Freitag, 19. November 2010

Welche Gruppenfantasien hat derzeit Deutschland?

Als ich das erste mal „Das emotionale Leben der Nationen“ von Lloyd deMause las (seine Zusammenfassung psychohistorischer Forschung der letzten Jahrzehnte) war die Fantasieanalyse der Teil, den ich einfach erst mal merkwürdig fand. Psychoanalytiker arbeiten mit ihren PatientInnen ja routinemäßig mit der Deutung von Träumen, Bildern, Fantasien usw., um unbewusste Vorgänge deutlich zu machen. Dieses Verfahren ist anerkannt und verwundert heute keinen Menschen mehr.

Die PsychohistorikerInnen wenden im Prinzip in ganz ähnlicher Weise dieses Verfahren auf Nationen an. Stellvertretend für die vorherrschenden Gruppenfantasien werden Zeitungen, (politische) Comics, Zeitungstitel- und bilder, Reden von PolitikerInnen usw. analysiert. DeMause machte mir deutlich, dass dieses ungewöhnliche Verfahren recht brauchbare Erkenntnisse zu Tage führen kann. Das Verfahren hat für mich immer mehr an Merkwürdigkeit verloren. Es macht Sinn, auch wenn es im ersten Moment geradezu dazu verleitet, sich über die Psychohistorie lustig zu machen, die „sich ja mit Comics beschäftigt“. Wenn man sich darauf einlässt, wird einem allerdings der Ernst der Sache deutlich. DeMause versucht durch dieses Verfahren z.B. Kriege oder auch Anschläge auf Staatschefs vorherzusehen (ohne Anspruch auf Perfektion und Eindeutigkeit der Methode). In seinem Buch machte er z.B. deutlich, wie sich das Attentat vom 30. März 1981 auf Ronald Reagan vorher in Medienbildern andeutete.

Ich selbst habe meinen Blick auf Nachrichten und Bilder nach der Lektüre von deMause verändert. (Mit einer Redeanalyse von Angela Merkel hatte ich schon ganz gute erste Erfahrungen gesammelt) Ob das brauchbar ist, wird sich zeigen. Ich komme ehrlich gesagt da ich beruflichen und familiär sehr eingebunden bin nicht dazu, jeden Tag ausführlich in den Medien zu lesen. Mein Blickfeld ist also sehr beschränkt und lückenhaft.

Am Montag, den 01.11.2010 fiel mir bei SPIEGEL Online ein hohes Ausmaß von emotionalen Kraftwörtern (möglichen Fantasiewörtern) in den Titeln und kurzen Unterschriften auf der Eingangsseite auf. Ich machte mir also die Mühe und schrieb diese einfach mal zusammenfassend auf:

Tödliche Erdrisse, verschluckt, unheimlicher, Untergrund, Bomben, Terror, Blutbad, Kämpfe, Terror, Angriff, Herz, verzweifelt, Trauer, Alleinsein, Einsamkeit, Trauer, Generalabrechnung, Watsche, attackiert, Wutanfall, Autoritär, Verletzung, großer Gier, Himmel und Hölle, Kämpfer, Heiliger, Held, Zombiejagd, Prügelkönig, vermöbelt, Gegner, Zombies, Werwölfe, Tod, Helden, Geburt, attackiert, Anorexie, hungert, Essstörung, Frauen, erschießt, Riesen, abgekippt, Terror, Terror, Sticheln, schimpfen, schelten, Wutanfälle, Himmel und Hölle, Finanzkrise, Armut, schlimm, Drogen, Alkohol, Heroin, Leichen, Prostituierte, schützen, Baby, vertuscht, heulen, verdammt, gefährliche, Gruseln, Kriege, Revolution, Bordell, stirbt, schlägt, Bösen, Terror.

Danach beobachtete ich die Folgetage und fand ähnliche Kraftwörter. Insofern dachte ich, Sven, vergiss das, Tagesnachrichten sind nun mal voll von negativen Kraftwörtern. Mach Deinen Blog nicht scheinbar „unseriös“, wenn Du auf solche Beobachtungen hinweist… Am 05.11. schrieb ich dann einen Beitrag: „Nachdenkliches zu Deutschland“. Denn mir fielen z.B. auch sehr emotionale Fernsehfilme, die über Kindesmisshandlung gingen auf (übrigens auch in der Folgezeit, nach diesem Beitrag). Ich beobachtete in diesem Monat vor allem die Onlinenachrichten vom SPIEGEL, DER ZEIT und der FAZ.

Am 15.11. fielen mir drei Titelsätze besonders auf:

„Mein Gott, wir müssen alle, alle sterben!“ FAZ 1511.2010

„Frau Merkel spaltet die Gesellschaft“ ZEIT 15.11.

„Auf der Suche nach dem Feind“ ZEIT 15.11.2010

Angst zu sterben, Angst vor Spaltung, auf der Suche nach dem Feind. Alles ganz normale Tagesnachrichten? Ich dachte, ja, wahrscheinlich. Vielleicht übertreibe ich ja auch?

Am 17.11. folgten dann die Medienmeldungen für eine konkrete Terrorwarnung für Deutschland von Thomas de Maizière. Seit dem verschwanden die vielen Kraftwörter, wie ich sie oben dargestellt habe aus den Nachrichten. Natürlich fanden sich weiter Wörter wie „Terror“, „Bedrohung“ usw. Aber nicht dieses Wirrwarr an diversen Kraftausdrücken, wie ich es oben z.B. für den SPIEGEL beschrieben habe. Dieser Wegfall machte mich dann doch stutzig und deshalb schreibe ich jetzt doch etwas in Form diesen Beitrages dazu.

Deckelt ein konkreter möglicher Feind von außen also in der Tat angsterfüllte Fantasien, die mit destruktiven Kindheitserfahrungen zusammenhängen?
Ich will hier nicht sagen so und so ist es. Dafür bin ich zu sehr Laie und Neuling bzgl. der psychohistorischen Fantasieanalyse. Ich möchte hiermit also erst mal meinen aktuellen Stand der Dinge festhalten, so wie ich gerade die emotionalen Entwicklungen beobachte. Vielleicht kann ich das noch in einigen Wochen ausweiten. Für mich ist das ganze ein persönliches Experiment und ein Ausprobieren. Es kann alles Quatsch sein, es kann vielleicht auch etwas aussagen. Mal sehen, wie sich die Medienbilder weiter entwickeln.

Mittwoch, 10. November 2010

George W. Bush - Zur Psychoanalyse von Macht und Gewalt

Zufällig habe ich einen interessanten Text über George W. Bush gefunden. "Die Angst vor George W. Bush und die Angst von George W. Bush. Zur Psychoanalyse von Macht und Gewalt" von Thomas Auchter.
Für mich waren viele Details über die Kindheit von George W. Bush nichts neues. Allerdings gibt es online nur sehr wenig zu diesem Thema. Insofern verweise ich gerne für alle Interessierten auf den Text von Auchter.

Meinen Text über George W. habe ich an Hand obiger Quelle leicht um eine Passage zur Krankheit von Robin ergänzt. Neu war für mich, dass Babara Bush ihre Kinder für Monate verließ, um Robin in New York bei ihrer Krebstherapie zur Seite zu stehen.

Die veränderte Textstelle sieht jetzt so aus:

"Im Alter von sechs Jahren erlebte George W. ein weiteres Trauma, nämlich Krankheit und Tod seiner kleinen Schwester Robin. Im Jahr 1953 wurde Leukämie bei Robin festgestellt. Barbara Bush blieb daraufhin monatelang in New York, um Robin bei ihrer Krebstherapie zu unterstützen. George und das Baby Jeb wurden zunächst bei Nachbarn untergebracht, später wurde dann eine Haushälterin eingestellt und die Kinder kehrten zumindest ins vertraute eigene Haus zurück. (vgl. Auchter, 2007, S. 8ff) George musste sich verlassen gefühlt haben (Wir erinnern uns, der Vater war eh stets abwesend). Er wurde außerdem nicht über die Krankheit seiner Schwester aufgeklärt. Als die Schwester schließlich starb, fuhren die Eltern einen Tag später zu Babara Bushs Vater und spielten Golf. (ebd.) Eine Trauerfeier für Robin fand nicht statt."

Auchter fragt am Ende seines Textes: "Warum wählt jemand, so jemand? Das bleibt die psychodynamisch vordringliche Frage. Warum haben die Hälfte der Amerikaner, die an der Wahl teilnahmen, diesen George W. Bush wiedergewählt? Kann die Psychoanalyse hierfür irgendwelche Verständnis- und Erklärungsmuster anbieten?"

Ich denke, dass ich mit meinem letzten Beitrag "Kindheit in den USA" eine Antwort darauf gegeben habe.

Samstag, 6. November 2010

Kindheit in den USA

Was ist nur los mit dem Land USA? Seit Jahrzehnten stehen die USA für eine destruktive Außenpolitik, für Kriege oder indirekter Beteiligung an diesen. Von den 149 Staaten, die beispielsweise für das Jahr 2010 im "Global Peace Index" bzgl. ihrer "Friedfertigkeit" analysiert wurden, landeten die USA auf dem schlechten Platz 85. Seit Anfang 1981 sind mit Ronald Reagan, über Geoge Bush senior, Bill Clinton und dann George W. Bush Junior bis Anfang 2009 (also ca. 28 Jahre) nur als Kind von ihren Eltern misshandelte und traumatisierte Präsidenten an der Macht gewesen. (Die Präsidenten davor habe ich nicht untersucht, ebenso über Obama habe ich bisher nicht weiter etwas gelesen. Allerdings schreibt Lloyd deMause in einem Nebensatz, dass die Kindheit der meisten US-Präsidenten von Gewalt und Vernachlässigung geprägt war. vgl. deMause, 2005, S. 19). Im Sinne der psychohistorischen Theorie sind „die Führer“ im Grunde reine emotionale Stellvertreter der Bevölkerung, ihre persönliche Misshandlungsgeschichte steht also im Zusammenhang mit dem, was große Teile der Bevölkerung als Kind erlebt haben.

Schauen wir uns also einige Zahlen und Fakten an, die ich gefunden habe:

Ein Viertel aller Kinder in den USA lebt von staatlichen Essensmarken. (vgl. DER SPIEGEL, 30.10.2010, Nr. 44, „Good night, America“, S. 82)

Im Jahr 2008 berichtete der “child protective services” (CPS) in den USA von 3,3 Millionen gemeldeter Fälle von Kindern, die körperlichen, emotionalen oder sexuellen Missbrauch erlebt hatten oder vernachlässigt wurden. (vgl. CDS, 2010: Child Maltreatment. Facts at a Glance)

Die amerikanische Kaiser Permanente Krankenversicherung hat 1995 eine Studie (ACE-Studie) mit Daten von 17.421 Versicherten bzgl. dem Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, kurz ACEs) und dem Gesundheitszustand durchgeführt.  Ergebnisse bzgl. belastenden Kindheitserfahrungen (die wohl eher für die Mittelschicht und höhere Schichten gelten, die sich in den USA eine private Krankenversicherung leisten können.) :
11% erlebten emotionale Misshandlungen
28% erlebten körperliche Misshandlungen
21% erlebten sexuellen Missbrauch
15% erlebten emotionale Vernachlässigung
10% erlebten körperliche Vernachlässigung
13% wurden Zeugen, wie ihre Mutter Gewalt erlebte
27% wuchsen in Familien auf, in denen Alkhol und/oder Drogen konsumiert wurden
19% wuchsen in einer Familie mit einer psychisch kranken Person auf.
23 wuchsen in einer Familie auf, in der sie durch Trennung oder Scheidung von einem Elternteil getrennt waren
5 % wuchsen in Familien auf, wo sich ein Familienmitglied im Gefängnis befand
(Mehr als 20 % erlebten drei oder mehr der genannten belastende Kindheitserfahrungen!)

Eine Studie in den USA aus dem Jahr 2000 ergab, dass bei 94 Prozent der Kinder zwischen drei und vier Jahren Ohrfeigen oder Schläge zur Erziehung gehörten. (vgl. UNICEF 2003: Child Maltreatment Deaths in Rich Nations. Innocenti Report Card No.5. Innocenti Research Centre, Florence., S. 22) Ein Bericht aus dem Jahr 1995 der “American Gallup Organization” zeigte, dass 40 % der Dreizehnjährigen regelmäßig geschlagen wurden, selbst im Alter von fünfzehn Jahren wurden immer noch 25 % der Jugendlichen geschlagen. (vgl. ebd., S. 23)

Ein Forscherteam hat vier repräsentative US-Studien der Jahre 1975, 1985, 1995 und 2002 ausgewertet. Im Jahr 1975 wurden beispielsweise 82,2 % der 3- bis 5-Jährigen Kinder körperlich gezüchtigt, im Jahr 2002 waren es immer noch 78,8 %. Zudem erlebt immer noch fast jedes dritte Kind in den USA der Studie folgend in seiner Familie Körperstrafen mit einem Gegenstand; eine Zahl, die die AutorInnen der Studie als alarmierend bezeichnen.
(Zolotor, A.J., Theodore, A. D., Runyan D.K., Chang J. J. & Laskey, A. L. (2011).Corporal punishment and physical abuse.Population-basedtrends for three-to-11-year-old children in the United States. Child Abuse review, 20(1), S. 57–66.)

In einer repräsentativen Telefonumfrage aus dem Jahr 2000 wurden 2068 Eltern von Kindern im Alter zwischen 4 und 35 Monaten in den USA befragt. 26% berichtet, dass sie ihre Kinder verprügelt (englisch “spanking”) hätten. (vgl. Michael Regalado et al, 2004: Parents’ Discipline of Young Children: Results From the National Survey of Early Childhood Health. In: PEDIATRICS, Vol. 113, No. 6.)
Das ist eine sehr hohe Zahl, wenn man sich klar macht, dass hier die Eltern direkt am Telefon befragt wurden und natürlich nicht unbedingt wahrheitsgemäß antworten müssen. Zudem ist die Zahl auch erschreckend, da sie sich auf Säuglinge bis Kinder im Alter von nur ca. 3 Jahren bezieht. Darüberhinaus berichteten 67 % der Befragten, ihre Säuglinge/Kleinkinder angeschrien zu haben.

