Dienstag, 28. April 2020

Der Psychohistoriker Lloyd deMause ist gestorben


Der Psychohistoriker Lloyd deMause ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Dies berichteten einige Weggefährten in der Diskussionsgruppe von „Clios Psyche“. Mittlerweile ist der Tag seines Todes auch bei Wikipedia eingetragen.

Für mich ist es somit Zeit für eine persönliche Rückschau. Es muss ca. im Jahr 2007 gewesen sein, als ich sein bahnbrechendes Buch „Das emotionale Leben der Nationen“ (das in Deutschland 2005 herausgegeben wurde) in die Hände bekam. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich auf das Buch aufmerksam geworden bin. Aber ich erinnere mich sehr genau an den Moment, als ich das Inhaltsverzeichnis las. Das Inhaltsverzeichnis für sich haute mich damals geradezu vom Hocker! Das Buch war für mich ein Schlüsselmoment in meinem Leben.

Ich muss zunächst noch etwas weiter zurückschauen. Seit dem Jahr 2002 befasse ich mich mehr oder weniger intensiv mit dem Gesamtthema Kindesmisshandlung und den Folgen. Damals hatte ich als Student an der UNI Hamburg zunächst die Bücher „Am Anfang war Erziehung“ und „Das Drama des begabten Kindes“ von Alice Miller in die Hände bekommen. In einem Buch über männliche Sozialisation und kritische Männerforschung las ich dann ein Zitat von Arno Gruen, das in etwa so lautetet: „Hass hat seine Ursache im Selbsthass“. Daraufhin besorgte ich mir Bücher von Arno Gruen, der 2001 für sein Buch „Der Fremde in uns“ den Geschwister-Scholl-Preis erhalten hatte. „Der Fremde in uns“ war ebenfalls ein Schlüsselmoment für mich.

Parallel hatte ich am Fachbereich Erziehungswissenschaften ein studentisches Seminar ins Leben gerufen und geleitet, in dem zukünftige Lehrer und Lehrerinnen über das Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern“ aufgeklärt wurden (das Thema stand damals nämlich nicht auf dem Lehrplan für zukünftige Pädagogen, was ich als Mangel empfand. Wie das heute ist? Keine Ahnung...). Damals studierte ich Soziologie und im Nebenfach auch Politik. In einem Seminar über die Kriegsursachen am Fachbereich Politikwissenschaften brachte ich mein Wissen über Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch, Arno Gruen und Alice Miller in einer Hausarbeit zusammen. Diesen Text – den ich als (mittlerweile veralteten) Grundlagentext für diesen Blog bezeichne - arbeitete ich dann in meiner Freizeit weiter aus.

2008 gründete ich diesen Blog. Aber: Dem voraus ging die Lektüre des o.g. Buches von Lloyd deMause! Denn eigentlich hatte ich 2007 schon ein ganzes Stück weit mit dem Thema abgeschlossen. Ich dachte mir: Es gibt da eigentlich kaum noch mehr zu entdecken. DeMause hat mich eines Besseren belehrt. Ich las weitere Bücher und Artikel von ihm und tauchte immer mehr in das Thema Psychohistorie ein. Ich bin nicht ganz sicher, aber im Grunde würde ich behaupten, dass dieser Blog wahrscheinlich nicht entstanden wäre, wenn ich damals nicht die Arbeit von deMause entdeckt hätte. Und in der Folge wäre dann auch mein Buch nicht entstanden. Daran denke ich heute und möchte mich für seine enorm wichtige Arbeit hier öffentlich bedanken!

Ich nahm auch seine Schwächen war, z.B. sein Hang zu „Extremen“, sein Hang immer die schlimmsten Zahlen zu zitieren und nicht ein Mittelmaß zu finden oder auch sich - so empfand ich dies - manchmal mit großer Selbstsicherheit zu sehr in psychoanalytische Deutungen zu verstricken. Er kam aber auch aus einer anderen Zeit und seine Arbeiten waren Pionierleistungen. Vermutlich brauchte es da auch ein besonderes Nachvornepreschen.

Was mich immer besonders beeindruckt hat ist (bei allen Extremen, die er hatte) seine oftmals bestechende Klarheit in der Sprache und Sicht. Und seine Texte reißen einen auch mit (das gilt auch für seine Kritiker, die sich ausgiebig mit ihm befasst haben und nicht von ihm lassen konnten).

Diese Klarheit zeigt sich eindrucksvoll auch in einem kurzen Interviewausschnitt mit DeMause, das als Video online zu sehen ist. Kurz, authentisch und präzise macht er klar, dass Hitlers Kampf für das Dritte Reich gegen die mächtigsten Länder der Welt von vornherein rational keinen Sinn machte und dass Kriege emotionale Ursachen haben können. Es war klar, dass Hitlerdeutschland auf Dauer nur verlieren konnte. Dass das „Verlieren“, dass auch der eigene Tod und das Opfern von Millionen Menschen der eigentliche (emotionale) Sinn hinter solchen Phänomenen sein kann, dass hat DeMause in diesem Interview auf seine ihm eigene Art so herrlich deutlich gemacht.
Gut, dass es diesen Menschen gab!

Samstag, 25. April 2020

Step Inside the Circle: Die Kindheitserfahrungen von Gefängnisinsassen

Das Beste, was ich seit langem gesehen habe (hat mich glatt zu Tränen gerührt)! "Step Inside the Circle". (siehe dazu auch das Projekt: Compassion Prison Project)

Gefängnisinsassen gehören zu den mit am häufigsten in der Kindheit traumatisierten und belasteten Menschen überhaupt. Siehe Infos dazu hier im Blog: Kindheit von Gewalt- und Straftätern. Wann endlich werden diese Daten von der Gesellschaft ernst genommen?

Donnerstag, 16. April 2020

China und die Ein-Kind-Politik. Eine traumatisierte Gesellschaft?

Ich habe gestern den Dokumentarfilm „Land der Einzelkinder“ (orig. Titel: One Child Nation) in der ARD-Mediathek gesehen (leider ist der Film seit heute nicht mehr aufrufbar).

Den englischen Trailer dazu gibt es hier zu sehen.

Der Film hat mich tief erschüttert! Die Ein-Kind-Politik hat in China zwischen 1979 und 2015 eine traumatisierte Gesellschaft hinterlassen. Das ist zumindest der Schluss, den ich aus den gezeigten Informationen ziehe.

  • Kinder schämten sich für ihre Geschwister, denn nur ein Kind war gesetzlich erlaubt. 
  • Säuglinge und Kleinkinder wurden (wenn es bereits ein Kind in der Familie gab) ihren Familien entrissen und oftmals über ein Waisenhaussystem an Eltern in westlichen Gesellschaften „verkauft“. 
  • Frauen wurden zu Abtreibungen und Sterilisationen gezwungen. 
  • Wer gegen die Regeln verstieß oder wer sein Kind nicht ausliefern wollte, dem wurde auch schon Mal das Haus eingerissen. 
  • Vor allem weibliche Säuglinge wurden in Körben an Straßenrändern oder auf Märkten abgelegt. In der Hoffnung, jemand würde sie vielleicht mitnehmen. Viele starben einfach. Mädchen waren einfach nichts wert. 
  • Zurück blieben Angehörige (und auch Geschwisterkinder), die bis heute nicht wissen, was mit diesen ausgesetzten oder entrissen Kindern passierte, ob sie noch leben und wie es ihnen geht

Es ist zutiefst erschütternd, wie ein Mann berichtet, dass er als Jugendlicher ständig tote Säuglinge am Straßenrand gesehen hatte. Irgendwann beschloss er zu helfen und brachte die gefunden Säuglinge in ein Waisenhaus. Daraus entwickelte sich aber bald ein Geschäftsmodell, denn die Waisenhäuser bezahlten die „Finder“ und „verkauften“ die Kinder gen Westen.

