Samstag, 24. September 2011

Kindheit von Siri Hustvedt

Sehr berührt hat mich der Bericht „Mein Leben - Siri Hustvedt“, der heute auf ARTE lief und derzeit noch online zu sehen ist. Ich kannte diese Schriftstellerin vorher nicht. Im Film erlebte ich sie als eine sehr wache, selbstbewusste und emotionale Frau. Eine zugewandte Frau, für die ihre Familie, engsten Freunde, das häusliche Leben und das Schreiben ihr Paradies ist, wie sie selbst sagt. Leider schreibe ich in diesem Blog viel zu selten über die andere Seite. Wie Menschen durchs Leben gehen, die als Kind Liebe, Fürsorge und Wärme erlebt haben. Prominente bieten sich als „Forschungsobjekt“ sehr gut an, einfach weil viel über sie und ihr Leben berichtet wird. Ich will mit meinen Darstellungen nicht sagen, dass aus geliebten Kindern automatisch Schriftsteller und Forscher werden. Es geht nicht so sehr um Erfolg. Es geht um Menschen, die fühlen, die Liebe geben können, die nicht selbstzerstörerisch leben und handeln. Ein solcher Mensch scheint Siri Hustvedt zu sein. In dem Bericht finden sich viele Details aus ihrer Kindheit.

Ab dem Alter von drei Jahren zog ihre Familie auf einen Campus, wo ihr Vater Wohnheimleiter war. Hustvedt hat wunderbare Erinnerungen an diese Zeit, wie sie sagt, da sie sich als Kinder dort unbeobachtet auf dem Uni-Gelände aufhalten und frei herumtreiben konnten.
Ihre Schwestern berichten von einer besonderen und engen Bindung untereinander. Es gab wenig Konflikte, die Schwestern waren gute Freunde und es war sehr harmonisch. Siri hatte viele Freunde als Kind. Als Jugendliche hatte sie allerdings eine harte Zeit, zum einen weil die Schule sie sehr langweilte, zum anderen weil sie anders und sehr schlau war und dadurch Zielscheibe von Hänseleien durch Gleichaltrige wurde.
Ihre Mutter sagte: „Es hört sich lächerlich an, aber ich kann mich an keinen ernsthaften Konflikt mit meinen Töchtern erinnern." und "Sie sind in großer Freiheit aufgewachsen." Über ihren Vater redet Siri sehr liebevoll und mit großem Respekt. Eine gewisse Distanz hatte er zu ihrer Arbeit, was sich mit dem Buch „Was ich liebte“ schlagartig änderte.
Eine ihrer Schwestern beschreibt Siri als sehr einfühlsam und jedem zugewandten Menschen. Der Freund Salman Rushdie: „Siri hat diese emotionale Intelligenz. Es geht nicht nur um ihren Geist oder komplexe Ideen. Sie hat auch einen besonderen Zugang zu komplexen Gefühlen. Es gibt wenige Schriftsteller, die so emotional intelligent sind, wie sie.“.
Mit ihrem Ehemann ist sie seit über 30 Jahren verheiratet und beide beschreiben ihre Ehe als glücklich, intensiv und aufregend. Gegenseitige Kritik beruht stets auf Respekt vor dem Anderen. An ihre Tochter gab Siri ganz offensichtlich die gleiche Liebe und Fürsorge weiter, die sie selbst erlebt hatte. Tochter Sophie: „Eine der größten Gaben meiner Mutter ist, dass sich andere sehr wohl und sicher bei ihr fühlen. Als Kind habe ich sie immer schrecklich vermisst, wenn sie weg war, weil ich einfach zu niemandem diese engen Gefühle entwickeln konnte, wie zu ihr. Und sie ist einer der schlausten Menschen, die ich kenne.“ Ihr Ehemann: „Sire war immer eine tolle Mutter, das bewundere ich am meisten an ihr. Absolute Hingabe, absolute Fürsorge, ohne je nachzulassen.„ Jeden Abend hatte die Mutter ihrer Tochter sehr lange (bis zu 2 Stunden) aus Büchern vorgelesen.

Wir sehen hier am Einzelbeispiel, wie sich Liebe auf Kinder auswirken kann. Solche Berichte machen mir im Grunde viel Spaß (anstatt sich nur mit Diktatoren "rumzuschlagen".). Ich hoffe, dass ich zukünftig mehr in diese Richtung abliefern kann.

Dienstag, 13. September 2011

Adolf Hitler: Teufel, Dämon oder schwer misshandeltes Kind?

Ich bin aktuell auf den Text "Adolf Hitler: Teufel, Dämon oder schwer misshandeltes Kind?" von Michael Grandt gestoßen (Hinweis: Über den KOPP-Verlag gibt es sehr kritische Berichte, die ich nicht weiter prüfen kann, aber nach meinem ersten Eindruck nicht unbegründet sind. Insofern distanziere ich mich von weiteren Inhalten des Verlages. Der genannte Text ist allerdings sehr klar, sachlich und quellenbasiert. Da ich selbst viel über Hitler recherchiert habe, kann ich die Inhalte in ihrer Richtigkeit bestätigen). Selten habe ich einen so deutlichen Text über Hitlers Kindheit und mögliche Verbindungen zu seinem späteren Handeln gelesen. Insofern empfehle ich allen Interssierten, diesen Text zu lesen.

Ich hatte schon oft vor, mir die Kindheitsgeschichten von Hitlers engsten Gefolgsleuten anzuschauen. Leider hatte ich bisher nicht die Zeit dafür. Um so interessanter fand ich folgendes: "Überraschenderweise scheint Hitler auch mit Propagandaminister Joseph Goebbels über seine Eltern gesprochen zu haben, denn dieser notierte am 11. August 1932 in seinem Tagebuch: »Abends erzähle ich von zu Hause. Von Vater und Mutter. Beide haben mit Hitlers Eltern eine frappante Ähnlichkeit. Hitler ist ganz betroffen davon (…) Hitler hat fast genau dieselbe Jugend durchgemacht wie ich. Der Vater Haustyrann, die Mutter eine Quelle der Güte und Liebe.«" (zitiert nach Ralf Georg Reuth: Joseph Goebbels Tagebücher. Band 2: 1930-1934, München 1999, S. 681)

Nur zu logisch ist es, dass diese Gefolgsleute ähnliches erlebten und sich zusammentaten. Auch bei Goebbels findet sich zudem eine starke Idealisierung der Mutter. Ich vermute, dass diese ähnlich wie Hitlers Mutter eher emotional missbraucht hat und zudem die Kinder nicht vor der Gewalt des Vaters schützte. Denn Hitler selbst sagte, dass ihn die Augen seiner Mutter an die Medusa erinnernt hätten, Augen, die einen zu Stein erstarren lassen. Trotzdem wurde sie von ihm idealisiert.

Freitag, 9. September 2011

12.960 Terroropfer innerhalb der USA seit dem 11. September

Nach der UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ aus dem Jahr 2003 sterben in den USA jede Woche 27 Kinder auf Grund von Misshandlung und Vernachlässigung. (In Deutschland sterben 2 Kinder die Woche) Dazu muss erwähnt werden, dass sicher nicht alle Todesfälle von Kindern entsprechend gründlich untersucht werden und diese Zahlen real sicher noch etwas höher liegen. Nehmen wir sie trotzdem zur Grundlage. Demnach sterben in den USA jedes Jahr ca. 1.296 Kinder auf Grund von (meist elterlicher) Misshandlung und Vernachlässigung (und das ist nur die Spitze des Eisberges an Terror in Form von Misshandlungen, Missbrauch, Demütigungen und Vernachlässigung). Das sind seit dem 11. September 2001 ca. 12.960 durch meist elterlichen Terror qualvoll umgebrachte Kinder! Mehr als vier mal so viele Menschen, wie bei den Terroranschlägen in den USA umkamen...

Diese schrecklichen Ereignisse führten allerdings nicht dazu, dass ein „Krieg gegen den elterlichen Terror“ erklärt wurde und sich die "Special Forces" von Kampfhubschraubern aus in die gepflegten Vorstadtgärten der USA abseilten, um Razzien durchzuführen. Auch wurden keine Bomben über möglicherweise besonders verdächtige (sehr familienreiche) Orte abgeworfen. Keine Mutter und kein Vater wurde unter Folter zu einem Geständnis gezwungen. Man hörte weder Familienwohnräume ab noch setzte man Agenten in Kindergärten und Schulen ein. Letztendlich wurde noch nicht einmal viel über diese Terroropfer berichtet und geredet.

„Das Böse“, das die US-Führung und viele US-Bürger oftmals so gerne außerhalb ihrer Grenzen suchen und militärisch bekämpfen, scheint im Grunde ganz nah zu sein. Darum mein ernst gemeinter Rat zum 10jährigen Gedenktag an den 11. September: Liebe US-Regierung, investiert Milliarden Dollar in den Kinderschutz und die Jugendhilfe, sowohl bei Euch (In fast der Hälfte der US-Staaten dürfen LehrerInnen immer noch ihre SchülerInnen schlagen (!) und tun dies auch, da könnte man gleich mit einem neuen Kinderschutzgesetz anfangen), als auch international und ganz besonders in den sogenannten „Schurkenstaaten“. Dem Frieden auf der Welt wäre damit erheblich mehr gedient, als mit Euren herzlosen und leidbringenden Militärracheaktionen.

Dienstag, 6. September 2011

"Warum die Deutschen? Warum die Juden?"

Warum die Deutschen? Warum die Juden?“ von Götz Aly steht derzeit auf Platz 5 der SPIEGEL-Bestseller Liste. In der Buchbeschreibung heißt es, der Autor „gelangt in seinem neuen Buch zu verstörenden Einsichten. Er beschreibt Fortschrittsscheu, Bildungsmangel und Freiheitsangst so vieler christlicher Deutscher während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dagegen begeisterten sich die deutschen Juden für das Stadtleben, für höhere Bildung; sie wussten die Chancen der Moderne zu nutzen.“ Mehr brauche ich über das Buch wohl nicht zu lesen, denn der Autor wird diese festgestellten Sachverhalte kaum mit psychohistorischen Thesen verknüpft haben. Vor allem der Psychohistoriker Lloyd deMause hat in seinen Arbeiten dargelegt: „(…) wenn man festhält, dass die deutsche Kindheit um 1900 ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter von unschuldigen, hilflosen menschlichen Wesen war, dann ist die Wiederaufführung dieses Alptraums vier Jahrzehnte später im Holocaust und im Zweiten Weltkrieg letztlich zu verstehen.“ (deMause, 2005: Das emotionale Leben der Nationen, S. 140)

Menschen, die als Kind schwer durch ihre Eltern traumatisiert wurden, entwickeln oftmals enorme Ängste vor „Freiheit“ und „Fortschritt“. Denn als Kinder (oftmals schon sehr früh im Kleinkinderalter) wurden ihre Schritte in Richtung Freiheit, Wachstum, Entwicklung und Unabhängigkeit schwer bestraft. Für solche Menschen stellen alle Arten von gesellschaftlichem Fortschritt eine enorme Bedrohung dar, weil schmerzhafte Erinnerungen an den eigenen Selbstverrat (das eigene sich Kleinhalten und nicht eigene Gefühle entwickeln dürfen) und das eigene Trauma mit entsprechenden Gefühlen von Angst, Panik, Schmerz usw. wach zu werden drohen. Die westeuropäischen Juden, sagt deMause, hätten im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsgruppen fortschrittlichere Erziehungspraktiken entwickelt. Insofern erklärt sich auch, dass diese Gruppe besonders fortschrittsfreundlich war, weil sie weniger Wachstumspanik entwickelte und es erklärt sich auch, warum sie als Feindbild besonders herhalten mussten. Europa um 1900, das war auch Fortschritt und gewaltige gesellschaftliche und ökonomische Umwälzungen und Entwicklungen (inkl. einem enormen Streben nach Gleicheit durch die Frauen). Um so gewaltiger war die Reaktion auf diesen Fortschritt.

Auch der norwegische Attentäter Breivik war selbsternannter Fortschrittshasser (wie so viele ähnlich gestrickte Menschen). Integration, multikulturelle Gesellschaft, Emanzipation der Frauen, fortschrittliche, gewaltlose Kindererziehung, moderne Ehe, all das hasste er und wollte es abschaffen. Bei Breivik finden sich alle möglichen Arten von "Wachstumspanik". Auch seine Reaktion darauf war enorm gewalttätig und brutal.