Im Jahr 2005 wurden in allen 50 US-Bundesstaaten jeweils 600 Erwachsene befragt (surveyusa, 24.08.2005, Disciplining a Child). Im Schnitt sagten 72 % aller Befragten, dass es in Ordnung sei, ein Kind zu schlagen (um es zu disziplinieren). (In Alabama gab es dabei die höchste Zustimmung mit 87 %, die niedrigste mit 55 % in Vermont)
31 % meinten, dass es in Ordnung sei, den Mund eines Kindes mit Seife "auszuwaschen". (Etwas, dass in den USA als Bestrafungsform für z.B. das Benutzen von Schimpfwörtern benutzt wrd. Auf Wikipedia gibt es sogar einen eigenen Artikel dazu.) Und 23 % meinten, dass es in Ordung für einen Lehrer sei, Schüler körperlich zu bestrafen. Schaut man sich die Ergebnisse für alle Bundesstaten einzelnd an, stellt man ein starkes Gefälle fest. Die Gewaltbereitschaft gegen Kinder ist offensichtlich am höchsten in den südlichen Staaten.

Für eine Studie (Desmond K. Runyan, Viswanathan Shankar, Fatma Hassan, Wanda M. Hunter, Dipty Jain, Cristiane S. Paula, Shrikant I. Bangdiwala, Laurie S. Ramiro, Sergio R. Muñoz, Beatriz Vizcarra and Isabel A. Bordin (2010): International Variations in Harsh Child Discipline. Pediatrics;126;e701 ) wurden 1435 Mütter zum Gewaltverhalten beider Elternteile  telefonisch befragt.
Ausgewählte Ergebnisse: 44 % versohlten den Hintern, 24 % schlugen mit einem Gegenstand auf die selbe Stelle, 3,6 % schlugen mit einem Gegenstand auf eine andere Körperstelle. Diese Gewalt wurde von den Forschern als mittelschwere Gewalt eingestuft. Der Mittelwert beträgt hier ingesamt 55 %. Besonders schwere Formen der körperlichen Gewalt wurden von den Müttern fast nicht angegeben. Beispielsweise gaben nur 0,3 % an, dass das Kind durchgeprügelt/zusammengeschlagen wurde. Allerdings: 2,6 % schüttelten Kinder unter 2 Jahren.
Da Misshandlungen in den USA gesetzlich verboten, „Züchtigungen“ (was der ersten Kategorie der mittelschweren Gewalt in etwa entspricht) aber erlaubt sind, ist zu vermuten, dass Opferbefragungen hier etwas andere Ergebnisse bringen würden als Täterbefragungen.  (Grundsätzlich zeigen die Daten dieser ländervergleichenden Studie allerdings auch, dass in anderen Ländern, z.B. Ägypten und Indien, schwerere Gewaltformen weiter verbreitet sind, als in den USA. )
Schaut man gesondert auf die verschiedenen Altersstufen der Kinder, ergibt sich nochmal ein anderes Bild, als das, was die o.g. Mittelwerte aufzeigen. Bereits ganze 31 % der Mütter gaben an, dass mittelschwere körperliche Gewalt gegen Kinder unter 2 Jahren in ihrer Familie angewendet wird. Dies ist eine enorm hohe Zahl, wenn man an die besonders empfindliche Psyche dieser Altersgruppe denkt.  7,7 % dieser Altersgruppe erlebt bereits schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 2,6 %)Ebenfalls erleben 36 % dieser Altersgruppe mittelschwere Formen psychischer Gewalt, 9 % schwere Formen.
Ganze 76 % der 2 bis 6 Jahre alten Kinder erlebt mittelschwere körperliche Gewalt und 74 % erleben mittelschwere psychische Gewalt. 27 % dieser Altersgruppe erlebt schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 0,6%)74 % erlebten mittelschwere Formen psychischer Gewalt, 19 % erleben schwere psychische Gewalt.
67 % der 7 bis 11 Jahre alten Kinder erlebt mittelschwere körperliche Gewalt. 84 % mittelschwere psychische Gewalt, 29 % schwere psychische Gewalt. 37 % dieser Altersgruppe erlebt schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 0,1%) Bei den 12 bis 17 Jahre alten Kindern nimmt dann vor allem die körperliche Gewalt stark ab.

Die obigen Daten stammen von relativ aktuellen Studien. Wie schon oft in diesem Blog erwähnt, sind ältere Bevölkerungsteile sehr wahrscheinlich in einem noch höheren Ausmaß Opfer von elterlicher Gewalt geworden, wie jüngere.

Der bereits oben erwähnte UNICEF Bericht aus dem Jahr 2003 beschreibt auf Seite 25 auch, dass bis zu diesem Berichtsjahr in den USA nur der Staat Minnesota Gesetze erlassen hat, die so ausgelegt werden könnten, dass Gewalt gegen Kinder in der Erziehung verboten ist. Aktuell habe ich bisher keine Daten im Internet gefunden, die aufzeigen, dass zwischenzeitlich noch weitere US-Staaten ähnliche Gesetze erlassen hätten. Zolotor et. al (2011) (siehe oben) bestätigen dies: Körperliche Züchtigungen im Elternhaus sind in den USA weiterhin legal, schreiben sie in ihrer Studie

Zum sexuellen Missbrauch möchte ich eine repräsentative Studie aus dem Jahr 1990 von Finkelhor erwähnen. 2626 Menschen wurden telefonisch befragt. 27 % der Frauen und 16 % der Männer gaben an, als Kind sexuell missbraucht (inkl. ohne Körperkontakt) worden zu sein. (vgl. Finkelhor, 1997, S. 74ff)

Laut einem UNICEF Bericht aus dem Jahr 2001 gibt es in den USA zwischen 100.000 und 300.000 minderjährige Prostituierte.

Dazu kommt legale Gewalt gegen Kinder und Jugendliche an Schulen durch LehrerInnen und verhältnismäßig hohe Zahlen von Kindestötungen. (siehe dazu Beitrag "gewaltvolle Kindheiten in den USA) Außerdem schneiden die USA im Vergleich mit anderen Industrienationen auch im allgemeinen Ranking zum Wohlergehen der Kinder besonders schlecht ab.

Die USA ist das einzige Mitglied der Vereinten Nationen, das die 1989 verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention bisher nicht ratifiziert hat. (vgl. Status der „Convention on the Rights of the Child“) Ein Skandal!

Ich weiß nicht, wie ich diese Zahlen und Fakten noch weiter kommentieren soll? Wer diesen Blog schon kennt, weiß, was dieses hohe Ausmaß an Gewalt für politische Konsequenzen haben kann und auch hat. Dies gilt gerade auch, weil es sich hier um eine Weltmacht mit enormen militärischen Möglichkeiten handelt.


Wichtiger Nachtrag

Siehe ergänzend meinen Beitrag Politische Spaltung in den USA als Ausdruck von einer gespaltenen Kinderfürsorge? vom 16. Juni 2017. Die Kinderschutzorganisation „Save the Children“ hat erstmals eine Art Ranking über das Wohlergehen von Kindern in der Welt veröffentlicht. Die USA landete auf Platz 36 (einen Platz vor Russland und fünf Plätze vor China). 

Siehe unbedingt auch: Belastende Kindheitserfahrungen in den USA: Neue Daten vom 4. Juni 2020

Freitag, 5. November 2010

Nachdenkliches über Deutschland

Als Nachtrag zum vorherigen Beitrag möchte ich noch etwas über Deutschland schreiben. In Deutschland finden in relativ stark abgeschwächter Form ähnliche Prozesse statt, wie in den USA, so mein Eindruck. Abgeschwächt daher, weil wir hier mittlerweile eine deutlich bessere Kindererziehungspraxis vorfinden, wie drüben.
Ich kann als einzelner Mensch nicht alles wirklich überblicken und in Zusammenhang bringen. Aber einige mediale (emotionale) Höhepunkte fallen schon besonders auf und man merkt, dass etwas vor sich geht. Es ist z.B. schon erstaulich, dass mit dem Höhepunkt bzw. langsamen Ende der Wirtschaftskrise Ende 2009/Anfang 2010 eine monatelange Medienkampagne um missbrauchte und misshandelte (Heim-)Kinder und die Kirche einsetzte. Ab ca. Mai 2010 häuften sich dann schlagartig die Berichte zum beginnenden starken Wirtschaftswachstum (Stichwort: „Wachstumspanik“). Ende August löste dann Thilo Sarrazin – zeitgleich zur erstarkten Wirtschaft - eine bis heute andauernde hitzige Debatte über „Überfremdung“ und Integrationsprobleme aus.
Derzeit fallen mir – zur besten Sendezeit - zusätzlich (sehr heftige, emotional-erschütternde und direkte) Filme wie „Wolfsfährte“, ARD vom 30.10.2010 auf, wo ein als Kind von seiner Mutter häufig misshandelter Mann sich in eine Märchenwelt fantasierte und dann etliche Menschen - verkleidet als Wolf - umbringt, um im Finale seine eigene Mutter getreu nach dem Märchen Hänsel und Gretel im Ofen zu verbrennen (alles bildlich direkt dargestellt), wobei ein von ihm entführtes Mädchen ("Gretel") helfen und zusehen musste. Am 03.11. folgte - wieder in der ARD - der Film „In aller Stille“, es geht um Kindesmisshandlung und einen Jungen, der vom eigenen Vater zu Tode geprügelt wurde und die Mutter vorher jahrelang weggeschaut hatte. Eine ermittelnde Polizistin, die ihre eigenen Kinder vernachlässigt und züchtigt, kommt im Verlaufe ihrer Ermittlungen immer näher auch an ihre eigene Misshandlungsgeschichte aus ihrer Kindheit, bricht schließlich zusammen und geht am Ende in Therapie. Auch dieser Film grub sich tief emotional in das Thema ein, wie ich es bisher bei kaum anderen Filmen um das Thema gesehen habe. Fast gleichzeitig gibt es im Tagesgeschehen Berichte um Briefbomben und eine weitere Bedrohung durch Terror.

Ist die Gesellschaft in einer deutlichen Krise wie Mitten 2009, scheint das auf eine Art unterbewusste, abgespaltene Ängste zu deckeln, „weil wir ja alle gerade Opfer sind“ und es fehlen wohl öffentliche Debatten und Bilder, die in wirtschaftlich starken Phasen auftreten. Wird die Krise beendet, droht Wachstum, müssen andere Ängste gefunden werden, die außen aufgeführt werden können, z.B. in Form von Angst vor „den Ausländern“. Nur die realen Ängste (das eigenen Opfersein) aus der Kindheit dürfen nicht offen zu Tage treten. Stattdessen werden delegierte leidende Kinder öffentlich ausgemacht, wie Anfang des Jahres um die katholische Kirche und wie jetzt z.B. in Fernsehfilmen.

Nochmal. Mir fällt es schwer, das konkret einzuordnen und weiter zu sortieren. Ich möchte hiermit nur anregen, sich darüber weiter Gedanken zu machen. Ähnliche Prozesse, wie sie in den USA stattfinden, werden Deutschland voraussichtlich weiter erspart bleiben. Es könnte in Deutschland allerdings auch Stück für Stück ein ganz anderer Prozess in Gange kommen oder sein, nämlich der, des realen Hinsehen auf das, was den meisten Menschen als Kind passiert ist, nämliche Gewalterfahrungen durch ihre eigenen Eltern. Evtl. führt der derzeitige Weg auch dahin, dass dies vernünftig öffentlich weiter thematisiert wird und zwar als deutlicher Hinseher (nicht als Ablenker) in Form von wochenlangen medialen Debatten auf allen Ebenen. Wie ich schon sagte, es ist etwas im Gange im Land, wo dies hinführt, wird sich zeigen.

Barack Obama - Abbruchstimmung und Hass wächst. Wer wird der neue Feind der USA?

Ganz kurz möchte ich die merkwürdigen aktuellen Vorgänge in den USA kommentieren.
Ich gehe dabei erst noch mal etwas zurück. Ich werde wohl eine Szene aus Barack Obamas Wahlkampf nie vergessen. Stevie Wonder unterstützte Obamas Wahlkampfrede in einer großen Halle, wo wohl einige tausend Anhänger waren. Er stimmte ein Lied an, der Text war denkbar einfach „Barack Obama…Barack Obama…Barack Obama…Barack Obama usw.“ Ich kann die Melodie leider nicht in Noten beschreiben. Sein Name wurde zumindest in der Melodie etwas lang gezogen. Beim ersten mal ging die Tonlage am Ende bzw. beim Nachnamen nach oben. Danach wieder mit dem Vornamen angefangen und beim Nachnamen Tonlage nach unten und alles wieder von vorne. Das ganze Stadion stimmte in diesen Singsang mit ein. Es hatte etwas tranceartiges, fast sektenartiges, wie dort der Name des „Erlösers“ und Führers besungen wurde. Für mich brachte diese Szene symbolisch all die Wünsche, Erwartungen, Identifikationen und Projektionen zum Ausdruck, die Obamas WählerInnen teilten. Obama wurde zu einer Art erlösenden Übervater, der die Misswirtschaft und katastrophale Außenpolitik der Vorgängerregierung und alle anderen persönlichen Niederlagen und Probleme des Volkes wett machen sollte. Eine unlösbare Aufgabe.

