Ein Team um Shane Smith vom VICE-Magazine brachte 2009 die Dokumentation “The Cannibal Warlords of Liberia” heraus. Der Film, der auch auf youtube zu sehen ist, hat mich geradezu umgehauen. Die Zustände in den gezeigten liberianischen Regionen sind unvorstellbar. Ich persönlich dachte auch, dass es so ähnlich im europäischen Mittelalter ausgesehen haben muss. Überall Dreck, Gewalt, Gewalt, Gewalt, Hunger, Krankheiten, Hoffnungslosigkeit, resignierte und schwer traumatisierte Menschen.
Der Filmemacher wollte u.a. auch nachweisen, dass Kannibalismus während des Krieges oft vorkam. Und in der Tat berichten ihm Warlords, wie die jungen Soldaten vor der Schlacht zunächst unschuldige Kinder töteten, um dann ihr Herz zu essen oder ihr Blut zu trinken, um für die Schlacht Kräfte zu tanken und unverwundbar zu werden, wie sie glaubten.
In der Doku wurde gesagt, dass 70-85% aller dortigen Frauen vergewaltigt worden sind. 92% dieser Frauen waren dabei unter 18 Jahre alt.
Auf der Homepage der initiative endcorporalpunishment fand ich weitere Zahlen. Eine große Studie der Organisation „Cherish the Kids“ aus dem Jahr 1999, für die 18.000 Eltern in Liberia befragt wurden, ergab, dass 85 % ihre Kinder schlagen. 46 % gaben auch zu, besonders schwere Formen von Gewalt anzuwenden. Eine andere zitierte Studie ergab, dass 81 % der befragten 24.000 Kinder angaben, durch ihre Eltern körperliche Gewalt zu erleben oder schwer ausgepeitscht zu werden.
Es ist nur logisch, dass sich in einem solchen Land auch im sozialen Nahbereich und in der Kindererziehung überall Gewalt und besonders auch schwere Gewalt nachweisen lässt. Ich bin mir sicher, dass man, würden die grausamen Täter und „Kannibalensoldaten“ befragt werden, bei allen eine unglaublich traumatische Kindheit vorfinden würde. Die in der Doku gezeigten Lebensbedingungen – vor allem auch für die Kinder – sind an sich schon traumatisch und können nur überlebt werden, wenn Gefühle abstumpfen. Dies dürfte allen klar sein. Wenn dann auch noch die Eltern draufschlagen, demütigen und missbrauchen (etwas, das schon seltener besprochen wird, wenn es um die Analyse von Gewalt und Destruktivität in solchen Ländern geht) , dann ist alles verloren, dann gibt es keinen Glauben mehr an das Leben und an Menschlichkeit.
Übrigens: Charles Taylor persönlich - Kriegsverbrecher und bis 2003 Präsident von Liberia - peitschte seine 13 Jahre alte Tochter Edena 2001 vor ihrer Klasse mit 10 Hieben aus, um ihr Fehlverhalten in der Schule öffentlich zu bestrafen und um sich zum Vorbild für sein Land zu machen, in dem Ungehorsam nicht geduldet wird. Sein Handeln spricht Bände.
Das weltweite, enorme Ausmaß vielfältiger Gewalt gegen Kinder und die An- oder auch Abwesenheit von Mitgefühl sind für mich zentrale Aspekte der Kriegsursachen-/Extremismusforschung, denen ich hier nachgehen möchte. Meine Grundfrage lautet: Wie politisch war und ist Kindheit?
Samstag, 29. Juni 2013
Mittwoch, 26. Juni 2013
Kindererziehung und Politik in Frankreich
Frankreich plant derzeit oder liefert bereits (zusammen mit Großbritannien und den USA) Waffen an die syrischen „Rebellen“. Carsten Luther hat für die ZEIT sehr schön argumentiert, wie sinnlos ein solches Vorhaben ist. Mehr noch: Wie viele Risiken es birgt. Und im Grunde muss man auch kein Experte sein, um zu verstehen, dass Waffen nur noch mehr Tote bringen und dass die feindlichen Lager in Syrien nicht in die „Bösen dort“ und die „Guten“ hier zu unterteilen sind, sondern die Dinge und der Wahnsinn dort komplexer sind. Hat sich der Präsident Frankreichs eigentlich einmal Fotos von den Rebellen angeschaut? Es reichen da 5-6 Bilder und man würde sehr schnell merken: Denen gebe ich lieber nicht noch mehr Waffen. Der Waffenlieferungsplan erscheint mir derart unlogisch, dass emotionale Beweggründe hier eine Rolle spielen müssen.
Frankreich fiel vor nicht all zu langer Zeit auch durch seine Kriegslust im Libyen-Konflikt auf. Man wollte Gaddafi unbedingt wegbomben bzw. ihn „Staub fressen lassen“, wie Nicolas Sarkozy es formulierte. (Über die möglichen destruktiven Folgen des Einsatzes, die sich heute immer mehr abzeichnen, dachte wohl keiner nach)
Ach ja, der NATO Einsatz in Libyen befeuerte nach Medienangaben in der Folge die kriegerischen Auseinandersetzungen im Norden Malis. „Die nomadisch lebenden Tuareg, von denen viele in den neunziger Jahren bei Gaddafi als Söldner angeheuert hatten, kehrten nach dessen Sturz 2011 mit den Waffen des Diktators ausgerüstet in ihre Heimatländer zurück. Eines davon ist Mali. Anders als in den Nachbarländern, sind die Tuareg hier nicht entwaffnet worden. So liefen viele der Milizionäre mit starker Ausrüstung zu den Islamisten über.“, schreibt die ZEIT. Und Frankreich reagierte wiederum mit Militärgewalt und marschierte mit seinen Truppen im Norden Malis ein.
Im aktuellen „World Peace Index“ belegt Frankreich entsprechend Platz 53 von 162 Ländern, eine nicht wirklich vorzeigbare Platzierung für ein westeuropäisches Land.
Wer es „verdient“, wer als „böse“ geortet wird, der wird militärisch bestraft, so erscheint mir aktuell die Außenpolitik Frankreichs. Aber auch nach dem Ersten Weltkrieg war Frankreich in einige Kriege und militärische Auseinandersetzungen verwickelt. Der größte und verlustreichste Krieg (auch mit den meisten Kriegsverbrechen) war der in Algerien, der bis 1962 andauerte.
Ich bin kein Frankreich-Kenner. Welche weiteren politischen Probleme das Land durchmacht und durchgemacht hat, habe ich nicht wirklich verfolgt (was ich wahrgenommen habe ist, dass so manche Stadtbezirke in Frankreich sich in Ghettos verwandelt haben und dass Frankreich wohl ein deutliches Problem mit Schülergewalt gegen andere Schüler und auch Lehrkräfte hat. Zudem passt Frankreichs berühmter Zentralismus gut zur verbreiteten Kindererziehungspraxis: Die zentrale Autorität bestimmt, wo es lang geht, ohne Widerspruch zu dulden). Wahrscheinlich würde sich hier bei einer genauen Analyse einiges finden lassen, dass legen zumindest Zahlen über die weite Verbreitung von Elterngewalt gegen Kinder nahe, denn diese hat Folgen.