Freitag, 2. September 2011

(Elite-)Soldaten - Die geschlagenen Kinder von gestern. Ein Fallbeispiel

Der ehemalige US-Elitesoldat (Team Six) Howard Wasdin wollte in seinem Leben vor allem eines: „Nie wieder schwach sein.“, schreibt der SPIEGEL in einem Porträt über diesen Mann, der auch ein Buch über seine Zeit als Elitekämpfer geschrieben hat. Als Soldat wollte er der Beste und immer der Härteste sein. Bloss nichts mehr fühlen oder Schwächen zeigen. Denn das hätte ihn wahrscheinlich an seine Kindheit erinnert. „Der Sohn eines Lastwagenfahrers, aufgewachsen in einfachsten Verhältnissen des ländlichen Georgias, lernt schon früh, Schmerzen zu ertragen. Sein Stiefvater prügelt ihn regelmäßig mit einem Ledergürtel, jede angebliche Verfehlung des Kindes - und sei sie noch so geringfügig - wird mit gnadenloser Brutalität bestraft. Also funktioniert Howard, wie es von ihm erwartet wird, passt sich an, sorgt dafür, dass der erste Vorgesetzte seines Lebens möglichst oft zufrieden mit ihm ist. Im Militär läuft es später eigentlich genauso.“, schreibt der SPIEGEL und bestätigt damit erneut das, was ich unter dem Kapitel „4. Die Soldaten: Gewalt und Gehorsamsforderung in der Familie ist das Fundament für das Militär und kriegerische Ziele“ geschrieben habe. „Die Kameraden sind seine Familie, das Team steht über allem, seine Ehe geht schon bald in die Brüche.“ Die Armee dient als Familienersatz, auch das ist etwas, worüber ich bereits geschrieben habe und was immer wieder auffällt.

Es sind schwer verletzte, traumatisierte Männer, die Elitekämpfer werden wollen. Sie wollen legal töten und vor allem steinhart und emotionslos sein. Emotionen und Gefühle von Schwäche und Ohnmacht mussten sie schon früh als etwas Fremdes abspalten, um in ihren Familien zu überleben. Jungen, die als Kind Liebe und Geborgenheit erleben durfte, die Gefühle zeigen durften, werden niemals Berufssoldaten oder Elitekämpfer werden.

Kriege bauen immer darauf auf, dass sich Menschen finden, die eine Waffe in die Hand nehmen und damit andere Menschen bereitwillig töten. Dafür müssen sie in der Lage sein, ihr Mitgefühl abzuspalten. Auch die unausgebildeten Kämpfer in Libyen, seien es jetzt die Leute des Diktators oder die "Rebellen", müssen als Kind Gewalt und Lieblosigkeit erlebt haben, sonst wären sie zu ihren Taten nicht fähig.

Donnerstag, 1. September 2011

Zwischenmeldung: "Die Mär von schwarzafrikanischen Gaddafi-Söldnern"

Die Entwicklungen in Libyen beschäftigen mich weiterhin stark und machen mich wütend. Immer mehr kommen Kriegslügen ans Licht und auch die unkritische Berichterstattung einiger Medien, die "Gut" und "Böse" in ihren Berichten deutlich trennten. Die "Rebellenarmee" entpuppt sich – wie erwartete - Stück für Stück als dunkler Schatten des Diktators. Die Entwicklungen sind derart komplex und undurchsichtig, dass es mich ärgert, nicht mehr Zeit für die Recherche zu haben. Ich hoffe, dass sich zukünftig Leute finden, die rückblickend den ganzen Libyenkonflikt kritisch und bedächtig umfassend analysieren.

Heute möchte ich auf den Artikel in der Welt „Die Mär von schwarzafrikanischen Gaddafi-Söldnern“ hinweisen.
Bei der weit verbreitete Geschichte von den schwarzafrikanischen Söldnern im Osten (die brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgehen) scheint es sich um eine Propagandalüge des Übergangsrats zu handeln. Peter Bouckaert - Leiter der Kriseneinsätze der Hilfsorganisation Human Rights Watch (HRW) – berichtet:
Wir waren im Osten und haben mit den schwarzafrikanischen Gefangenen in Bengasi, Aschdabia und in anderen Orten gesprochen. Doch unter all den Leuten, die wir gesprochen haben, war kein einziger Söldner.“und „Es gab einige Fälle von Journalisten, die sich in Internierungslager einschlichen, Fotos von Soldaten machten und sie danach als Bilder von Söldnern bezeichneten“, sagt Bouckaert kritisch. Jeder Schwarzafrikaner war in den ersten Wochen der Revolution verdächtig. „Sie wurden verprügelt, es kam zu Lynchjustiz und auch zu Vergewaltigungen“, sagt Bouckaert.

Mittwoch, 31. August 2011

Rückblick auf EHEC

Wir haben Ende August und es wird Zeit für einen kurzen Rückblick auf EHEC bzw. das Ausmass der Erkrankungen und Todesfälle:
Im Verlauf des Ausbruchsgeschehens wurden dem RKI insgesamt 4321 Fälle gemeldet, davon 3469 EHEC-Fälle und 852 HUS-Fälle. Insgesamt 50 Patienten sind gestorben, darunter 18 EHEC-Erkrankte und 32 HUS-Patienten.“ (Pressemitteilung des Robert Koch-Instituts vom 26.07.2011)
Außergewöhnlich hoch war die Fallzahl der Infizierten und die Schwere der Krankheitsverläufe, das ist unbestritten und tragisch. Insgesamt sind 50 Menschen gestorben. Davon, nach meinem Eindruck der damaligen Berichterstattung, ein hoher Anteil von Menschen im hohen Alter. Trotz dieser tragischen Todesfälle lässt sich im Rückblick bestätigen, dass die damalige Berichterstattung extrem panisch und hysterisch war. „Wir werden alle sterben, wenn wir Gemüse essen“, so könnte man die emotionale Lage der Medien und Menschen rückblickend etwas überspitzt darstellen (wobei die Übertragung durch Gemüse oder Sprossen bis heute nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte). Gestorben sind 50 Menschen, keine hundert, keine Tausend oder mehr.

Interessant ist für mich rückblickend auch, dass die Panikwelle im Mai 2011 begann und diese Panik vornehmlich in Deutschland herrschte, dem Land, das sich im UN-Sicherheitsrat bzgl. des Libyeneinsatzes enthalten hatte. Andere westliche Länder hatte indes Libyens Diktator zum aktuellen Feind erklärt, den man militärisch bekämpfte. In Deutschland wurde zwar über den Einsatz berichtet, aber eine wirkliche „Feindbildsstimmung“ wurde nicht wirklich erreicht, schließlich hielten wir uns da weitgehend raus. Kurz nach Beginn der Bombardierungen in Libyen fanden wir einen anderen „Feind“: Den Feind in unserem Essen. (Siehe dazu auch u.a. Der aktuelle Feind ist ein Keim namens EHEC)

Der EHEC Ausbruch war sicherlich ein Zufall. Was medial daraus gemacht wurde wohl eher nicht.

Freitag, 26. August 2011

Libyen: Brauchte der Westen einen Feind und Menschenopfer?

Im “The New Zealand Herald” wurde unter dem Titel ”Amnesty questions Libyan mass rape” am 25.06.2011 berichtet, dass es laut Berichterstattern vor Ort keine Beweise für Massenvergewaltigungen oder Massenmord seitens der Truppen des Diktators gibt. Zitat: „Nato leaders, opposition groups and the media have produced a stream of stories since February 15 claiming the Gaddafi regime has ordered mass rapes, used foreign mercenaries and employed helicopters against civilian protesters. An investigation by Amnesty International has failed to find evidence for these human rights violations and in many cases has discredited or cast doubt on them.“
Die meisten Menschen starben – laut Amnesty International - in den ersten Tagen der Protestwelle in Benghazi, wo 100 bis 110 Menschen durch Anhänger oder Truppen des Diktators getötet wurden, und in Baida, wo 59 bis 64 Menschen starben. Dieses Zahlen sind schlimm, aber sie belegen, dass es keine unzähligen und massenhaften Tötungen in den Wochen vor dem NATO Einsatz gab oder gar die Gefahr eines Völkermordes bestand.
In Libyen war und ist die Schwelle zum Völkermord nicht überschritten“, sagte die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Monika Lüke, dem Tagesspiegel. „Der Einsatz droht mehr Leid zu bringen, als er verhindert“, wird sie weiter zitiert.

Auch die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage (BT- Drs. 17/5409) unter dem Titel „Hintergründe des bewaffneten Angriffs auf Libyen“ bestätigt, dass „keine detaillierten Informationen über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten“ vorliegen.

Sollten sich zukünftig weitere Beweise dafür finden lassen, dass Gaddafi nicht in dem Ausmass gegen Zivilisten vorging, wie es in den westlichen Medien so oft dargestellt wurde und sollten sich zukünftig Belege dafür finden, dass sehr viele Zivilisten durch die NATO Bombardierungen ums Leben kamen (Man gebe bei googel einmal "Tote NATO Einsatz Libyen Zivilisten" ein und finde etliche Artikel) oder durch diese in die Flucht getrieben wurden (Ich frage mich auch, wie viele Kinder allein dadurch traumatisiert wurden, dass täglich Bombeneinschläge durch NATO Angriffe - bei ca. 50 NATO-Kampfeinsätzen pro Tag - zu hören waren…), hätten wir hier folgende Situation:
Die reale Gewalt durch einen „Bösewicht“ wird zu Massenmord aufgebauscht, um dadurch militärische Einsätze zu rechtfertigen. Die folgenden militärischen Einsätze produzieren viel mehr Leid, Flüchtlinge, Zerstörung und Tote, als durch den eigentlich erklärten „Bösen“ zustande kam. Diesen „Bösen“ hat man vorher höchst persönlich selbst aufgerüstet.
Hier wird es dann psychohistorisch interessant, wenn auch erschreckend abgründig. Denn wenn eine Mehrheit der Bevölkerung als Kind Gewalt erlebte (was weiterhin auch für Europa gilt) und gleichzeitig ein starker ökonomischer und gesellschaftlicher Fortschritt stattfindet, steigt das Bedürfnis, Feinde zu finden und zu bekämpfen oder sich selbst zu opfern z.B. in Form von einer ökonomischen Krise, so die psychohistorische These. Derzeit findet offensichtlich beides statt. Vielleicht, weil das Feindbild „Diktator in Libyen“ nicht so viel hergibt, wie z.B. die früheren Feindbilder "Ostblock" oder "Osama bin Laden". Deutschland zeigte in der Libyenfrage, dass sich emotional einiges bei uns getan hat, denn unsere Regierung war nicht bereit, an der offensichtlichen Opferung von Menschen teilzunehmen. Dafür verdient sie Respekt (hätte nicht gedacht, dass ich das einmal schreiben würde…)!

Bereits jetzt kursieren Theorien bzgl. der "wahren Hintergründe" des NATO-Einsatzes. Es ginge - wie immer - um Rohstoffe und Geld. Wie schon beim Irakkrieg wird sich diese Theorie als Seifenblase erweisen. Schauen wir uns die aktuellen Exportpartner Libyens an: Italien 37%, Deutschland 16,6%, Spanien 11,9%, Türkei 7,1%, Frankreich 6,2%. Importpartner: Italien 25,5%, Deutschland 11%, Südkorea 6,1%, Vereinigtes Königreich 5,4%, Tunesien 4,7%, Türkei 4,6%. (vgl. http://www.ipicture.de/daten/wirtschaft_lybien.html) Die USA, Frankreich und Großbritannien - die Hauptakteure beim NATO Einsatz - haben bisher wirtschaftlich wenig mit dieser Region zu tun. Voraussichtlich wird sich das auch nach dem Krieg kaum ändern.

Mittwoch, 24. August 2011

Libyen: „Prügel für Westerwelle“ und all die anderen Weicheier

Westerwelle bekommt derzeit starke Kritik auf Grund seiner Äußerungen zu den aktuellen „Erfolgen“ der „Rebellen“ in Libyen. Der Außenminister hat sich in der Tat ungeschickt geäußert. Ich hätte mir gewünscht, dass er einfach gesagt hätte: „Wir stehen zu unserer Entscheidung der Enthaltung.“ Punkt.

Besorgniserregend finde ich viel mehr eine andere Entwicklung, die durch den heutigen Artikel „Prügel für Westerwelle“ in der Basler Zeitung deutlich rüberkommt: Krieg wird als notwendiges und erfolgreiches Mittel der westlichen Politik gefeiert. Länder und Politiker, die da nicht mitmachen, sind „Weicheier“ und verdienen (symbolisch) „Prügel“. Eine solche Tendenz und Symbolik verrät viel über tiefere, emotionale Beweggründe.

In den letzten Tagen sah man eine ganze Reihe von Fotos von den „Rebellen“, i.d.R. hatten sie Waffen in der Hand, standen siegessicher und feiernd vor zerbombten Gebäuden, brennenden Autos usw. Diese Leute wirken auf mich nicht weniger bedrohlich, als die Leute des Diktators. Sie wirken auf mich unberechenbar. „Einheiten der Aufständischen seien für Plünderungen, Brandstiftungen und Gewalt gegen Zivilisten verantwortlich“, erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) im Juli (siehe hier). Diese Kurzmeldung las man hier und da. Bisher habe ich nicht wahrgenommen, dass in den Medien ein wirkliches Interesse daran besteht, die „Rebellen“ kritisch zu betrachten und Nachforschungen anzustellen.

Die hohen Opfer- und Flüchtlingszahlen scheinen auch schon vergessen. (siehe dazu Der Libyeneinsatz war bisher ein "voller Erfolg") Mehr noch, man meint, der NATO Einsatz hätte Menschenleben gerettet. Wie immer werden bei westlichen Kriegen die „Kollateralschäden“ gegen mögliche gerettet Menschenleben aufgerechnet. Man darf so und so viel Menschen opfern um so und so viel Menschen zu retten. Das ist eine Einstellung, die in allen anderen Bereichen des westlichen Lebens absolut undenkbar wäre! Nur im Krieg gegen "das Böse" außerhalb unserer Grenzen gilt diese Regel nicht mehr.