Nun, zwei Jahre nach seiner Wahl, wird Obama zum Buhmann und die Nation ist tief gespalten und zerrissen. Der Hass wächst. DER SPIEGEL schreibt dazu einiges in seiner aktuellen Titelstory „Die verzweifelten Staaten von Amerika“. DER SPIEGEL schreibt: „Die USA von 2010 sind ein hassendes Land.“ Das Klima vor den Kongresswahlen „ist nicht getragen von Logik, nicht von Debattieren, die USA von 2010 sind ein Land, das sich lähmt und bremst, weil es sich mit Hass auf Dinge und Menschen ablenkt, die in Wahrheit keine Bedrohung sind: Homosexualität, Mexikaner, die Demokratin Nancy Pelosi, die Gesundheitsreform, Obama.“ (DER SPIEGEL, 30.10.2010, S. 79)
Es lohnt sich an dieser Stelle ein Blick in das Buch „Das emotionale Leben der Nationen„ von Lloyd deMause. Er beschreibt ab Seite 101 die vier Phasen der Führerschaft: 1. stark 2. einbrechend 3. kollabierend und 4. im Umbruch.
Die erste Phase hat Obama hinter sich, er war grandios, unbesiegbar, der Erlöser und Schaffer (laut den Wünschen des Volkes). Jemand, der ein Ganzes herstellt, der die Nation eint. (der Wunsch ganz zu sein, hat sehr viel damit zu tun, dass viele Menschen innerlich gespalten sind. Siehe dazu z.B. die Arbeiten von Arno Gruen) Die Phasen möchte ich jetzt gar nicht alle weiter kommentieren, bei deMause kann man sie direkt nachlesen (unten im verlinkten Text). Nach dem Umbruch gibt es laut deMause drei Lösungen: 1. Die Königsmordlösung: Der Führer selbst wird zum Feind und Bösen, dem ggf der Königsmord bzw. die Amtsenthebung folgt. 2. Die kriegerische Lösung: Der Führer findet – im Auftrag der Nation – einen externen Feind, der bekämpft werden kann. 3. Die Interne-Opfer-Lösung: Kann kein Feind gefunden werden, kommt es ggf. zur Revolution oder – das wäre für die USA wahrscheinlicher – zu einer reinigenden ökonomischen Säuberung, einer erneuten Depression und Rezession.

Derzeit scheinen sich hier einige Grenzen dieses Modells in der Realität zu vermischen, wie es für viele theoretische Modelle gilt. Meine Vermutung wäre, dass in zwei Jahren die 1. Lösung geschieht. Allerdings staut sich der Hass der amerikanischen Nation derzeit derart auf, dass ein zukünftiger Sieg der Republikaner ggf. zu neuen militärischen Aktionen führen könnte, sofern sie einen geeigneten Führer finden, der die unbewussten Emotionen der Menschen bedienen kann.
Wir werden sehen.

Derzeit arbeite ich - wie in einem Beitrag bereits angekündigt - an einem Text zur Verbreitung von Gewalt gegen Kinder in den USA. Ich habe schon einiges gefunden. Ich darf vorwegnehmen, dass vor dem Hintergrund eines sehr hohen Ausmaßes an Gewalt viele irrationale und verrückte politische Aktionen in den USA verständlicher werden, leider.

(Nebenbei möchte ich noch erwähnen, dass sich laut o.g. SPIEGEL Artikel die amerikanische Staatsverschuldung zwischen dem Amtsantritt von George W. Bush Anfang 2001 und seinem Ausstieg aus dem Amt Anfang 2009 mehr als verdoppelt hat, von ca. 5,6 Billionen Dollar auf ca. 11,9 Billionen Dollar. Kriege haben immer auch etwas mit Selbstzerstörung zu tun...)

Montag, 18. Oktober 2010

Kindheit von Tony Blair

Bedingungslose Solidarität mit den USA hatte Tony Blair zu Beginn des Afghanistan Krieges gezeigt, indem er dorthin Truppen entsandte. Tony Blair ließ zusätzlich mit Beginn des folgenden Irakkrieges 46.000 britische Soldaten im Irak einmarschieren – das größte ausländische Truppenkontingent nach den US-Streitkräften. Ziemlich viele Truppen für einen reinen Bündnispartner, der keinen 11. September erlebt hatte und rationaler hätte agieren können. "Ich wollte Krieg, es war das Richtige", wird er später zitiert. (vgl. SPIEGEL-Online, 17.11.2007, "Ich wollte Krieg, es war das Richtige")
Blair gab auch zu, dass er die Ratschläge seiner Berater und Minister in den Wind schlug, weil er glaubte, dass die USA das Richtige täten. „Sein Glauben ging dabei so weit, dass er sogar ein Angebot von US-Präsident George W. Bush ausschlug, Großbritannien aus dem Krieg herauszuhalten. Der Labour-Politiker (…) gibt sogar unumwunden zu, seinen Einfluss als stärkster Partner der USA niemals genutzt zu haben, um eine diplomatische Lösung im Irak zu befördern. Er habe nie nach einem Ausweg gesucht (…).“ (ebd.)
Das "Monster" Hussein wurde für Blair zum Kriegsgrund, Blair würde "die gleichen Entscheidungen wieder treffen" und der Irak-Krieg "hat die Welt sicherer gemacht". schreibt derStandard.at
. Auch während der Kosovo Krise war ein militärisches Vorgehen für Blair der einzig erdenkliche und “richtige” Weg: “Just as I believe there was no alternative to military action, now it has started I am convinced there is no alternative to continuing until we succeed.” (THE BLAIR DOCTRINE, 22.04.1999)

Es macht für mich auf Grund dieser kriegerischen Abläufe durchaus Sinn, sich die Kindheit und Jugend von Tony Blair einmal genauer anzusehen. Tonys Vater, Leo Blair, hatte Kriegserfahrungen. Von 1942 bis 1947 diente er in der britischen Armee und brachte es bis zum Rang eines Majors. (vgl. Mischler, 2005, S. 18) Wie ihn diese Kriegsjahre prägten, wird in der Quelle nicht erwähnt. Zu vermuten ist, dass er, wie die meisten Soldaten des 2. Weltkrieges, traumatische Erfahrungen machte, über die er sich später ausschwieg. Später wurde Leo Blair dann zum „eingefleischten Konservativen“, der mit „Leib und Seele die Politik Margaret Thatchers verteidigte“. (ebd., S. 19) Über Tonys Mutter erfährt man nur wenig in den hier für diesen Text verwendeten Quellen. Die Biografen konzentrieren sich eher auf den beruflich erfolgreichen Vater. Fest steht, dass sie hauptsächlich für die Kinder da war und – so wird gesagt – auch Freude daran hatte. Leo Blair war dagegen häufig abwesend und ging seiner Karriere nach. (vgl. Sopel, 1996, S. 15) Gesellschaftlicher Aufstieg und Erfolg sind für den Vater von zentraler Bedeutung, insofern scheint er auch viel von seinen beiden Söhnen Bill und Tony erwartet zu haben und sorgte für eine entsprechende Schullaufbahn. Über die emotionale Beziehung zu seinen Söhnen erfährt man nichts in den Quellen. Als Tony zehn Jahre alt ist, erleidet der Vater einen Schlaganfall. Tony Blair bezeichnet diesen Tag später als den Tag, als seine Kindheit endete. (vgl. Collins, 2005, S. 17) „Mit der Geborgenheit und der finanziellen Sicherheit der Familie ist es vorbei“, schreibt Mischler (2005, S. 20) Es dauert drei Jahre, bis Leo Blair wieder sprechen kann. Ebenso ist er in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Der Vater ist arbeitsunfähig und frustriert. Wie Tonys Bruder Bill berichtet, entwickelt Blair in diesen Jahren ein starkes Pflichtgefühl. Er will seinen Eltern gefallen.
Zusätzlich erkrankte auch noch seine Schwester Sarah im Alter von acht Jahren an einer Form von Arthritis und verbrachte daraufhin zwei Jahre im Krankenhaus. (vgl. Collins, 2005, S. 17)
Wie die Familie emotional mit dieser Situation umging, erfährt man in keiner der Quellen. Viel Zeit und Aufmerksamkeit für Tony wird von Seiten der Mutter sicherlich nicht mehr da gewesen sein.

Schauen wir nun, was Tony Blair selbst über seine Eltern berichtet. In seinen Memoiren beschreibt er seine Mutter als sehr gegensätzlich zu seinem Vater, der eher ihm gleichen würde und den er als „motiviert, entschlossen, mit einem konzentrierten Ehrgeiz, der sich, wie ich fürchte, bei uns beiden leicht in Selbstsucht verwandelt.“ beschreibt (Blair, 2010, S. 9) „Mum dagegen war eine freundliche, liebenswerte, fast heilige Frau. Sie war schüchtern und in Gesellschaft ziemlich still.“ (ebd.) Als Tony Blair ca. 17 Jahre alt war, erfuhr er, dass seine Mutter an Schilddrüsenkrebs erkrankt war. Er war gerade 22 Jahre alt, da starb sie an dieser Krankheit. Mit Rückblick auf ihren Tod beschreibt Blair, dass seine Mutter immer für ihn dagewesen wäre und ihn geliebt hätte. Viel mehr erfährt man - nach allem was ich sehen konnte - nicht über seine Eltern in Blairs Memoiren. Vor allem die Beziehung zum Vater wird von ihm nicht beschrieben, sondern eher auf die Anerkennung dessen beruflicher Karriere beschränkt. Das deutet vielleicht schon auf die Art der Beziehung der beiden und die hohen Erwartungen des Vaters hin. Aufmerksam macht mich noch die Bemerkung, dass Blair seine Mutter als „fast heilige Frau“ bezeichnet. Das ist schon ungewöhnlich und etwas überhöht, wie ich finde. Mehr Anmerkungen möchte ich mir hier nicht weiter erlauben.

Im Alter von dreizehn Jahren wird Tony schließlich auf das renommierte Fettes College in Edinburgh geschickt (eine Privatschule), darauf besteht vor allem der Vater, seine Söhne sollen die bestmögliche Ausbildung bekommen. Tony findet dagegen Fettes schrecklich. In vielen Privatschulen ging es Mitte der 60er Jahre rau zu, Fettes war dabei rückständiger als die meisten anderen, wird berichtet. Für alles gibt es Regeln und von den Schülern wird strickte Disziplin erwartet. Die Schule gleicht in vielem einem Militärlager und hat auch ein Kadettenkorps, in dem Tony seine ersten beiden Jahre in Fettes Dienst tut. Und: „Schüler werden in Fettes geschlagen. (…) Blairs Klassenkamerad Nick Rydon beschreibt Fettes als Gefangenlager: Offen gesagt, zu unserer Zeit Ende der sechziger Jahre war es für einen Westler einfacher, ungehindert durch die Sowjetunion zu reisen, als für einen Fettes-Schüler ins Zentrum Edinburghs zu kommen.“ (Mischler, 2005, S. 20f)
Am schlimmsten für Tony war allerdings das „Fagging System“ der Schule. Die Schüler aus den unteren Klassen wurden ca. 4 Jahre älteren Schülern als „Fag“ (Burschen) zugeteilt und mussten sich für diese abrackern (vom Putzen, Wäsche zurechtlegen bis Toast machen etc.), alles tun, was diese sagen. Die Älteren hatten das Recht, Schlafsäle und Studienräume zu betreten und „Fag“, also Bursche zu rufen, der sich dann schleunigst in ihre Richtung zu begeben hatte. Ebenso duften sie ihre Diener nach Belieben durchprügeln. Tony Blair bekam mehrfach den Rohrstock eines Älteren zu spüren. (vgl. Sopel, 1996, S. 32) (Mich erinnert dieses System unweigerlich an die militärische Grundausbildung, wie sie in vielen Ländern praktiziert wird. Gehorsamseinübung, Unterwerfung und die potentielle Abspaltung von Gefühlen sind hier die Ziele, damit die Kadetten danach so wieder aufgebaut werden können, wie man sie haben möchte. Bis sie dann selbst an die Reihe kommen und andere quälen dürfen. Ob Tony später auch einen „Burschen“ zugeteilt bekam, an dem er sich auslassen konnte, wird in den Quellen allerdings nicht berichtet. Es ist in Anbetracht des damaligen Schulsystems wohl sehr wahrscheinlich, dass dem so war.)

Tony ist unglücklich und „sieht sich außer Stande, etwas gegen das Schreckensregime an der Privatschule zu unternehmen“. (vgl. Mischler, 2005, S. 22) Schließlich läuft er davon. Seine Lehrer fangen ihn allerdings wieder ein, schreibt Mischler. Collins (2005) berichtet ebenfalls von einem Fluchtversuch (vgl. S. 23). Tony will auf die Bahamas fliegen und wird in der Tat erst an Bord eines Flugzeuges am Newcastle Airport ohne Flugticket aufgegriffen. Ob dies der zweite oder derselbe Fluchtversuch ist, erschließt sich in den beiden Texten nicht. Collins schreibt jedenfalls, dass Tony höchstpersönlich von seinen Eltern zurück in die Schule gebracht wurde und eine Menge Ärger mit ihnen und der Schulleitung hatte.
Diese Information finde ich schon bemerkenswert. Tony Blairs Eltern scheinen hier wenig Rücksicht auf die verzweifelte Situation ihres Sohnes genommen zu haben. Er sollte zurück an die Schule, die Erwartungen waren hoch, aus ihm sollte etwas werden. Um jeden Preis, so scheint es. Viel erfährt man nicht in den Quellen über die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern. In dieser Situation zeigt sich allerdings eine ganz erhebliche Härte und Rücksichtslosigkeit gegenüber Tony. Tony verbrachte jedenfalls bis zu seinem ca. achtzehnten Lebensjahr seine Zeit in Fettes, insgesamt ca. fünf Jahre; er lernte fleißig und machte seinen Abschluss. Eine lange Zeit innerhalb eines „Schreckensregimes“. Das Fettes College erwähnt Blair in seinen Memoiren an fünf Stellen im Buch. Mit keinem Wort erwähnt er dabei die demütigenden und strengen Regeln und sein Unglück während dieser Zeit. (vgl. Blair, 2010, S. 43, 67, 460, 613, 632) Auch dies spricht für sich.