Frankreich weist im (west/nord-)europäischen Vergleich die höchsten Gewaltraten gegen Kinder innerhalb der Familie auf und führt fast durchweg auch bei den schwereren Gewaltformen die Rangliste an. Ausgesuchte Zahlen (Befragung von 1000 französischen Eltern im Jahr 2007): 87,2 % schlagen ihre Kinder auf den Po, 50,5 % verabreichen eine Tracht Prügel (schwerere Gewalt) auf die selbe Stelle, 71,5 % schlagen leicht ins Gesicht, 32,3 % wenden schallende Ohrfeigen an, 4,5 % schlagen mit Gegenständen und 11,6 % misshandeln ihre Kinder schwer. (Bussmann, K.-D., Erthal, C., & Schroth, A. (2009). The Effect of Banning Corporal Punishment in Europe: A Five-Nation Comparison. Halle-Wittenberg: Martin-Luther-Universität. S. 6) Auch nach einer im SPIEGEL zitierten Umfrage der "Organisation des Familles en Europe" gaben 87 Prozent der französischen Eltern an, eine Tracht Prügel gehöre zu ihren Praktiken. Und 53 Prozent sprachen sich gegen ein Prügelverbot aus.
Wer zudem etwas über Frankreichs Krippensystem recherchiert, wird herausfinden, dass dort sehr viele Eltern kein Problem damit haben, wenige Monate alte Säuglinge einige Stunden fremd unterzubringen. Auch dies wird Folgen haben.
Laut Europarat gibt es in Frankreich auch kein ausdrückliches Verbot der körperlichen Bestrafung in Einrichtungen für Kinder. Ob und in wie weit Kinder in schulischen Einrichtungen durch Lehrkräfte geschlagen werden, ist mir nicht bekannt.
Auch Tagesmütter und Babysitter haben in Frankreich - neben den Eltern - das Recht, Kinder körperlich zu züchtigen (wie es so "schön" heißt). Dies steht u.a. in einer Klageschrift der „Association for the Protection of All Children“, die seit Februar 2013 vor dem „European Committee of Social Rights“ Frankreich auf Grund des unzureichenden Schutzes von französischen Kinder vor Gewalt verklagt (und damit hoffentlich Erfolg hat). Außerdem wurden in der Klageschrift Zahlen genannt, die ich hier bereits vorgestellt habe.
Über Frankreichs führende politischen Köpfe habe ich im Internet nicht all zu viel finden können. Aber vielleicht sind folgende Infos doch etwas erhellend:
„Es gibt ein Kapitel, über das Hollande wenig spricht: seine Kindheit.“, schreibt der SPIEGEL in einem Artikel. „1954 in Rouen geboren, litt er laut seinem Biografen Serge Raffy unter seinem autoritären Vater, einem Arzt, der sich bei Lokalwahlen für rechtsextreme Listen aufstellen ließ und vor dem er sich ducken musste. Sein Lächeln, seine Witze hätten ihm schon damals geholfen, Konflikten aus dem Weg zu gehen, sagt Raffy.“
Der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy scheint ebenfalls eine belastete Kindheit gehabt zu haben.
„ (…) der Vater sollte sich als Lebemann erweisen, der die Mutter sitzenließ und sich nur sporadisch für die Söhne interessierte. Die Scheidung wurde vollzogen, als Nicolas fünf Jahre alt war. Seine Kindheit sei keine "wirklich glückliche Zeit" gewesen, sagte Sarkozy einmal zum Entsetzen seiner Mutter.“ (FAZ, 15.09.2004)
Der Vater diente außerdem als Fremdenlegionär für Frankreich, wie der SPIEGELberichtet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein so militärisch getrimmter Mensch (der als Söldner arbeitete) nicht wirklich herzlich und emotional zu Kindern sein konnte.
Erwähnt werden muss auch noch Dominique Strauss-Kahn, der mit hoher Wahrscheinlichkeit die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen hätte. Diverse bewiesene und nicht-bewiesene Vorwürfe gegen ihn zeigen ein Bild von meinem Mann, der alles andere als empathisch und rücksichtsvoll ist und der vor allem ein sehr gestörtes Verhältnis Frauen gegenüber zu haben scheint. Über seine Kindheit habe ich nichts gefunden, die Vermutung liegt aber nahe, dass es in dieser auch einige weite Schatten gab.
Abschließend noch der Hinweis, dass die o.g. Studie von Bussmann auch einen stetigen Rückgang der Gewalt gegen Kinder in Frankreich nachwies. In der Studie wurden außerdem nicht die Häufigkeit des Gewalthandelns und die direkten körperlichen Folgen erfasst. Ich vermute stark, dass sich hier starke Unterschiede im Vergleich zu z.B. afrikanischen oder arabischen Ländern finden lassen, in denen ebenfalls häufig um die 90 % der Kinder körperliche Gewalt erleben, dies aber auch häufiger und schwerwiegender.
Frankreich fiel vor nicht all zu langer Zeit auch durch seine Kriegslust im Libyen-Konflikt auf. Man wollte Gaddafi unbedingt wegbomben bzw. ihn „Staub fressen lassen“, wie Nicolas Sarkozy es formulierte. (Über die möglichen destruktiven Folgen des Einsatzes, die sich heute immer mehr abzeichnen, dachte wohl keiner nach)
Ach ja, der NATO Einsatz in Libyen befeuerte nach Medienangaben in der Folge die kriegerischen Auseinandersetzungen im Norden Malis. „Die nomadisch lebenden Tuareg, von denen viele in den neunziger Jahren bei Gaddafi als Söldner angeheuert hatten, kehrten nach dessen Sturz 2011 mit den Waffen des Diktators ausgerüstet in ihre Heimatländer zurück. Eines davon ist Mali. Anders als in den Nachbarländern, sind die Tuareg hier nicht entwaffnet worden. So liefen viele der Milizionäre mit starker Ausrüstung zu den Islamisten über.“, schreibt die ZEIT. Und Frankreich reagierte wiederum mit Militärgewalt und marschierte mit seinen Truppen im Norden Malis ein.
Im aktuellen „World Peace Index“ belegt Frankreich entsprechend Platz 53 von 162 Ländern, eine nicht wirklich vorzeigbare Platzierung für ein westeuropäisches Land.