Gut und Böse wurden mal wieder sauber getrennt. Die Realität der weiteren Entwicklung unter einer möglichen Herrschaft der „Rebellen“ wird zeigen, ob dieses Bild so stimmt. Sofern sich der Westen nach der Bombardierung des Landes, Aufrüstung einer „Rebellenarmee“, Verdrängens dessen, dass man Diktator Gaddafi einst hofierte und selbst aufrüstete und einer nun gewonnen selbstherrlichen Sieges-/Machtdemonstration überhaupt noch für die Lebenssituation der Bevölkerung dort interessiert.

Info-Anhang: Seit Beginn des NATO Angriffs am 31.03.2011 hat das westliche Bündnis 20.121 Einsätze in Libyen durchgeführt, davon waren 7.587 Kampfeinsätze, also im Schnitt ca. 50 Kampfeinsätze pro Tag! (vgl. NATO Bericht vom 24.08.11)

Freitag, 19. August 2011

Stammesgesellschaften: Die Hälfte aller Männer erschlagen

Derzeit häufen sich Artikel, die die „Lust am Böse“ als quasi naturbedingt voraussetzen. So auch der aktuelle Artikel "Du darfst nicht immer töten" in der ZEIT.
Ich bin überzeugt, dass der Mensch darauf ausgelegt ist, Gewalt auszuüben.“, sagt der Neuropsychologe Thomas Elbert im Interview. Wobei er im Interview auch ganz andere Sachen sagt und mehrmals den Einfluss der Kindheit erwähnt. Naja…

Eine Passage möchte ich besonders kommentieren: „Menschen können Menschen töten, und in primitiven Kulturen tun sie das auch. Die Untersuchungen steinzeitlicher Kulturen zeigen, dass die Hälfte aller Männer erschlagen worden ist. Und von unserer genetischen Zusammensetzung sind wir nicht großartig anders als der Steinzeitmensch. Die Bereitschaft zu töten, war damals keine psychopathologische Variante, die selten auftritt. Es war die Regel.“
Wer sich mit der Psychohistorie auskennt, kennt die eigentlichen Antworten auf diese Feststellung. In der Tat mordeten die Menschen früher mehr bzw. wird in Stammesgesellschaften mehr Gewalt ausgeübt. Auf Wikipedia kann man sich dazu eine interessante Grafik anschauen. In Stammesgesellschaften war der Anteil der Kriegstoten um ein Vielfaches höher, als im Europa oder den USA des 20. Jahrhunderts. Die Antwort liegt allerdings nicht in der „Natur des Bösen“, sondern in den Kindheiten zu früheren Zeiten bzw. den Kindheiten in Stammesgesellschaften: Historische Kindererziehungspraktiken und Persönlichkeiten

Zwei alte Männer und die Revolution

Kürzlich bekam ich das Gespräch zwischen zwei älteren Männern mit (ca. Mitte 60 und Anfang/Mitte 70). Beide unterhielten sich darüber, dass heutzutage den jungen Leuten in der Ausbildung mehr ihre Rechte als ihre Pflichten aufgezeigt würden. Die Jungen würden zu viel Widerspruch zeigen, aber dabei gleichzeitig ihre Pflichten vernachlässigen. Früher war das anders. Da gab es schon mal von dem Lehrer ordentlich mit dem Rohrstock was auf die Finger. Beide lachten. „Und der Lehrer war auch noch ein Freund meines Vaters.“, sagte der eine. „Wenn ich meinem Vater davon erzählt hätte, hätte ich zu Hause auch noch gleich was hinten drauf bekommen“. Beide lachten wieder.

Hier zeigt sich, wie fatal die Misshandlung von Kindern wirkt. Beide Männer haben offensichtlich keinen emotionalen Zugang zu dem Kind, das sie damals waren. Wenn sie einen Zugang zu ihrer Geschichte hätten, würden sie nicht über das lachen, was sie berichteten. Sie wären ernst und würden sagen: „Das war schlimm und gut das es heute anders ist.“ Ein Vater, der ein Kind schlagen würde, wenn es berichtet, dass es vom Lehrer geschlagen wurde, ist ein Albtraum!

Mir wurde durch diese Beobachtung mal wieder sehr deutlich, was für eine tiefe Umwälzung ja Revolution sich in unserem Land bzgl. des Umgangs mit Kindern vollzogen hat. Eine Revolution (vielleicht die größte Revolution, die unser Land je erlebt hat), die langsam und leise stattfand und über deren enormen Auswirkungen kaum jemand wirklich nachdenkt oder gar wissenschaftlich forscht. Dieser Entwicklungsprozess ist noch im vollen Gange und ist gleichzeitig ein Prozess, der vom öffentlichen Bewusstsein ausgeklammert bleibt. Schade eigentlich.

Montag, 15. August 2011

Samstag, 6. August 2011

Studie "Die Sicht der Anderen". Wie Extremismus entsteht.

Auf die Studie "Lützinger, S., Kraus, B., Mathes, C. & Schweer, T.
(2010): Die Sicht der Anderen. Eine qualitative Studie zu Biographien von Extremisten und Terroristen (Polizei + Forschung Bd. 40). BKA – Bundeskriminalamt, Kriminalistisches Institut (Hrsg.). Köln: Luchterhand Fachverlag."  hatte ich ja bereits im Zusammenhang mit dem Attentäter Breivik kurz hingewiesen. Jetzt möchte ich darauf noch mal etwas näher eingehen. Für die Studie wurden die Biographien von insgesamt 39 Personen verglichen, die dem Links- oder Rechtsextremismus sowie Islamismus zugeordnet werden können.

Einige zentrale Ergebnisse möchte ich kurz vorstellen:

Innerhalb der Familien der Befragten herrschte allgemein viel Stress, „familiäres Chaos“ und es gab kaum oder keine Bewältigungsstrategien bzgl. Konflikten und Problemen. Allen Familien war gemeinsam, dass problematische Sachverhalte nicht konstruktiv miteinander kommuniziert und bearbeitet, sondern allenfalls in Form von Vorwürfen oder Schuldzuweisungen thematisiert wurden. Die Befragten waren vornehmlich auf sich selbst gestellt, wenn sie Probleme lösen mussten und konnten kaum Hilfe in ihrer Familie erwarten bzw. fühlten sich von dieser allein gelassen. Schon früh waren die Befragten mit zahlreichen Entwicklungsbelastungen wie z.B. Wechsel von Bezugspersonen oder Verlust eines Familienangehörigen konfrontiert. In einigen Fällen entzogen sich Familienmitglieder jedoch auch, indem sie beispielsweise „über Nacht“ die Familie verließen oder es vorzogen, sich auf andere soziale Umfelder (z.B. den Freundeskreis, die Arbeit) zu konzentrieren.

In allen Familien standen deutliche familiäre Belastungen im Hintergrund, die sich in Suchterkrankungen der Eltern, Verlusterlebnissen und schwerster häuslicher Gewalt ausdrückten. In keinem Fall kann von einem intakten Elternhaus gesprochen werden.“ (S. 28)

In den meisten Biographien spielten Gewalt und Unterdrückung schon im Kindesalter eine Rolle. Etwa die Hälfte aller Befragten berichtete von gewalttätigen Elternhäusern, in denen sie mit zum Teil erheblichen gewalttätigen Ausschreitungen und Misshandlungen konfrontiert waren. Die rechtsorientierten Befragten berichteten das heftigste Ausmaß. Gewalt richtete sich nicht ausschließlich gegen die Kinder, sondern spielte sich auch zwischen den Eltern ab. So erzählte beispielsweise ein Befragter, die eigene Mutter bewusstlos, in einer Blutlache liegend aufgefunden zu haben. Andere berichteten über schwerste Misshandlungen, die vom mutwilligen Zufügen von Brandwunden bis hin zu Tötungsversuchen reichten.“ (S. 31)

Resümierend kann festgehalten werden, dass die hier untersuchten Biographien grundlegend entwicklungsbelastete Personen charakterisieren, die mangels eines funktionierenden und eine gesunde und gelingende psychosoziale Entwicklung garantierenden Elternhauses äußerst prekäre soziale Kontakte eingegangen sind. Das jeweilige extremistisch-terroristische Milieu bzw. Gruppenangebot fungierte als Ersatz für ein funktional und strukturell gestörtes Elternhaus." (S. 75f)

Diese qualitative Studie ist sehr interessant und zeigt vor allem eines: Kinder, die in intakten Elternhäusern aufwachsen dürfen, werden nicht zu Extremisten! Die Studie zeigt auch auf, dass bzgl. der Prävention von Gewalt und Extremismus beim Jugend- und Kinderschutz bzw. bei der Jugendarbeit angesetzt werden muss. Auffallend bei den Befragten war, dass sie sich eine „Ersatzfamilie“ bei destruktiven Peergroups oder extremistischen Gruppen suchten und diese eher zufällig je nach vorhandenem Angebot und Milieuzugang auswählten. Hier kann und muss regionale Jugendarbeit ansetzen und konstruktive „Familienersatzangebote“ machen. Interessant für diesen Blog ist auch, dass einige der Befragten zur Bundeswehr gehen wollten, aber oft abgelehnt wurden und andere Wege gingen.

Freitag, 5. August 2011

Nachdenkliches zur aktuellen Medienentwicklung

Einige hundert Medienmeldungen befassen sich derzeit mit der „Panik an den Börsen“, wie ich auf nachrichten.de unter „Wirtschaft“ lesen konnte. (Dabei fiel mir als erstes ein, dass im Grunde der Irak- und auch der Afghanistankrieg die Hauptursachen für die aktuelle Schuldenlast der USA darstellen und somit beide Kriege – wie wohl alle Kriege - sehr viel mit Selbstzerstörung zu tun hatten.)

Was mir merkwürdig dabei ins Auge fiel ist, dass sich parallel in den Medien Berichte über Kindesmissbrauch, Kindesentführung, Kindermord und verhungernden Kindern in Somalia häuften. Alle vier Medienthemen sind nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern entstammen der Realität aktueller Gerichtsurteile und einer realen, katastrophalen Hungersnot. Trotzdem finde ich dieses zeitgleiche Aufeinandertreffen von solchen Themen und den massiven Einbrüchen an den Börsen (und entsprechenden Untergangsängsten) bemerkenswert (dazu kommen noch aktuelle Titelthemen im SPIEGEL, Stern und Focus - siehe unten).

Um für mich gedanklich die aktuellen Medienentwicklungen festzuhalten, fasse ich einfach mal meine Beobachtungen zusammen:

161 Medienmeldungen verzeichnet das Netzwerk nachrichten.de am 05.08.2011 zur Verurteilung des US-Sektenführers Warren Jeffs wegen Kindesmissbrauches.

Beispielhafte Titel lauten „Kindes-Missbrauch: US-Sekten-Chef verurteilt“ 05.08.11, bz-berlin.de, „US-Polygamie-Verfechter des Missbrauchs schuldig“, 05.08.11, suedkurier.de oder „Sektenführer wegen Sex mit Kindern verurteilt“, 05.08.11, morgenpost.de

131 Meldungen befassen sich mit der Verurteilung des wegen Kindesentführung eines vierjährigen Mädchens angeklagten von Kleinmachnow, der heute zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.
(http://www.nachrichten.de/panorama/Urteil-Potsdam-Prozess-Staatsanwaltschaft-Angeklagt-cid_6950357/)

103 Medienberichte beschäftigen sich heute mit der Hungersnot in Somalia. (http://www.nachrichten.de/politik/Somalia-Koeln-ARD-Tagesthemen-Bundesdeutsch-Hungerkatastrophe-cid_6948642/meldungen/) Viele Berichte zeigen ausgehungerte Kinder und Babys auf Fotos, z.B. die Berliner Morgenpost oder beziffern die Anzahl toter Kinder.

Ganze 1.640 Meldungen befassten sich innerhalb der letzten Woche mit dem Kindermörder Magnus Gäfgen, der 3.000 € Entschädigung auf Grund von Drohungen eines Polizeibeamten zugesprochen bekommen hat.
(http://www.nachrichten.de/thema/Magnus-Gaefgen/)

Dazu kommt das aktuelle Titelthema des Stern Nr. 32, 4.8.2011
Verletzte Seele. Wie traumatische Erlebnisse unser Leben beeinträchtigen - und welche Hilfe es gibt.“ Auf dem Titelbild ist eine junge Frau zu sehen, die verschiedene Sätze auf ihr Gesicht geschrieben bekommen hat wie z.B. „Immer wieder kommt diese Angst“ oder „Ich kann nicht vergessen

Oder der SPIEGEl Nr. 31/2011, der im Titelthema „Die Spur des Bösen“ verfolgt und den Attentäter Breivik in verschwommenen höllenrot dargestellt hat.

Oder der Focus Nr. 31 vom 1. August 2011, der mit „Die Über-Väter“ titelte, „Helmut Kohl, Willy Brandt und Millionen andere Männer: Wie Söhne Macht erleben“.