Besonders tragisch und berührend ist der Bericht über eine Hebamme. Sie hat hunderte Kinder abgetrieben. Nicht selten lebten die Föten (nicht selten abgetrieben im 8. oder 9. Monat) noch. Ihre Schuld ist ihr sehr bewusst. Die Befehle kamen von Oben, aber ausgeführt habe die Befehle doch sie, sagte sie ganz direkt. Im hohen Alter setzt sie sich jetzt nur noch für Paare ein, die Probleme haben, Kinder zu bekommen. Sie hofft, dass sie ihre Schuld dadurch wiedergutmachen kann. In einem Raum zeigt sie die Bilder all der Kinder, die mit ihrer Hilfe auf die Welt gekommen sind…

Wer die Geschichte Chinas etwas kennt, der weiß, dass diese Nation oft traumatisiert wurde. Alleine der Terror unter Mao hinterließ überall traumatisierte Menschen und natürlich Millionen Tote. Der o.g. Bericht zeigt ein weiteres kollektives Trauma auf. Besonders fatal: All dies darf und kann in einer weiterhin bestehenden Diktatur nicht aufgearbeitet werden. Hinzu kommt ein hohes Ausmaß von körperlicher und psychischer Gewalt gegen Kinder im Elternhaus (Early childhood exposure to non-violent discipline and physical and psychological aggression in low-and middle-income countries: National, regional, and global prevalence estimates / siehe Figure 3. Estimated proportion of 2- to- 4-y-olds exposed to physical aggression in LMICs + Figure 4 / + Gewalt gegen Kinder im Elternhaus ist weiterhin legal in China: siehe entsprechenden Länderreport + weitere Daten zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder hier).

Da sich die chinesische Gesellschaft ökonomisch und technisch rasant entwickelt hat und die Menschen dadurch auch ein Stück weit zur Ruhe kommen (nicht mehr im Existenzkampf sind), befürchte ich, dass die kollektiven Traumata irgendwann mit einem großen Knall nach oben kommen. Eine solche Trauma-Geschichte lässt sich auf Dauer nicht kollektiv verdrängen. Ich hoffe sehr, dass dieser Knall nicht wiederum mit Gewalt endet.

Montag, 30. März 2020

Corona-Virus: Als wäre ein Krieg ausgebrochen…

(aktualisiert am 01.04.2020)

Gleich ein Hinweis vorweg: Ich nehme die Gefahr durch das Corona-Virus (COVID-19) sehr ernst (dabei vor allem die potentielle Überlastung des Gesundheitssystems und die besondere Gefahr für ältere oder vorerkrankte Menschen). Ich glaube an die Wissenschaft und derzeit wird die Politik ganz deutlich durch Ratschläge aus der Wissenschaft bestimmt. Wie das Ganze im nachhinein zu beurteilen ist, wird sich wohl erst ca. in einem Jahr zeigen.

Mir geht es in diesem Beitrag um etwas anderes: Ich habe in den letzten Tagen und Wochen sehr viel „Kriegs-Rhetorik“ in den Medien oder auch Reden von Politikern wahrgenommen. Auf das Ausmaß dieser Rhetorik (die sich auch international findet) möchte ich hiermit hinweisen.

Von "Krieg" ist ganz offen die Rede, ebenfalls von "Fronten" oder es werden Vergleiche mir "Waffen" gezogen, die man gegen den "Feind" oder den "Gegner" einsetzen wolle. Und die "Einschläge" kämen näher. Ärzte und Pflegepersonal werden als "Kanonenfutter" dargestellt, die unvorbereitet in "die Schlacht" ziehen müssten. Bzgl. der Folgen für Wirtschaft und Menschen ist immer häufiger auch von "Kollateralschäden" die Rede, einem Begriff, der so auch im Krieg oft fällt.
(Gleichzeitig ist von "Helden" die Rede, die in diesen "Kriegs-"Zeiten gefeiert werden müssten und von den "Opfern", die wir jetzt alle bringen müssen. Und es wird von einer "Luftbrücke" gesprochen, um deutsche Urlauber heim zu holen. Zu diesen zuletzt genannten Bereichen habe ich unten aus Zeit- und Platzgründen nichts aufgestellt, aber wer mag und sucht, wird sehr schnell etliche Artikel mit diesen Begriffen finden.)

Mich befremdet dieser „Kriegsvergleich“ sehr! Wir haben es mit einer sehr ernsten und großen Krise zu tun, die gemeistert werden muss und die gemeistert werden wird. Ein Virus ist kein Feind, er ist ein Gesundheitsproblem. Die „Kriegsrhetorik“ zeigt mir, dass aktuell viele Menschen offensichtlich emotional sehr tief berührt oder gar getriggert werden und in einen inneren Zustand des „Freund-Feind-Schemas“ verfallen. Gleichzeitig drängen andere Probleme in den Hintergrund und die große Gemeinschaft, "das Ganze" wird beschworen. Svenja Flaßpöhler (Philosophin und Publizistin) hat  bei "maybrit illner" am 12.03.2020 folgendes gesagt: "Wir haben endlich mal wieder einen gemeinsamen Feind, ein Virus." Ihren Ausspruch verstehe ich als Deutung der aktuellen, gesellschaftlichen Situation und der gesellschaftlichen Befindlichkeiten, nicht unbedingt als ihre Ansicht. Ich bin kein Psychoanalytiker oder Traumaexperte, es macht aber Sinn, sich diese Rhetorik anzuschauen und sich Gedanken darüber zu machen.

Ich habe in der folgenden Aufstellung vor allem Schlagzeilen oder manchmal auch Zwischenüberschriften aus verschiedenen Medien ausgewählt (die Liste hätte noch länger sein können), die für sich sprechen: 


Zwischenüberschrift: „Der Feind ist erkannt. Doch unsere Waffen gegen das Virus sind noch nicht geschärft. Die Logik erzwingt, dass wir uns eingraben.“ (Stern, Nr. 13, 19.03.2020, S. 61, von Christoph Koch)

Ungarns Premier Viktor Orbán sprach von einem "Zwei-Fronten-Krieg": „Einerseits gibt es die Frontlinie namens Migration und es gibt die der Coronavirus-Epidemie.“ 
https://www.dw.com/de/coronavirus-in-orb%C3%A1ns-ungarn-soros-die-migranten-und-die-seuche/a-52804365

"Corona-Hilfen für die Wirtschaft. Scholz und Altmaier zücken die Bazooka" und im Textverlauf des Artikels: "Es ist die Bazooka", sagte Scholz über ein gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vorgestelltes Hilfspaket gegen die Folgen der Corona Krise. "Was wir dann noch an Kleinwaffen brauchen, das gucken wir später." (Hervorhebung durch mich)
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/coronavirus-so-wollen-olaf-scholz-und-peter-altmaier-der-wirtschaft-helfen-a-4a59424b-9721-4905-bdc5-0d3c87ea8882

Roberto Burioni. "Wir führen Krieg gegen einen Feind, der unsere Gewohnheiten ausnutzt"
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-03/roberto-burioni-italien-virologe-coronavirus

ANTÓNIO GUTERRES. Dem Coronavirus den Krieg erklären
https://www.derstandard.de/story/2000115815507/covid-19-gemeinsam-durchstehen

O-Ton Joe Biden über Corona: "Das hier ist Krieg. Und im Krieg tust du alles, um deine Leute zu retten."
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/bernie-sanders-corona-joe-biden-tv-duell

Ausgehsperre in Frankreich. "Wir sind im Krieg"
(Insgesamt sechs Mal habe Frankreichs Präsident Macron diesen oben im SPIEGEL-Titel zitierten Satz in einer Rede an die Nation wiederholt, heißt es im Artikel weiter!!)
https://www.spiegel.de/politik/ausland/coronavirus-in-frankreich-wir-sind-im-krieg-a-50b0dce2-6f7e-4cba-bda1-87fe05bfc7ca

Trump verweigert Hilfe. Schutzlos an vorderster Front: Virus tötet Bus- und Bahnfahrer in New York
https://www.focus.de/politik/ausland/die-stadt-die-schlafen-muss-corona-zwingt-new-york-in-die-knie_id_11822136.html

MICHAEL INACKER KRITISIERT KANZLERIN MERKEL WEGEN CORONA-UMGANG. „Die tatsächliche Lage an der Front ist katastrophal“
https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/coronavirus-die-tatsaechliche-lage-an-der-front-ist-katastrophal-69489554.bild.html