In den Quellen findet sich keine Info darüber, ob Tony Blair auch von seinen Eltern als Kind geschlagen wurde. Die Regierung Blair hatte Anfang 2006 ein totales Verbot von körperlicher Gewalt in der Kindererziehung abgelehnt. In einem Bericht der BBC-News wird erwähnt, dass Tony Blair seine eigenen Kinder geschlagen hat. („Prime Minister Tony Blair has admitted smacking his older children.”) (BBC-News, 22.01.2006: “Calls for smacking ban rejected“,) SPIEGEL-Online zitiert Blair aus dem BBC Interview: "(...) ich glaube, sehen Sie, diese Ohrfeigen... ich meine, Sie haben ganz Recht mit dem, was Sie gerade gesagt haben, ich glaube, jeder kennt den Unterschied zwischen dem Ohrfeigen eines Kindes und dem Missbrauch eines Kindes." Hier rechtfertigt und verharmlost er die Gewalt gegen seine Kinder, in dem er den Vergleich zum Kindesmissbrauch heranzieht.
Ich sehe diese Information als Indiz dafür, dass Tony auch von seinen eigenen Eltern Gewalt erfahren haben könnte. Denn sehr häufig sind schlagende Eltern als Kind selbst von ihren Eltern geschlagen worden. (Zusätzlich sagt dieses Erziehungsverhalten etwas zu Blairs Verhältnis zur Gewalt an sich aus.)

Alles in allem finden sich in Kindheit und Jugend von Tony Blair einige Ereignisse, die für ein Verschütten von Gefühlen und Empathie verantwortlich sein könnten. Blair löste jedenfalls Konflikte all zu oft mit Gewalt. Entsprechend war eine liebevolle, wirklich geborgene Kindheit und Jugend bei ihm nicht zu erwarten. Sehr erstaunt hat mich allerdings seine Antwort auf eine Frage eines Interview Partners im Jahr 1990. „Welchen Teil ihres Lebens würden sie mit in ein anderes Leben nehmen?“, wurde er gefragt. „Kindheit“, antwortete Tony Blair (vgl. Mischler, 2005, S. 18) In Anbetracht all der Probleme und destruktiven Erlebnisse, die ich oben beschrieben habe, ist dies eine erstaunliche Antwort. Hat der ehemalige Premier Minister Tony Blair seine Gefühle von damals verdrängt oder abgespalten? Wenn dem so war, würde dies einige von seinen politischen Entscheidungen rund um die Kriegsführung erklären. Übrigens: Auf der Rückseite seiner Memoiren ist Tony Blair von Hinten auf der linken Seite des Covers zu sehen, wie er am 02.05.1997 als frisch gebackener Premierminister vor der Tür der Downing Street Nr. 10 steht. Auf der rechten Seite spiegelt sich verschwommen seine Vorderansicht in der Tür wider. Vielleicht gibt kein Bild so gut die sehr wahrscheinliche psychische Spaltung von Tony Blair wider, wie dieses doppelte Abbild auf seinen eigenen Memoiren.

biografische Quellen:

Blair, T. 2010: Mein Weg. Bertelsmann Verlag, München.

Collins, T. M. 2005: Tony Blair (Biography) , Lerner Pub Group, Minneapolis USA.

Mischler, G. 2005: Tony Blair. Reformer – Premierminister – Glaubenskrieger. Parthas Verlag, Berlin.

Sopel, J. 1996: Tony Blair: der Herausforderer. Quell Verlag, Stuttgart.

Freitag, 15. Oktober 2010

Gewalt gegen Kinder geht weiter zurück - Deutschland ist auf dem Weg

Ein gelegentlicher Besuch der Homepage des Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen lohnt sich immer. Dort fand ich jetzt die relativ aktuelle repräsentative Studie: „Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt“, die 2009 herausgegeben wurde.

Bezogen auf die Kindheit berichteten 42,1 % der Befragten über keinerlei gewalttätige, körperliche Übergriffe der Eltern. 42,7 % erlebten leichte körperliche Gewalt (eine runtergehauen, hart angepackt oder gestoßen und/oder mit einem Gegenstand geworfen). Insgesamt 15,3 % der Befragten geben an, vor ihrem zwölften Lebensjahr schwerer Gewalt (mit einem Gegenstand geschlagen, mit der Faust geschlagen/ getreten und/oder geprügelt, zusammengeschlagen) durch Elternteile ausgesetzt gewesen zu sein; von diesen können – laut Definition der Studie - 9 % als Opfer elterlicher Misshandlung in der Kindheit bezeichnet werden (S. 51ff)

Verglichen mit den etwas älteren Zahlen, die ich im Grundlagentext zur körperlichen Gewalt gegen Kinder in Deutschland zusammengestellt habe, sehen wir hier weiterhin einen deutlichen Fortschritt in der Kindererziehungspraxis. Bei Wetzels (1997) Befragung von Erwachsenen hatten nur 25,1 % keine Gewalt erlebt. Drei zitierte repräsentative Jugendstudien (jeweils 1992, 2002 und 2005) zeigten, dass ca. 30 % keine Gewalt erlebt hatten. Die obige aktuelle Studie zeigt nun, dass 42,1 % keine Gewalt erlebt haben. Damit ist Deutschland ganz weit vorne, wenn es um eine gewaltfreie Erziehung geht. Nur die Nordlicher (z.B. Schweden) dürften noch besser dastehen.

Die Studie zeigt auch: je mehr und je schwerere Formen elterlicher Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten wurden, desto höher sind die Gewalttäterraten unter den Jugendlichen. (S. 80)
Umgekehrt betrachtet dürfen wir also von einem Rückgang von Kriminalität in Deutschland ausgehen, da immer weniger Kinder geschlagen werden. Wenn man die psychohistorische Analyse mit einbezieht, birgt dieser Fortschritt in der Kindererziehungspraxis allerdings auch erheblichen Zündstoff. Die Gesellschaft wird sich immer schneller und komplexer entwickeln und weiter individualisieren, da die Kindheiten immer freier und friedlicher werden. Diejenigen Bevölkerungsteile, die weiterhin massive und häufige Gewalt oder auch häufig „leichte Gewalt“ erfahren haben, kommen - im Schnitt - durch den allgemeinen psychischen und gesellschaftlichen Fortschritt nicht mehr mit und die alten Ängste aus der Kindheit drohen zu erwachen. Wachstumspanik“ entsteht und muss durch das Finden von Feinden und Opferritualen eingedämmt werden.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang z.B. folgende Info: „Nach dem Bericht "Entwicklung der Gewaltkriminalität junger Menschen mit einem Schwerpunkt auf städtischen Ballungsräumen" der Bund-Länder-AG für die Innenministerkonferenz ist zwischen 1997 und 2006 zwar die Gesamtkriminalität der Jugendlichen um 4,3 Prozent trotz eines leichten Bevölkerungsanstiegs zurückgegangen, die Gewaltkriminalität ist hingegen um 15,6 Prozent gestiegen. Dabei stieg vor allem die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen an.“ (Heise-Bericht „Kriminalität geht zurück, Gewaltkriminalität von Jugendlichen steigt“)
Das nur als gedankliche Anregung.

Interessant finde ich auch, dass in Deutschland kontinuierlich die Anzahl von Selbstmorden abnimmt. siehe dazu hier: http://www.uke.de/extern/tzs/daten/Suizide1980_2005.html Da wohl gerade auch die häufigen und schweren Formen von Gewalt in der Kindheit kontinuierlich abnahmen, könnte man hier einen Zusammenhang herstellen.

Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Deutschland ist offensichtlich auf einem guten Weg, wenn auch dieser langsamer von statten geht, als es wünschenswert wäre. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland noch 89 % aller Kinder geschlagen, über die Hälfte mit Ruten, Peitschen oder Stöcken. Entsprechend erlebten wir extreme politische Gewalt und zwei Weltkriege. Das wahre Wunder ist, wie sich in Deutschland Stück für Stück die gewaltfreie Erziehung ausbreiten konnte und letztlich dies zu einer sicheren Demokratie führte.

Kürzlich hatte ich etwas über Kambodscha und den Massenmörder Dutch geschrieben. Einen Bericht aus dem Jahr 2007 der Kinderhilfsorganisation Plan Deutschland hatte ich wie folgt zitiert: „Leider ist Gewalt gegen Kinder in Kambodscha alltäglich, (…) In vielen Städten oder Gemeinden wird die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen von ihren Eltern täglich verprügelt. (…) Männer fühlen sich verpflichtet, für Ordnung in der Familie zu sorgen, und glauben, sie haben das Recht, ihre Frauen und Kinder zu verprügeln. Erschreckend viele Frauen teilen diesen Standpunkt.“ und hatte angemerkt: „Das ist ein erschreckend hohes Ausmass von alltäglicher Gewalt! Wir können gewiss davon ausgehen, dass die Kindererziehung in den 4oer und 50er Jahren in Kambodscha sogar noch um einiges schlimmer aussah.
Wenn in Gesellschaften ein Übermaß an schwerer Gewalt gegen Kinder herrscht, droht ein Umkippen in Chaos, Mord und Krieg. Das ist die Lektion, die wir hier aus den Zahlen und aus der Geschichte lernen können. Wenn wir Fortschritte in der Kindererziehungspraxis gezielt fördern, gerade auch in den Konfliktregionen dieser Zeit, dann werden wir viel erreichen können. Dann werden wir sehen, wie sich diese Konfliktherde Stück für Stück abkühlen und zur Ruhe kommen werden. Das entsprechende Kapital dafür wäre da (leider wurde es vom Westen für unnütze Kriege verschwendet). Was fehlt ist das Bewusstsein und der Wille diese Zusammenhänge zu sehen und anzugehen. Dabei ist es nur eine Frage von Zeit, bis beides sich entwickeln wird. Ich denke, dass die Thesen dieses Blogs und der Psychohistorie in 10 oder 20 Jahren ein ganz anderes Gewicht haben werden, als dies heute der Fall ist. Insofern bin ich gespannt auf die Zukunft!

Montag, 11. Oktober 2010

80 tote Iraker wurden nicht ermordet!

Ein Soldat wird zum Mörder“ betitelt ein ZEIT Autor seinen aktuellen Artikel über den amerikanischen Unteroffizier John Hatley. Zu 40 Jahren Haftstrafe ist der Soldat verurteilt worden, weil er vier gefangene, wehrlose Iraker (mutmaßliche Schützen) hat erschießen lassen bzw. auch selbst mit schoss:
Die Patrouille fährt mit den Gefangenen an einen abgelegenen Kanal, es ist bereits dunkel. Von 13 Soldaten steigen nur Hatley und die beiden anderen Unteroffiziere aus den Fahrzeugen. Sie zerren die Iraker heraus und lassen sie niederknien. Hatley schießt zwei der Männer mit seiner Dienstwaffe in den Hinterkopf. Die beiden anderen Unteroffiziere feuern auf die anderen. Weil einer nicht sofort tot ist, schießt Hatley ihm zweimal in die Brust. Er lässt die Leichen in den Kanal werfen.

Hatley hat vor seiner Tat, so ist zu lesen, bereits über 80 Iraker „legitim“ getötet. Vielleicht hätte er dafür eine Auszeichnung bekommen, wäre da nicht dieser kleine „Zwischenfall“ gewesen. Menschen, die im zivilen Leben 10, 20 oder 30 Menschen umbringen, werden von uns als Soziopathen bezeichnet, als Wahnsinnige. Ein normaler Soldat kann 80 und mehr Menschen umbringen, danach wird er mit offenen Armen zu Hause willkommen geheißen: „Good Job!“ Ein US-Präsident kann als oberster Führer für den Tod von hundertausenden Menschen verantwortlich sein. Er wird seine Pension bekommen und niemand wird ihn von offizieller Seite aus als geisteskrank bezeichnen oder gar ins Gefängnis bringen.

und 80 tote Iraker wurden nicht ermordet.“ hätte der Untertitel des Artikels lauten können. Wie auch die mehreren hundertausend anderen Iraker und Irakerinnen wohl nicht ermordet wurden… Man muss zu Recht fragen, wenn man dem Verlauf und der „Logik“ des Irakkrieges folgt, warum nun gerade John Hatley abgeurteilt wurde? Unzählige Menschen starben und sterben in diesem Land, Unschuldige und „Schuldige“. Unzählige US-SodatenInnen waren und sind für das Töten verantwortlich. Keiner wird dafür zur Verantwortung gezogen.
Mindestens 250.000 Irakis starben Anfang der 90er Jahre im zweiten Golfkrieg auf Grund der US-Bombardements. Rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, sind danach den Folgen der Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen. Wer in den 90er Jahren Kind oder Jugendlicher war, wer seine Geschwister, seine Eltern, seine Tanten und Onkels, seine Nachbarn und Schulfreunde hat sterben sehen, der ist heute Erwachsen und in der Lage, eine Waffe in der Hand zu halten. Ich frage mich, wie konnte die US-Führung in Anbetracht dieser Vorgeschichte davon ausgehen, dass sie jemals als Befreier gefeiert werden würde? Sie wussten es besser. Sie wussten, dass der Irak ein großes Schlachtfeld werden würde. Sie wussten, dass sie sich mit ihrer Armee in ein Wespennest setzen würden. Und sie wussten, dass sie viele „gute Feinde“ finden und viele Irakis töten würden. Das große Opferritual war geplant und gewollt, wenn wohl auch nicht auf den Strategieplänen der US-Planer, so wohl eher im kollektiven Unbewussten der psychisch gespaltenen Akteure. Irakis mussten sterben, weil unzähligen US-Amerikanern als Kind erhebliche Gewalt durch ihre Eltern angetan wurde. Das ist kein Wahn, sondern das ist die Realität. Wahnsinnig ist, wenn jemand, der über 80 Menschen tötet, dafür weder bestraft, noch als emotional gestört angesehen werden kann.