Wer es „verdient“, wer als „böse“ geortet wird, der wird militärisch bestraft, so erscheint mir aktuell die Außenpolitik Frankreichs. Aber auch nach dem Ersten Weltkrieg war Frankreich in einige Kriege und militärische Auseinandersetzungen verwickelt. Der größte und verlustreichste Krieg (auch mit den meisten Kriegsverbrechen) war der in Algerien, der bis 1962 andauerte.
Ich bin kein Frankreich-Kenner. Welche weiteren politischen Probleme das Land durchmacht und durchgemacht hat, habe ich nicht wirklich verfolgt (was ich wahrgenommen habe ist, dass so manche Stadtbezirke in Frankreich sich in Ghettos verwandelt haben und dass Frankreich wohl ein deutliches Problem mit Schülergewalt gegen andere Schüler und auch Lehrkräfte hat. Zudem passt Frankreichs berühmter Zentralismus gut zur verbreiteten Kindererziehungspraxis: Die zentrale Autorität bestimmt, wo es lang geht, ohne Widerspruch zu dulden). Wahrscheinlich würde sich hier bei einer genauen Analyse einiges finden lassen, dass legen zumindest Zahlen über die weite Verbreitung von Elterngewalt gegen Kinder nahe, denn diese hat Folgen.
Frankreich weist im (west/nord-)europäischen Vergleich die höchsten Gewaltraten gegen Kinder innerhalb der Familie auf und führt fast durchweg auch bei den schwereren Gewaltformen die Rangliste an. Ausgesuchte Zahlen (Befragung von 1000 französischen Eltern im Jahr 2007): 87,2 % schlagen ihre Kinder auf den Po, 50,5 % verabreichen eine Tracht Prügel (schwerere Gewalt) auf die selbe Stelle, 71,5 % schlagen leicht ins Gesicht, 32,3 % wenden schallende Ohrfeigen an, 4,5 % schlagen mit Gegenständen und 11,6 % misshandeln ihre Kinder schwer. (Bussmann, K.-D., Erthal, C., & Schroth, A. (2009). The Effect of Banning Corporal Punishment in Europe: A Five-Nation Comparison. Halle-Wittenberg: Martin-Luther-Universität. S. 6) Auch nach einer im SPIEGEL zitierten Umfrage der "Organisation des Familles en Europe" gaben 87 Prozent der französischen Eltern an, eine Tracht Prügel gehöre zu ihren Praktiken. Und 53 Prozent sprachen sich gegen ein Prügelverbot aus.
Wer zudem etwas über Frankreichs Krippensystem recherchiert, wird herausfinden, dass dort sehr viele Eltern kein Problem damit haben, wenige Monate alte Säuglinge einige Stunden fremd unterzubringen. Auch dies wird Folgen haben.
Laut Europarat gibt es in Frankreich auch kein ausdrückliches Verbot der körperlichen Bestrafung in Einrichtungen für Kinder. Ob und in wie weit Kinder in schulischen Einrichtungen durch Lehrkräfte geschlagen werden, ist mir nicht bekannt.
Auch Tagesmütter und Babysitter haben in Frankreich - neben den Eltern - das Recht, Kinder körperlich zu züchtigen (wie es so "schön" heißt). Dies steht u.a. in einer Klageschrift der „Association for the Protection of All Children“, die seit Februar 2013 vor dem „European Committee of Social Rights“ Frankreich auf Grund des unzureichenden Schutzes von französischen Kinder vor Gewalt verklagt (und damit hoffentlich Erfolg hat). Außerdem wurden in der Klageschrift Zahlen genannt, die ich hier bereits vorgestellt habe.
Über Frankreichs führende politischen Köpfe habe ich im Internet nicht all zu viel finden können. Aber vielleicht sind folgende Infos doch etwas erhellend:
„Es gibt ein Kapitel, über das Hollande wenig spricht: seine Kindheit.“, schreibt der SPIEGEL in einem Artikel. „1954 in Rouen geboren, litt er laut seinem Biografen Serge Raffy unter seinem autoritären Vater, einem Arzt, der sich bei Lokalwahlen für rechtsextreme Listen aufstellen ließ und vor dem er sich ducken musste. Sein Lächeln, seine Witze hätten ihm schon damals geholfen, Konflikten aus dem Weg zu gehen, sagt Raffy.“
Der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy scheint ebenfalls eine belastete Kindheit gehabt zu haben.
„ (…) der Vater sollte sich als Lebemann erweisen, der die Mutter sitzenließ und sich nur sporadisch für die Söhne interessierte. Die Scheidung wurde vollzogen, als Nicolas fünf Jahre alt war. Seine Kindheit sei keine "wirklich glückliche Zeit" gewesen, sagte Sarkozy einmal zum Entsetzen seiner Mutter.“ (FAZ, 15.09.2004)
Der Vater diente außerdem als Fremdenlegionär für Frankreich, wie der SPIEGELberichtet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein so militärisch getrimmter Mensch (der als Söldner arbeitete) nicht wirklich herzlich und emotional zu Kindern sein konnte.
Erwähnt werden muss auch noch Dominique Strauss-Kahn, der mit hoher Wahrscheinlichkeit die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen hätte. Diverse bewiesene und nicht-bewiesene Vorwürfe gegen ihn zeigen ein Bild von meinem Mann, der alles andere als empathisch und rücksichtsvoll ist und der vor allem ein sehr gestörtes Verhältnis Frauen gegenüber zu haben scheint. Über seine Kindheit habe ich nichts gefunden, die Vermutung liegt aber nahe, dass es in dieser auch einige weite Schatten gab.
Abschließend noch der Hinweis, dass die o.g. Studie von Bussmann auch einen stetigen Rückgang der Gewalt gegen Kinder in Frankreich nachwies. In der Studie wurden außerdem nicht die Häufigkeit des Gewalthandelns und die direkten körperlichen Folgen erfasst. Ich vermute stark, dass sich hier starke Unterschiede im Vergleich zu z.B. afrikanischen oder arabischen Ländern finden lassen, in denen ebenfalls häufig um die 90 % der Kinder körperliche Gewalt erleben, dies aber auch häufiger und schwerwiegender.
Freitag, 14. Juni 2013
Warum Männer gewalttätiger sind als Frauen
(aktualisiert am 28.04.2017)
Ich muss gleich zu Beginn den Titel korrigieren. Die Frage muss im Grunde lauten:
Warum sind Männer, die als Kind Gewalt-/Vernachlässigung- und Ohnmachtserfahrungen gemacht haben, gewalttätiger als Frauen, die als Kind Gewalt erfahren haben?
