir die o.g. Informationen über die Heimunterbringung von Boock Recht bzgl. meiner Gedanken aus dem Jahr 2008. Über Boocks Eltern habe ich noch nichts gefunden. Aber: Welche Eltern geben ihr Kind in ein Heim? Es muss eine Menge Destruktivität im Hause Boock geherrscht haben. So viel Destruktivität, dass sich der später Erwachsene lebendig fühlte, als ein anderer Mensch litt.

Der RAF Terrorist Stefan Wisniewski wurde ebenfalls von seinen Eltern als Jugendlicher in ein Heim gegeben. Siebenmal flüchtete er innerhalb eines Jahres, wurde aber immer wieder von der Polizei zurückgebracht. (SPIEGEL-Online, 23.04.2007, „Stefan Wisniewski: Wie aus einem Provinzler die Furie der RAF wurde“)
Ich habe mich bisher nur häppchenweise mit den Kindheiten von RAF-Terroristen befasst. In meinem Blog gibt es bisher nur einen Beitrag über die Kindheit von Inge Viett, die ebenfalls in einem Kinderheim und zwischenzeitlich auch bei Pflegeeltern lebte.

Bzgl. Ulrike Meinhof ist mir bisher nur die wichtige Info bekannt, dass ihr Vater starb, als sie fünf Jahre alt war. Sie ist vierzehn, da stirbt ihre Mutter an Krebs. Dies an sich spricht für eine sehr traumatische Kindheit. (Zudem war sie - Jahrgang 1934 - ein Kriegskind) Ich bin aber davon überzeugt, dass es noch mehr braucht, um zum Terroristen zu werden. Wie war der Umgang der Eltern (zu deren Lebzeiten) mit ihr? Gab es Vernachlässigungs- und Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit?

Über Andreas Baader fand ich im Internet in diversen Quellen bisher nur die Info, dass er seinen Vater nie kennengelernt hat, da dieser verstarb. Er wuchs in einem Haushalt mit Mutter, Tante und Großmutter auf und soll verwöhnt worden sein. Ich zitiere nicht gerne Diplomarbeiten, aber in folgender fand ich die Info, dass er auch längere Zeit von seiner Mutter getrennt war. Die Mutter ließ Andreas nach Kriegsende bei seiner Großmutter in Thüringen und versuchte in München Geld für die Familie zu verdienen. Erst 1949 - Andreas war sechs Jahre alt - zog die Familie gemeinsam nach München und Mutter und Sohn lebten - nach Jahren der Trennung - wieder zusammen. (vgl. Hofböck, Carina (2010): Die Berichterstattung über die RAF-TerroristInnen in den österreichischen Printmedien. Uni Wien, Diplomarbeit, S. 36) Seine Großmutter muss irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts geboren worden sein. Was für einen Erziehungsstil hat sie wohl gegenüber dem Kleinkind Andreas gelebt, als sie mit diesem alleine war? Viele Fragen bleiben offen.

Es gibt mittlerweile etliche Bücher, vor allem auch Autobiografien der Terroristen selbst, über die RAF. Mir scheint, dass man in den Kindheiten dieser Leute viele Brüche finden kann. Außerdem sprechen alleine ihre Geburtsjahrgänge rein statistisch dafür, dass sie elterliche Gewalt erlebt haben.

Sofern es meine Zeit zukünftig zuläßt, werde ich ausführlich über einzelne Terroristen recherchieren und dies hier im Blog zusammentragen. Sofern die Leserschaft hier schon ergänzende Hinweise hat, bitte, ich freue mich auf Kommentare.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Sven,

ich möchte hier auf Susanne Albrecht verweisen, die an der Ermordung von Jürgen Ponto beteiligt war. Die Familien Albrecht und Ponto waren eng befreundet.
Ich habe kürzlich einen Film über Susanne Albrecht gesehen:

http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/raf-doku-die-folgen-der-tat-urteil-lebenslaenglich-die-geschichte-der-taeterfamilie-albrecht/11818818.html

http://programm.ard.de/TV/daserste/die-folgen-der-tat/eid_2810614611650599

Kurz zusammengefasst könnte man sagen: Susanne Albrecht hat Ponto stellvertretend für ihren Vater umgebracht.