Ich finde dieses Gemisch an Titeln, Themen und realen Ereignissen äußert bemerkenswert. Realität schafft Berichterstattung, sicher. Aber Berichterstattung erschafft auch Realität. Und (Gruppen)-Fantasien und unbewusste Vorgänge haben wiederum Einfluss auf die Berichterstattung. Gerade auch in Anbetracht der hier in den letzten Wochen gemachten Beobachtungen bzgl. der Suche nach Feinden, Vergiftungsängsten usw. ist die aktuelle Medienlage äußert ... tja…mir fehlt da im Grunde das richtige Wort…irritierend und aufschlussreich zugleich wäre vielleicht das passende. Wir werden sehen, wie die Entwicklungen weitergehen.

Ich glaube, mensch muss sich einmal vorstellen, dass „die Medien“ die Psyche eines einzigen Menschen wäre, um ein wirkliches Erstaunen zu erzeugen und um emotionale Prozesse sichtbar zu machen.

Samstag, 30. Juli 2011

Die Lust am Bösen

Eugen Sorgs Buch: "Die Lust am Bösen. Warum Gewalt nicht heilbar ist" zieht derzeit Kreise in Buchbesprechungen. Der Autor – selbst Psychotherapeut und früher für das Rote Kreuz in diversen Krisen- und Kriegsgebieten im Einsatz - meint, dass gängige Analyse- und Erklärungsmodelle für Gewalt offensichtlich an der Realität scheitern. Was er entdeckt, sind emotionale Hochgefühle der Täter und Täterinnen, eben die „Lust am Bösen“. Das drum herum, Ideologie und alles andere wird zur Nebensache erklärt. Eugen Sorg schrieb kürzlich für derstandard.at über „die Lust am Bösen“: „Die meisten Menschen berauschen sich nicht an Ideen, sondern sie benutzen Ideen, um ihren Rausch zu legitimieren.“ Ein Satz, den ich nur unterschreiben kann. Aber dann kommt der nächste Satz des Autors: „Wir tragen in uns ein mächtiges Reservoir an aggressiven Impulsen, ein evolutionsgeschichtliches Erbe animalischer Reflexe.“ und am Ende des Textes „Das Böse begleitet die Humangeschichte. Es ist nicht heilbar, nicht umerziehbar, nicht wegfinanzierbar. Es ist die tragische Bedingung der menschlichen Freiheit, man kann es nur abschaffen, wenn man den Menschen abschafft.“ Und das sehe ich nun wieder ganz anders.

Im aktuellen Amnesty Journal 08/09 2011 wird sein Buch kurz besprochen. Der Kritiker beginnt seine Besprechung so: „Was wär, wenn alle Erklärungen, nach denen wir suchen, wenn wir über individuelle und kollektive Gewalt sprechen, die Menschen Menschen antun, gar keine Erklärungen wären? Wenn also Armut, Verzweiflung, Fanatismus, traditionelle Rollenbilder, politische und religiöse Verblendung usw. nur „äußere Umstände“ wären, die zwar einen Rahmen bilden, „der dem Einzelnen den Reaktionsspielraum offen lässt“, aber eben nicht die Ursache der gewaltsamen Handlungen?
Ein Satz, den ich auch so oder so ähnlich hätte schreiben können. Welche Antworten Eugen Sorgs allerdings darauf hat, wurde oben kurz beschrieben. Er scheint sich dabei nicht die Frage zu stellen, WARUM Menschen diesen Rausch, dieses Hochgefühl durch das Quälen und Töten anderer Menschen suchen, ja geradezu brauchen. Ich teile seine Beobachtungen und finde sie sehr interessant bzw. mich bestätigend. TäterInnen empfinden oftmals Freude und Lust an ihren Taten. Dies lässt allerdings nicht auf eine „menschliche Natur zum Bösen“ schließen, sondern darauf, dass emotional eine Menge schief gelaufen sein muss bei diesen Leuten. Eigentlich sollte gerade ein Psychotherapeut darum wissen. Mich erinnert diese Sichtweise an Goldhagens Analyse "Schlimmer als Krieg", die ich hier kommentiert habe. Auch er stellte eine Leidenschaft und Freude bei den TäterInnen fest, zog aber – meiner Meinung nach – falsche Rückschlüsse.

Menschen holen das Opfer in sich hervor, wenn sie zu TäterInnen werden. Sie opfern andere Menschen und fühlen sich dadurch innerlich „befreit“, „geläutert“, „entgiftet“, „gereinigt“, „glücklich“, „mächtig“. Sie verschaffen sich Erleichterung von dem unerträglichen Druck, Schmerz und dem unsäglichen Rachebedürfnis, den das Opfer, das sie einst als Kind waren, in ihnen erzeugt. Wer Kinder schützt, wer Kindern hilft, wer Kindern psychosoziale Betreuung und jegliche Hilfe zukommen lässt, die sie brauchen, der kann etwas gegen „das Böse“ tun. „Das Böse“ wird die Humangeschichte nicht weiter begleiten, wenn Kinder Liebe und Geborgenheit, statt Schläge, Missbrauch und Demütigungen erfahren.

Ergänzung: Kindheit von Ludwig XIII.

Das aktuelle Massaker in Norwegen (siehe vorherigen Beitrag) hat mich noch einmal dazu bewegt, die Kindheit von Ludwig XIII. um einen ausführlicheren Bericht über die von ihm erlittenen sexuellen Übergriffe zu ergänzen (was ich schon länger vorhatte).
König Ludwig war eindeutig ein Massenmörder. Ich finde es besonders wichtig, ausführlich auf Gewalterfahrungen von solchen Menschen einzugehen. Denn Gewalt erleben viele Menschen, aber nicht alle werden zu Massenmördern. Ich möchte deutlich machen, dass es einen Unterschied macht, ob jemand manchmal von seinen Eltern geschlagen wurde oder ob jemand tagtäglich misshandelt und missbraucht wird. Letzteres trifft auf Ludwig zu.

Mein ergänzter Text unter "3.1. Ein kurzer Abriss über Diktatoren und destruktive Politiker":

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Die ersten Lebensjahre von Ludwig XIII. waren zusätzlich von einer Fülle sexueller Übergriffe und Grenzüberschreitungen begleitet. Er ist noch kein Jahr alt, dokumentiert Philippe Aries, als seine Kinderfrau ihn masturbiert. (vgl. Aries, 1975, S.175) Als er ein Jahr alt ist, wird sein Penis von allen möglichen Leuten „geküsst“. „Während der ersten drei Jahre seine Lebens findet niemand etwas dabei, zum Scherz das Geschlechtsteil dieses Kindes zu berühren.“ (ebd., S. 176) Seine Amme fasst ihn – so Aries - ebenso an, wie die Dienerschaft, „einfältige Jugendliche“, „leichtlebige Frauen“, die eigene Mutter und auch der Vater. Dazu kommen perverse Drohungen (zum „Scherz“). „Seine Amme hatte ihm eingeschärft: Monsieur, lassen Sie nur niemanden Ihre Hoden anrühren, auch ihren Piephahn nicht, sonst wird er Ihnen abgeschnitten.“ (ebd.) Der kleine Ludwig wurde auch zusammen mit seiner Schwester nackt zum König – seinem Vater – ins Bett gelegt, „wo sie sich küssen, miteinander flüstern und dem König großes Vergnügen bereiten.“ Als er vier Jahre alt ist, ist – in Worten von Aries - „seine sexuelle Aufklärung so gut wie abgeschlossen.“ Ab dem Alter von fünf oder sechs Jahren nahmen diese Übergriffe dann ab. Seine eigentliche Erziehung begann kaum vor dem siebten Lebensjahr. Davor – so scheint es – war er freigegeben für alle erdenklichen „sexuellen Scherze“ und Übergriffe, jeder konnte mit ihm tun, was er oder sie wollte. Ab dem Alter von sieben Jahren galt er als kleiner Mann und man ließ von ihm ab. Ludwig selbst entwickelte in dieser Zeit bereits sadistische Züge. So z.B. bzgl. dem Umgang mit seiner Amme. „Er treibt seine Späße mit ihr, lässt sie die Zehen bewegen, die Beine hochheben, sagt seiner Amme, sie solle Ruten holen, um sie durchzuhauen, lässt diesen Auftrag ausführen (…)“ (ebd., S. 177) Ludwig ist etwas über vierzehn Jahre alt, da drängte man ihn nahezu gewaltsam ins Bett seiner ihm versprochenen Frau. Nach der Trauungzeremonie musste er in Gegenwart der eigenen Mutter mit seiner Frau schlafen. Ludwig XIII. wurde als Kind ganz eindeutig schwer sexuell missbraucht und traumatisiert.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Attentäter Breivik: Natural born Killer?

I haven´t really had any negative experiences in my childhood in any way.”, schrieb der norwegische Attentäter Anders in einem mit sich selbst geführten Interview (innerhalb seines kranken „Manifestes“ auf Seite ca. 1387, dass ich glücklicherweise dank Suchfunktion nur sehr kurz lesen musste… ) im vollen Bewusstsein dessen, dass diese Zeilen nach seiner Tat gelesen würden, um nach den Ursachen zu suchen. (Nachtrag vom 20.04.2012: Und er blieb auch später diesem Satz treu. Bei einer Befragung durch die Staatsanwältin sagte er wörtlich: "Ich hatte eine gute Kindheit. Sie ist nicht der Grund dafür, dass ich ein militanter Nationalist bin."; vgl. SPIEGEL-Online, 17.04.2012)

Kann das stimmen? Kann ein Mensch, der zu solch brutalem, kaltblütigem Massenmord und Terror fähig ist, „keine negativen Erfahrungen“ in seiner Kindheit bzw. demnach also positive, liebevolle Erfahrungen gemacht haben? Dann wäre der Massenmörder Anders Behring Breivik sozusagen ein „natural born Killer“, einer, der „einfach so“ zum Killer wurde, quasi biologisch determiniert wohl auf Grund eines angeborenen kranken Geistes, dem später womöglich die falschen Bücher in die Hände fielen...

Wichtiger Nachtrag/Hinweis:  An dieser Stelle sei auf meinen späteren Beitrag Aage Borchgrevink: "A Norwegian Tragedy". Ein Lehrstück über die tieferen Ursachen von Terror. verwiesen, in dem viele Details von Breiviks traumatischer Kindheit ausgeführt sind. Ich lasse diesen älteren Beitrag hier trotzdem bestehen, weil er meine gedankliche Entwicklung in diesem Fall deutlich macht!

Der Psychologe Christian Lüdke sagte in einem aktuellen Interview mit WELT-Online zu diesem Terrorakt u.a.:
Die Ursachen gehen oft weit bis in die die frühe Jugend und Kindheit zurück“ um dann mit einem Komma anzuhängen „,etwa die Unfähigkeit, mit Enttäuschungen umzugehen.“ Mit einem solchen Nebensatz nimmt der Psychologe gleich wieder die Luft raus. Kein Wort von möglichem elterlichen Terror, Missbrauch, Demütigungen und Gewalt. Breivik lernte also womöglich als Kind nicht, mit Enttäuschungen umzugehen. Und das macht einen Menschen dann zum potentiellen Killer? Ich habe schon so oft Interviews von Psychologen zu Amokläufern und Kriegsverbrechern gelesen. Wenn überhaupt Andeutungen bzgl. der Kindheit auftauchen, dann bleibt es bei diesen leichten Andeutungen oder es folgen Ablenkungen, die das ganze wieder in eine ganz andere Richtung drehen, wie oben aufgeführt. Dabei sagt Lüdke auch: „Der Attentäter muss voller Wut und Hass sein.“ Wo aber kommt dieser abgrundtiefe Hass her? Keine Antwort vom Psychologen.

Ein anderer Psychologe wird von SPIEGEL-Online zitiert. Das ganze sei „ein biologisches Programm“, Experten nennen es kalte Aggression. "Der Täter befindet sich in einem Jagdmodus", erklärt Psychologe und Forscher Jens Hoffmann. „Er handelt kalkulierend und planend, die Emotionen sind komplett ausgeschaltet." Prinzipiell sei dieser Jagdmodus in jedem Menschen biologisch verankert, erklärt der Psychologe. „Einst benötigten ihn die Menschen für die Jagd nach Fleisch. Breivik aktivierte ihn, um Menschen zu jagen.“, schreibt SPIEGEL-Online. Auch hier wird wieder das Bild vom „Natural born Killer“ aufgemacht.

Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller geht in seinem Interview erst gar nicht auf Ursachen ein, sondern beschreibt rein die gestörte Persönlichkeit.

Auf WELT-Online schreibt der Autor Henryk M. Broder: „Wer Lebensmittel im Supermarkt klaut, der hat Hunger, wer nachts Autos abfackelt, der hat was gegen Reiche, wer ein Kind missbraucht, der hatte selbst eine schwere Kindheit. Was aber hat einer, der als Polizist verkleidet Kinder und Jugendliche wie herumfliegende Tonscheiben abknallt? Wie wäre es damit: Spaß am Töten?“ Warum wird auch hier nicht ein Schritt zurückgedacht, wo doch das Thema Kindheit schon im Raum war?