An vorderster Front gegen das Virus: So fühlen sich Rostocks Corona-Helden
https://www.ostsee-zeitung.de/Mecklenburg/Rostock/An-vorderster-Front-gegen-das-Virus-So-fuehlen-sich-Rostocks-Corona-Helden

Corona: Sachsen macht Front gegen das Virus
https://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Sachsen-macht-Front-gegen-Corona

Papstsekretär: Priester müssen "an der Front" der Corona-Epidemie sein
https://www.katholisch.de/artikel/24873-papstsekretaer-priester-muessen-an-der-front-der-corona-epidemie-sein

Arzt zu Corona: „Man schickt uns ungeschützt an die Front“
https://www.waz.de/region/rhein-und-ruhr/corona-viele-hausaerzte-im-revier-haben-keine-schutzkleidung-id228596713.html

CORONA-PANDEMIE. Vietnams Kriegserklärung an Corona
https://www.dw.com/de/vietnams-kriegserkl%C3%A4rung-an-corona/a-52923517

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu: "Wir befinden uns im Krieg mit einem Feind: dem Coronavirus" (im Textverlauf)
https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/Betet-zuhause;art315,206436

KRANKHEIT. „Maßnahmen für Krieg“: Eskaliert die Situation um den Coronavirus?
https://www.kosmo.at/massnahmen-fuer-krieg-eskaliert-die-situation-um-den-coronavirus/

Das Coronavirus versetzt Norditalien in den Kriegszustand
https://web.de/magazine/news/coronavirus/coronavirus-versetzt-norditalien-kriegszustand-34535976

„Kriegspräsident“ Trump rüstet zum Kampf
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/trump-ruestet-zum-kampf-gegen-corona-gesetz-fuer-kriegszeiten-16686390.html

Trump in der Corona-Krise. Der unentschlossene Kriegspräsident
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronavirus-usa-trump-100.html

Donald Trump kämpft jetzt als „Kriegspräsident“ gegen das Coronavirus
https://rp-online.de/panorama/coronavirus/coronavirus-usa-donald-trump-kaempft-jetzt-als-kriegspraesident_aid-49801477

„Wir befinden uns in der bedeutendsten Mobilmachung der Industrie seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Trump-Berater Peter Navarro bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Trump im Weißen Haus zum Thema Corona-Krise
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/trump-im-krieg-gegen-corona-mehr-als-100-000-infizierte-in-usa-16700550.html

"Wir werden uns nie ergeben und wir werden siegen" erklärte der spanische Präsident Pedro Sánchez zum Thema Corona-Virus
https://www.zdf.de/comedy/heute-show/heute-show-vom-20-maerz-2020-100.html (relativ am Anfang der Sendung)

"Wir befinden uns im Krieg", mahnte der griechische Regierungschef Mitsotakis auf Grund der Corona-Krise in einer TV-Ansprache. "Der Feind ist hinterhältig und unsichtbar"
https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-handel-und-finanzen-virus-mitsotakis-zu-coronakrise-wir-befinden-uns-im-krieg/25654426.html?ticket=ST-1588965-pSjrt3TPveYn7elRDkxy-ap3

CORONA-KRISE. Die Weltmacht im Kriegszustand
https://www.nwzonline.de/hintergrund/new-york-washington-corona-krise-die-weltmacht-im-kriegszustand_a_50,7,3319944325.html

Corona-Krise in Italien: Die "Schlacht um Mailand" steht bevor
https://www.wort.lu/de/international/corona-krise-in-italien-die-schlacht-um-mailand-steht-bevor-5e763aafda2cc1784e3597c7

Arzt schildert Lage in Bergamo. "Der Krieg ist losgebrochen, die Schlachten sind erbarmungslos"
https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_87492038/coronavirus-italien-arzt-berichtet-ueber-dramatische-zustaende-in-bergamo.html

Vom Mali-Einsatz an die Virus-Front – Bundeswehrkrankenhaus erwartet die Corona-Schlacht
https://www.schwaebische.de/ueberregional/panorama_artikel,-vom-mali-einsatz-an-die-virus-front-bundeswehrkrankenhaus-erwartet-die-corona-schlacht-_arid,11204406.html

CORONAVIRUS. Die Wissenschaft wirft gegen Covid-19 alles in die Schlacht
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/forschung/2054561-Die-Wissenschaft-wirft-gegen-Covid-19-alles-in-die-Schlacht.html

(Untertitel) Die Pandemie wird zu einem neuen Schlachtfeld in einem schon lange währenden Informationskrieg.
https://www.dw.com/de/desinformation-und-propaganda-in-corona-zeiten/a-52952995

Rechte US-Medien: Waffenbrüder
Um Donald Trump zu verstehen, muss man rechte US-Medien verfolgen. In der Corona-Krise haben sich deren Protagonisten und der Präsident auf ein Narrativ geeinigt: Krieg.
https://www.zeit.de/kultur/2020-03/rechte-us-medien-coronavirus-berichterstattung-stephen-bannon-tucker-carlson/komplettansicht

Gemeinde Vò in Norditalien: „Wir haben gelernt, dass das Coronavirus wie ein Scharfschütze ist.“ (Zitat aus dem Artikeltext)
https://www.welt.de/politik/ausland/plus206855551/Vo-in-Italien-Die-Kleinstadt-die-Corona-besiegt-hat.html

 Bürgermeister von Bergamo (Italien): "Es ist erschütternd, was Freunde, die dort fast wie im Schützengraben arbeiten, erzählen. Sie arbeiten rund um die Uhr, ohne zu schlafen." (Zitat aus dem Artikeltext)
https://www.sueddeutsche.de/panorama/coronavirus-italien-bergamo-1.4851056

„Das Spital Papst Johannes XXIII ist das drittgrößte in der Lombardei – und es ist in den letzten drei Wochen zu einer Art nationalem Schützengraben im Krieg gegen das Coronavirus geworden.“ (Aus dem Artikeltext)
https://www.rnd.de/panorama/corona-in-italien-wie-ist-die-aktuelle-lage-der-rnd-report-aus-rom-4Z4IRS7XHJDNZAUV445S6VFWEU.html

Coronavirus-Pandemie. "Medizin wie im Krieg": Kliniken im Elsass arbeiten am Limit
https://www.badische-zeitung.de/medizin-wie-im-krieg-kliniken-im-elsass-arbeiten-am-limit--184385358.html

Notstand in Norditalien. Wie im Krieg: Nur Viruskranke mit guten Chancen dürfen auf die Intensivstation
https://www.focus.de/politik/ausland/dramatischer-krankenhaus-notstand-triage-wie-im-krieg-norditaliens-aerzte-waehlen-intensivpatienten-nach-infektionsschwere-aus_id_11796601.html

„Die Menschen haben wie im Krieg ganz viele Vorräte eingekauft“
https://www.welt.de/vermischtes/video206454089/Sperrzone-Italien-Die-Menschen-haben-wie-im-Krieg-ganz-viele-Vorraete-eingekauft.html

"Wie im Krieg": Leer gefegte Straßen, rigorose Kontrollen in Italien
https://www.tt.com/artikel/30722924/wie-im-krieg-leer-gefegte-strassen-rigorose-kontrollen-in-italien

"Der Einschlag wird kommen"
https://www.spiegel.de/panorama/drohende-corona-welle-in-deutschland-der-einschlag-wird-kommen-a-945438f3-a4eb-4c93-ba1d-672df7088f7b

Corona: Die Einschläge kommen näher
https://www.ingolstadt-today.de/news/corona-die-einschlaege-kommen-naeher-a-27557

Titel: "Ausnahmezustand"
Im Untertitel: Die Pandemie "versetze unsere Gesellschaft in den Kriegsmodus - ohne Krieg"
Im Text bzw. Interview mit dem Soziologen Armin Nassehi: "In der jetzigen Krise müssen die unterschiedlichen Kräfte sich aufeinander beziehen. Historisch gesehen ist das immer nur in Situationen des Ausnahmezustands gelungen. Und das waren meist Kriegssituationen" und etwas weiter ergänzt er: "Kriegswirtschaft ohne Krieg".  (Hervorhebung durch mich)
(DER SPIEGEL, 28.03.2020, Nr. 14, S. 110)