Meine Grundthese ist bekanntlich, dass Menschen, die Gewalt (wobei ich hier mit „Gewalt“ immer einigermaßen erhebliche Formen sowohl psychischer als auch körperlicher Art und auch die nicht seltene Anwendung meine und Selbstverteidigung auf Grund einer persönlichen Notsituation natürlich auch ausschließe; vor allem zu Letzterer ist jeder Mensch grundsätzlich fähig, da wir von Natur aus das lebenswichtige Potential haben, auf direkte Angriffe mit Aggressionen zu reagieren.) anwenden, in ihrer Kindheit irgendeine Form (oder auch mehrere) von Gewalt – meist durch Eltern und Elternfiguren – erlebt haben müssen bzw., dass wirklich geliebte Kinder emotional nicht dazu in der Lage sind, anderen Menschen gezielt Gewalt anzutun (außer im Fall der akuten Selbstverteidigung), einfach, weil sie im vollen Besitz ihrer Gefühle sind und ihr Mitgefühl nicht abspalten/ausschalten können.
Dies ist genau der Ansatz, der in den meisten feministischen Ansätzen oder auch allgemein in der Geschlechterforschung meist gar nicht mit einbezogen wird. Die Gewalt, die Männer in Kindheit und Jugend erlebt haben, wird stattdessen hinter Begriffen wie „Männliche Sozialisation“ versteckt, anstatt diese offen beim Namen zu nennen. Belastende Erfahrungen im Elternhaus werden dabei meist ausgeblendet oder hinter Sätzen versteckt wie z.B. „Jungen bekommen weniger Zuwendung, wenn sie Hilfe/Trost/Fürsorge brauchen bzw. danach verlangen, weil Jungen stark sein und ihre Probleme und Bedürfnisse selbst regeln sollen.“ Letzteres ist, um es beim Namen zu nennen, eine Form von Kindesvernachlässigung mit Tendenzen in Richtung psychische Gewalt, je nachdem wie auf Bedürfnisse von Jungen reagiert wird. Die Beispiele ließen sich fortführen.
Typische Themen der Geschlechterforschung sind Wettbewerb zwischen Jungen und Konkurrenzdenken, (mediale) Männlichkeitsbilder/Vorbilder, Peergroupsozialisation, militärische Sozialisation, öffentlicher männlich dominierter Raum, Abgrenzungsrituale vom „Weiblichen“, patriarchale Machtstrukturen, Dominanzkultur usw. usf. Wörter wie „sexueller Missbrauch“, „Kindesvernachlässigung“ und „Kindesmisshandlung“ findet mann dagegen seltener in entsprechenden Texten, die meist sozialwissenschaftlich orientiert sind.
Männer sind faktisch das gewalttätigere Geschlecht, das gilt mittlerweile als Allgemeinwissen. Zwei wesentliche Fakten werden allerdings in der Geschlechterforschung und in der Öffentlichkeit oft übersehen: „Weniger bekannt hingegen ist, dass sich die mehrheitlich von Männern ausgeübte Gewalt auch überwiegend gegen Männer selbst richtet. Mit der Ausnahme von Sexualstraftaten sind Männer als Opfer bei allen Delikten in der Überzahl. Bei Mord und Totschlag, Raub und insbesondere bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung überwiegen männliche Opfer." (Hans-Joachim Lenz, 17.12.2004,“Männer als Opfer von Gewalt“) Beispielsweise zeigte eine große Studie, dass im Jahr 2008, zwar über 85 % aller Morde durch Männer verübt wurden, aber auch weltweit 82 % aller Mordopfer männlich waren. (United Nations Office on Drugs and Crime (2011): 2011 - Global Study On Homicide. Vienna. S. 63)
Auch innerhalb von Dunkelfeld-Befragungen lassen sich diese Unterschiede feststellen. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat innerhalb einer repräsentativen Schülerbefragung (insgesamt 44.610 Befragte) festgehalten, dass innerhalb von 12 Monaten 20,2 % der Jungen Opfer von verschiedenen Gewaltdelikten wurden, dagegen wurden 13 % der Mädchen Opfer (inkl. sexueller Gewalt, dem einzigen Gewaltdelikt, wo Mädchen öfter als Jungen Opfer waren). (Baier, D., Pfeiffer, C., Simonson, J., & Rabold, S. (2009): Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt: Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN. KFN-Forschungsberichte No. 107. KFN, Hannover, S. 39) Auch beim Mobbing oder Gewalterleben durch SchülerInnen, wie auch Mobbing und Gewalt durch Lehrkräfte sind Jungen bei 9 von 10 abgefragten Items (nur beim Items "nicht beachtet werden" waren Mädchen häufiger Opfer) häufiger Opfer, als Mädchen. Im Text hießt es beispielhaft: "Das Risiko des mehrfachen Erlebens körperlicher Gewalt durch andere Schüler ist für Jungen deutlich höher: Hier übersteigt die Wahrscheinlichkeit der Jungen, mehrfach Opfer zu werden, die der Mädchen um den Faktor 4,8. Die Wahrscheinlichkeit, mehrmalig zu erleben, dass eigene Sachen zerstört werden, ist für Jungen 3,8-mal so hoch wie für Mädchen." (Ebd., S. 58)
Ähnliches gilt für den Bereich Gewalt gegen Kinder. Ich habe bisher noch keine Studie gefunden, die nachwies, dass Jungen deutlich weniger körperliche Gewalt in der Familie erleben, als Mädchen. Mit Ausnahme der sexuellen Gewalt überwiegen sogar bei vielen Studien männliche Opfer, mindestens aber erleben Jungen genauso viel Gewalt, wie Mädchen.
Für eine große UNICEF Studie wurden beispielsweise Daten zum Gewalterleben (körperliche und psychische Gewalt) aus 33 Ländern (Osteuropa, Asien, Afrika, arabischer Raum und Südamerika) erhoben. In 16 Ländern erlebten Jungen signifikant mehr Gewalt als Mädchen (dem Diagramm folgend je nach Land ca. 4 -11 % mehr), in den anderen Ländern gab es keine signifikanten Unterschiede. Schaut man sich allerdings die Daten für alle 33 Länder im Detail an, dann fällt auf, dass bei allen Gewaltarten (unterteilt in psychische Gewalt, körperliche Gewalt und nochmal extra erfasst schwere Formen von körperlicher Gewalt) Jungen fast durchweg einige Prozentpunkte mehr Gewalt erleben, als Mädchen. Bei der psychischen Gewalt erleben nur in 10 Ländern Jungen gleich viel oder 1-2 Prozentpunkte weniger Gewalt. Körperliche Gewalt wird nur in 2 Ländern (Sierra Leone und Togo) von beiden Geschlechtern gleich viel erlebt. In einem Land wird körperliche Gewalt einen Prozentpunkt mehr von Jungen erlebt, als von Mädchen. Die weiteren Zahlenverhältnisse sehen wie folgt aus (Prozentangaben jeweils das Mehr an Gewalterleben bei Jungen): 5 Länder = 2 %; 3 Länder = 3 %; 4 Länder = 4 %; 7 Länder = 5 %,3 Länder 6 %; 4 Länder = 7 %; 3 Länder = 9 %; 1 Land = 13 %. In nur 4 Ländern erleben Mädchen und Jungen jeweils gleich viel schwere Formen von körperlicher Gewalt. In 4 Ländern erleben Mädchen jeweils einen Prozentpunkt mehr schwere körperliche Gewalt, als Jungen. In 25 Ländern erleben Jungen mehr schwere körperliche Gewalt, als Mädchen. (UNICEF 2010, "Child Disciplinary Practices at Home", S. 36)
Für eine Studie (siehe ausführlich hier) in Ägypten wurden Mütter nach ihrem Gewaltverhalten gegen Kinder befragt. 85,4% der Jungen wurden gegenüber 71,9 % der Mädchen körperlich bestraft. In der Studie wurde auch festgestellt, dass Jungen nicht nur insgesamt sondern auch bzgl. der Häufigkeit des Gewalthandelns mehr von Gewalt betroffen sind, als Mädchen. 5,4 % der ägyptischen Jungen werden mehr als einmal pro Tag körperlich bestraft, dagegen 1,5 % der Mädchen; 4,6 % der Jungen werden einmal täglich geschlagen, dagegen 3 % der Mädchen; 55,4 % der Jungen werden ein oder zweimal die Woche geschlagen, dagegen 31,1 % der Mädchen.