(Nachtrag 23.08.11) „Wie ist es möglich, so ganz ohne Mitleid zu sein?“, fragt sich für Die Presse.com Thomas Kramar, um am Schluss zu schreiben: "Dass Grausamkeit nicht, wie noch vor 20Jahren viele glaubten – allen voran die Psychologin Alice Miller („Im Anfang war Erziehung“) –, nur eine (durch Erziehung und Kultur) erworbene Eigenschaft ist, darauf können sich heute die meisten einigen. Auf viel mehr nicht. Die Psychologie steht, so scheint es, weiterhin hilflos vor dem grausamen Bruder."

Nun, die Beispiele ließen sich sicher noch fortführen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, warum sich die Gesellschaft so sehr davor sträubt, einfachste psychische Wahrheiten direkt auszusprechen und zu akzeptieren.

Ein oder zwei Tage vor dem Attentat in Norwegen fügte ich meiner Blogleiste folgendes Zitat von Prof. Dr. med. Peter Riedesser (der verstorbene ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Direktor der Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) hinzu:
Die Biographie von Selbstmordattentätern "(...) muss geprägt sein von hohem destruktivem Potential, sonst wäre eine so rücksichtslose, zielgerichtete mörderische Planung nicht möglich. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, ist immun gegen die Verführung zum ideologisch motivierten Selbstmordattentat."

Das ist die simple Wahrheit. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, ist zu solchen und ähnlichen Taten nicht in der Lage. UND: Es gehört ein „hohem destruktivem Potential“ vor allem innerhalb der frühen Erfahrungen dazu, damit ein Mensch zu solchen Taten fähig wird. Ich habe in diesem Blog etliche Diktatoren und ähnliche Personen bzgl. ihrer Kindheit analysiert. (siehe hier) Ich bin von Anfang an davon ausgegangen, dass ich Gewalterfahrungen finden würde. Was ich fand übertraf all meine Vorstellungen, es waren nicht nur einfach Gewalterfahrungen. Es waren häufige, manchmal tägliche Bedrohungen und Demütigungen, Hohn, Missbrauch, schwere Vernachlässigung, schwere Schläge, überall Ausgrenzung, sich schlagend, streitende Eltern, tote Geschwister usw. usf.
Man wird nicht zum Massenmörder, wenn man ein paar mal von seinen Eltern geschlagen wurde oder ein Trennungskind ist. Die Menschen, die zu Massenmördern wurden und werden, erlebten schweren Terror, Hass und die reine Hölle bereits in ihrer Kindheit. Diese Geschichte führen sie auf die eine oder andere Art wieder auf. Hass und Gewalt ist die einzige Sprache, die sie von Geburt an lernten.

Diktatoren wurden aber auch über Jahre und Jahrzehnte analysiert und von Biografen skizziert. Entsprechend ließen sich hier einige nützliche Infoformationen finden. Bzgl. Anders Behring Breivik wird das schon schwieriger.

Seine Eltern trennten sich in England als er 1 Jahr alt war, schrieb er in sein "Manifest". Seine Mutter zog darauf mit ihren Kindern zurück nach Norwegen und leierte sich bald mit einem neuen Mann, einem Major in der norwegischen Armee. Anders beschreibt diesen Mann – seinen Stiefvater - als „primitives sexuelles Biest“, der viel Zeit „mit Prostituierten in Thailand“ verbracht hätte. Sein Stiefvater hätte mehr als 500 Sexualpartnerinnen gehabt, seine Mutter wusste darum und litt darunter, so Breivik. Sie fing sich dadurch auch eine folgenreiche Geschlechtskrankheit ein, aus der eine fatale Gehirnentzündung wurde, die den Verstand der Mutter auf das Niveau „einer Zehnjährigen“ reduzierte. („Auch eine seiner Halbschwestern habe sich mit einer solchen Krankheit angesteckt“, schreibt Caroline Fetscher, die für den Tagesspiegel das „Manifest“ durchgearbeitet hat. )
Zu seinem biologischen Vater hielt er losen Kontakt mit ca. einmal jährlichen Besuchen, so weit ich es verstanden habe. Ab seinem 15. Lebensjahr hätte er den Vater dann nicht mehr gesprochen und getroffen.

(Nachtrag:) Die Welt berichtet über die wohl bedeutsamsten Details aus Breiviks Kindheit:
Als Anders Behring Breivik vier Jahre alt ist, soll die Mutter die Kinderschutzbehörde um Entlastung gebeten haben, und ein Psychologe wurde benannt, um den Bedarf zu beurteilen. Aber Entlastung war dem Psychologen zufolge nicht genug. Er beurteilte die Situation als so ernst, dass er empfahl, den Jungen unverzüglich und dauerhaft in ein Kinderheim zu bringen. Der Psychologe war der Auffassung, dass die Mutter ein gefühlsmäßig instabiles Verhältnis zum Sohn hatte. Er fürchtete, dass das Kind psychischen Schaden nehmen könnte. Der Junge kam nicht ins Kinderheim. Aber der Vierjährige wohnte eine Zeit lang bei einer Pflegefamilie. Auch die Pflegeeltern sollen besorgte Meldungen abgegeben haben.“
Ich denke, dass hier der Schlüssel liegt. Leider sind bisher keine konkreteren Details bzgl. der Mutter-Sohn-Beziehung öffentlich geworden, was sich zukünftig vielleicht noch ändert. Ein abwesender, desinteressierter Vater, ein destruktiver Stiefvater und ein derart destruktive Mutter, dass ursprünglich sogleich eine Heimunterbringung im Raum stand. Bis heute (Stand 20.04.2012) ist vor allem letzteres Detail von den deutschen Medien – außer von der „Welt“ – ignoriert worden. Breivik titelte in seinem Manifest zu Beginn des Abschnittes „Planning the operation" - in dem er ausführte, wie einzelne Menschen Attentate vorbereiten sollen - mit den Worten „Violence is the mother of change“. Ein Satz, der in die Tiefe blicken lässt. (Nachtrag Ende 2012): Mittlerweile gibt es wieder neue Details. Belegt ist, dass Breivik als Kleinkind von seiner Mutter geschlagen wurde und sie vielfach ihm gegenüber geäußert hat, dass sie seinen Tod wünsche. Siehe mehr dazu hier.

Aufschlussreich fand ich auch folgenden Satz von ihm: „The Illusion about love in a relationship between a man and a woman is the sum of irrational feelings based on desire.“ Für Breivik gibt es keine Liebe, Mann und Frau kommen einzig dazu zusammen, Kinder zu bekommen, schreibt er an anderer Stelle. Diese Passagen erzählen uns etwas über die Atmosphäre in der Familie. Für Liebe war hier wohl kein Platz.

Sehr wichtig finde ich weitere Informationen, die Caroline Fetscher im Tagesspiegel (siehe Link oben) herausgearbeitet hat: Breivik gibt an, noch nie eine feste Beziehung zu einem weiblichen Wesen gehabt zu haben(, was psychologisch aufschlussreich ist und auf eine tiefe Bindungsstörung hinweist). Am wichtigsten finde ich allerdings die Info, dass der Attentäter schreibt, die körperliche Züchtigung von Kindern – in allen skandinavischen Ländern gesetzlich verboten – müsse wieder rechtens werden, damit die „traditionelle Familie“ sich neu etabliert. Hier findet sich DIE Andeutung dafür, dass er selbst körperliche Gewalt erlebt hat. Ein nicht geschlagenes Kind kommt später nicht auf Idee zu sagen: "Mir und anderen Kindern fehlten Schläge." Nur einst geschlagene Kinder idealisieren später die schwarze Pädagogik. Fetscher schreibt: „Von Adornos analytischen Studien zur autoritären Persönlichkeit, deren Erträge sich inzwischen im „Erziehungskartell“ ausgebreitet hätten, fühlt sich Behring Breivik merklich narzisstisch gekränkt, angegriffen, beleidigt und bedroht. Auf „servile“, beflissene Weise würden wegen solcher Thesen „Sensibilisierungstraining“ und „Sprachcodes“ in der Erziehung verwendet, die auf „Massenpsychologie“ basieren. Kinder würden daher nicht mehr „gemäß ihrer Geschlechterrollen und biologischen Unterschiede“ erzogen. Ja, ganz Europa sei auf dem Weg der „Feminisierung“.

Kinder, vor allem Jungen, müssen wieder härter in der Erziehung angepackt werden, könnte man hier auch zusammenfassen. Diese Sicht auf Erziehung verrät viel über das, was Breivik wohl selbst als Kind erlebt haben dürfte. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass der 32jährige immer noch bei seiner Mutter lebte und seinen Stiefvater, nachdem er ihn als "sexuelles Biest" bezeichnet und ihm Vorwürfe gemacht hat, gleichzeitig einen "guten, liebenswerten Menschen" nennt. Wenn Anders Breivik von beiden Gewalt auf die ein oder andere Art erfuhr, was ich für sehr sehr wahrscheinlich halte, dann hat er seinen Schmerz und seinen Hass ihnen gegenüber oder kurz gesagt das Opfer in sich abgespalten.

Wenn die Gesellschaft wirklich wissen wollte, was in der Familie des Attentäters alles vor sich ging, könnte sie es erfahren. Dafür müsste die Gesellschaft aber auch hinsehen wollen, sie müsste die richtigen Fragen stellen und umfassende Nachforschungen betreiben. Die obigen zitierten Medienberichte zeigen leider, dass dieses Hinsehen nicht immer gewollt ist.

Allerdings spricht bereits die grauenvolle, kaltblütige Tat als solche eine deutliche Sprache. Hervorheben möchte ich dabei, dass Breivik die eigentlichen erklärten politischen Feinde und Symbole „nur“ mit einer anonymen Bombe treffen wollte, während er den Kindern und Jugendlichen Auge in Auge gegenüber stand, während er sie tötete. Mehr noch, der Attentäter hatte sich als Polizist verkleidet und nach Augenzeugenaussagen Hilfe und Schutz angeboten, um die zu ihm kommenden jungen Menschen dann zu erschießen. Ein Polizist, der Freund und Helfer in Uniform, jemand, dem man sonst vertraut, er ist der Mörder. Ähnlich erleben es schwer misshandelte und missbrauchte Kinder. Ihre Eltern stehen für und sprechen von Liebe und Schutz, dann schlagen sie zu, missbrauchen, demütigen, im Namen der Liebe. Breivik hat seinem Manifest übrigens einige Fotos von sich angehängt. Mal sich mit Waffe, mal er in Uniform usw. Das letzte Bild zeigt ihn, wohl eine seiner Schwestern und seine Mutter in trauter Dreisamkeit. Für mich ist das sehr symbolisch, dass er ein Familienfoto an letzte Stelle stellt und dadurch besonders hervorhebt.

Mir fiel nach dieser Tat der Film „Natural born Killers“ von Oliver Stone ein, den ich als Jugendlicher einmal gesehen habe. Ich fand den Film damals ziemlich irritierend, schwer auszuhalten und merkwürdig. Ein junges Paar entdeckt den Spaß am Töten und zieht mordend – und von den Medien teils gefeiert - durch die USA. In Zwischenszenen, Flashbacks und Zeitsprüngen tauchen Erinnerungsblitze an die Kindheit der Akteure auf. Mallory wurde häufig von ihrem Vater sexuell missbraucht, ihre Mutter unternahm nichts dagegen. Gemeinsam mit ihrem Freund Mickey tötete sie ihre Eltern. Im Rausch erschießt Mickey in einer Wüste einen Indianer und erinnert sich dann an Misshandlungen durch seine Eltern und den Selbstmord seines Vaters. Der Film bekam damals viel Kritik. Dabei hatte er eine deutliche Message. Beide Massenmörder waren keine „Natural born Killers“, nicht von Natur aus böse. Der Titel legte dies nahe, im Film erfuhr man allerdings die wirklichen, tieferen Hintergründe. Die lustvollen Mörder wurden einst dazu geformt, durch Gewalt, Missbrauch und Terror in ihrer Kindheit. Der Film und sein Titel zeigten der Gesellschaft, was die tieferen Ursachen der Gewalt sind. Auch damals wurde das nicht richtig verstanden.

Eine interessante Studie, zitiert am 23.07.11 vom Tagesspiegel möchte hier noch erwähnen: „In einer Studie des Bundeskriminalamts und der Universität Duisburg/Essen – „Die Sicht der Anderen“ – wurden 24 Rechtsextremisten, neun Linksextremisten und sechs Islamisten, alle mit Gewalterfahrungen, eingehend befragt. Ihnen allen war gemeinsam, dass die Wurzel ihres Hasses in der Kindheit und der gestörten Beziehung zu den Eltern liegt. Gewalt gehörte schon früh zum Alltag. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es bei den meisten Befragten Zufall war, welcher Ideologie sie sich anschlossen. Es hing davon ab, welche extremistische Gruppe ein soziales Kontaktangebot schuf.

Das ist genau das, was ich schon oft geschrieben habe, Zufälle, äußere Rahmenbedingungen und Möglichkeiten entscheiden über die Farbe der Gewalt, die Ursachen liegen immer in der Kindheit.