Merkels Corona-Rede: Mit der Kanzlerin im Schützengraben
Im Text heißt es weiter, dass Merkel "in den Verteidigungsmodus" geschaltet habe und weiter heißt es: "Die Kanzlerin im Schützengraben – und sie zieht die Bevölkerung mit hinter die Sandsäcke. Die Verantwortung für eine erfolgreiche Abwehrschlacht gegen Covid-19, so die Botschaft Merkels, liegt bei jedem einzelnen." (Hervorhebung durch mich)
https://www.theeuropean.de/ansgar-graw/kanzlerin-ruft-auf-zu-gemeinsamen-anstrengungen/

Amerikaner decken sich wegen Coronavirus mit Waffen und Munition ein
https://www.focus.de/finanzen/boerse/wirtschaftsticker/virus-amerikaner-decken-sich-wegen-coronavirus-mit-waffen-und-munition-ein_id_11797230.html

CORONAVIRUS. Die Wirtschaft geht in den Kriegsmodus. Was nötig ist, wird produziert
https://www.welt.de/wirtschaft/article206715127/Coronavirus-Die-Wirtschaft-geht-in-den-Kriegsmodus.html

Nahost. Wie gegen Terroristen
Israel schaltet auf Kriegsmodus, um die Ausbreitung der Pandemie in den Griff zu bekommen.
 https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2020-12/artikel-569692/wie-gegen-terroristen-die-weltwoche-ausgabe-12-2020.html

Angst vor dem unsichtbaren Feind: Syrien und das Coronavirus
https://www.dw.com/de/angst-vor-dem-unsichtbaren-feind-syrien-und-das-coronavirus/a-52857118

WHO-Chef Ghebreyesus nennt Coronavirus „Feind der Menschheit“
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/111172/WHO-Chef-Ghebreyesus-nennt-Coronavirus-Feind-der-Menschheit

Das Coronavirus als gemeinsamer Feind. So könnte das Gemeinwesen genesen
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/das-coronavirus-als-gemeinsamer-feind-so-koennte-das-gemeinwesen-genesen/25643730.html

Für die WHO ist das Coronavirus der „Staatsfeind Nummer eins“
https://www.welt.de/vermischtes/video206805593/Kampf-gegen-COVID-19-Fuer-die-WHO-ist-das-Coronavirus-der-Staatsfeind-Nummer-eins.html

Krefelder Corona-Patient verlässt Intensivstation: Feuerwehr „kämpft gegen unsichtbaren Feind“
https://rp-online.de/nrw/staedte/krefeld/coronavirus-in-krefeld-feuerwehr-kaempft-gegen-unsichtbaren-feind_aid-49597271

Merkel zu Coronavirus: "Gegner, den wir nicht kennen"
https://www.sueddeutsche.de/politik/merkel-zu-coronavirus-gegner-den-wir-nicht-kennen-1.4844791

Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/coronavirus-in-deutschland-kampf-gegen-einen-unsichtbaren-gegner-16653146.html

CORONAVIRUS. Bundesregierung spannt gigantischen Schutzschirm: „Alle Waffen auf den Tisch“
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/coronavirus-bundesregierung-spannt-gigantischen-schutzschirm-alle-waffen-auf-den-tisch/25642060.html?ticket=ST-2202840-eT9frk9gwXEwJL4jcjgT-ap5

Der Sommer - unsere Waffe gegen das Coronavirus?
https://www.mdr.de/thueringen/corona-klima-resistenz-sommer-winter-virus-100_box--1088467669092664022_zc-194f1a06.html

Rinesh Parmaar, der Chef der britischen Ärztevereinigung:
„Die Ärzte fühlen sich wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank oder wie Kanonenfutter. Hausärzte fühlen sich im Stich gelassen. Wir appellieren an den Premierminister, wir müssen die Leute hier an der Front schützen.“ (Hervorhebung durch mich)
https://www.deutschlandfunk.de/coronavirus-in-grossbritannien-britisches-gesundheitssystem.1773.de.html?dram:article_id=473075

Der französische Hausarzt Alain Colombié hat Berichten zu Folge auf Facebook aus Protest wegen der fehlenden Unterstützung in der Corona-Krise ein Nacktfoto von sich veröffentlicht.
Auf einer Kopfbinde schrieb er "chair à canon" (Kanonenfutter). Präsident Emmanuel Macron verlange von Ärzten, "in demselben Aufzug in die Schlacht zu ziehen, den ich auf dem Foto trage" (Hervorhebung durch mich)
https://www.derstandard.at/story/2000116121465/coronavirus-arzt-protestiert-online-mit-nacktfoto-gegen-zustaende-in-frankreich

In einer Onlinepetition von Pflegekräften heißt es: "Nein, es ist nicht wertschätzend, Kanonenfutter zu sein!" (Hervorhebung durch mich)
https://www.change.org/p/covid2019-gemeinsamer-pflegefachkr%C3%A4fte-aufruf-an-jensspahn

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte zur Corona-Krise:
"Wir sind alle an der Front" und "Wenn nur ein Vorposten nachgibt, nur ein Schützengraben zusammenbricht, dann breitet sich der Feind im Inneren aus."
https://www.afp.com/de/nachrichten/3966/italiens-ministerpraesident-will-deutschland-von-corona-bonds-ueberzeugen-doc-1qb0kw3
Titel: Interview mit Jean Asselborn. "Sind Kollateralschaden geworden": Luxemburg-Minister übt harte Kritik an Deutschland
https://www.focus.de/politik/ausland/aussenminister-asselborn-es-geht-jetzt-um-die-existenz-der-europaeischen-union_id_11838212.html

Wirtschafts-Crash als Kollateralschaden der Virusbekämpfung?
https://computerwelt.at/news/kommentar/wirtschafts-crash-als-kollateralschaden-der-virusbekaempfung/

Siehe weitere Beispiele unten in den Kommentaren!


Montag, 23. März 2020

Hitlers Kindheit im Schatten des Todes und Gedanken zum "Traumagesamtpaket"

(aktualisiert am 07.12.2020)

Über die Kindheit von Adolf Hitler habe ich hier im Blog bereits in einem älteren Beitrag aus dem Jahr 2008 sowie in meinem Buch etwas geschrieben. Dabei habe ich mich auf häufige Gewalterfahrungen (ausgehend vor allem vom Vater) konzentriert. Ich bedaure mittlerweile, dass ich in meinem Buch nicht einen weiteren Punkt besonders hervorgehoben habe, aber dies hole ich hiermit nach: Hitlers Familie und Kindheit stand stets im Schatten des Todes!

Alois Hitler (Hitlers Vater) heiratete kurz nach dem Tod seiner ersten Frau Anna seine Geliebte Franziska Metzelsberger, mit der er bereits während seiner Ehe ein Verhältnis hatte. Die neue Ehefrau drängte Klara (die spätere Mutter Adolf Hitlers), die sich zuvor um die kränkelnde Anna gekümmert hatte, aus dem Haus. Franziska erkrankte allerdings bald an Tuberkulose. Die junge Klara kehrte daraufhin zurück in den Haushalt, als Pflegerin und Haushaltshilfe. Vor der dem Tod geweihten Franziska begannen Klara und Alois schließlich ein Verhältnis. Nach dem Tod von Franziska im Jahr 1884 wurde alsbald Hochzeit gefeiert. Bei der Eheschließung war Klara 24 und Alois 47 Jahre alt (Leidinger & Rapp 2020, Kapitel: „Komplizierte Familienverhältnisse“).