Auf eine hier im Blog besprochene repräsentative Studie, die Gewalterfahrungen der Menschen in El Salvador und Guatemala erfasst hat, möchte ich ebenfalls noch hinweisen.
Keinerlei Art von elterlichen Bestrafungen in der Kindheit und Jugend erlebten in Guatemala: 20,7 % der befragten Frauen und 7 % der Männer; in El Salvador: 44,3 % der Frauen und 23,9 % der Männer. Misshandlungen/Schläge erlebten in Guatemala: 35,3 % der Frauen und 45,7 % der Männer. Schläge mit einem Gegenstand wie Gürtel, Stock oder Kabel erlebten in El Salvador: 41,8 % der Frauen und 61,9 % der Männer.
Auch bzgl. Deutschland liegen aussagekräftige Studien vor. Erstere wurde Anfang der 50er Jahre durchgeführt. (Die Studie habe ich hier im Blog bereits ausführlich besprochen). Ergebnis: „Schwere körperliche Züchtigungen“ im Elternhaus erlebten Jungen deutlich mehr, nämlich ca. 85 % während Mädchen zu ca. 62 % betroffen waren. Bei der „leichten körperlichen Züchtigung“ waren Mädchen etwas mehr betroffen, als Jungen. Jungen erlebten demnach nicht nur insgesamt häufiger körperliche Gewalt, sondern auch schwerer Formen deutlich häufiger, als Mädchen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine repräsentative Befragung aus den 90er Jahren. (vgl. Wetzels, P. 1997: Gewalterfahrungen in der Kindheit - Sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung und deren langfristige Konsequenzen. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, S. 147+148) 77,9 % der Männer erlebten körperliche Elterngewalt, Frauen dagegen mit 71,9 % signifikant weniger. Interessant ist dabei auch, wenn man sich die Frequenz der Gewalt anschaut. 35 % der Männer und 37,1 % der Frauen erlebten selten körperliche Züchtigungen. Mit 43 % ist bei den Männern die Rate der häufiger als selten körperlich gezüchtigten deutlich höher als bei den Frauen mit 34,8 %. Auch bei der schwersten Gewaltform – der Misshandlung – liegen die Männer mit 11,8 % etwas über den Frauen mit 9,9 %.
Für den ostdeutschen Raum wurden zwei repräsentative Jugendstudien verglichen ("Partner 3" mit "Partner 4"). Nach der Befragung im Jahr 1990 ("Partner 3") erlebten demnach 39 % der Mädchen körperliche Gewalt in der Familie, Jungen waren dagegen zu 56 % von Gewalt betroffen. Bei der Befragung 2013 ("Partner 4") ergaben sich folgende Zahlen: 20 % der Mädchen erlebten Gewalt und 25 % der Jungen.
(Weller, Konrad (Hrsg.) (2013). PARTNER 4. Sexualität & Partnerschaft ostdeutscher Jugendlicher im historischen Vergleich. Merseburg. Tabelle 2)
Für eine repräsentative Befragung wurden 2.524 Männer und Frauen in Deutschland befragt. Gefragt nach eigens erlebtem "Erziehungsverhalten" berichteten die Männer fast durchweg von mehr Gewalterfahrungen als Frauen. Z.B. hatten 22,4 % der Männer "schallende Ohrfeigen" erlebt, dagegen 16,7 % der Frauen. 7,4 % der Männer wurden mit Gegenständen geschlagen, dagegen 5,7 % der Frauen. 4,4 % der Männer erlebten eine Tracht Prügel mit Blutergüssen, dagegen 2,9 % der Frauen. Auch bei psychischen Strafen waren Männer stark betroffen. 13,4 % der Männer wurden niedergebrüllt, dagegen 12,5 % der Frauen. Taschengeldkürzungen erlebten 31,4 % der Männer, dagegen 22,3 % der Frauen. Nur bei dem Item "Nicht mehr mit ihnen reden" waren Frauen mit 18,6 % deutlich häufiger betroffen als die Männer mit 14,2 %.
(Plener, P. L.; Rodens, K. P.; Fegert, J. M. (2016). „Ein Klaps auf den Hintern hat noch niemandem geschadet“: Einstellungen zu Körperstrafen und Erziehung in der deutschen Allgemeinbevölkerung. Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V., vol. Themenheft, S. 20-25.)
Mir ist sehr wohl klar, dass Mädchen/Frauen, sofern man zusätzlich sexuelle Gewalterfahrungen und auch diverse Formen der geschlechtsspezifischen Unterdrückung, Unterwerfung und Diskriminierung mit einbezieht, enorm belastet sind. Mir geht es an dieser Stelle allerdings darum, festzuhalten, dass es männlichen Menschen nicht an Gewalterfahrungen – sowohl in Kindheit, Jugend als auch als Erwachsene – mangelt und dass sie in so manchen Bereichen sogar mehr von Gewalt betroffen sind, als Mädchen/Frauen. Dabei sind vor allem die kindlichen Gewalterfahrungen das Fundament für später eigenes Gewaltverhalten und auch sonstiges destruktive Agieren.
Nichts desto Trotz sind Männer das gewalttätiger Geschlecht, obwohl Frauen ebenfalls als Kind sehr häufig Gewalt erfahren und insofern „emotional bewaffnet“ sind. Hier liegt nun die Schnittstelle zu sozialwissenschaftlichen Thesen und Forschungen, deren Nutzen und Bedeutsamkeit ich gar nicht bestreiten möchte.