Zur Partnerwahl von Ulrike Meinhof ist zu sagen, dass ihr Mann (Klaus Rainer Röhl) ein Pädokrimineller war/ist, der die Töchter missbraucht hat. Ulrike Meinhof wollte ihre Kinder in ein palestinänsisches Lager bringen lassen (laut Wikipedia wollte sie sie bei ihrer Schwester aufwachsen lassen), Stefan Aust hat sie dann Röhl zugeführt, was Meinhof gewusst haben dürfte.

http://www.taz.de/!5143183/
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-70701741.html
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/anja-roehl-die-frau-meines-vaters-rezension-a-885579.html
Anja Röhl ist eine Halbschwester von Regine und Bettina Röhl.

Bemerkenswert auch: Regine Röhl ist Psychiaterin, Bettina Röhl bekennende Antifeministin.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bettina_Röhl

Den Meinhof-Röhl-Komplex mal aufzudröseln wäre bestimmt interessant.

Gruß Heike

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo Heike,

den o.g. Film über die Familie Albrecht habe ich auch gesehen. Er hat mich sehr berührt. Was und wie Kindheit in dieser Familie war, deutet sich in dem Film an, bleibt aber auch verschwommen. Ich fand aber, dass die Mutter - gerade für ihre Generation - so offen wie ihr möglich war.

Sven Fuchs hat gesagt…

Danke für Deine weiteren Hinweise und Links! Das ist sehr hilfreich.

Heike hat gesagt…


Hallo,

Hier gibt es interessante Infos zu den Kindheiten der RAF-Terroristen. Besonders Mahler, sein Vater wollte ihn im Rahmen eines erweitern Suizides töten..

http://www.zeit.de/2016/37/rote-armee-fraktion-terrorismus-ulrike-meinhof-studium

Ich habe ausgehend von dem Artikel mal etwas herumgegoogelt. Das Ausmaß des transgenerationalen Elends ist wirklich krass, insbesondere, wenn mann die verlassenen Kinder der Terroristen miteinbezieht. Z.B. Felix Ensslin, von der Mutter verlassen, Vater Suizid, Vater des Vaters gewalttätiger Nazi.

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo Heike,

mal wieder ein sehr wichtiger Link, danke!

Das motivierte mich jetzt glatt, noch mal ein Buch zu bestellen, das auch wichtige Infos verspricht: https://books.google.de/books?id=V4itBgAAQBAJ&pg=PA18&dq=lebenslaufanalyse+terror&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=lebenslaufanalyse%20terror&f=false

Heike hat gesagt…


Hier die Fortsetzung:

http://www.zeit.de/2016/37/raf-terroristen-ulrike-meinhof-gudrun-ensslin-studienstiftung-radikalisierung

Die Studienstiftung hat die 1. RAF-Generation gefördert - auch nicht schlecht.

Was natürlich nicht gesehen und nicht diskutiert wird ist der Zusammenhang von Traumarisierung und Radikalisierung und wie der bei Hochbegabten aussehen kann.

Interessant auch, dass der Bruder von Ensslin schwer depressiv war.

LG, Heike

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo Heike,

das Thema "Hochbegabung" treibt mich schon länger um. Mir ist bei meinen Biografierecherchen bzgl. Diktatoren und ähnlichen Leuten (aber auch den RAF Terroristen) immer weider aufgefallen, dass diese Leute überdurchschnittlich intelligent waren, teils vielleicht sogar im Bereich der Hochbegabung (Mao, Lenin, Stalin, Hilter, Fidel Castro aber auch Leute wie Tony Blair). Sogar George W. Bush ist vom IQ her nah an der Hochbegabung: http://www.n-tv.de/mediathek/bilderserien/unterhaltung/Ganz-schoen-schlau-article873152.html. Beide Clintons sind eindeutig Hochbegabte.

Für Führungspositionen braucht es nun mal einen gewissen IQ. Vielleicht schreibe ich zu dem Thema noch mal etwas in einem Beitrag. Die Frage ist, ob eine traumatisierter hochbegabter Menschen unter gewissen Umständen besodners destruktiv wirken kann, einfach weil sein IQ im noch mal ganz andere Möglichkeiten in die Hand gibt.

Sven Fuchs hat gesagt…

Unter der Grundannahme, dass viele Psychiatriepatienten nachweisbar sehr häufig in der Kindheit misshandelt/missbraucht worden sind, ist folgender Artikel von Interesse: "RAF-Geschichte.Als aus Patienten Terroristen wurden"
http://www.spektrum.de/news/als-aus-patienten-terroristen-wurden/1342009