Der Tod sollte eine alles bestimmende Größe im Hause Hitler bleiben. Klara bekam zunächst zwei Kinder: Gustav wurde am 15.05.1885 und Ida am 23.09.1886 geboren. Wenig später erkrankten die beiden Kinder an Diphterie: Gustav starb am 08.02.1887 und Ida am 02.01.1888 (Toland 1977, S. 24, 29). Am 20.04.1889 wurde schließlich Adolf Hitler geboren, im Schatten von zwei toten Kindern. Toland berichtet, dass Klara Hitler stets in Furcht gelebt habe, auch dieses Kind zu verlieren (Toland 1977, S. 24). Vermutlich steht dies in einem Zusammenhang mit dem Verhätscheln und dem – bis zur Geburt von Bruder Edmund am 24.03.1894 - ständigen Beaufsichtigen des Kindes durch seine Mutter, wovon Toland weiter berichtet.
Eine weitere Tragödie kam hinzu. Am 17.6.1892 wurde Otto geboren, er hatte allerdings einen "Wasserkopf" und lebte nur wenige Tage. Als Otto starb, war Adolf Hitler 3 Jahre alt (Nordwest Zeitung, 01.06.2016). 

Aber der Tod blieb nicht lange fern im Hause Hitler: Am 02.02.1900 starb Adolfs sechsjähriger Bruder Edmund an Masern (Toland 1977, S. 31). Adolf war zu der Zeit 10 Jahre alt. Wie er mit dem Tod des Bruders umging, wird nicht berichtet.

Am 03.01.1903 starb Alois Hitler in dem Wirtshaus, in dem er häufig einzukehren und Wein zu trinken pflegte (Toland 1977, S. 34). Ob der Tod des sehr gewalttätigen und strengen Vaters den damals dreizehnjährigen Adolf besonders berührte, mag dahingestellt sein. Manchmal aber ist gerade der frühe Tod von einem Elternteil, mit dem man zu Lebzeiten nie Frieden fand, eine besondere Belastung. So oder so, spurlos wird der frühe Tod des Vaters nicht an dem Jungen vorbei gegangen sein.

Anfang des Jahres 1907 wurde bei Klara Hitler Brustkrebs diagnostiziert. Am 21.12.1907 starb Klara Hitler, Adolf war zu der Zeit gerade einmal 18 Jahre alt und stand nun ohne Eltern da (Toland 1977, S. 49).

Als junger Mann musste Adolf Hitler schließlich – wie so viele seiner Genration - haufenweise den Tod von Menschen im Kampf während des Ersten Weltkriegs miterleben. Sein gesamtes Leben vor seiner Machtergreifung stand im Zeichen des Todes! Und das Leben nach seiner Machtergreifung stand millionenfach im Zeichen des Todes.

Machen wir hier einen Schnitt. 

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Prof. Dr. Gertrud Hardtmann hat mein Buch für socialnet besprochen und am Ende folgende Kritik eingefügt: „Unterschiede zwischen unvermeidlichen Wunden beim Tod von Geschwistern, Eltern und Freunden, Krankheiten und unverschuldeten körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen sind zu unterscheiden von durchaus vermeidbaren und damit auch bewusst gewollten und gewünschten Verletzungen der Würde und Unantastbarkeit eines Kindes, was von Fuchs zu wenig differenziert wurde.
Sie hat Recht, ich habe in meinem Buch die Kindheits-Belastungen diverser Akteure zusammengefasst und weitgehend den Lesenden überlassen, wie Sie dies deuten und bewerten. Mir war es vor allem wichtig, die Bandbreite der Belastungen von Gewalttätern, Diktatoren und Massenmördern aufzuzeigen und auf grundsätzliche Zusammenhänge zur Kindheitsgeschichte hinzuweisen.

Ein Blogleser hat kürzlich meine Besprechung der Kindheit des NS-Täters Werner Best hier wie folgt kritisch und ironisch kommentiert: „Aus dem Artikel lässt sich nichts anderes schließen, als dass Kinder, die einen Elternteil verloren haben, potentielle Naziverbrecher sind.“

Ich möchte beiden Kommentaren hiermit am Beispiel von Adolf Hitler entgegnen: 

Ich kann dies nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, allerdings bin ich davon überzeugt, dass schwere Schicksalsschläge in der Kindheit – Hardtmann nannte dies „unvermeidliche Wunden“ – wie der frühe Tod von Elternteilen oder Geschwistern nicht ausreichen, um einen solchen Hass auf die Welt zu entwickeln, dass ein Mensch zum Massenmörder wird. Auf der anderen Seite bin ich davon überzeugt, dass diese „unvermeidlichen Wunden“ kumulative Effekte haben und auch in einem Zusammenhang zu Hass und Hasstaten stehen können.

Wie klärt sich dies nun auf? Adolf Hitler wurde von seinem Vater schwer und häufig misshandelt und auch emotional gedemütigt, was ich u.a. in meinem Buch quellenbasiert ausgeführt habe. Seine Mutter hatte zudem eine sehr ungesunde, angstbesetzte Beziehung zu ihm, ja sie bewunderte und erhöhte ihren Sohn sogar. Der Psychoanalytiker Arno Gruen hat diese gestörte Mutterbeziehung Hitlers in seinem Buch "Der Fremde in uns" beschrieben.
Diese Grundlage, dieser elterliche Missbrauch ist das Fundament für Selbsthass und Hass auf Andere oder auch Hass auf die ganze Welt. Wir sehen dies immer wieder auch in den Kindheitsbiografien von rechtsextremen Gewalttätern, die ich hier im Blog besprochen habe. Wenn zu dieser Grundlage noch weitere Schicksalsschläge und traumatische Erfahrungen hinzukommen, dann wird das „Gesamttraumapaket“ des Individuums hochexplosiv. Im Falle Hitlers wird dies überdeutlich!

Betrachten wir es auch einmal so: Wäre Adolf Hitler in einem emotional gesunden, liebevollen Elternhaus aufgewachsen, ohne elterliche Gewalt, Demütigen und Missbrauch und hätte er ähnliche unvermeidbare Schicksalsschläge wie den Tod von Vater, Mutter und Bruder erlebt, er wäre meiner Auffassung nach nicht zum massenmörderischen Diktator geworden. Wohl aber wäre er schwer angeschlagen, wahrscheinlich auch traumatisiert durch sein Leben gegangen, vielleicht wäre er in der Folge auch in Depressionen und Angst gefangen. Aber er wäre bei einer liebevollen Grundlage nicht zum Massenmörder geworden.

Zweitens: Unvermeidbare Schicksalsschläge in der Kindheit wie Tod der Eltern können in einem Zusammenhang zu späterem Hass und Gewalthandeln stehen, wenn nach diesen Schicksalsschlägen durch diese bedingt weitere traumatische Erfahrungen auf das entsprechende Kind einprasseln, wie z.B. systematische Vernachlässigung, weil niemand sich um diese Kind kümmert oder sogar Misshandlungen in Heimkontexten oder in Pflegefamilien. Auch hier wäre dann das „Gesamttraumapaket“ relevant, nicht alleine die Schicksalsschläge.

Und noch zum Schluss: Natürlich hat der o.g. Kritiker nur bezogen auf Werner Best Recht mit seinem Einwand, denn bei Best fand ich wie in dem entsprechendem Blogbeitrag beschrieben keine Belege für elterliche Gewalt oder autoritäre Erziehung, ich fand nur Indizien und interpretierte dies. Und ich sehe die Kindheit von Werner Best im Grundkontext der damaligen Zeit: es deutet nun einmal sehr viel darauf hin, dass die um 1900 Geborenen im Deutschen Reich mehrheitlich autoritär erzogen wurden. Der Tod des Vaters im Fall von Werner Best und die entsprechenden Folgen wäre auch hier nur ein wichtiges Teil des „Gesamttraumapaketes“.

In meinem Buch habe ich die Kindheiten mehrerer NS-Täter besprochen. Neben oftmals routinemäßiger strenger, autoritärer Erziehung fand ich sehr oft ergänzende schwere Belastungen, wie Tod von Familienmitgliedern, Tod der besten Kindheitsfreundin, lange Krankenhausaufenthalte, Mobbing usw. Diese ergänzenden belastenden Erfahrungen sind nicht unbedeutend bei der Ursachenanalyse der NS-Zeit. Aber: Am Anfang war Erziehung!


Verwendete Quellen:

Leidinger, H. & Rapp, C. (2020): Hitler - Prägende Jahre - Kindheit und Jugend 1889-1914. Residenz Verlag, Salzburg – Wien. Kindle E-Book Version.

Nordwest Zeitung (2016, 01 Juni): NEUE ERKENNTNISSE ÜBER SEINE KINDHEIT. Hat der Tod von Hitlers Bruder den späteren Diktator geprägt? 

