Dienstag, 19. November 2019

Kritik an der Doku-Reihe "Warum wir hassen"


Die Doku-Reihe „Warum wir hassen“ (von Steven Spielberg und Alex Gibney) ist derzeit in der Mediathek des ZDF zu sehen. Mehrere Teile gehen der Frage nach den Ursachen von Hass, Gewalt, Genozid, Massenmord und Amokläufen nach. Die gesamte Doku-Reihe ist interessant und auch vom Stil her gut gemacht. Auch die erwähnten Gruppendynamiken und auch evolutionären Wurzeln der Gewalt sind spannend.

Aber: Nur im Teil über Extremismus werden Kindheitshintergünde erwähnt. An Hand von zwei Fallbeispielen (Frank Meeink + Jesse Morton) und durch einen kurzen Kommentar einer Expertin.

Diese Art der Herangehensweise an die Ursachen von Hass und Gewalt habe ich schon oft gesehen. 240 Minuten umfassen alle Teile der Doku. Die im Extremismusteil kurz erwähnten Kindheitshintergründe werden nicht noch einmal erwähnt. Beim Thema Amokläufe, Rassismus, Krieg, Massenmord und Genozide werden Kindheitshintergründe als eine gewichtige Ursache überhaupt nicht in Betracht gezogen. Die kurz erwähnten Kindheitshintergründe im Extremismusteil fallen bezogen auf die 240 Minuten überhaupt nicht ins Gewicht. Die Fallbeispiele stehen außerdem für sich. Eine Expertin kommentiert nur kurz mit 2-3 Sätzen. Das war es. Und vor allem: Es wird nicht die Frage gestellt, ob als Kind geliebte und gewaltfrei aufgewachsene Menschen zu Extremisten, Kriegstreibern oder Massenmördern werden können.

Klassisch ist dieses „Aufflackern“ (wenn ich das so nennen darf) vom Erkennen der tieferen Ursachen. Im Extremismusteil gab es dieses „Aufflackern“. Durch die fehlende Hervorhebung der Bedeutsamkeit von Kindheitshintergründen, durch die fehlende Übertragung dieser Erkenntnisse auf andere destruktive Bereiche der Menschheit und auch durch die fehlende Besprechung von Beispielen wie z.B. der deutlich positiveren Kindheiten von JudenretterInnen (stattdessen wurden, auch das ist "klassisch",  das Milgramexperiment und das Stanford-Prison-Experiment besprochen) bleiben Kindheishintergründe in der Gesamtsicht wenig bedeutsam. Auch in dem der Doku angehängtem Interview mit Steven Spielberg und Alex Gibney wird deutlich, dass Kindheitshintergründe keine besondere Bedeutung beigemessen wird: Mit keinem Wort sprechen die beiden Macher darüber.

Es scheint noch ein weiter Weg, bis die tieferen Ursachen von Hass und Gewalt auch klar und deutlich medial und öffentlich besprochen werden.

Hier noch die oben erwähnten Fallbeispiele und der Kommentar der Expertin. Die Beispiele sind eigentlich überdeutlich. Es ist absolut erstaunlich, dass daraus nicht mehr entwickelt wurde:

Frank Meeink (ehemaliger rechter und gewalttätiger Skinhead):
Als Frank 9 Jahre alt war, zog sein Stiefvater bei ihm zu Hause ein. Er blieb vier Jahre. „Das Prügeln ging gleich in der ersten Woche los. Ich durfte beim Essen nicht reden. Idioten wie ich würden ihm den Appetit verderben, meinte er. Er war brutal. Ich hasste ihn. Er war der erste Mensch, den ich hasste. Irgendwann schmiss er mich raus.“ Frank musste umziehen und kam an eine Schule, mit mehrheitlich schwarzen Kindern.  Dort wurde er massiv gemobbt. „Bei mir hat sich einfach Hass aufgestaut“, sagte Frank Meeink. Ein Cousin brachte ihn dann in Berührung mit rechtsextremem Gedankengut und Feindbildern. Vor allem Juden seien schuld an allen möglichen Missständen. „Endlich sprach es jemand aus: `Du bist das Opfer`. Denn gefühlt hatte ich mich die ganze Zeit schon so.“ und bezogen auf die rechte Gruppe, der er sich immer weiter anschloss, kommentiert Meeink: „Ich freute mich immer, wenn sie kamen. Endlich interessierte sich jemand für mich.“ Dann wurde ihm schließlich der Kopf rasiert und er war Teil der Skinheadgruppe.

Sasha Hevlicek (Gründerin des Institute für Strategic Dialog“) kommentiert gleich nach dem Fall "Frank": "In vielen solcher Fälle liegt ein frühes Trauma vor. Und das führt wie bei Frank zu dem verzweifelten Wunsch, dazuzugehören. Eine Antwort auf die Frage zu finden: Wer bin ich?"
Das war es an Kommentaren in der Doku zu den Kindheitshintergründen!

Ein weiterer Fall wird kurz selbsterklärend aufgeführt: Jesse Morton (ehemaliger Dschihadist).
Morton im O-Ton: „Ich wurde in meiner Kindheit schwer misshandelt. Mit 16 lief ich von zu Hause weg. Und fing an, mit Drogen zu dealen, um zu überleben.“ Er wurde inhaftiert und radikalisierte sich im Gefängnis islamistisch.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Jan Assman "Monotheismus und die Sprache der Gewalt": geht auf das Thema Gewaltentstehung ein.
Weshalb zeigen Bodhisattvas in der Erklärung des Dalai Lama diese Phänomene nicht? Der Dualitätsglaube ist eine Voraussetzung dazu, um Opfer sein zu dürfen. Das "abhängige Entstehen" im asiatischen Kontext kommt zu anderern und mehreren Möglichkeiten, inneren Frieden zu behalten, obwohl die ausseren Umstände nicht optimal sind.

Anonym hat gesagt…

Genau dieses Nicht-zur-Sprache-Kommen der Kindheitsgeschichte spricht ohne Worte
eine Sprache der peinlichen Verschwiegenheit, welche nichts - oder zumindest nicht
viel - Gutes ahnen läßt.

Meine beschämte "Empathiebereitschaft"

Bianca W hat gesagt…

https://youtu.be/w2O_naiCpwA

Unbedingt mal anschauen

Sven Fuchs hat gesagt…

Ja danke Bianca für den link. Der Beitrag ist gut.

Das Buch "Das Lachen der Täter" von Klaus Theweleit, der im Filmbeitrag ja auch ausführlich zur Kindheit und NS-Zeit etwas sagt, habe ich gelesen. In seinem Buch bleibt die Kindheit der Täter Nebensache bzw wird selten besprochen. Erst Recht rückt die Kindheit nicht ins Zentrum. Merkwürdig, weil er ja in dem o.g. Beitrag dazu recht deutlich wird....