Samstag, 9. Oktober 2010

Kindheit von Stalin - eine erstaunliche Biographie

Kürzlich las ich etwas in einer weiteren Stalin Biographie: Kellmann, K. 2005: Stalin. Eine Biographie. Primus Verlag, Darmstadt.
Zu meinem Erstaunen lauteten die ersten Sätze dieser Biographie wie folgt:
Nicht nur der Vater, auch die Mutter schlug ihn. Körperliche Misshandlungen, Jähzorn und Gewalt müssen zu den ersten Wahrnehmungen im Leben jenes Menschen gehört haben, der sich später Stalin nannte.“ (Kellmann, 2005, S. 9)
Ich habe so einige Biographien über Diktatoren und politische Führer in den Händen gehalten. Alle fingen mit großen Ausschweifungen über den Geburtsort, Herkunft, Geschwister, Großeltern, Schulausbildung usw. usf an. Erst im Laufe des Textes fand ich dann ggf. hier und da vereinzelte Hinweise zur familiären Gewalt. Dass ein Biograph gleich mit der Misshandlungsgeschichte eines Diktators beginnt, ist ganz und gar außergewöhnlich! Dadurch betont er ganz klar, wie wichtig er diese Erfahrungen offensichtlich für das Leben von Stalin empfindet. Aber, jetzt kommt mein zweites Erstaunen: Im weiteren Textverlauf zur Herkunft und Kindheit von Stalin kommt kein Wort mehr zu dieser Gewalt im Elternhaus dazu. Auch keine Anmerkungen oder Gedanken, wie diese Erfahrungen Stalin geprägt haben könnten. Da reiht sich der Biograph Kellmann dann wieder ein in die Reihe der Anderen. Ganz erstaunlich, wirklich. Einen solchen krassen Widerspruch habe ich bisher in keinem anderen Text gefunden. Zumindest werde ich Kellmann im Grundlagentext über Stalin aufnehmen, da diese Biographie eine weitere Quelle für Stalins gewaltvolle Kindheit darstellt.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Terrorwarnungen. Vor wem müssen wir Angst haben?

Die USA warnen derzeit vor Reisen nach Europa. Es gäbe Hinweise auf geplante Terroranschläge.

Mein erster Gedanke dazu: Merkwürdig, dass diese Nachricht gerade jetzt kommt. Der Afghanistan Krieg zeigt sich immer mehr als eine Sackgasse in Richtung Eskalation und mehr Toter auf beiden Seiten. Die politische Führung steht unter Druck. Macht es da nicht „strategisch“ Sinn, mal wieder lautstark über das Schüren von Angst daran zu erinnern, dass unsere Freiheit in diesem fernen Land verteidigt würde und es um den Schutz vor Terroranschlägen ginge? Und dann wird gleich die Nachricht hinterhergeschossen, man habe in Nord-Waziristan per Mausklick äh Drohnenangriff mehrere deutsche Islamisten getötet und dadurch Anschlagsplanungen vereitelt.

Fest steht, dass es eine ständige, unkonkrete Gefahr von Anschlägen in Deutschland gibt. Genauso wie dies weiterhin natürlich auch für die USA und andere an derzeitigen Kriegen beteiligten westlichen Staaten gilt. Fest steht auch, dass diese aktuellen, durch westliche Länder verantworteten Kriege die Gefahr von Terroranschlägen wesentlich erhöht haben dürften. Fest steht ferner, dass der Westen bisher wirklich sehr viel Glück hatte! Insbesondere die USA haben sich ja als immenses Feindbild für alle möglichen Fanatiker aufgebaut. Trotzdem gab es seit 2001 keine islamistischen Anschläge (bis auf den Versuch am Times Square) mehr in den USA. Eigentlich fast ein Wunder. Müssen wir jetzt Angst haben? Und wenn vor wem?

Wenn man sich vor Augen führt, dass durch die Anschlagsserie vom 11. September ca. 3000 Menschen auf amerikanischem Boden starben, durch die kriegerische Reaktion der USA allerdings mehrere hunderttausend Menschen außerhalb der USA ihr Leben verloren, dann habe ich erlichgesagt mehr Angst vor eben dieser möglichen Reaktion auf zukünftige Terroranschläge.

Freitag, 1. Oktober 2010

2 Jahre kriegsursachen.blogspot.com - Zwischengedanken

Seit Oktober 2008 ist dieser Blog mittlerweile online. Mein Hauptanliegen war damals wie heute der Erhalt und die Verbreitung meines Grundlagentextes. Dort steht im Grunde alles, was für mich wichtig zu dem Thema ist. So richtig zur Ruhe bin ich allerdings nicht gekommen. Vor allem die Arbeiten von Lloyd deMause haben noch mehr Fragen aufgeworfen, die ich mir beantworten möchte. Mein Grundlagentext entstand ursprünglich, ohne dass ich deMause groß zur Kenntnis genommen hätte. Sein Buch „Das emotionale Leben der Nationen“ war für mich später noch mal in vielem ein Aha-Erlebnis. Und so werden wir alle sehen, wo mich die Reise hinführt. Ich habe noch einige große Themen als Ziel im Hinterkopf, auf die ich zugehe. Ich vermute aber auch, dass ich irgendwann an einen Punkt kommen werde, wo es nicht mehr groß weitergeht. Schließlich habe ich heute nicht mehr die Möglichkeiten und die Zeit, die ich früher noch als Student hatte. Ich kann mich nicht mehr auf etliche Bücher und Studien stürzen. Insofern sehe ich zukünftig diesen Blog eher als gedankliche Anregung für andere am Thema Interessierte und als Anregung zur weiteren Forschung.

Ein klares Ziel habe ich erreicht. Jeder, der sich per Googel mit Krieg und seinen Ursachen beschäftigen will, hat eine gute Chance, auf meinen Blog zu stoßen :-).
Aktuelle Googelabfrage nach folgenden Suchwörtern, auf die mein Blog angezeigt wird:

Kriegsursachen: Platz 5
Krieg Ursachen Afghanistan: Platz 3
Krieg Ursachen Irak: Platz 11 und 12
Kindheit Krieg: Platz 10
Kriegsursachenforschung: Platz 18
Kindheit George w. Bush: Platz 10

Momentan pendelt die tägliche Besucherzahl zwischen 35 und 50. Die häufigsten Suchanfragen kommen durch Abfragen zu den Ursachen des Afghanistankrieges. Viele Rückmeldungen bekomme ich nicht. Ich hoffe allerdings, dass ich mit diesem Blog einiges bewegen kann und die Menschen auch mal in diese Ecke der Kriegsursachenforschung schauen.

gewaltvolle Kindheiten in den USA - Beispiel "Paddeln" von SchülerInnen

In Anbetracht unzähliger aktueller und auch vergangener Kriege (sowohl direkter, als auch stellvertretend geführter), in denen die USA verwickelt war, möchte ich jetzt im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten einen kurzen Blick auf die Kinderziehungspraxis in diesem Land werfen. Es ist eine schwierige Angelegenheit, etwas in dieser Hinsicht über dieses Land zu schreiben, das so unendlich groß und vielschichtig und das darüberhinaus ein Einwanderungsland ist. Dem Thema gerecht werden kann ich hier nur bedingt.

Kürzlich stieß ich allerdings auf zwei Artikel auf SPIEGEL-Online, die mich wirklich erschreckt haben. Mir war bereits bekannt, dass in den USA die Prügelstrafe an Schulen in vielen Bundesstaaten nicht verboten ist. Ich hatte in dieser Hinsicht allerdings bisher nicht weiter recherchiert. Ich muss gestehen, dass ich davon ausgegangen bin, dass dieses „fehlende Verbot“ in dieser westlichen Demokratie heute kaum oder keine Konsequenzen für die amerikanischen SchülerInnen haben würde. Gerade die US-AmerikanerInnen sind ja bekanntlich auch recht klagefreudig und verteidigen ihre Rechte vor Gericht um alles Erdenkliche (manchmal auch Übertriebene und Absurde). Ich wurde eines besseren belehrt…

In fast der Hälfte der US-Staaten dürfen LehrerInnen ihre SchülerInnen schlagen. Und sie tun es auch, am liebsten mit Holzpaddeln aufs Gesäß. Eine Studie verzeichnet 200.000 Fälle jährlich, meist in den Südstaaten, berichtet SPIEGEL-Online in einem Artikel aus dem Jahr 2008. Die geschlagenen Schüler waren zwischen 3 und 19 Jahren alt. Schwarze Mädchen traf es doppelt so häufig wie weiße Mädchen. Jungs werden dreimal so häufig geschlagen wie Mädchen; bei Kindern indianischer Herkunft langten LehrerInnen ebenfalls besonders häufig zu. Begründungen für die Körperstrafe sind z.B. heimliches Rauchen, sich geküsst haben, während des Unterrichts unerlaubt im Gang herum stehen, Kaugummi gekaut oder den Unterricht gestört haben. Führend im Schlagen ist der Staat Mississippi. Dort werden etwa 7.5 % der SchülerInnen von ihren LehrerInnen geschlagen! Aber auch Texas hat einen führenden Negativplatz mit ca. 50.000 Fällen pro Jahr.

In einem anderen SPIEGEL Artikel wird das "Paddeln" beschrieben: „Das gefürchtete Instrument ist rund einen Meter lang, aus Holz und ähnelt einem Paddel. Mit Wucht auf den Hintern geschlagen, hinterlässt es Striemen oder sogar Blutergüsse. Zur Züchtigung müssen sich Schüler nach vorne beugen - eine ebenso schmerzhafte wie erniedrigende Prozedur.“ Und DER SPIEGEL zitiert Zahlen aus dem Jahr 2000. In Mississippi wurden damals noch 9,8 % der SchülerInnen geschlagen. Auf den weiteren Plätzen folgen Arkansas mit 9,1 %, Alabama mit 5,4 % und Tennessee mit 4,2 %. Hier zeigt sich am Beispiel von Mississippi, dass die Rate ansteigt, wenn man weiter zurückschaut.

Dass die Gewalt im historischen Rückblick ansteigt, zeigt auch ein weiterer Bericht: 1980 wurden nach Angaben des US-Bildungsministeriums landesweit 1.415.540 Schüler geprügelt. 1990 waren es noch 613.514 und im Jahr 2000 342.038. (vgl. Stern.de, 13.08.2004: "Prügelstrafe für US-Schüler")

Es ist unglaublich, was in den USA heute noch an offener institutioneller Gewalt stattfindet. Dies an einem Ort, an dem die neue Generation sozialisiert und auf das Leben vorbereitet werden soll. Die Lektion ist Gewalt. Auch die nicht-geschlagenen Schülerinnen werden diese Lektion verinnerlichen. Indem sie z.B. ein besonders angepasstes Verhalten an den Tag legen, um nicht Ziel des „Paddelns“ zu werden. Und natürlich lernen sie, dass Gewalt ein toleriertes Mittel der Konfliktlösung ist. Auf einem Bild im SPIEGEL Artikel ist auch ein Lehrer zu sehen, der einen Schüler vor der Klasse „paddelt“. Im Hintergrund lachen einige Schüler darüber. Hier ist die Lektion: „Der Schmerz des Anderen macht mich glücklich, denn nicht ich, sondern er ist das Opfer.“ Dazu kommt, dass auch die Zeugen von Misshandlungen mittelbar Opfer werden. Das zeigt die Forschung über häusliche Gewalt. Es hinterlässt tiefe Spuren bei Kindern, wenn Andere vor den eigenen Augen gequält und in ihrer Würde verletzt werden. Im o.g. Stern-Bericht wird ein ehemaliger Schüler, der verprügelt wurde, zitiert: "Das Schlimmste ist nicht der Schmerz, sondern die Erniedrigung. Es ist ganz einfach ein unmenschlicher Akt."

Für mich sind diese Berichte Motivation genug, die Gewalt gegen Kinder in den USA weiter zu beleuchten. Ich werde zukünftig Stück für Stück die Infos über dieses Land zusammentragen, die ich finden kann. Anfangen möchte ich mit folgender Info:

Die internationale UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ (2003) zeigt, dass in den USA im Vergleich zu den meisten anderen Industrienationen mehr Kinder auf Grund von Misshandlungen/Vernachlässigung sterben. Insgesamt wurden 26 Nationen ausgewertet. Die USA kommen in einer bereinigten Tabelle auf Platz 23 mit 2,4 Todesfällen auf 100.000 Kinder. In Deutschland sind es zum Vergleich 0,8 Todesfälle. In Norwegen, Irland, Italien, Griechenland und Spanien liegen die Raten sogar alle unter 0,3. „Hängt das Risiko von Misshandlungen mit dem allgemeinen Ausmaß von Gewalt in der Gesellschaft zusammen?“ wird in einer Zusammenfassung der o.g. Studie in deutscher Sprache gefragt. „Diese Frage beantwortet die Studie mit ja. So haben die Länder, mit den wenigsten Todesfällen bei Kindern aufgrund von Misshandlungen und Vernachlässigung auch die wenigsten Mordfälle unter Erwachsenen. Umgekehrt weisen die drei Länder mit den meisten Kindestötungen – USA, Mexiko und Portugal – auch die höchsten Mordraten an Erwachsenen auf.
Ich kann mir hier natürlich nicht verkneifen, die obige Frage auch umzudrehen: Hängt das Risiko von Gewalt in der Gesellschaft (wie z.B. hohe Mordraten und häufige Kriege) mit dem allgemeinen Ausmaß von Kindesmisshandlungen zusammen? Die Frage würde ich natürlich mit Ja beantworten.


Siehe ergänzend auch: UNICEF Bericht zum Wohlergehen der Kinder in Industrieländern Hier landeten die USA auf den vorletzten Platz im Ranking!

Freitag, 24. September 2010

Astrid Lindgren. Verlinkung ihrer Dankesrede "Niemals Gewalt!"

Astrid Lindgrens Dankesrede „Niemals Gewalt!“ bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 1978 habe ich ab sofort in die Linkliste aufgenommen (das hätte ich schon viel früher machen sollen). Ein Jahr bevor die bedeutenden Bücher von der Kindheitsforscherin Alice Miller „Das Drama des begabten Kindes“ (1979) und zwei Jahre bevor „Am Anfang war Erziehung“ (1980) herauskamen, nannte die Kinderbuchautorin Lindgren all die Dinge beim Namen, mit denen sich später Miller und andere intensiv und forschend befassten. Ihre Rede ist heute noch so aktuell wie 1978 und ein großer Wink in eine mögliche, friedlichere Zukunft durch eine friedlichere, liebevolle Erziehung. Man muss kein Psychoanalytiker oder Psychohistoriker sein, um die tieferen Ursachen von Gewalt und Krieg klar und deutlich erkennen zu können. Es genügt manchmal auch, eine einfühlsame Kinderbuchautorin zu sein, die sich mit Kindern auskennt und die ohne Angst auf ihre eigene Kindheit zurückblicken kann.