Toland, J. (1977): Adolf Hitler. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach.

Freitag, 20. März 2020

Anschlag in Hanau: Der Fall Tobias Rathjen

Um den Attentäter Tobias Rathjen, der am 19.02.2020 zehn Menschen ermordet hat, ist es schon lange recht still in den deutschen Medien geworden. Das ist auch gut so, weil solche Täter keine lange Aufmerksamkeit bekommen sollten, auch um Nachahmer ggf. abzuschrecken. Trotzdem darf aus präventiven Gründen nicht vergessen werden, die Hintergründe der Tat aufzudecken.

Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Wochen oder Monaten weitere Erkenntnisse durch die Behörden öffentlich gemacht werden. Schon jetzt möchte ich einige Gedanken zu dem Fall hier loswerden:
  • Der Täter wandte sich in einem Video an die US-Amerikaner und warnte diese vor unterirdischen Militärbasen: "In manchen davon wird der Teufel persönlich angebetet. Sie missbrauchen, foltern und töten kleine Kinder." (SPIEGEL-Online, 21.02.2020:  Psychogramm eines Terroristen) Diese Fantasien von schwerer Gewalt gegen Kinder (parallel fühlte er sich auch seit seiner Kindheit von einem Geheimdienst überwacht) möchte ich hier besonders hervorheben, da ich dies auffällig finde.
  • Nach bisherigem Kenntnisstand tötete er nach seiner Mordserie zunächst seine Mutter und dann sich selbst, den Vater ließ er am Leben. Dieser Sachverhalt wurde zwar in den Medien vielfach besprochen, aber es wurden ergänzend keine Fragen gestellt, die in Richtung Selbsthass und Hass auf Elternteile gehen. 
  • In der WELT (Hock, A., Naber, I., Pfahler, L. & Lutz, M. (2020, 23. Feb.): Tobias R.‘s Vater galt als „Patriarch, der die Familie unterjochte“.) wurde ein ehemaliger Schulfreund (wohl der einzige, der dem Täter einigermaßen nahe gestanden hatte) zitiert: „Als Patriarch, der die Familie unterjochte, beschreibt Schulfreund F. den Vater.“ Der Vater, erzählte ein Nachbar dem Artikel folgend, sei „ein schwieriger Typ“. Jeder in der Gegend kenne Hans-Gerd Rathjen. 
Ich will nicht vorschnell urteilen. Noch gibt es auch keine Aussage des Vaters. Ich möchte aber einen Kommentar loswerden:

Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder derartige Fälle und die entsprechende Berichterstattung verfolgt. Auffällig häufig fanden sich entweder überdeutlich destruktive Kindheitshintergründe bei solchen Tätern (das Paradebeispiel dafür ist der Fall Breivik) oder sie deuteten sich zumindest an. Bei dem Amokläufer von Winnenden Tim Kretschmer fand ich z.B. im Grunde fast nichts über seine Kindheit. Allerdings sagte seine Mutter rückblickend: „Hätte er doch mich erschossen“ (Stuff, B. (2014, 19. Mai): Tims Eltern brechen ihr Schweigen – „Er fehlt mir so“). Gab es also eine begründete Wut auf die Mutter, von der sie wusste oder eine Ahnung hatte? Die Atmosphäre innerhalb der Familie wurde von Tims Schwester als „gefühlskalt“ beschrieben (FAZ.net, 09.09.2009: „Die Eltern sind mitverantwortlich“). Was sich hinter diesem einen Wort „gefühlskalt“ verbirgt, werden wir wohl nicht erfahren. Vielleicht werden wir auch im Fall von Tobias Rathjen nicht erfahren, was sich hinter den Worten  „Patriarch, der die Familie unterjochte“ verbirgt. Fakt bleibt aber, dass es diese mehr als auffälligen Wörter aus dem Umfeld dieser Täter gibt!

Und Fakt ist auch, dass es etliche Studien gibt, die destruktive Kindheitshintergründe von rechten Gewalttätern erfasst haben. Einige davon habe ich in den letzten Beiträgen hier im Blog vorgestellt, manch andere Studien in den letzten Jahren (siehe Inhaltsverzeichnis unter „Extremismus“). Die mediale Berichterstattung darf und sollte sich auf solche Studien beziehen, was bisher in Anbetracht von neuen Einzelfällen fast nie geschieht. Diese Studien lassen es einmal mehr als unwahrscheinlich erscheinen, dass solcher Art Täter aus fürsorglichen und liebevollen Familienverhältnissen stammen bzw. eine unbelastete Kindheit hatten. Ich erinnere ergänzend an einen Blogbeitrag von mir aus dem Jahr 2019: „Massenmord in El Paso und Dayton. Die Kindheit der Täter und Kindheitshintergründe in über 150 weiteren Fällen“. In über 150 Fällen von Massenmorden in den USA konnte eine wesentliche Gemeinsamkeit der Täter herausgestellt werden: Frühe Traumatisierungen in der Kindheit. Einiges deutet darauf hin, dass auch Tobias Rathjen in dieses Raster passt.

Sehr lesenswert ist auch der oben verlinkte Artikel "Tims Eltern brechen ihr Schweigen". Er zeigt das ganze Grauen und Leiden der Eltern und Familienmitglieder der Täter auf. Auch dies lässt einen nicht kalt und auch diese Familienmitglieder sind Opfer, natürlich. Die Frage ist aber auch, ob nicht gerade dieses Leiden der Familie auch ein Stück weit der böse Zweck hinter den Taten oder dies zumindest ein Teil des Ganzen ist? Wenn der Vater von Tobias Rathjen seine Familie unterjochte, wie oben zitiert wurde, dann ist es die ultimative Rache seines Sohnes gerade ihn am Lebens zu lassen. Sein Vater muss jetzt mit all dem Leid, dem Trauma, den Blicken der Nachbarn und dem Scherbenhaufen weiterleben. Tobias dagegen ist tot.



Mittwoch, 11. März 2020

Kindheiten und Lebenswege von zwei Dschihadisten

Das Buch „Dschihadisten - Feldforschung in den Milieus. Die Analyse zu 'Black Box Dschihad'“ (2011, Verlag Hans Schiler, Berlin/Tübingen) von Martin Schäuble hat mich wirklich schwer beeindruckt. Schäuble ist akribisch und mit viel persönlichem Aufwand den Lebensgeschichten zweier Dschihadisten nachgegangen. Solch umfassende Analysen von Terroristen sind selten zu finden! Beide Biografien könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein:

Daniel wuchs in Deutschland auf, konvertierte nach einer Sinnkrise und einer kurzen Inhaftierung zum Islam, schloss sich dann der Islamischen Dschihad Union an und plante mit seinen Gesinnungsbrüdern (die Terror-Zelle in Deutschland ist bekannt unter dem Namen Sauerland-Gruppe) einen großen Bombenanschlag in Deutschland. Glücklicherweise flogen sie auf und wurden verhaftet, bevor der Anschlag verübt werden konnte.

Sa'ed wuchs in Palästina auf. Er radikalisierte sich, wurde Teil der sogenannten Aqsa-Brigaden und verübte schließlich einen Selbstmordanschlag in Jerusalem, bei dem 7 Menschen starben und über drei Duzend zum Teil schwer verletzt wurden.

Nach der Durchsicht des Buches wurde mir schnell klar, dass die Gemeinsamkeiten dieser beiden Täter nicht nur im Hang zum Dschihadismus liegen: Beide machten als Kind traumatische Erfahrungen. Beide wuchsen in Familien auf, deren Kommunikation tief gestört war und in denen Probleme nicht offen und konstruktiv besprochen werden konnten. Beide wirkten nach Außen sehr unauffällig und machten ihre Probleme und ihre Sinnkrisen mit sich selbst aus.

Ich konzentriere mich in dieser Besprechung jetzt wesentlich auf die destruktiven Kindheitserfahrungen.