Donnerstag, 14. Juli 2011

Zwischenmeldung: Die Angst vor "Vergiftung" kommt wieder zurück

Nach einer kurzen Angst und „Virus“-Pause (seit meinem Beitrag „Von EHEC zu Griechenland. Von Angstherd zu Angstherd„) mehren sich jetzt wieder die Ängste in den Medien. Stark emotionale Titel durchziehen aktuelle Berichte, Untergangsfantasien und Ängste vor Vergiftung drängen wieder nach oben.

Einige Beispiele:

Schuldenkrise: "Die Unsicherheit ist Gift"
(ZEIT-Online)

Schuldenkrisen in Europa und den USA: Die Welt geht unter - aber nur bei euch
(sueddeutsche-online)

Wie die Eurogruppe gegen den Pleitevirus kämpfen will
(sueddeutsche-online)

Italien wappnet sich gegen das Griechen-Virus
(SPIEGEL-Online)

Europa fürchtet sich vor dem griechischen Virus
(Welt-Online)

"Währungsabwertung ist ein süßes Gift"
(wiwo.de)

Sonntag, 10. Juli 2011

Kindheit auf Korsika und Evolution

Mein „Grundwissen“ über Korsika lernte ich als Kind durch den Comic „Asterix auf Korsika“. Ich erinnere mich noch, dass mich die düstere Atmosphäre, die in diesem Comic bzgl. der Sitten und Charakterstruktur „der Korsen“ aufgebaut wurde, als Kind etwas befremdete und ich Angst hatte. Ich habe als Kind alle Asterix Bände gelesen. „Asterix auf Korsika“ war der einzige Band, bei dem ich Angst hatte und den ich etwas unheimlich fand. Bei Asterix wird ja allgemein viel gerauft und geschlagen. Der Humor bleibt dabei aber meist im Vordergrund. Wenn die Korsen im entsprechenden Asterix Heft ihre Messer rausholten, fand ich das als Kind nicht witzig, sondern bedrohlich.

Meine nächste Begegnung mit Korsika hatte ich, als ich mich mit der Kindheit von Napoleon Bonaparte befasste. Demnach war traditionell auf Korsika die Kindererziehung rein Sache der Mütter. Im Falle von Napoleon war die Erziehung von schwerer Gewalt durch seine Mutter und Abwesenheit des Vaters geprägt.

Mein Wissen beschränkt sich hier im Grunde auf diese zwei Infos: Das Bild bzw. Vorurteile über „die Korsen“ und eine Kindheit als Fallbeispiel.

Mein Bild über Korsika konnte ich noch etwas erweitern. Die Geschichte Korsikas ist von Gewalt geprägt. Innerhalb von 25 Jahren vor dem Jahr 2000 kam es auf Korsika laut SPIEGEL zu ca. 10.000 Sprengstoffattentaten und ungefähr 220 Morden. "Auf Korsika", meldete ein Präfekt schon 1874, "stößt der Mörder auf der Flucht nicht auf die gleiche Ablehnung wie in Frankreich. Man hilft ihm." Das gilt noch heute, schreibt der SPIEGEL weiter. Ein Lokalpolitiker wird wie folgt zitiert: "Auf Korsika weiß immer jeder, wer die Mörder und die Attentäter sind. Aber Korsika schweigt." (vgl. DER SPIEGEL, 04.09.2000, „Das Gesetz des Schweigens“)

Auf einer privaten Seite, die sich intensiv mit Korsika befasst, fand ich folgendes: „Der amüsante Comic »Asterix auf Korsika« zeigt die Korsen als ehrbesessene Sturköpfe, denen das Messer locker sitzt. Stolz und Ehrgefühl sind Wesenszüge vieler Korsen, deren Entstehung hier nicht rückverfolgt werden kann.“ und „Die Korsen lebten jenseits von Recht und Gesetz und regelten ihre Angelegenheiten untereinander - oftmals mit dem Gewehr.“ Die Betreiber der Seite schreiben, dass im 18. Jh. Blutracheexzesse 30.000 Opfer gekostet hätten (was ich nicht weiter nachprüfen konnte). Unter dem Stichwort Vendetta (korsische Blutrache) fand ich im Marcopolo Reisführer folgendes: „Die Wahrung von Ehre und Recht nahmen die Korsen früher nach Kräften selbst in die Hand. Nach ihrem Ehrenkodex war ein Mann verpflichtet, schwere Kränkungen durch Mord zu rächen. Dieses Vendetta genannte Vergeltungsrecht erlebte seinen Höhepunkt in der ersten Hälfte des 19. Jhs., als die Zahl der durch Blutrache Ermordeten auf über tausend im Jahr anstieg und unzählige „Ehrenbanditen“ sich in der Macchia versteckt hielten.
Über die korsische Blutrache fand ich hier und da auszugsweise weitere Artikel, die mich aber nicht wirklich weiter brachten. Fest steht wohl, dass noch im 18. und 19. Jahrhundert die Blutrache auf Korsika relativ weit verbreitet war.

In einem Online-Forum fand ich einen Bericht aus dem Jahr 2009:
Ich bin auf Korsika in Urlaub und erlebe die aggressive Bevölkerung dort. Mit Überraschung. Frauen schreien unbeherrscht fremde Touristen an. Wegen Falschparkens. Die Leute streiten sich offen auf der Straße, ich verstehe kein Wort, aber ich spüre die heftige Aggression. Die fast zu allem bereite Aggression. Ein Rätsel für mich. Ich lese im Geschichtsführer über Korsika. Die aggressive Geschichte dieses Volkes.

Interessant fand ich auch den SPIEGEL Bericht „Korsika geht unter“ von Lutz Krusche „über Terror, Blutrache und Nationalstolz auf der "Insel der Schönheit". „ Hier wird die Gewalt vor Ort noch mal etwas weiter beleuchtet.

Die Vorurteile im Asterix Band fand ich also bestätigt. Die Korsen regelten ihre Angelegenheiten oftmals mit Gewalt, was sich wohl auch heute noch auf die korsische Gesellschaft auswirkt. Keine Zahlen fand ich über die Verbreitung von Kindesmisshandlung und die Kindererziehungspraxis auf Korsika. (Leider kann ich kein Französisch. Sicherlich ließen sich hier Infos auch online finden.) Insofern bleibt mein einziger Anhaltspunkt die gewaltvolle Kindheit von Napoleon Bonaparte.

Allerdings: Auf Grund der belegten korsischen Gesellschaftstruktur, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass sich auf Korsika die Kindererziehung nicht so weiterentwickelt hat, wie z.B. auf dem französischen Festland. Ich gehe stark davon aus, dass Napoleons Kindheit kein Einzelfall auf Korsika war (und ist?).
Korsika wäre insofern ein extrem interessantes Forschungsgegenstand, da es sich hier um eine Insel handelt, die relativ abgeschottet gegen Einflüsse von Außen war. Wenn sich hier und da Eltern fanden, die andere Erziehungspraktiken ausprobieren wollten, werden sie es auf einer Inseln mit ihren dörflichen Strukturen besonders schwer gehabt haben. Man stelle sich z.B. einen korsischen Vater zur Zeit Napoleons vor, der sich für seine Kinder interessiert und für sie da sein will. Die Gemeinschaft um ihn herum hätte ihn sicher schnell an die „Regeln“ und die Tradition „erinnert“.

Korsika ist vielleicht ein gutes Beispiel dafür, wie auch geographische Bedingungen und sozial enge Strukturen eine schnelle Evolution der Kindererziehungspraxis erschweren können. Um die Evolution von Kindheit und Psyche besser erforschen zu können, halte ich eine Erhellung der Geschichte von Kindheit auf Korsika für ganz besonders wichtig! Mir persönlich fehlen die Mittel und die Zeit dafür. Vielleicht kann ich ja andere dazu anregen, hier weiter nach Infos zu suchen.

Samstag, 25. Juni 2011

Die Folgen der Gewalt. Oder: Die Kindheit ist politisch!

Die gesamtgesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der Gewalt gegen Kinder werden allgemein eher nicht oder wenig wahrgenommen. Mehr noch, wer auf diese Auswirkungen hinweist, begibt sich in die Gefahr, nicht ernst genommen, verlacht, als unseriös bezeichnet zu werden oder es erfolgen manchmal sogar persönliche Angriffe. Wobei nach meiner Erfahrung die häufigste Reaktion einfach ignorieren und schweigen ist. Die verstorbene Kindheitsforscherin Alice Miller konnte ein Lied davon singen und hat in vielen Beiträgen immer wieder auf die dicken Mauern des Schweigens hingewiesen, die sie nicht oder kaum überwinden konnte. Manchmal habe ich auch Kritiken aus Wissenschaftskreisen gelesen, die dem Forschungsbereich Psychohistorie alles mögliche vorwerfen und ihn kaum ernst nehmen.

Dabei stehen die Schlussfolgerungen von Alice Miller und anderen ähnlich Forschenden und natürlich auch meine bescheidene Arbeit im Grunde auf einem ganz ganz dicken Fundament! Dieses Fundament ist wissenschaftlich durch unzählige internationale Studien abgesichert und kann von keinem Menschen, der ernsthaft und seriös, gar wissenschaftlich arbeitet in Zweifel gezogen werden.

Das Fundament besteht aus zwei wesentlichen Teilen:

A. Unzählige Studien über die Verbreitung von verschiedenen Formen von Gewalt gegen Kinder belegen, dass weltweit Kinder, die keine Gewalt durch ihre Eltern oder Elternfiguren erleben, nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind (siehe auszugsweise hier). Die meisten Kinder erleben mindestens eine Form von elterlicher Gewalt, oftmals auch mehrere Formen. Die einen Kinder erleben dies mehr, die anderen weniger. Die einen werden von verschiedenen Personen verletzt, die anderen nur von einer.

B.Gewalt gegen Kinder hat Folgen. Es gibt kurzfristige Folgen und ist gibt Langzeitfolgen, die auch die später Erwachsenen betreffen. Über die Folgen der Gewalt gegen Kinder gibt es ebenfalls etliche Studien, ganze Diplom- und Doktorarbeiten und natürlich Erfahrungsberichte von Betroffenen und SozialarbeiterInnnen/PsycholgInnen etc. Die Folgen sind um so schwerwiegender, je häufiger Gewalt und je schwerere Formen von Gewalt erlebt werden, je näher das Kind dem Täter/der Täterin steht, je jünger die Kinder beim Gewalterleben sind, je mehr unterschiedliche Formen von Gewalt zusammenkommen und je weniger Hilfen und andere positive Bezugspersonen zur Verfügung stehen. Die Folgen sind vor diesem Hintergrund von Kind zu Kind unterschiedlich. ( Manche Erwachsene schaffen es zudem, durch Psychotherapie die destruktiven Folgen abzumildern oder manchmal gar relativ gut aufzulösen. Doch viele Menschen machen eben auch keine Therapie und lassen die Dinge laufen wie sie sind.)

Einige von vielen möglichen Folgen habe ich hier einmal aufgeführt:
Verlust von Urvertrauen/innerer Zuversicht, Beeinträchtigung der Bindungsfähigkeit und ungünstiger Bindungsstil, Probleme in sozialen Beziehungen bzw. Probleme beim Lösen sozialer Konfliktsituationen, sozialer Rückzug, erhöhtes Risiko für verschiedene Störungen (Ängste, Zwänge, Depression, Störung des Sozialverhaltens, Suizidalität/Todessehnsucht, diverses Suchtverhalten) bzw. Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen, geringes Selbstvertrauen, negatives Selbstbild/gestörte Selbstwahrnehmung, Identitätsprobleme, Minderwertigkeitsgefühle, Überanpassung, Vermeidungs- und Fluchtverhalten, ständiges Misstrauen, selbstverletzendes Verhalten, psychosomatische Störungen, aggressive Verhaltensstörungen, Gewaltverhalten, erhöhte Akzeptanz von Gewalt als Konfliktlösung, fehlende Frustrationstoleranz, Missachtung emotionaler Grundbedürfnisse anderer, geringere Empathiefähigkeit; Unfähigkeit, eigene Grenzen wahrzunehmen und auch anderen deutlich aufzuzeigen; Übernahme der Opferrolle, Posttraumatische
Belastungsstörungen, psychische Abspaltung von gewaltvollen Erlebnissen und entsprechenden Gefühlen, Prostitution, Entwicklung von Schuldgefühlen, Schlafstörungen, Albträume, Konzentrationsstörungen, chronische körperliche Krankheiten, „eingefrorene“ Mimik und Gefühlslage usw.

So weit befinden wir uns in der Welt der anerkannten Wissenschaft und „Seriosität“. Wobei Teil A. (das hohe Ausmass der Gewalt gegen Kinder) nach meinem Eindruck trotz aller vorliegenden Erkenntnisse nicht wirklich umfassend öffentlich kommuniziert und wahrgenommen wird, was noch mal ein Thema für sich ist.