Männer haben historisch wie auch aktuell vor allem sehr viel mehr Machtmöglichkeiten, um Gewalt anzuwenden, als Frauen. Ohne Macht kann frau keine Gewalt anwenden. Und Männer wurden und werden zudem mit einem ganz anderen Rollenbild und mit männlichen Vorbildern konfrontiert. Für mich ergibt sich gedanklich vor allem ein Bild, das vieles deutlicher macht. Letztlich gleicht die Mannwerdung idealtypisch (und somit etwas vereinfacht dargestellt) und vor allem auch, je weiter man historisch zurückschaut, der militärischen Ausbildung: „Erst brechen wir Dich und hinterher bauen wir Dich wieder auf, hinterher bist Du potentiell ein Held der Nation, ein ganzer Kerl, hinterher bekommst du Macht und wir sind stolz auf Dich.“ (Und falls der Mann ganz unten steht und kaum Macht hat, unter ihm bleibt immer noch Frau und Kind gegenüber denen er sich mächtig fühlen darf.) Frauen werden dagegen als Mädchen gebrochen und die gesellschaftliche Botschaft, die dann an sie herangetragen wird, lautet (und die ebenfalls umso deutlich wird, je weiter man historisch zurückschaut): „Du bist nicht viel wert, an Haus, Küche, Mann und Kinder gebunden, der öffentliche und politische Raum ist nicht der Deine, Deine Rolle ist die, ohnmächtig zu sein und zu bleiben, Du brauchst keine Macht und selbst wenn Du sie wolltest, Du wirst keine Macht erhalten.“ Das sind zwei – wenn auch sehr vereinfacht dargestellt – komplett andere Welten und Rollenbilder, die sich hierzulande in den letzten Jahrzehnten natürlich auch immer mehr aufgelöst und starkt verwässert haben, trotzdem aber noch nachwirken.
Man könnte es auch in einer einfachen Formel aufschreiben: „Männliche Ohnmachtserfahrungen treffen auf eine männlich dominierte Gesellschaft und auf Machtmöglichkeiten / weibliche Ohnmachtserfahrungen treffen auf eine männliche dominierte Gesellschaft und auf sehr begrenzte oder auch gar keine Machtmöglichkeiten.“ Diese Formel macht meiner Auffassung nach weitgehend den Unterschied im Gewaltverhalten. Die Mutter von Rudolf Heß – Klara Heß - schrieb einst nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges: „Wäre ich ein Mann in der Blüte der Jahre, ich würde auch mit Begeisterung für mein Vaterland kämpfen. Ich will versuchen, wenn auch nicht als Soldat, so doch für das Wohl der Zurückgebliebenen meine Kraft mit zu verwenden.“ (Pätzold, Kurt und Weißbecker, Manfred (2007): Rudolf Heß. Der Mann an Hitlers Seite. Leibzig. Militzke Verlag, S.22) Sie brachte mit diesen Worten die Situation von Frauen auf den Punkt. Grundsätzlich war sie bereit zu töten, zu hassen und Krieg zu führen. Als Frau aber war ihr damals einfach der Weg in den Kampf versperrt.
Keine Gewalt- und Ohnmachtserfahrungen, sondern echte Liebe und Geborgenheit im Elternhaus machen es dagegen, so meine bereits erwähnte These, unmöglich, andere Menschen gezielt zu quälen, zu missbrauchen, zu vergewaltigen, zu ermorden, zu misshandeln usw. Dies gilt für beide Geschlechter. Ein als Kind geliebter Mann wird demnach trotz der Welt, der Machtstrukturen und der Männlichkeitsbilder auf die er trifft kein Gewalttäter werden.
Die o.g. Formel bedeutet weitergedacht und wie bereits angedeutet auch, dass Frauen, soweit sie Ohnmachts- und Gewalterfahrungen (vor allem als Kind) erlebt haben und später Macht erhalten, zu allen erdenklichen Formen von Gewalt und Grausamkeiten grundsätzlich fähig sind (wobei auch hier tendenziell wie bei den Männern gilt: Je grausamer die Taten, desto grausamer die entsprechenden Kindheiten). Dies zeigen einige Daten, die ich bereits kurz zusammengefasst habe. Vor allem gilt dies in Bezug zu Kindern, über die Frauen traditionell sehr viel Macht haben. Empirisch lässt sich nachweisen, dass Frauen als Mütter sogar häufiger Gewalt gegen ihre Kinder anwenden, als Väter.
Wir befinden uns nun hierzulande in einer Phase, in der Frauen immer mehr Macht und Machtpositionen einnehmen. Zudem verändern sich die Rollenbilder stetig. Wird es jetzt zu deutlich mehr Gewalt kommen, die durch Frauen ausgeübt wird? Nein, wird es nicht. Ein gesellschaftlicher Entwicklungsprozess, der Frauen immer mehr Freiheiten, Macht und Mitbestimmungen ermöglicht und sie immer mehr von der Rolle als Sündenböcke und Giftcontainer befreit, deutet bereits auf einen tiefen emotionalen Wandel und mehr emotionaler Reife hin, was seinen Ursprung wiederum nicht unwesentlich in der stetigen Befriedung der Kindheiten, der Abnahme von Gewalt gegen Kinder und der Zunahme an Kinderschutz und Liebe hat. Daher wird Gewalt und auch sonstiges destruktives Agieren hierzulande zukünftig weiter abnehmen.
Auf einen wichtigen Punkt möchte ich abschließend noch hinweisen. Traditionelle Männlichkeitsvorstellungen erschweren es Männern routinemäßig, sich mit ihrem Opfersein auseinanderzusetzen. Schon für viele Frauen sind Opfererfahrungen (gerade in der Kindheit) etwas, das vergessen und verdrängt bleiben will, das oftmals todgeschwiegen wird. Für Männer wird es – so mein Eindruck - sogar noch schwerer, sich das eigene Opfersein einzugestehen, da dies mit Schwäche, Ohnmachtsgefühlen, Ängsten und Hilflosigkeit bzw. Hilfsbedürftigkeit (was als „unmännlich“ gilt) zusammenhängt. Insofern erleichtert der gesellschaftliche Wandel und der Wandel der Rollenbilder es Männern, nach Hilfe zu suchen (zum Beispiel in Therapie und Selbsthilfe) und sie erhalten eine Chance, sich emotional zu “entwaffnen“.
Der ideale Weg, um Männergewalt zu verhindern, ist als aller Erstes Kinderschutz und als Zweites gesellschaftliche Botschaften und Angebote, die Jungen und Männern aufzeigen, dass sie Gefühle haben und sie auch haben und zeigen dürfen. Ich denke, dass wir da in Deutschland schon auf einem guten Weg sind.
Gesamtfazit: Geschlechterforschung muss, wenn sie nach den Ursachen von Gewalt fragt, mehr als bisher nach der Ohnmacht fragen, als nach der Macht (der Männer).