Beginnen wir mit Daniel:

Daniels Mutter wird als dominant beschrieben, die für ihren Sohn Mutter und Vater zugleich war. Der Vater hielt sich im Grunde aus der Kindererziehung raus und konzentrierte sich auf beruflichen Erfolg (S. 84). Schäuble meint, dass der Vater zu seinem Sohn keine emotionale Bindung aufbauen konnte (S. 95) Bereits im Kindergarten fiel Daniel dadurch auf, dass er ernst und ein Einzelgänger war (S. 85).
Die Erziehung der Mutter war offenbar ein Mix aus viel geben im Sinne von wohlhabenden Lebensumständen und materiellen Dingen, aber auch Strenge: „Sie schlug ihn manchmal, ohrfeigte ihn. Das wird andauern bis er dreizehn ist und er ihre Hand einmal dabei festhalten konnte. Für Daniel muss dieses zweideutige Verhalten der Mutter schwer zu verstehen gewesen sein: Einerseits die Mutter, die alle Wünsche erfüllt, anderseits ihre autoritäre Strenge, die sich zumindest in den Schlägen äußerte“ (S. 89). Es deutet nichts darauf hin, dass der Vater seinen Sohn vor den Schlägen geschützt hätte.

Als Daniel 11 Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. Der Vater zog aus, Daniel und sein Bruder blieben bei der Mutter, die ihre Freunde einlud und mit Sekt auf den Auszug des Vaters anstieß (S. 95). Daniel dagegen litt unter diesem Verlust und weinte Zuhause wegen der Trennung.

Die Trennung der Eltern entwickelte sich schnell zum Scheidungskrieg, der mit allen Mitteln geführt wurde. Autor Schäuble zog einen Psychoanalytiker zu Rate und kommt zu dem Schluss, dass dieser Scheidungskrieg für Daniel traumatisch war (S. 97). Die Eltern redeten schlecht übereinander; der Vater forderte Daniel sogar auf, die Mutter auszuspionieren; die Mutter wiederum nahm die Telefongespräche zwischen Daniel und seinem Vater heimlich auf. Die Kinder scheinen den Eltern in dieser Zeit egal gewesen zu sein (S. 97). Kurz nach dem Auszug des Vaters zog zudem der neue Freund der Mutter im Haus ein. Mit dem neuen „Stiefvater“ kam Daniel nicht zurecht und es zog ihn eher zu seinem Vater.
Später, der genaue Zeitrahmen wird nicht beschrieben, brach Daniel den Kontakt zur Mutter für mehrere Jahre gänzlich ab (S. 191).
Während des Scheidungskrieges, Daniel war 11 oder 12 Jahre alt, versuchte sich seine Mutter mit Tabletten das Leben zu nehmen. Daniel fand sie und konnte einen Krankenwagen rufen (S. 99).

Zusammengefasst hat Daniel eine traumatische und von emotionaler Kälte geprägte Kindheit erlebt. Als Jugendlicher konsumierte Daniel Drogen, traf falsche Freunde und kam schließlich durch Kontakte zum radikalen Islam.

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Sa'ed wurde 1985 in die Krisenregion Palästina hineingeboren. Die Freund-Feind-Bilder und politischen Konflikte wurden ihm quasi in die Wiege gelegt, wie so vielen Kindern, die in dieser Region aufwachsen.
Aber auch die Familiensituation war sehr konfliktbeladen und destruktiv. Seine Mutter wurde im Alter von 14 Jahren gegen ihren Willen verlobt. Im Alter von 15 Jahren musste sie den acht Jahre älteren Mann heiraten, der der Vater von Sa'ed werden sollte (S. 101). Echte Liebe zwischen den Eltern gab es also nicht.
Sa'ed erlebte im Alter zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr eine rastlose Zeit, die Familie zog zunächst nach Jordanien, bekam allerdings keine Aufenthaltsgenehmigung und musste wieder zurück (S. 102). Zurück in den Palästinensischen Gebieten erlebte Sa'ed im Kindergartenalter die Erste Intifada. Auf den Straßen vor dem Haus der Familie brannten Autoreifen und tobten Kämpfe zwischen Palästinenser und israelischen Soldaten (S. 103). Was Sa'ed davon mitbekam und wie sich dies auf ihn auswirkte, kann man nur vermuten. Schäuble weist auf die Spiele der Kinder hin, von denen er berichtet bekommen hatte und an denen auch Sa'ed mitwirkte. Die Kinder reinszenierten in ihren Spielen die Gewalt auf den Straßen und die Trauerfeiern für die Toten.

Aber auch innerhalb der Familie scheint es gewalttätig zugegangen zu sein. Die Mutter sowie auch der Vater werden als streng beschrieben. Ein früherer Freund von Sa'ed berichtete, dass der Vater seinen Sohn geschlagen habe, auch mal mit einem Stock. Später verneint der selbe Freund und auch der Vater die Gewalt. Der Vater berichtet aber noch, dass er Sa'ed auch angeschrien habe, was ihm heute Leid täte. Zu Recht weist Autor Schäuble darauf hin, dass nach dem Tod von Sa'ed sowohl seinem früheren Freund, als auch dem Vater Erinnerungen an solche Strafmaßnahmen sicher schwer gefallen sein dürfe (S. 110). Im Grundschulalter scheint Sa'ed seinem Vater aus dem Weg gegangen zu sein, er habe nicht das beste Verhältnis zum Vater gehabt.

Sowohl die beengten Lebensverhältnisse zu Hause (er hatte 6 Geschwister) als auch seine Brüder, die als autoritär ihm gegenüber beschrieben werden, bedingten wohl, dass Sa'ed während seiner Grundschulzeit seine Zeit am Liebsten draußen verbrachte (S. 112). An anderer Stelle wird beschrieben, wie Streitereien zwischen ihm und seinen Brüdern ablaufen konnten: Ein Bruder hatte Fotos zerschnitten, auf denen Sa'ed zu sehen war. Bei einem anderen Streit schüttete ein Bruder eine Tasse heißen Tee in das Gesicht von Sa'ed, so dass seine Mutter ihn ins Krankhaus bringen musste. Dabei ist noch etwas sehr auffällig: Sa'ed hatte seiner Mutter nichts von seinen Verbrennungen berichtet. Er lag in seinem Bett und sagte nichts. „Er hatte Angst, dass ich ihn und seinen Bruder bestrafen würde, weil sie gekämpft haben“, sagte die Mutter (S. 273). Wie groß muss die Angst vor der Mutter sein, wenn ein Kind sich nicht traut, ihr von den Verbrennungen zu berichten?
An einer anderen Stelle im Buch wird auch von Hänseleien durch seine Brüder berichtet. Sa'ed half seiner Mutter viel im Haushalt und bei der Betreuung der kleinen Geschwister. „All das brachte ihm immer wieder Spott ein, auch in der eigenen Familie, denn Hausarbeit und Kinderbetreuung ist in Nablus häufig Frauensache. Statt Sa'ed nannten sie ihn Sa'eda. Die weibliche Form seines Vornamens. Den Vater stimmte das manchmal traurig. Die Mutter freute sich über die Unterstützung“ (S. 113).

Bereits mit elf Jahren erschien Sa'ed nicht mehr in der Schule (S. 132). Er wollte (oder musste?) arbeiten, um seine Familie zu unterstützen. Zu der Zeit sah er seinen Vater unter der Woche gar nicht, dieser pendelte nur am Wochenende nach Hause. Die Mutter war stark eingespannt. Unterstützung, Gespräche über Zukunftspläne all dies scheint es nicht gegeben zu haben (S. 134).
Zunächst arbeitete er in einer Schneiderei, von 7-30 Uhr bis 17 Uhr, für 2 € Lohn am Tag. Später in einer Bäckerei, wo die Schicht oft bis 18 Uhr ging, für 9 € Lohn am Tag (S. 135f). In den Betrieben herrschte ein raues Klima und die Kinder standen naturgemäß ganz unten in der Hierarchie.