Ich fasse zusammen: Wir leben in einer Welt, in der die Mehrheit der Menschen als Kind Gewalt erlebte, missachtet wurde und/oder Ablehnung erfuhr. Diese Gewalt und Ablehnung geht häufig von den Menschen aus, die für die Pflege und Fürsorge der Kinder zuständig sind: Eltern und Verwandten/Pflegeeltern. Die destruktiven möglichen Folgen für den einzelnen Betroffenen sind umfassend analysiert und oben kurz angerissen. Die Folgen für Gruppen und ganze Gesellschaften sind dagegen bisher wenig erforscht und im Blickpunkt der Wissenschaft und Öffentlichkeit. Dabei muss mensch nur eins und eins zusammenzählen:
Eine Mehrheit von Gewaltbetroffenen bedeutet, dass eine Mehrheit unter möglichen Folgen leidet. Das ist eine ganz simple Wahrheit, die, wenn sie angesprochen wird, i.d.R. ignoriert oder zerrissen wird. Diese simple Wahrheit öffentlich zu machen, ist das eigentlich schwierige. Dabei ist es geradezu unlogisch, diese Zusammenhänge nicht sehen zu wollen. Es ist geradezu naiv, davon auszugehen, dass eine so hohe Gewaltbetroffenheit der Menschen keine politischen Auswirkungen hat; dass diese Erfahrungen quasi verpuffen, sobald sich Menschen auf der politischen und gesellschaftlichen Bühne bewegen, ist eine Illusion. Vermutlich bedingen wiederum die Folgen der Gewalt, dass auch eine Mehrheit der Gesellschaft nicht hinsehen kann und will, eben auf Grund der eigenen Betroffenheit und gedeckelten Schmerzen.

Diese Mehrheit der Gewaltbetroffenen findet sich zudem natürlich auch in allen möglichen Führungspositionen in Wirtschaft, Medien, Kultur und Politik wieder. Meine Vermutung ist sogar, dass von Ohnmachtserfahrungen und Gewalt Betroffene sogar in der Politik und bestimmten Bereichen der Wirtschaft verhältnismäßig überrepräsentiert sind, da sie nach großer Macht streben, um ihre innere Leere zu füllen und die Ohnmacht zu deckeln. (In manchen politischen und wirtschaftlichen Arbeitsbereichen ist es sogar sehr vorteilhaft, wenn mensch Emotionen und Mitgefühl abgespalten hat, da hier „maschinelle“ Entscheidungen gefragt sind.) Wenn dem so sein sollte, dann verschärfen sich dadurch noch einmal die Probleme der Gesellschaft, weil die Menschen an den Machthebeln mehrheitlich ggf. an diversen Folgen und emotionalen Störungen (die sie gerne verstecken) leiden.
Überhaupt ist es ein Problem, wenn Macht und emotionale Probleme zusammenkommen. Das gilt auch für den ganz normalen Alltag, wenn z.B. der Vermieter oder Chef vielleicht die ein oder anderen Folgen aufweist, insbesondere ist fehlendes Mitgefühl ein Problem. Es gibt darüberhinaus etliche gesellschaftliche Bereiche, die ebenfalls betroffen sind, wenn eine Mehrheit als Kind Gewalt erfuhr. Ich denke da z.B. an enormen Kosten für die Krankenkassen, sofern spätere Leiden und Krankheiten mit der erfahrenen Gewalt zusammenhängen. Ich denke auch an viele Menschen, die arbeitsunfähig sind oder sich schwer in Arbeit integrieren lassen, weil sie an diversen Folgen leiden. Ich denke an Kosten für die Jugendhilfe, Drogenberatungsstellen, Kosten für Polizei und Justiz, Kosten für psychosoziale Einrichtungen usw. usf.
Kurz: Gewalt gegen Kinder hat politische Konsequenzen, aber auch gesamtgesellschaftliche und ökonomische. Oder anders gesagt: Die Kindheit ist politisch! Dies alles wird noch immer fast nie wirklich in o.g. Zusammenhängen analysiert.

Die gute Nachricht für Deutschland: Die Gewalt gegen Kinder geht seit Jahren langsam aber stetig zurück. Zudem hat unsere Gesellschaft alle möglichen Hilfsmaßnahmen, Gesetze und Unterstützungsangebote für Kinder aufgebracht und zudem ein sehr differenziertes, breites Angebot von Psychotherapie für Kinder und Erwachsene aufgebaut, so dass kindliche Gewalterfahrungen aufgearbeitet und verarbeitet und Gefühle zurückerobert werden können. Wir werden in absehbarer Zeit in eine gesellschaftliche Situation kommen, in der die Mehrheiten kippen. Geschlagene Kinder werden absehbar in Deutschland nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Andere (Erziehungs)-Probleme bleiben. Trotzdem wird sich diese Veränderung der Kindererziehungspraxis und Verteilung in der Bevölkerung enorm auf die Dynamik unserer Gesellschaft auswirken. Für diesen Entwicklungsprozess gibt es bisher kein Beispiel in der Geschichte, denn die „Geschichte der Kindheit ist ein Albtraum, aus dem wir gerade erst erwachen“ (wie deMause schrieb). Wir befinden uns in einer einzigartigen Phase der Menschheitsgeschichte, auf die spätere Generationen in ihren Geschichtsbüchern mit Interesse zurückblicken werden. Wir steuern auf eine Gesellschaft zu, die Entscheidungen jedweder Art mit Mitgefühl verknüpfen wird. Die Zukunft wird friedlicher, kreativer, flexibler, selbstbewusster, freier und konstruktiver sein, weil die Kindheiten immer freier und friedlicher werden.

Dienstag, 21. Juni 2011

Von EHEC zu Griechenland. Von Angstherd zu Angstherd

Zerfall, Spaltung (Focus Money titelte z.B. am 22. Juni 2011 mit einem zerbrochenen EURO.) , Streit, Bankrott, Angst, Panik, Krise, Untergang, drohender Abschwung, Krawalle…

Die Liste aktueller Schlagzeilen ist lang. Kaum gab es bzgl. der „EHEC-Krise“ einigermaßen Entwarnung, schwenkten die Medien blitzschnell um und hoben die Griechenland-Krise wieder nach oben, die aktuell Top-Thema ist.

Ich hatte erst überlegt, ob ich wieder etwas zum jetzt neuen SPIEGEL Titel schreiben soll oder ob das ganze vielleicht doch etwas zu sehr durch mich interpretiert ist. Dann hörte ich gestern im Deutschlanfunk vor 11.00 Uhr, wie ein Experte etwas von dem „Infektionsherd“ Griechenland und der "Ansteckungsgefahr" für andere Länder sagte. Auch in der Folge fiel mir in anderen Nachrichten, Hörfunk und Berichten immer häufiger das Wort „Ansteckungsgefahr“ auf. Ich halte das mittlerweile nicht mehr für einen Zufall. Über drei Wochen lang grassierte in Deutschland die (meiner Meinung nach vollkommen übertriebene) (Todes-)Angst vor der Ansteckung mit EHEC. (siehe meine letzten Beiträge) Jetzt droht die „Ansteckung“ durch das „vergiftete“ Griechenland. Die Ängste haben sich wieder auf die ökonomischen Bereiche verschoben. Gruppenfantasien und Gruppenängste scheinen manchmal zu wandern, von Angstherd zu Angstherd.

Kommen wir zurück zum aktuellen SPIEGEL Nr. 25 vom 20.06.11, der den EURO „Plötzlich und Erwartet“ zu Grabe trägt.
Getreu des letzten Blogbeitrages habe ich den SPIEGEL nach (wie ich fand) relevanten Schlagwörtern und Sätzen in den Titeln und im Dickgedruckten durchsucht. Die gefundenen Wörter unterscheiden sich zu dem, was ich in den beiden vorherigen Ausgaben fand. Angst, Kriegs- und Zerstörungswörter und Gift/Virenstichworte dominieren hier. Ich bin kein Psychoanalytiker. Mir fiel aber in dieser Ausgabe besonders der relativ lange Artikel „Aus einer Leiche geboren“ ab Seite 112 auf. Berichtet wird über eine Frau, die gehirntod im Krankenhaus lag und einige Wochen später einen gesunden Sohn gebar. Der Artikel an sich ist wirklich sehr ergreifend und berührend. Um den Artikel an sich geht es mir weniger. Ich finde nur die Symbolik interessant. Der SPIEGEL trägt den EURO im Titel zu Grabe. Im selben Heft findet sich ein Artikel, wo eine „Tote Mutter“ einen Sohn gebar. Ich wage hier keine Deutungen, möchte aber auf mögliche Zusammenhänge hinweisen.

Hier nun die Schlagwörter:
Aufstand, Sohn, Zerstörung, Anarchie, Schuld, Krieg, Verhungernde, „Angst vor der Größe“, Sterben und Töten, Sorge, Arme Kinder, Blutarme Politik, „Auf Gedeih und Verderb“, Gefahr, Krise, Krise, Flächenbrand, Krisen, Schlimmsten, „Rette sich, wer kann“, Jugend, Mütter, Kinder, „Das Tor der Tränen“, Krieg, Schreckgespenst, Angreifern, „Schwere Geschütze“, Fluchtpunkt, „Sie können nur töten und hoffen“, „Wer die Schlacht will, kann sie haben“, „Eine furchtbar nette Familie“, Kindern, Gewalt, Wut, Gegenwehr, Angriff, letzte Schlacht, vernichtet, Krieg, Bombenangriffe, gekämpft, Kriegsschauplatz, Virenjäger, Killerprogramme, Sohnes, Böses, Virus, Viren, Bedrohung, Viren, tötete, „Aus einer Leiche geboren“, Mutter, „Es regnet Gift“, „Es regnet Geld“, „Loch in der Geschichte“, „Angst treibt uns voran“, Leere, Leidensbericht.

Die Ansteckungsangst geht um in den deutschen Medien. Einige Beispiele:

Ansteckungsgefahr für unseren Wohlstand“ (Monitor Nr. 621 vom 16.06.2011)

„Es droht Ansteckungsgefahr“ (bild.de)

„Würden die europäischen Länder schockartig Griechenland in die Pleite schicken, würde diese Schockwelle eine Ansteckungsgefahr bedeuten und auch andere Länder in große Schwierigkeiten bringen.“ (Focus, 15.06.11)

Belgien warnt in Griechenland-Krise vor Ansteckung (europeonline-magazine.eu, 19.06.11)

"Angestrebt wird eine begrenzte Beteiligung der privaten Gläubiger, die aber keine Ansteckung (anderer Länder) nach sich zieht." (web.de, 16.06.11)

"über die Angst vor der „Ansteckung“ wenn Griechenland pleiteginge“. (handelsblatt.com, 20.06.11)

"Geht Griechenland pleite, so droht eine Ansteckung der anderen Peripheriestaaten wie Irland, Portugal oder Spanien." (berlinonline.de, bereits am 30. April 11)

Infiziert der »Griechenland-Virus« jetzt auch Bulgarien (Kopp Verlag, 14.06.11)

"Wann springt das Griechenland-Virus über?" (handelsblatt.com, 16.06.11)



Wir werden sehen, wie sich die Ängste weiter entwickeln und wer zuletzt geopfert wird...

Mittwoch, 15. Juni 2011

Gruppenfantasien: Analyse der letzten beiden SPIEGEL Ausgaben.

Nachfolgenden Beitrag muss man im Zusammenhang mit den drei vorherigen Beiträgen lesen und verstehen!

Ich habe mir jetzt mal die Mühe gemacht und die beiden letzten SPIEGEL Ausgaben gründlich nach (emotionalen) Schlüsselwörtern und Wörtern wie Kind etc. durchsucht. Die nachfolgende Auflistung ist chronologisch, sprich vom Heftanfang bis zum Heftende. Die Wörter und Sätze stammen immer aus Titeln, Überschriften, Dickgedrucktem oder Untertiteln bzw. Bildunterschriften (nicht aus dem laufenden Text). Im Grunde müsste man die Ergebnisse mit zwei SPIEGEL Ausgaben aus einem anderen Jahr zum Vergleich heranziehen und schauen, ob solche Worte ganz normale Alltagssprache beim SPIEGEL sind oder eben doch Spitzen aufzeigen, die Rückschlüsse auf aktuelle emotionale Prozesse zulassen. Insofern ist mein Ergebnis natürlich fragwürdig. Trotzdem möchte ich es vorstellen, weil die gefundenen Wörter zu dem passen, was ich in den letzten drei vorherigen Blogbeiträgen ausgeführt habe.

Bei der aktuellen Ausgabe mit dem Titel „Bruder Todfeind“, die ich ja bereits in Zusammenhang mit abgespaltenen Gefühlen/Teilen und Hassliebe gebracht habe, sind mir vor allem auch in ganz anderen Artikeln Andeutungen zu etwas „Doppeltem“, Gegensätzlichen bzw. doppelte Titel wie "x oder Y" aufgefallen, die insofern zum zerrissenen Titelbild passen. Diese Teile habe ich noch einmal dickgedruckt hervorgehoben. Ansonsten fand ich die Titelstory geradezu langweilig, sie bot nichts neues oder außergewöhnliches und hatte zudem wenig mit dem Titel "Bruder Todfeind" zu tun. Vielleicht ist ja aber gerade das wiederum erhellend, dass Titel und Bilder gewählt wurden, die wenig mit dem Text und Inhalt der Story zu tun hatten...

Weiter kommentieren möchte ich meine Ergebnisse nicht. Wie immer finde ich, dass diese Art der Deutung von Medien(bildern) immer auch etwas von eigener Auslese haben kann und insofern anfällig für Fehler und übertriebene Deutungen ist. Die Leser und Leserinnen dieses Blogs mögen sich ihre eigenen Gedanken dazu machen.