Lindgrens Rede bewegt mich immer wieder, wenn ich sie lese. Ich würde mir wünschen, dass ihre Rede weiterhin oft und von vielen Menschen gelesen wird.


Siehe ergänzend auch:

Kindheit von Astrid Lindgren

Astrid Lindgrens Position: Niemals Gewalt!

Donnerstag, 23. September 2010

Kambodscha. Als Massenmörder wird man nicht geboren

Im aktuellen Amnesty Journal (10/11 2010) wird über den Massenmörder Kaing Guek Eav alias "Duch" berichtet. "Duch" führte während der Gewaltherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha das Gefangenenlager S 21, wo über 15 000 Menschen brutal ermordet wurden. Er ist bereits zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Psychologin Françoise Sironi erstellte ein psychologisches Gutachten über diesen Verbrecher und gab dem Amnesty Journal unter dem viel vielversprechenden Titel „Im Kopf eines Massenmörders“ (online zu sehen auf der österreichischen AI Homepage) ein Interview. Vielversprechend deshalb, weil ich mich schon länger frage, warum eine Organisation wie Amnesty International nicht auch über tiefere, psychologische Ursachen von Terror, Folter und Krieg im Zusammenhang mit Kindheitserfahrungen etwas veröffentlicht. Ist es doch in ihrem Interesse, den Menschenrechtsverletzungen entgegenzutreten. Leider wurde ich enttäuscht, was den Inhalt des Interviews angeht.

Wie ist es zu erklären, dass ein einfacher Familienvater solche Bluttaten beging?“, fragt das Amnesty Journal.
Antwort der Psychologin: „Wie bei den anderen Verbrechern gegen die Menschlichkeit befinden wir uns nicht in einer normalen Dimension der Pathologie. Wir müssen über die normale, individuelle Psychologie hinausgehen, um zu verstehen, welche Ereignisse des kollektiven Lebens diese Leute geprägt haben. Bei Duch waren mehrere solche Ereignisse ausschlaggebend. Er hat eine ganze Reihe von Akkulturationsphasen durchlaufen, die oft mit erniedrigenden Erfahrungen verbunden waren. Während seiner Jugend fühlte er sich wegen seiner chinesischen Herkunft abgewertet, danach prägte ihn die Konfrontation mit der französischen Kultur und schliesslich der Kommunismus. Als Zweites berücksichtigten wir seine Laufbahn im politischen Apparat der Khmer. Denn man kommt nicht als Pei¬niger zur Welt, man wird zu einem solchen gemacht.“
Was sagt uns diese Antwort? Im Grunde nichts halbes und nichts ganzes. Was meint sie mit „erniedrigenden Erfahrungen“? Im nächsten Satz wird ausgeführt, dass er sich auf Grund seiner chinesischen Herkunft abgewertet fühlte. Wird man deshalb gleich zum Massenmörder? Ach ja, da kommt noch die Überforderung mit der französischen Kultur, sein Weg in den Kommunismus und sein „beruflicher“ Aufstieg. Ich denke, wir müssen uns Kaing Guek Eav und seine Taten an dieser Stelle noch mal etwas genauer anschauen.

"Wir sahen überall Feinde, Feinde, Feinde", wird er vom SPIEGEL zitiert. Wie viele Menschen alleine in seinem Lager ermordet wurden, habe ich oben bereits erwähnt. „Und es kam so weit, dass er sich als Gott des Bösen sah“ , sagte Youk Chhang, der Direktor des Documentation Center of Cambodia, über „Dutch“. „In Choeung Ek, den Killing Fields nahe Phnom Penh, in denen Henker aus S-21 die Gefangenen zu Tausenden mit der Hacke erschlugen, pflegte Duch im schwarzen Pyjama am Rand zu sitzen und die Massenhinrichtungen zu beobachten.“ (der Freitag, „Gott des Bösen“)
In einem Memo fragte ein Wärter an, was mit sechs Jungen und vier Mädchen geschehen solle, die als Verräter verdächtigt wurden. „Töten bis zum letzten Mann“, vermerkte der Gefängnischef auf dem Blatt. (vgl. focus, „35 Jahre Haft für Folterchef“)
Kleinkinder wurden in dem Lager mit dem Kopf voran gegen einen Baum (genannt „Todesbaum“) geschleudert, die Erwachsenen mit Eisenstangen totgeschlagen; Duch wollte Kugeln sparen, berichtet der SPIEGEL unter dem Titel „HOLOCAUST ALS KARRIERE“. Die Unfähigkeit zur Mitmenschlichkeit, das Fehlen jeder Empathie und der Bruch jeder moralischen Norm wird ihm laut dem Bericht attestiert. Der SPIEGEL vergleicht außerdem "Duch" und Eichmann und fragt: „Was lässt einen Menschen so verrohen wie diesen Duch, der in seinem Tagebuch sieben Zeilen Bedauern über den ungewollten Tod einiger Hühner zu Papier bringt, aber das durch Folter forcierte Ende von 14 Gefangenen nur mit zwei Zeilen würdigt? Was hat einen Eichmann so unempfindlich gegenüber dem Leid seiner Mitmenschen gemacht? Gängige Erklärungsmuster greifen bei den beiden nicht. Sie wuchsen weder verwahrlost auf, noch hat sie die Gesellschaft in Jugendjahren mit Ungerechtigkeiten gebrandmarkt, die ihre Moralvorstellungen zusammenbrechen lassen mussten. Eichmann erhielt eine christliche Erziehung in einer Mittelklasseumgebung, Duch wurden von seinen einfachen, aber rechtschaffenen Eltern buddhistische Ideale wie Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe eingeimpft.
Für mich sind diese Ausführungen des SPIEGEL absolut unverständlich. Glaubt jemand ernsthaft, dass ein Kind, das liebevoll erzogen und dem zusätzlich „buddhistische Ideale wie Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe eingeimpft“ wurden, später zu einem Menschen a la „Dutch“ werden kann? Immer wieder tauchen solche Gedankengänge auf, bei uns zu letzt auch über den Amokläufer Tim K. Für mich ist das so, als ob jemand behauptet, wenn ich einen Stein fallen lasse, würde die Schwerkraft außer Kraft gesetzt und er würde über dem Boden schweben. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, wird kein Folterknecht, der Menschen wie Fliegen sadistisch umbringt. Eine traumatische Kindheit muss auch bei „Dutch“ das Fundament gewesen sein, auf dem seine „Karriere“ aufbaute.
Oftmals werden heutigen Folterern durch gezielte Traumatisierung in der Grundausbildung mögliche restliche Gefühle bzw. ihr Mitgefühl gänzlich abtrainiert. Dazu hat die Sonderabteilung „ai-Aktionsnetz für Heilberufe“ von Amnesty International zwei sehr informative Texte auf ihrer Homepage veröffentlicht, die ich schon im Grundlagentext z.T. zitiert habe: Traumatisierungsvorgänge bei der Foltererausbildung.
und Demütigung und Destruktivität: Folterer- und Spezialsoldatenausbildung in psychopolitischer Perspektive.
Auch hier wird klar, dass ein Folterer über eine stark gespaltene Persönlichkeitsstruktur verfügen muss, damit er überhaupt zu seinen Taten fähig wird. Auch "Duch" wurde unter der früheren Regierung auf Grund seiner Mitgliedschaft in einer Guerillagruppe verhaftet und gefoltert, wie der Focus berichtet. Diese eigenen Ohnmachts-/Traumatisierungserfahrungen während der Folter kumulieren sich dann zu einer explosiven Masse. (Wobei ich davon ausgehe, dass nicht jeder Folterer auch selbst in Haft oder Ausbildung gefoltert wurde. Das, was Kinder in ihren Familien erleben, kann leider oftmals ohne weiteres auch als Folter bezeichnet werden. Diese "Grundausbildung" kann dann schon ausreichen, um voller Hass auf andere Menschen zu sein.)

„Dutch“ sprach auch von einem "reinigende Blutbad", so der o.g. SPIEGEL Bericht. Die Psychologin Françoise Sironi sprach im AI Interview davon, dass „Duch“ die getöteten Menschen als quasi „rituelle Opfer“ ansah. Diese Sprache verrät etwas über die emotionalen Ursachen. Dass Kriege eine Art Reinigungsritual oder Opferritual darstellen, darauf verweist ja vor allem die psychohistorische Analyse immer wieder. DeMause schrieb z.B. „Krieg ist ein Opferritual, dazu bestimmt, Angst vor Individuation und Verlassenwerden abzuwehren, indem unsere frühen Traumata an Sündenböcken wiederaufgeführt werden.“
In einem Bericht aus dem Jahr 2007 der Kinderhilfsorganisation Plan Deutschland steht: „Leider ist Gewalt gegen Kinder in Kambodscha alltäglich, (…) In vielen Städten oder Gemeinden wird die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen von ihren Eltern täglich verprügelt. (…) Männer fühlen sich verpflichtet, für Ordnung in der Familie zu sorgen, und glauben, sie haben das Recht, ihre Frauen und Kinder zu verprügeln. Erschreckend viele Frauen teilen diesen Standpunkt.“

Das ist ein erschreckend hohes Ausmass von alltäglicher Gewalt! Wir können gewiss davon ausgehen, dass die Kindererziehung in den 4oer und 50er Jahren in Kambodscha sogar noch um einiges schlimmer aussah. („Duch“ wurde im Jahr 1942 geboren)
Als Pol Pots Truppen 1975 die Macht übernahmen, begann die schlimmste Zeit in der Geschichte Kambodschas, in der zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt durch die Roten Khmer umgebracht wurden - die Schätzungen schwanken zwischen einer und zwei Millionen Opfern. (vgl. planet-wissen.de, 01.06.2009, ) „Duch“ war dabei letztlich nur einer unter vielen brutalen Mördern. Wie sagte er noch: "Wir sahen überall Feinde, Feinde, Feinde!“ „Kriege sind klinische emotionale Störungen, kollektiv psychotische Episoden von wahnhaft erzeugter Schlächterei“ zitierte ich deMause bei der Definition von Kriegen. In Kambodscha führten die Menschen in den 70er Jahren ganz offensichtlich ihre frühen Traumata wieder auf. Die ganzen bekannten Ereignisse von damals kann man nur mit dem Wort Wahnsinn bezeichnen.

Freitag, 10. September 2010

George W. Bush: war "feels good"

19. März 2003, 22.15 Uhr, Washington:
Bush ballt Hand zur Siegesfaust, sagt "feels good!". Dann verkündet er der Nation, dass der Krieg begonnen hat. Amerika ist am Ziel. Die ersten Bomben fallen auf Bagdad.“ Das sind die Schlussworte aus dem Stern Artikel „Die Kriegslüge“ vom 11.03.2004, einer der besten Artikel, den ich bisher zu dem Thema gelesen habe. Der Krieg war das feste Ziel, der Weg dahin wird im Artikel haarklein aufgezeigt. Er bestand aus gezielten Lügen, Druckausübung auf Mitarbeiter, Wegesehen, Umdichten, Schaffung von „Realitäten“ usw. (was ja vielen schon bekannt sein dürfte) und vor allem aus einer Eskalationsstrategie in der Sprache über den Irak gegenüber dem eigenen amerikanischen Volk. Saddam Hussein musste als böses Monster aufgebaut werden, damit die AmerikanerInnen dem Krieg folgen würden. Dies gelang, wie wir alle wissen, in Perfektion.

Im Stern Artikel kam auch immer wieder auf dem Weg zum Krieg zur Sprache, dass einzelne interne Mitarbeiter aus Beraterkreisen, Geheimdiensten usw. es kaum glauben konnten, was die Führungsspitze da aufbaute und von sich gab. Vielen war klar, dass der Irak keine Gefahr für die USA darstellte. Viele schwiegen, obwohl sie den Wahnsinn kommen sahen. Als Deutsche wissen wir nur zu gut um diese Prozesse. (Ich erinnere an dieser Stelle auch an das Kapitel "Das einst misshandelte Volk identifiziert sich mit dem Aggressor" im Grundlagentext)

Je mehr ich mich mit dem Irakkrieg und George W. Bush beschäftige, desto mehr wird mir klar, dass dieser Weg zum Krieg in der Tat sehr viel etwas mit totalem Realitätsverlust und Wahnvorstellungen zu tun hatte. Die amerikanische Führung war kriegslüstern und das Volk folgte ihnen bereitwillig, ohne irgendetwas von dem, was da vor sich ging, kritisch zu hinterfragen.
Für Krieg und Wohlstandsreduzierung war George W. Bush auch gewählt worden. Kurz nach seinem Wahlsieg sagte er am 14. Juni 2001 zum schwedischen Premierminister Göran Perrson: „Irre, dass ich gewonnen habe. Ich trat an gegen Frieden, Wohlstand und gegen den Amtsinhaber.“ (Original: „It was amazing I won. I was running against peace and prosperity and incumbency.“) Bush hatte nicht bemerkt, dass eine Fernsehkamera noch lief. Deutlicher kann man nicht werden.

Für mich persönlich ist die Rückschau auf diesen Krieg immer noch auch ein Stück weit Aufarbeitung und Verarbeitung. Dass dieser Wahnsinn im 21. Jahrhundert möglich war, hat mich zutiefst schockiert. Dass ein ähnlicher Wahnsinn weiterhin in Afghanistan stattfindet, schockiert mich weiterhin.

Ich bin mir sicher, dass ein geschickter Analytiker, der sich mit den Ereignissen und Reden dieser Zeit beschäftigen würde, sehr klar den emotionalen Gehalt des Krieges und dessen Vorbereitung herausstellen könnte. Überall finden sich Hinweise darauf. Man könnte wahrscheinlich ein ganzes Buch dazu schreiben.