Siehe unbedingt ergänzend Kapitel 3 "Why Males Are More Violent" des Online-Buches "The Origins of War in Child Abuse" von Lloyd deMause.
Wahlen im Iran. "Wir müssen auf unseren Vater hören"
In dem Radiobeitrag "Machtkampf vor und hinter den Kulissen. Iran vor den Präsidentschaftswahlen" im Deutschlandfunk (13.06.2013, von Reinhard Baumgarten) wurde gestern die politische Situation und die anstehende Präsidentschaftswahl im Iran besprochen. Am Ende des Beitrages wird ein Großhändler aus Teheran zitiert:
"Wir sind gezwungen, auf unseren Führer zu hören. Und wir dürfen auf keinen anderen hören. Es ist wie in einer Familie. Er ist unser Vater, und wir müssen auf unseren Vater hören, auch wenn der Vater falsch liegen sollte." Und der Autor des Beitrage kommentiert noch: „Darüber, dass der Vater falsch liegen könnte, wird in der Islamischen Republik nicht öffentlich diskutiert.“
Mit dem o.g. Zitat wird überdeutlich, warum sich Diktaturen halten können. Menschen leben oftmals auch politisch das, was sie als Kind erlebt haben. Wenn der Vater im Iran in den Familien eine absolute nicht zu hinterfragende Autorität darstellt, dann hat dies auch Auswirkungen auf das spätere politische Verhalten. Umgekehrt ist es wahrscheinlich, dass die bestehenden politischen Strukturen um so mehr hinterfragt und kritisiert werden, je mehr sich auch die Familienatmosphäre demokratisiert und entspannt. Letzteres wird wie überall auf der Welt ein stetiger Entwicklungsprozess auch im Iran sein. Und das wird Folgen haben.
"Wir sind gezwungen, auf unseren Führer zu hören. Und wir dürfen auf keinen anderen hören. Es ist wie in einer Familie. Er ist unser Vater, und wir müssen auf unseren Vater hören, auch wenn der Vater falsch liegen sollte." Und der Autor des Beitrage kommentiert noch: „Darüber, dass der Vater falsch liegen könnte, wird in der Islamischen Republik nicht öffentlich diskutiert.“
Mit dem o.g. Zitat wird überdeutlich, warum sich Diktaturen halten können. Menschen leben oftmals auch politisch das, was sie als Kind erlebt haben. Wenn der Vater im Iran in den Familien eine absolute nicht zu hinterfragende Autorität darstellt, dann hat dies auch Auswirkungen auf das spätere politische Verhalten. Umgekehrt ist es wahrscheinlich, dass die bestehenden politischen Strukturen um so mehr hinterfragt und kritisiert werden, je mehr sich auch die Familienatmosphäre demokratisiert und entspannt. Letzteres wird wie überall auf der Welt ein stetiger Entwicklungsprozess auch im Iran sein. Und das wird Folgen haben.
Donnerstag, 6. Juni 2013
Neue Gewaltstudie zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Deutschland
Erneut ist eine große Studie zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Deutschland veröffentlich worden. Für die „Gewaltstudie 2013“ – unter der Leitung des Bielefelder Erziehungswissenschaftlers Holger Ziegler - wurden 900 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren aus Köln, Berlin und Dresden befragt.
22,3% werden von Erwachsenen oft oder manchmal geschlagen, also erleben 77,7 % keine Gewalt.
32,5 % der Kinder aus armen bzw. unterprivilegierten Familien gaben an, oft oder manchmal von ihren Eltern geschlagen worden zu sein. 17,1% dieser Gruppe wurden so heftig geschlagen, dass sie blaue Flecken hatten. 67,5 % dieser Gruppe wurden den Zahlen folgend überhaupt nicht geschlagen.
Bei den durchschnittlich bis privilegiert gestellten Kindern kommt körperliche Gewalt weit aus seltener vor, als bei den sozial schlechter gestellten Kindern.
Ca. 30 % der Kinder und Jugendlichen aus prekären Schichten hören von Erwachsenen, dass sie dumm oder nutzlos sind. Auch rund 28 % der Jugendlichen aus privilegierten Milieus wird gesagt, dass sie weniger wert seien. Insofern ist ca. jedes dritte Kind von dieser Form von psychischer Gewalt betroffen. 2/3 werden nicht in dieser Form gedemütigt.
In den Medien werden diese Zahlen oft mit einem Erschrecken kommentiert. Wer sich mit der historischen Entwicklung der Kindererziehung befasst, der wird diese Zahlen als Fortschritt deuten. Dass Ziel ist klar: 100 % der Kinder sollen gewaltfrei aufwachsen dürfen. Wenn die Entwicklungen so weiter gehen , ist dieses Ziel auch erreichbar.
Quellen:
http://www.rundschau-online.de/aus-aller-welt/gewaltstudie-2013-wer-mobbt--braucht-liebe,15184900,23114598.html
http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2013-06/gewalt-kinder-familien
http://www.presseportal.de/pm/34011/2484481/neue-gewaltstudie-schlaege-sind-fuer-ein-viertel-der-kinder-und-jugendlichen-in-deutschland-alltag
22,3% werden von Erwachsenen oft oder manchmal geschlagen, also erleben 77,7 % keine Gewalt.
32,5 % der Kinder aus armen bzw. unterprivilegierten Familien gaben an, oft oder manchmal von ihren Eltern geschlagen worden zu sein. 17,1% dieser Gruppe wurden so heftig geschlagen, dass sie blaue Flecken hatten. 67,5 % dieser Gruppe wurden den Zahlen folgend überhaupt nicht geschlagen.
Bei den durchschnittlich bis privilegiert gestellten Kindern kommt körperliche Gewalt weit aus seltener vor, als bei den sozial schlechter gestellten Kindern.
Ca. 30 % der Kinder und Jugendlichen aus prekären Schichten hören von Erwachsenen, dass sie dumm oder nutzlos sind. Auch rund 28 % der Jugendlichen aus privilegierten Milieus wird gesagt, dass sie weniger wert seien. Insofern ist ca. jedes dritte Kind von dieser Form von psychischer Gewalt betroffen. 2/3 werden nicht in dieser Form gedemütigt.
In den Medien werden diese Zahlen oft mit einem Erschrecken kommentiert. Wer sich mit der historischen Entwicklung der Kindererziehung befasst, der wird diese Zahlen als Fortschritt deuten. Dass Ziel ist klar: 100 % der Kinder sollen gewaltfrei aufwachsen dürfen. Wenn die Entwicklungen so weiter gehen , ist dieses Ziel auch erreichbar.
Quellen:
http://www.rundschau-online.de/aus-aller-welt/gewaltstudie-2013-wer-mobbt--braucht-liebe,15184900,23114598.html
http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2013-06/gewalt-kinder-familien
http://www.presseportal.de/pm/34011/2484481/neue-gewaltstudie-schlaege-sind-fuer-ein-viertel-der-kinder-und-jugendlichen-in-deutschland-alltag
Samstag, 1. Juni 2013
Brandanschlag von Solingen. Die Kindheit von Christian R.