DER SPIEGEL, Nr. 23, 06.06.11
Der Feind im Essen. EHEC: Die Geburt einer Seuche.


Hass auf die Deutschen, Jungfrauentest, Sterbehilfe, „Das Röcheln des Sterbenden“, Schizophrene Notwendigkeit, Tod hilft Leben, Militanz, Heer, Zickzackkurs, Stimmentief, Unberechenbar, Todsünde, Katastrophenschutz, Die Angst-Macher, „Auch der Feind hat eine Würde“, Endzeitstimmung, „Im Verdruss vereint“, „Die Stimmung wird kippen“, „Auge um Auge“, „Gefährliches Gewusel“, „Erhöhtes Risiko“, Stresstest, „Meine Mutter hat versagt“, Schweigen, Attacke, Schelte, „Wieder am Abgrund“, Waffen, „Bedeutung von Emotionen“, „Psychologischer Blickwinkel“, „Kinder einer Gedankenschule“, Angriff, Gefahr, „Er hat keinen mehr, der ihn kontrolliert“, Wirtschaftswachstum, „Wir sind sehr emotional“, Krieg oder Frieden, „Gut und Böse sind Kategorien für Kinder“, Krisenkinder, Jugend, Jungfrauen, gefährliche Verbrecherin, kämpfte, Wahnsinn, Katastrophe, „Böses reden, Gutes tun“, „ wie ein Kind, das heute sein Ritalin nicht genommen hat“, „Suche nach dem Verrückten“, lauert, Doktor Freud, Gewissenlos, „Puls der bösen Absichten“, Mozart statt Mamma“, „Neugeborene beruhigen, die aus medizinischen Gründen vorübergehend von ihrer Mutter getrennt werden“, Drogen, Anmerk. EHEC Teil Anfang: Outbreak in Deutschland“, „Infizierter Norden“, „Lauernde Gefahr“, „Ein Erreger für die Demut“, „Wir leben in einem fragilen System“, „Die Jagd wird mysteriöser“, „Entfesselter Erreger“, Anmerk. EHEC Teil Ende, Gier, Alarmzustand, Gestresste, „Verseuchtes Fleisch“, Tiefe, Schlafmittel, „Geraubte Kinder“, „Außen Ehre, innen Leere“, „Tausende Jungen und Mädchen wurden verschleppt“, „an ihrer zerbrochenen Kindheit leiden die meisten noch heute“


DER SPIEGEL, Nr. 24, 11.06.11
Hitler gegen Stalin. Bruder Todfeind


Zerwürfnis, „Leben und Leiden“, „Kunst der zwei Gesichter“, Opfer, „Verbrechen oder Heldentat?“, Verdächtige, Ziele formuliert, Zombies, „Direkt an die Front“, „Allianz des Misstrauens“, „Klima in der Regierung ist vergiftet“, Stimmungswechsel, „Bezahlen müssen wir alle“, „Gute Werte, schlechte Werte“, hasse, „Sehnsucht nach dem Ende“, Leiden, Mädchen, Tochter, Söhnen, „Hast du mich noch lieb?“, Toter Markt, „Wenn ihrem Kind etwas Schlimmes passiert“ (Werbeanzeige mit Bild von Kindern) Wunsch und Wirklichkeit, „Das Leben ist voller Höhen und Tiefen“ (Werbeanzeige), Eltern, Kind, Eltern, Schüler, Tochter, „Kind wird Junge und Mädchen“, Jugend, „Irgendwas kippt gerade“, „Wie behandeln die Deutschen Fremde?“, Verbotenen, Anmerk. jetzt folgt Hitler und Stalin Teil: Bestie, Unmensch, Gemetzel, Sohn, tobt, brüllt, grauenhafte, Kampf an mehreren Fronten, Anmerk. Ende Hitler und Stalin Teil, flüchten, bedroht, Angriff, „Kränkelnde Tochter“, gedroht, Pleite-Macher, Explosive Schlamperei, Verdächtige Millionen, Tödliche Spritze?, „Die Frau ist ein Grund zur Sorge“, „Geld und Truppen“, „Bunker und Kämpfer werden zerrissen“, „Man spürt den Wahnsinn jeden Tag“, Tiefgang, Tod, sterben, „Von Krämpfen geschüttelt, „Wir wollen keine Rache“, „Wie eine Tochter“, Verletzter, „um ihre Jungen kämpft“, „Die verlorenen Töchter“, Mädchen, Eltern, „Bedrohung für ihre Kinder“, Kind, Hauen oder stechen, Mädchen, „Rendite oder Leben“, „Das Drama im Kinderzimmer“, bedrohlich, unberechenbar, „Die Falschen und die Richtigen“, „Das wahre Gesicht der Volksrepublik zeigen“, „Angst ist spürbar“, „Gefährliches Gift“, Jugendsünden, Kindern

Samstag, 11. Juni 2011

Gruppenfantasien: Nach dem Feind im Essen jetzt "Bruder Todfeind".

Fast drei Wochen lang verfielen große Teile der Nation in panische Angst vor „dem Feind im Essen“ (siehe die beiden letzten Beiträge von mir).

Die psychohistorische Forschung weist immer wieder auf (wörtliche und echte) Bilder in den Medien hin, die Rückschlüsse auf aktuelle Gruppenfantasien zulassen.
Im letzten Beitrag hatte ich bereits meine Auffassung darüber dargelegt, dass Deutschland aktuell auf der Suche nach einem Feind ist. Lloyd deMause hat in seinen Arbeiten darauf hingewiesen, dass die Feindessuche (aber auch Kriege) vor allem auch in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums beginnt. Derzeit befinden wir uns in so einer ökonomischen Wachstumsphase. Nach deMause drohen in Zeiten von Wachstum und Wohlstand furchteinflößende (psychisch abgespaltene) Erinnerungen aus der Kindheit zurück ins Bewusstsein zu drängen. Diese Erinnerungen müssen abgewehrt werden. Z.B. durch Selbstzerstörung (auch ökonomischer Art) oder durch äußere Feinde.

Der SPIEGEL hat nach seinem letzten Titelthema „Der Feind im Essen“ mit der jetzt neuen Ausgabe noch mal in eine sehr interessante Richtung nachgelegt. „Bruder Todfeind“ lautet der Titel, womit gleich in zwei Ausgaben hintereinander das Wort „Feind“ groß im Titel zu lesen ist. Zu sehen sind die „Brüder“ Hitler und Stalin, beide Körper überlappen sich im Bild (gehören also irgendwie zusammen), allerdings stehen sie quasi Rücken an Rücken (ineinander), die Köpfe schauen jeweils in die entgegengesetzte Richtung. Solche und ähnliche Bilder gibt es immer wieder auch von einzelnen Führungspersonen, siehe z.B. ein Bild von Präsident Bush: Diese Bilder wie auch das aktuelle SPIGEL Titelbild geben Hinweise darauf, dass emotionale Prozesse in Gange sind, die etwas mit dem psychischen Phänomen der Abspaltung zu tun haben. Dass solche Bilder ihren Weg in die großen Medien finden, verwundert insofern nicht, wenn man darum weiß, dass NICHT geschlagene und vernachlässigte Kinder auch in Deutschland nicht die Regeln, sondern die Ausnahme sind. Insofern mussten die meisten heutigen Erwachsenen in ihrer Kindheit mal mehr mal weniger schwere Gewalterfahrungen und entsprechende Gefühle abspalten. Diese abgespaltenen Teile der Einzelnen können sich in bestimmten gesellschaftlichen Phasen zu einer Gruppenfantasie zusammenfinden und ihren Ausdruck auf der gesellschaftlichen Bühne finden.
Der Titel "Bruder Todfeind" hat zudem etwas mit Hassliebe zu tun. Gefühle von Hassliebe sind typisch für misshandelte Kinder, die ihre Eltern natürlich lieben wollen und auf eine Art auch lieben müssen, um psychisch zu überleben und auf der anderen Seite ihre Eltern abgrundtief für das hassen, was sie ihnen an Gewalt und Entbehrungen antun, diesen Hass aber nicht zeigen dürfen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir aktuell eine starke Phase vorfinden, was solche Gruppenfantasien angeht. Auch in anderen Kontexten als EHEC sind die deutschen Medien seit einiger Zeit merkbar mit Angst- und Kriegswörtern überhäuft. Da Deutschland auf Grund seiner Entwicklung allerding eher unwahrscheinlich einen äußeren Feind finden und bekämpfen wird, ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich der unterdrückte Hass und die Angst wieder nach innen richten wird. Denkbar wäre z.B. ein Promineter oder ein Politiker, den man öffentlich fertig machen und opfern kann. Auch bestimmte Gruppen wie Ausländer oder sozial Schwache könnten potentielle Opfer sein. Dazu kommen Möglichkeiten, die ökonomische Entwicklung zu stoppen und ökonomische "Opfer" zu bringen. Entsprechend werde ich die Entwicklungen der nächsten Wochen und Monate aufmerksam verfolgen.

Übrigens: Wenn man auch darum weiß, dass die Kindheiten der beiden "Brüder" Stalin und Hitler erhebliche Parallelen aufweisen, ist der aktuelle SPIEGEL Titel auf eine Art in der Tiefe noch mal aufschlussreicher.

Sonntag, 5. Juni 2011

Aha-Erlebnis: EHEC und „Der Feind im Essen“ die Zweite

Heute hatte ich ein wirkliches AHA-Erlebnis! An der Tankstelle leuchtete mir die Titelstory des aktuellen SPIEGEL entgegen. In übermäßig großen Buchstaben steht dort nur:
Der Feind im Essen"

Ich muss gestehen, dass ich mich für eine Sekunde richtig erschreckt habe. Mir ist es richtig in die Glieder gefahren. Ich bin zwar sehr selbstbewusst, aber weiß auch um meine Schwächen und Fehler. Mir ist klar, dass ich irren kann oder im Eifer sogar – trotz allen Hinterfragens – manchmal echten Blödsinn sagen und schreiben kann. Als ich diese Titelzeilen las, dachte ich nur: „Sven, Du hattest recht mit deinem aktuellen Beitrag und Gedanken zur EHEC Panik… ach herrje.“ Es geht wirklich um die Suche nach einem neuen Feind! Mein nächster Gedanke war: „Wie kann man als SPIEGEL Redaktion so dumm sein, den Titel „Der Feind im Essen“ zu nennen, nachdem ich doch einige Tage vorher genau bzgl. solcher und ähnlicher Titel meine Kritik geäußert hatte. Ach ja, mein Blog wird ja nicht wirklich viel gelesen“, also im Verhältnis zum SPIEGEL :-), fiel mir dann natürlich gleich wieder ein…
DER SPIEGEL und SPIEGEL-Online sind beide im Grunde DIE Medien in Deutschland, die nicht nur immer wieder aktuelle emotionale Prozesse und Gruppenfantasien manchmal geradezu in Reinform aufzeigen und abbilden, sondern diese auch in erheblichem Maße mit anschieben, da sie Leitfunktionen inne haben.

Innerhalb der Printausgabe zum Titelthema liest man dann noch weitere Über- und Unterschriften in der Art wie „Outbreak in Deutschland“, „Infizierter Norden“, „Lauernde Gefahr“, „Ein Erreger für die Demut“, „Wir leben in einem fragilen System“, „Die Jagd wird mysteriöser“, „Entfesselter Erreger“.

Unter dem Titelbild ist zudem zu lesen: "EHEC: Die Geburt einer neunen Seuche" Das Wort Geburt ist in diesem Zusammenhang sicherlich kein Zufall, es hat mit Säuglingsein, Mutter und womöglich mit dem zu tun, was Lloyd deMause "fötales Drama" nennt.

Emotional ist zur Zeit einiges los in Deutschland, parallel dazu eskaliert der NATO-Krieg in Libyen (bei dem sich Deutschland raus gehalten hat und somit auch ein mögliches, klares Feindbild aufgegeben hat ) und wird jetzt auch mit Kampfhubschraubern geführt. Die aktuellen Prozesse sind erschreckend und ich werde weiter aufmerksam beobachten, was sich tut.

Darüberhinaus möchte ich anmerken, dass es mir für die von EHEC und HUS Betroffenen wirklich leid tut. Für diese Menschen ist dieser Keim wirklich eine reale Bedrohung. (Auch bin Laden war ein realer Terrorist und eine reale Bedrohung.) Allerdings analysiere ich hier absolut übertriebene und destruktive (manchesmal sogar mörderische) Reaktionen auf Gefahren oder inszenierte Gefahren und emotionale Prozesse, die einen Faden zu destruktiven Kindheitserfahrungen spannen. Darum geht es mir hier.

Nachtrag vom 06.06.11: Auf SPIEGEL-Online ist zu lesen: "Deutschlands oberster Ehec-Manager Daniel Bahr jagt erfolglos nach dem Feind im Essen."

Nachtrag vom 07.06.11: In der Tat legen andere Medien jetzt getreu der SPIEGEL-Titelüberschrift nach: "Der Feind in der Nahrung kommt auch aus der Natur" schreibt ZEIT-Online (in einem auch inhaltlich ganz furchtbaren Artikel).