Auf zwei Dinge möchte ich in diesem Zusammenhang hier noch hinweisen. Bush besuchte am 11. September 2001 eine Grundschule in Florida - als er von dem zweiten Flugzeug erfuhr, das im World Trade Center eingeschlagen war. „Ein zweites Flugzeug hat den zweiten Turm getroffen. Amerika wird angegriffen.“, flüsterte ihm ein Mitarbeiter zu. Wie versteinert saß er ca. 7 Minuten da und tat gar nichts. Dies brachte ihm viel Spott ein. Viele fragten sich: Was dachte er in diesen Minuten?
Viele scheinen nichts über die traumatische Kindheit von George W. Bush zu wissen. Wenn man darum weiß, dann könnte man diese „7 Minuten Starre“ auch als eine Retraumatisierung deuten, während der Bush wieder in die alte Ohnmacht und Schockstarre aus seiner Kindheit zurückfiel. Ein extremer Angriff von Außen fand statt, gleichzeitig wiederholten Kinderstimmen eintönig die Vorgaben der Lehrerin in der Grundschulklasse. (auf youtube kann sich jeder das Video ansehen). Es hat etwas sehr symbolisches, dass Bush gerade zu diesem Zeitpunkt in Mitten von Kindern saß...

„feels good!" sagte George W. Bush, als er den Beginn des Krieges verkündete (siehe oben). Das alleine sagt im Grunde schon alles. Mit emotionaler Freude wurde in der Geschichte immer und immer wieder auf den Beginn von Krieg von Menschen reagiert. Kaum ein Forschender hat sich bisher wirklich gefragt, was das auf sich hat. Warum sich Menschen auf das Töten anderer Menschen freuen und auch auf den evtl. eigenen Tod. (siehe dazu z.B. auch den Beitrag „Krieg der Kindergangs“ ) Vielmehr folgt die Rationalisierung von Kriegen in der späteren Analyse (siehe meine vorherigen Beiträge zum vermeintlichen Ölkrieg, der aber gar keiner war). Da muss dringend ein Umdenken stattfinden. Es muss klar werden, dass einzelne Menschen wie z.B. Bush aber auch Nationen sich auf Grund traumatischer Kindheitserfahrungen „schlecht fühlen“, dass ein gesellschaftlicher und ökonomischer Fortschritt dieses „sich schlecht fühlen“ noch (bis ins unerträgliche) verstärkt und sie sich dann endlich „gut fühlen“, wenn sie etwas großes zerstören können, wenn ein deutlicher Feind gefunden wurde, wenn Menschen sterben und die Wirtschaftskraft zurückfällt.

Freitag, 3. September 2010

"Blut für Öl These" als Scheuklappe

Der Friedensforscher Daniele Ganser spricht aktuell im FOCUS-Online-Interview („Der Kampf ums Erdöl hat schon begonnen“) „über den Erdölrausch der Nachkriegszeit und Kriege um Rohstoffe“:

Meiner Meinung nach hat der Kampf ums Erdöl schon begonnen, obschon nicht öffentlich von „Peak Oil Kriegen“ gesprochen wird, das ist tabu. (…) nehmen Sie den Angriff auf den Irak durch die USA und Großbritannien im März 2003, das ist für mich ein klarer Erdölbeutezug. Der Irak besitzt die drittgrößten Erdölreserven der Welt. Die Produktion in den USA und Großbritannien bricht ein. Gegenüber der Öffentlichkeit hat man als Kriegsgrund von Massenvernichtungswaffen gesprochen, aber das waren alles Lügen, wie man heute weiß. (..) Als Historiker halte ich es für dringend notwendig, dass der Terror vom 11. September im Kontext von Ressourcenkriegen und Peak Oil analysiert wird.

Überall finden sich solche Thesen und Aussagen, in Medien, Büchern, auf Homepages der Friedensbewegung und in Kommentaren. Dabei kann sich jeder, der etwas Zeit investiert, vom genauen Gegenteil überzeugen. Die Informationen sind allen im Internet frei zugänglich. Aktuell habe ich dazu ja einen Beitrag geschrieben und die These vom Krieg ums Öl widerlegt.

Wir brauchen scheinbar einen Grund für Krieg. Es wäre für uns Menschen schwer zu ertragen, wenn ein so einschneidendes Ereignis wie Krieg keinen Grund, keine Ursachen hätte. Wenn der Krieg „einfach so“ stattfindet, weil er unweigerlich zu unserer Spezies gehört, wie das Atmen von Luft. Das wäre unerträglich, übrigens auch für mich. Die Forschenden suchen nach Gründen, im Irak vor allem am Beispiel vom Öl. Dabei ist es so offensichtlich, dass es hier eben nicht um Öl ging. Doch was wäre der nächste Schritt? Was wenn die Forschenden auch zu dieser Einsicht kämen? Dann müsste nach anderen Ursachen gesucht werden. Massenvernichtungswaffen? Eine Lüge von Anfang an! Der 11. September? Da hatte der Irak schier gar nichts mit zu tun! Die Luft würde dann immer dünner. Bliebe noch eine Analyse von sicherheitspolitischen Interessen der USA. Doch der Krieg scheint die zukünftige Sicherheit der USA eher gefährdet zu haben, da spätestens jetzt wirklich jeder muslimische Fanatiker die USA als Feindbild lieb gewonnen hat.

Eine der wenigen übrig bleibenden Gründe, wäre dann die psychohistorische Sicht. Doch diese Sicht an sich birgt unheimlich viele Ängste, da man unweigerlich auch auf sich selbst zurückfallen wird. Schließlich sind nicht-misshandelte, geliebte Kinder eher die Ausnahme in dieser Welt. Darum suchen die Menschen weiter fleißig nach rationalen Erklärungen für Krieg, dabei liegt die Antwort in den Emotionen der Menschen. Die Blindheit bzgl. der Ursachen von Krieg wird am Irakkrieg fast idealtypisch rein deutlich. Wenn selbst ausgewiesene Fachleute diese These einfach so aussprechen, ohne die Fakten nachzuprüfen, dann spricht das Bände. Die These vom Krieg ums Öl ist die unbewusst gewollte Scheuklappe für viele Menschen, damit wir nicht links und rechts mögliche andere Abgründe entdecken könnten, die uns weniger lieb wären.

Freitag, 27. August 2010

Irakkrieg:Das Märchen vom Krieg ums Öl - Teil 2

In der Überleitung vom Magazin "Monitor" (Sendung vom 19.08.10) zu den Tagesthemen hat Sonia Mikich ganz selbstverständlich darauf hingewiesen, dass der Irakkrieg bekanntlich um Öl geführt wurde. „Blood for oil? Wie die US-amerikanische Öl-Industrie den Irak erobert“ hieß auch eine "Monitor" Sendung vom 25.09.2008, was diese Sichtweise noch mal erklärt.

Dass die „Blut-für-Öl-These“ so selbstverständlich vor einem Millionenpublikum als quasi allgemein bekannte Realität benannt wird, hat mich nochmal motiviert, etwas weiter zu dem Thema zu recherchieren. Den folgenden Beitrag sehe ich als eine Ergänzung von dem Text „Irakkrieg: Das Märchen vom Krieg ums Öl“ vom 21.04.2010.
Nebenbei bemerkt war ich zu Beginn des zweiten Golfkrieges Anfang der 90er Jahre Schüler. Unsere LehrerInnen motivierten uns damals zu einer Demo gegen den Krieg vor unserem Rathaus. Fleißig bastelten wir Transparente „Kein Blut für Öl!“. Nun, bekanntlich marschierten damals die USA nicht im Irak ein und ließen Saddam an der Macht. Kein Tropfen irakisches Öl floss als „Kriegsgewinn“ in die USA (und der Anteil der Ölförderung in Kuwait an der weltweiten Förderung hatte kaum Gewicht). Schon damals war diese These gründlich falsch (siehe auch den Beitrag "Der Golfkrieg als emotionale Störung") und ich selbst arbeite gerne die Dinge auf, alleine schon, weil ich einst selbst an die o.g. These glaubte.


Zum Thema: Ab 1972 hatte Saddam Hussein die irakische Ölförderung verstaatlicht, westlichen Konzernen wurde somit der Einfluss entzogen. Insofern ist dies ein Punkt, wo man auf den Gedanken kommen könnte, dass der Sturz Saddams zum Ziel hatte, die Rückkehr der (vor allem amerikanischen) Ölmultis zu ermöglichen.
Aufschlussreich fand ich folgendes: „Entgegen einer verbreiteten Vermutung lässt sich empirisch kaum erhärten, dass die USA ihre politische Macht nutzen, um den internationalen Wettbewerb zugunsten amerikanischer Ölfirmen außer Kraft zu setzen. In der Regel werden große Projekte ohnehin von multinationalen Konsortien durchgeführt. (…) An allen sind amerikanische Firmen beteiligt, aber in keinem sind sie Konsortialführer oder im Besitz der Mehrheitsanteile. Vielmehr zeigt gerade diese Region, dass politische Interessen der USA und die Interessen der Ölunternehmen auseinanderklaffen können und Washington auf die Unternehmensinteressen wenig Rücksicht nimmt. Im Übrigen würde eine drastische Bevorzugung amerikanischer Unternehmen, die den üblichen Spielregeln zuwiderliefe, in dem Geflecht multinationaler Unternehmen große Unruhe auslösen. Und dies würde den USA vermutlich mehr Schaden als Nutzen eintragen.(…) Dass die USA die Intervention aus wirtschaftlichen Interessen suchen, ist ganz unwahrscheinlich. Es lässt sich kein Szenario vorstellen, bei dem amerikanische Firmen oder speziell die amerikanische Ölversorgung aus einem Regimewechsel im Irak übermäßig profitieren sollte.“ (Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2002: Das Öl des Irak. (Von Friedemann Müller) ) Natürlich gilt, dass in einem einigermaßen rechtsstaatlich geführten Irak von ausländischen Unternehmen lukrative Geschäfte gemacht werden können. Dass die amerikanischen Konzerne dabei nur einige Akteure unter vielen anderen sind, wurde oben bereits angedeutet. Die Welt (20.01.2010, "Im Irak blasen die Konzerne zur letzten Bonanza") berichtet, welche Firmen u.a. im Irak aktiv sein wollen: Shell aus Holland, Petronas aus Malaysia, Japex aus Japan, Eni aus Italien, Sonangol aus Angola, Gazprom-Neft aus Russland, Lukoil aus Russland und Statoil aus Norwegen. Daneben sind vier Unternehmen aus China an Verträgen interessiert, darunter die China National Petroleum Corporation (CNPC) (vgl. ZEIT-Online, 22.3.2010, "Das Öl-Monopoly", von Frank Sieren), die – neben BP aus Großbritannien - bereit zu Abschlüssen kam. Zusätzlich fand ich die Namen von weiteren im Irak aktiven Firmen: OMV aus Österreich, Repsol YPF aus Spanien, TotalFinaElf aus Frankreich und SK Energy aus Südkorea. Sicherlich sind dort auch noch weitere Unternehmen aktiv oder warten auf ihre Chance.
Friedemann Müller – der seinen Text im Jahr 2002 schrieb – lag insofern richtig, die US-Unternehmen geben nicht den Ton an, wenn es um das irakische Öl geht, sie müssen sich das Geschäft aufteilen, sofern sie überhaupt zum Zug kommen. Die US-Politik scheint keinen Einfluss auf die Ölgeschäfte zu nehmen oder gar Verträge für US-Firmen zu diktieren.

Die „Blut-für-Öl-These“ lässt auch außen vor, dass einer Produktionssteigerung erhebliche Investitionen vorausgehen müssen. Interessantes zu dem Thema fand ich in einem Bericht vom 18.04.2009 von Gunnar Maul auf der Homepage der „WPI Wirtschaftsplattform Irak“. Internationalen Organisationen schätzen, dass 30 Milliarden US-Dollar in den Wiederaufbau der Öl-, Gas- und Elektrizitätsinfrastruktur fließen müssen, um das Niveau der Ölförderung vor der US-Invasion wieder zu erreichen. Angestrebt sind vom Ölministerium Förderquoten von sechs Millionen Barrel. 25 bis 75 Milliarden US-Dollar werden benötigt werden, um diese Kapazitäten überhaupt erreichen zu können. Ohne technische Hilfe von ausländischen Firmen, wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein, heißt es weiter.

Die Weltbank schätzt – laut einem Focus-Bericht- , dass die Modernisierung der irakischen Ölindustrie 100 Milliarden Dollar kosten wird. Kriege, Vernachlässigung und UN-Embargos gegen Diktator Saddam Hussein versetzten die Ölfelder und Raffinierien in einen miserablen Zustand.

Das Ergebnis einer der „Presse“ vorliegenden Studie der amerikanischen Beratungsfirma IHS Cera zeigt: Die tägliche Fördermenge werde bis 2020 bestenfalls auf 6,5 Millionen Barrel ansteigen. Das sind weitere 10 Jahre! Wer weiß schon, was dann sein wird.

Wir sehen hier also, dass eine Produktionssteigerung sehr viel Geld kostet und auch nicht von heute auf Morgen umzusetzen ist. Auch der Regierung Bush musste dies im Jahr 2003 klar gewesen sein. Ein „Ölraubbeutefeldzug“ macht unter diesen Umständen wenig Sinn und birgt unkalkulierbare Risiken.
Mit den Planungen für den Irak-Krieg wurde genau sechs Tage nach den Anschlägen von New York und Washington begonnen. Glaubt jemand ernsthaft, dass damals ein Rohstoff-Krieg in Aussicht genommen wurde?“ schrieb DIE ZEIT 2003 im Artikel „Die Mär vom Ölkrieg“. „In Wahrheit würde der Irak-Krieg nicht wegen, sondern trotz des Öls geführt. Schon jetzt lastet auf dem Barrel-Preis eine beträchtliche „Angstprämie“. Ein Krieg, wäre er kurz, kostete konjunkturdämpfende 100 Milliarden Dollar. Zöge er sich hin, gäbe es im Irak nichts mehr zu verteilen, und eine globale Rezession wäre unausweichlich. Die ökonomischen Risiken des Krieges sind unabsehbar und auch die Meriten schwer kalkulierbar. Ginge es nur darum, den Ölpreis niedrig zu halten, wäre es risikoloser, das Ölembargo aufzuheben und Saddam zu rehabilitieren. Im auskömmlichen Umgang mit Diktatoren hat Amerika ja Erfahrung.“, so der Artikel weiter.