20 Jahre ist der Brandanschlag von Solingen her, was derzeit dazu führt, dass der Fall in den Medien besprochen wird.
Der Gutachter Christian Eggers hat 1996 seine Fallstudie „Selbstlosigkeit als Ursache für ausländerfeindliche Gewalt“ herausgebracht. Darin geht er den Ursachen der Solinger Brandanschläge - bei denen fünf Menschen starben - nach, indem er den damals 17jährigen Christian R. skizziert. In der Inhaltsangabe der Studie steht u.a.: „Es entsteht das beklemmende Bild eines in zerrütteter familiärer Umwelt aufgewachsenen Jugendlichen, dessen unentwickeltes Selbstwertgefühl in einen Selbsthaß mündet, der schließlich sein Ventil im Fremdenhaß findet.“
Die Studie liegt mir nicht vor. Allerdings wurde sie von Ingrid Müller-Münch in ihrem Buch „Die geprügelte Generation“ in Kapitel 15 besprochen. Sie schreibt:
„Der Jugendliche, den das Gericht für den Anführer der Vierergruppe bei diesem Brandanschlag hielt, war ein 17-Jähriger, an dessen Kindheitsgeschichte sich sehr gut darstellen lässt, was aus einem geprügelten, vernachlässigten, misshandelten Kind schlimmstenfalls werden kann.“ Die Mutter von Christan brachte mit einem Satz all ihre Ablehnung gegenüber ihren Sohn auf den Punkt: „Hätte ich den Klumpen doch nicht geboren.“, hatte sie einmal einen Antrag auf Erziehungshilfe gegenüber einer Sozialarbeiterin kommentiert. Müller-Münch geht weiter auf die Ausführungen von Eggers ein.
„R. war als Kind so unglücklich, so verlassen und misshandelt, dass er die spielenden Kinder der im Haus schräg gegenüber lebenden türkischen Familie Genc schlichtweg nicht ertragen konnte. (…) so, wie er es bei Katzen und Kaninchen geübt hatte, mit denen er zunächst schmuste, um ihnen dann den Hals umzudrehen, so steigerte sich der Hass auf diese „Mistviecher“ – wie er die Kinder der Familie Genc einmal nannte. (…) Eigentlich war dieser Christan R. nirgendwo aufgewachsen. Als Säugling schon von der Mutter weggegeben, wurde sein Leben ein einziges Hin- und Her-Gezerre zwischen verschiedenen pädagogischen Einrichtungen und seiner Mutter, die ihre Depressionen durch Alkohol betäubte. Allein mit einem ständig schreienden, trotzigen Kind prügelte die überforderte Frau den Sohn bei jeder denkbaren Gelegenheit. Voller Groll hatte Christan seinem Gutachter Eggers geschildert, wie sie ihn als Kleinkind getreten oder gegen einen Heizkörper geschleudert hatte. Oder wie sie ihn manches Mal mit ins Auto genommen und die Türen verriegelt hatte, damit sein Schreien nicht nach Außen drang. Das Ergebnis all dieser Misshandlungen und der kontinuierlichen Lieblosigkeit war ein Mensch, der von sich annahm: „Ich bin böse, deswegen werde ich geschlagen und deswegen muss ich schlagen.“ In ihm sah es nach Eggers aus, wie in einem „verdorrten, abgestorbenen Wüstenei, ohne Leben, ohne Regungen, ohne Mitleid.“
Der Gutachter Christian Eggers hat 1996 seine Fallstudie „Selbstlosigkeit als Ursache für ausländerfeindliche Gewalt“ herausgebracht. Darin geht er den Ursachen der Solinger Brandanschläge - bei denen fünf Menschen starben - nach, indem er den damals 17jährigen Christian R. skizziert. In der Inhaltsangabe der Studie steht u.a.: „Es entsteht das beklemmende Bild eines in zerrütteter familiärer Umwelt aufgewachsenen Jugendlichen, dessen unentwickeltes Selbstwertgefühl in einen Selbsthaß mündet, der schließlich sein Ventil im Fremdenhaß findet.“
Die Studie liegt mir nicht vor. Allerdings wurde sie von Ingrid Müller-Münch in ihrem Buch „Die geprügelte Generation“ in Kapitel 15 besprochen. Sie schreibt:
„Der Jugendliche, den das Gericht für den Anführer der Vierergruppe bei diesem Brandanschlag hielt, war ein 17-Jähriger, an dessen Kindheitsgeschichte sich sehr gut darstellen lässt, was aus einem geprügelten, vernachlässigten, misshandelten Kind schlimmstenfalls werden kann.“ Die Mutter von Christan brachte mit einem Satz all ihre Ablehnung gegenüber ihren Sohn auf den Punkt: „Hätte ich den Klumpen doch nicht geboren.“, hatte sie einmal einen Antrag auf Erziehungshilfe gegenüber einer Sozialarbeiterin kommentiert. Müller-Münch geht weiter auf die Ausführungen von Eggers ein.
„R. war als Kind so unglücklich, so verlassen und misshandelt, dass er die spielenden Kinder der im Haus schräg gegenüber lebenden türkischen Familie Genc schlichtweg nicht ertragen konnte. (…) so, wie er es bei Katzen und Kaninchen geübt hatte, mit denen er zunächst schmuste, um ihnen dann den Hals umzudrehen, so steigerte sich der Hass auf diese „Mistviecher“ – wie er die Kinder der Familie Genc einmal nannte. (…) Eigentlich war dieser Christan R. nirgendwo aufgewachsen. Als Säugling schon von der Mutter weggegeben, wurde sein Leben ein einziges Hin- und Her-Gezerre zwischen verschiedenen pädagogischen Einrichtungen und seiner Mutter, die ihre Depressionen durch Alkohol betäubte. Allein mit einem ständig schreienden, trotzigen Kind prügelte die überforderte Frau den Sohn bei jeder denkbaren Gelegenheit. Voller Groll hatte Christan seinem Gutachter Eggers geschildert, wie sie ihn als Kleinkind getreten oder gegen einen Heizkörper geschleudert hatte. Oder wie sie ihn manches Mal mit ins Auto genommen und die Türen verriegelt hatte, damit sein Schreien nicht nach Außen drang. Das Ergebnis all dieser Misshandlungen und der kontinuierlichen Lieblosigkeit war ein Mensch, der von sich annahm: „Ich bin böse, deswegen werde ich geschlagen und deswegen muss ich schlagen.“ In ihm sah es nach Eggers aus, wie in einem „verdorrten, abgestorbenen Wüstenei, ohne Leben, ohne Regungen, ohne Mitleid.“