Auch eine drastische Produktionssteigerung – sofern diese gelingt - birgt Risiken. Denn wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, fällt der Rohölpreis. „Geht alles so, wie die Iraker es sich vorstellen, dann werden über 400 neue Ölförderstellen erschlossen und die Tagesproduktion steigt von heute 2,4 Millionen auf bis zu zwölf Millionen Fass. Spezialisten halten allerdings die Hälfte für realistisch. Schon eine solche Steigerung könnte den Ölpreis aber stark senken, sagt James Williams vom Energiefachdienst WTRG: „Wenn es dem Irak gelingt, seine Produktion innerhalb von zwei Jahren auf fünf Millionen Fass zu steigern, würde das Angebot die Nachfrage übersteigen und der Ölpreis von den jetzt knapp 80 auf unter 50 Dollar fallen.“ „ (http://www.welt.de/wirtschaft/article5922622/Im-Irak-blasen-die-Konzerne-zur-letzten-Bonanza.html) Zudem ist der Irak Mitglied der OPEC. Diese legt maximale Förderquoten fest, um eben den Preis stabil zu halten.

Da alte Ölfelder bereits stark ausgebeutet sind, hat die Ölindustrie (vor allem auch die amerikanische welche) ihre Bohrungen auf den Meeren erheblich ausgeweitet. Die aktuelle Ölpest im Golf von Mexico brachte dies uns allen nochmal stark ins Gedächtnis... Die Förderkosten liegen hier aber sehr viel höher, als bei einfacheren Landbohrungen. Um dabei rentabel arbeiten zu können, braucht es ein einigermaßen hohes Ölpreisniveau. Matthias Reich, Professor für Bohrtechnik an der Technischen Universität Bergakademie im sächsischen Freiberg, meint, dass ein Preis von über 50 US-Dollar pro Barrel nötig sei, damit die Weiterentwicklung aufwendiger Bohr- und Fördertechniken für tiefe Bohrungen Sinn mache. (vgl. Welt-Online, 11.06.2010, "Bessere Bohrtechniken hängen vom Ölpreis ab") Ein zu starkes Abfallen des Ölpreises liegt hier nicht im Interesse der US-Ölkonzerne.
Das Geschäft auf dem Meer ist auf Grund der hohen Investitionen vor allem in der Hand großer Konzerne wie es z.B. ExxonMobil und Chevron sind, berichtet DIE ZEIT ("Im Rausch der Tiefe"). Im klassischen Raffineriegeschäft (die Weiterverarbeitung von Rohöl etwa zu Benzin) seien nur noch geringe Margen zu verdienen, weshalb die Fördergeschäfte immer interessanter werden. „Der Mineral Management Service, eine Fachbehörde der US-Regierung, schätzte allein im Jahr 2006 die Offshore-Ölvorkommen in bislang unentdeckten Feldern vor der amerikanischen Küste auf 86 Milliarden Barrel. Das wäre mehr als an Land.“ (vgl. DIE ZEIT) Derzeit erfolgt 5 % der weltweiten Rohölförderung auf den Meeren. Bis 2012 soll sich diese Zahl auf 10 % verdoppeln. (vgl. Greenpeace-Magazin, 5.2010,„Die Party geht weiter“) Bedenkt man dabei, dass weltweit Staatskonzerne 80 Prozent der Ölvorkommen kontrollieren und alle privaten Unternehmen um nur ein Fünftel der Reserven konkurrieren (vgl. ebd.), dann wird zusätzlich deutlich welche enorme Bedeutung die Tiefsee für die Konzerne spielt. Nochmal: Ein durch den Irakkrieg (vermeintlich) angestrebter niedriger Ölpreis durch rasche Ausbeutung der irakischen Quellen konnte von Anfang an nicht im Sinne der US-Ölindustrie sein.

Die Iraker lassen sich bei der Vergabe von Förderrechten übrigens alles andere als übers Ohr hauen und agieren sehr autonom. „Als gewiefte Händler boten die Iraker den Ölkonzernen eine Gewinnbeteiligung von maximal zwei Dollar pro Fass Öl an – bei einem Weltmarktpreis von heute knapp 80 Dollar. Eine erste Versteigerung Ende Juni 2009 wurde zum Fiasko: Von acht Feldern wurde nur ein Ölfeld an British Petroleum (BP) und die China National Petroleum Company (CNPC) vergeben. Vier andere Ölfelder wurden ebenfalls zu irakischen Vorstellungen vergeben.“ (siehe "Welt" Artikel oben) Auch hier ist keine diktierende Einflussnahme durch die USA festzustellen.
In einem relativ aktuellen Artikel in der Welt-Online vom 15.06.2010 („US-Amerikaner profitieren nicht vom Irak-Öl“) wird berichtet, dass am 7. März der vorerst letzte der Ölverträge mit ausländischen Firmen unter Dach und Fach gebracht wurde. „Russlands Lukoil zusammen mit der norwegischen Statoil bekam den Zuschlag für die Erschließung eines der größten Ölfelder im Süden des Irak – West Qurna. Damit sind insgesamt 15 ausländische Firmen mit der Entwicklung künftiger Ölquellen betraut worden. Amerikanische Unternehmen sind dabei klar in der Minderheit.“ Die schon erschlossenen Quellen im Irak werden sämtlich von zwei Staatsfirmen bewirtschaftet, so der Artikel weiter. Von neuen Verträgen profitieren bisher vor allem Asiaten im Irak, die malaysische Gesellschaft Petronas führt mit drei Lizenzen die Liste der ausländischen Firmen im irakischen Ölgeschäft an. Lediglich zwei amerikanische Firmen sind bisher involviert: Exxon Mobil hat den Zuschlag für ein Projekt bekommen, Occidental ist innerhalb eines Konsortiums an der Entwicklung eines anderen Feldes beteiligt, schreibt die Welt-Online. „Dass die US-Konzerne nicht umfangreicher einsteigen, liegt an der Natur der Verträge. Der irakische Staat bietet Dienstleistungsverträge, keine Gewinnbeteiligungen. Für jedes gepumpte Fass gibt es einen Bonus zwischen 1,9 und sechs Dollar, je nach Förderkosten. US-Vertreter werteten dies als Affront und blieben den Auktionen meist fern.

Im Irak werden ca. 10-11 % der weltweiten Ölreserven vermutet. Das ist das Fundament der „Blut-für-Öl-These“. Die Rohölversorgung aus dem Irak ist also langfristig von Interesse. So weit kann allerdings niemand (auch die USA nicht) vorausplanen. Erst recht nicht, wenn im Irak Krieg und Terror herrschen. (Nebenbei bemerkt besteht das reale Risiko, dass langfristig das ÖL von den regenerativen Energien abgelöst wird und an Bedeutung verliert) Und: Die USA haben bisher keinen sichtbaren Vorteil durch die Invasion bzgl. dieser Reserven erreicht, wohl eher das Gegenteil dürfte der Fall sein. Bildlich gleicht die Situation folgender Lage: Da ist eine Gruppe (deren Führer früher in der Diamentenbranche gearbeitet haben), die die Besitzer einer Diamantmine unter einem Vorwand überfällt und viele von ihnen tötet, inkl. ihrem bösen Anführer und vieler Kinder. Die Diamanten liegen nicht einfach abholbereit da, sondern sind im Stollen verborgen. Dann setzt diese Gruppe Wahlen und eine junge Demokratie durch und zieht sich langsam wieder zurück. Die Diamanten werden nun über Jahre und Jahrzehnte von der neuen Führung gefördert und in alle Welt verkauft. Draußen vor der Mine stehen dabei die Demonstranten und rufen: „Kein Blut für Diamanten!“, „Ihr habt die Leute nur überfallen, weil ihr sie ausbeuten wolltet!“

Die damalige Außenministerin Condoleezza Rice war vor ihrer Politkarriere 10 Jahre Direktorin von Chevron, einer der größten Ölfirmen der Welt. Dick Cheney, Vizepräsident unter George W. Bush, war vor seiner Amtszeit Präsident eines anderen großen Unternehmens: Halliburton - eines der größten Ölexplorationsunternehmen. Handelsminister Donald Evans war Präsident der Energie- und Erdölgesellschaft Tom Brown. Auch die Familie Bush hatte geschäftlich mit Öl zu tun. Diese Verbindungen heizten die „Blut-für-Öl-These“ kräftig an. Ein aktueller Artikel im Greenpeace-Magazin 5.2010 („Die Party geht weiter“) stellte heraus: „Einen guten Ölkonzern gibt es nicht.“ Bei etlichen Unternehmen der Branche finden sich Verwicklungen in Menschenrechtsverletzungen, Handel mit Militärregierungen usw. und vor allem schwere Umweltverschmutzungen. Das Ölgeschäft scheint ein schmutziges Geschäft zu sein. Dass sich darin Menschen wie George W. Bush & Co. tummelten, passt einfach zu ihrem destruktiven Charakter. (Oder könnte sich jemand George W. Bush als Besitzer mehrerer Biobauernhöfe oder von Solaranlagen in seinem früheren Leben vorstellen?) Daraus gleich eine direkte Verbindung zum Krieg ziehen zu wollen, halte ich für fragwürdig. Mehr noch, ich möchte sogar behaupten, dass gerade die US-Führungsriege, die sich fachlich mit dem Ölhandel auskannte, um die Fakten, die ich in diesem Text zusammengetragen habe (und die sich sicher noch ausweiten ließen), hätte wissen müssen bzw. diese hätte voraussehen können. Rein von der Faktenlage her machte der Irakfeldzug ums Öl herum allerdings überhaupt keinen Sinn.
(Der steigende Öldurst der USA könnte außerdem voraussichtlich gleich von ihrem Nachbarn Kanada gedeckt werden, Kanada steht heute dank enormer Ölsand-Vorkommen auf Platz 2 der ölreichsten Länder der Erde und verfügt über 15 Prozent der Weltreserven. Ein hoher Ölpreis würde diese Art der Förderung weiter rentabel machen und die Transportkosten wären gering.)


Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass US-Ölunternehmen nicht die einzigen Unternehmen sind, die einflussreiche Lobbyarbeit leisten und Druck bzgl. ihrer Interessen auf die US-Politik ausüben können. Der Irakkrieg war – neben anderen Gründen - ein bedeutender Grund dafür, dass der Rohölpreis explodierte. Die energieintensive Industrie in den USA dürfte darüber wenig erfreut gewesen sein. Ebensowenig wie die autofahrenden WählerInnen und die Autoindustrie. Im Jahr 2002 lag der Benzinpreis in den USA etwas über 100 Cent/Gallone. Ab 2003 – dem Jahr, in dem der Krieg gegen den Irak begann – stieg der Preis stetig. Den Höhepunkt erreichte er ca. Mitte 2008 mit etwas über 400 Cent/Gallone. Danach sank der Preis wieder ab. (vgl. http://www.markt-daten.de/chartbook/oel-benzin.htm) Diese Steigerung hing eng mit der Rohölpreisentwicklung zusammen. Der Irakkonflikt war sicher nicht der einzige Grund für Preissprünge, aber er lastete schwer auf dem Rohölpreis. Niemand wusste damals auch, ob sich der Konflikt ggf. ausweiten und Nachbarländer einbezogen würden.
Darüberhinaus gibt es Hinweise dafür, dass die enormen Kosten des Krieges und die entsprechende Kreditaufnahme durch die USA die nachfolgende Weltwirtschaftskrise mit verursacht hat. (vgl. heise.de, „Der Billionen-Krieg im Irak als Ursache für die Wirtschaftskrise?„) Die US-amerikanische Zentralbank (FED) hatte versucht, die enormen Kriegskosten mit Hilfe billiger Kredite zu kompensieren, „die schließlich zur Subprime-Krise und einen Konsumboom geführt haben. Das habe die USA nun eine Rezession und die höchste Verschuldung beschert.“ (heise.de) Der Leitzins wurde von der FED ab 2001 (also nach dem „11. September“, ab dem die Kriegsplanung begann) stetig gesenkt, von ca. 6,5 % auf unter 2 % im Jahr 2002 und ca. 1 % zwischen 2003 und 2004. (vgl. http://www.leitzinsen.info/charts/funds.htm) „Sollte der Irak-Krieg tatsächlich ein Grund für Kredit- und Bankenkrise sein, die sich von den USA ausbreitet, dann würden die tatsächlichen weltweiten Kosten noch weitaus höher als einige Billionen Dollar sein.“ (heise.de)

Wo ist der Gewinn aus diesem angeblichen Ölkrieg? Ich kann ihn einfach nicht finden! (Auch sicherheitspolitisch kann ich keinen Vorteil feststellen, das "Feindbild USA" ist durch die Kriege aktueller denn jeh, das wäre nochmal ein Thema für sich.) Der Krieg scheint vor allem emotionale Ursachen zu haben. Diese Sicht wird leichter verständlich, wenn man den fehlenden "Nutzen" von Kriegen klar aufdecken kann wie oben geschehen. Dieses Ursachenverständnis würde im Übrigen aber auch dann noch Bestand haben, wenn Kriege wirklich ökonomische Vorteile hätten. Denn auch dann wäre es das Handeln von emotional leblosen, tief psychisch gespaltenen Menschen, die für das Erreichen ihrer Nutzen- und Machtmaximierung über Leichen gehen und die letztlich wie Maschinen handeln. Thesen und Antworten in diese Richtung findet man in diesem Blog. Mir scheint es, als ob wir die These "Blut für Öl" umformulieren müssen in "Krieg für Blut" oder "Krieg als Opferritual", das Leid von Menschen und die Reduzierung von Wirtschaftskraft und ökonomischem Wachstum sind die immer wieder beobachteten Folgen und wohl auch Ziele von Krieg. Wenn diese Folgen von Krieg als eigentliche Ziele erkannt und analysiert würden, würden wir auch ein ganz anderes Bild und Verständnis vom Krieg bekommen und die Chance, etwas an den tieferen Ursachen zu rütteln.