Sa'ed war zum Beginn der Zweiten Intifada 15 Jahre alt, er erlebte Bombenexplosionen (auch vor dem eigenen Haus) und den Einmarsch der Israelis mit. Seine Mutter verlor eine Freundin, weil eine durch Palästinenser selbstgebaute Bombe versehentlich neben ihr hoch ging (S. 154). Sa'ed wendete sich in dieser Zeit immer stärker der Religion zu.
Als Sa'ed 17 Jahre alt war, wurde sein Freund und Arbeitskollege von israelischen Soldaten erschossen (S. 181). Kurz darauf musste die Familie von Sa'ed fluchtartig umziehen, in ihrem Wohnort war es zu gefährlich geworden, die Kämpfe eskalierten immer mehr. Dann wurde der Bruder eines Freundes von Sa'ed ebenfalls umgebracht. Sa'ed habe dann Rache geschworen (S. 184).

Beenden wir an dieser Stelle den Blick auf Sa'ed, der zum Selbstmordattentäter wurde. Mehrere traumatische Ereignisse in seiner Kindheit und Jugend wurden hier aufgezeigt, inkl. einer sehr destruktiven Familienatmosphäre.

Schlussgedanken

Das "Traumagesamtpaket" von Sa'ed ist gewiss größer (und alleine schon durch seine Umgebung politisch aufgeladen), als das von Daniel. Die Frage ist, ob  Sa'ed auch zum Selbstmordattentäter geworden wäre, wenn er eine liebevolle Familie, keine elterliche und geschwisterliche Gewalt und einen starken familiären Zusammenhalt erlebt hätte, bei gleichen Rahmenbedingungen? Die Frage ist gleichzeitig aber auch, ob bei diesen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen überhaupt liebevolle Familienverhältnisse erzeugt werden könnten? Rahmen und Familie, Familie und Rahmen, in den palästinensischen Gebieten scheint beides eng miteinander verflochten zu sein. Das Traumapotential in dieser Region ist enorm, gerade auch für die Kinder.

Prävention muss in beiden Fällen in der Familie beginnen, mit Hilfen (auch bei der Austragung von Konflikten), mit Anleitung zu einer gewaltfreien Kindererziehung und Kommunikation, mit positiven Ausgleichserfahrungen außerhalb der Familie u.ä. Mit Blick auf Sa'ed wird es komplizierter. Der Autor Martin Schäuble verweist in seinem Schlusswort zu Recht auf die notwendige Lösung der politischen Konflikte in der Region und auf eine notwendige Reduzierung von Gewalt- und Unrechtserfahrungen. Nur so kann dem Terror der Nährboden entzogen werden. Ich würde dem noch anschließen, dass dafür Sorge getragen werden muss, dass Kinder zur Schule gehen können und nicht in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen landen. Der Autor würde das sicher genauso sehen.

Dem Autor Martin Schäuble gebührt Respekt und Dank für diese umfassende Arbeit! Selten gehen derartige Analysen so in die Tiefe. Man vergisst nie, zu was für Taten diese beiden Männer in der Lage waren! Aber man versteht, dass ein Mensch nicht zum Terroristen geboren wird, sondern dass der Lebensweg entscheidende Weichen stellt. Und an diesen Weichen sollten und können wir ansetzen.

Donnerstag, 5. März 2020

Ich bin jetzt auf Twitter!

Ich fühle mich echt alt ;-), ab sofort bin ich auch auf Twitter erreichbar. Ich habe mich dazu überreden lassen... Ich muss zunächst erst noch das System erkunden. Vor allem werde ich schauen, ob mir das Ganze zukünftig mehr nimmt, als es bringt. Soziale Medien sind für mich vor allem große Zeiträuber. Außerdem kratzen sie immer auch an der eigenen Eitelkeit, da muss man sich auch vor sich selbst schützen. Und sie verleiten zu nebensächlichen Kommentaren, die dann wiederum die Zeit anderer Menschen rauben.

Allerdings habe ich ja mein "Gäste/Infobuch" eingestellt, in dem ich kurze INFO-Beiträge veröffentlicht habe. Das fehlt mir schon etwas. Immer wieder habe ich hier und da kurze Gedanken oder auch wichtige INFOS, die keinen eigenen Blogbeitrag rechtfertigen. Dies werde ich zukünftig auf Twitter auslagern! 

Was mich etwas schreckt ist, dass ich Kommentare nicht moderieren kann, so wie in meinem Blog. Ich gebe Twitter ein Jahr, dann schaue ich, ob ich dabei bleibe oder nicht.

Studie: Kindheiten von rechten Gewalttätern


Für nachfolgende Studie wurden 45 verurteilte, gewalttätige Jugendliche und junge Erwachsene, deren Motivation von Seiten der Justiz als vermutlich oder tatsächlich fremdenfeindlich bzw. rechtsextremistisch eingestuft wurde, befragt:
Heitmeyer, W. & Müller, J. (1995): Fremdenfeindliche Gewalt junger Menschen. Biographische Hintergründe, soziale Situationskontexte und die Bedeutung strafrechtlicher Sanktionen. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.). Forum Verlag, Bonn. 

Die formale Situation der Herkunftsfamilie zeigte bereits mehrheitlich Auffälligkeiten: Nur 20 von 45 Tätern lebten in einer vollständigen Familienkonstellation (S. 127).

Die Autoren merken an, dass dieses Oberflächenbild zwar eine gewisse Auffälligkeit zeigt, dass aber eine vollständige Familie nicht gleichbedeutend mit dem Fehlen von Desintegrationserfahrungen, wie sie es ausdrücken, ist. Sie schreiben weiter: „Der Blick nämlich auf die hinter der formalen Familienfassade liegenden individuellen Erziehungserfahrungen, auf psychisch-emotionale Beziehungen zu den Eltern bzw. zu einzelnen Elternteilen, auf sicherheitsgebende Unterstützung und Verlässlichkeit in der Familie, auf Kommunikationsstrukturen usw. zeitigt am Ende ein Bild, in dem innerhalb der hier untersuchten Gruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (…) nur eine kleine Minderheit von familialer Desintegration verschont geblieben zu sein scheint. 
Es bleiben schließlich insgesamt acht Jugendliche bzw. junge Erwachsene übrig, deren Schilderung ihrer Familienverhältnisse und Erziehungs- und Sozialisationserfahrungen das vorsichtige Fazit zulassen, dass sie keine subjektiv relevanten Desintegrationserfahrungen in der Familie gemacht haben (…)“ (S. 127f). An Hand der Formulierung der Autoren wird deutlich, dass sie nicht ganz ausschließen, dass evtl. doch Belastungen bei diesen acht Befragten zu finden wären.

Einige Fälle (Hermann, Ewald, Jakob, Tobias, Harry, Siegfried, Rainer und Ulrich; Seite 59- 131) wurden in der Studie etwas ausführlicher ausgebreitet, alle anderen Fälle wurden in einer Tabelle (Seite 132-135) erfasst und mit kurzen Stichworten beschrieben. Aus diesen Beschreibungen habe ich nur die belastenden Erfahrungen herausgesammelt und stelle diese nachfolgend vor. Es wird deutlich, dass die meisten dieser rechten Gewalttäter eine belastete Kindheit hatten:


Hermann (ausführliche Falldarstellung): Vater gestorben, als er vier Jahre alt war; die alleinerziehende Mutter war beruflich stark ausgelastet, so dass seine Schwester oft auf ihn aufpassen musste; zwischen seinem 7. und 11. Lebensjahr hatte die Mutter einen Freund, der zum Vaterersatz wurde; im 11. Lebensjahr von Hermann zog dieser Freund wieder aus, es kam zum Bruch

Harry (ausführliche Falldarstellung): seit 7. oder 9. Lebensjahr Trennung der Eltern (widersprüchliche Angaben dazu in der Tabelle und im Fallbeispiel), im 9. Lebensjahr erkrankte seine Schwester und musste 10 Monate ins Krankenhaus, ihr Leben sei gefährdet gewesen; er habe dann ein ziemliches Tief gehabt, auch die Mutter sei viel weg und im Krankenhaus gewesen; ab dem 14. Lebensjahr wurde die Beziehung zum Vater schwierig, nachdem dieser neu verheiratet war, endgültig kam es zum Bruch, als der Vater behauptete, sein Sohn hätte ihn beklaut, 5 Jahre hatte er dann keinen Kontakt mehr zum Vater; seine alleinerziehende Mutter war voll berufstätig, es wird nicht deutlich, wie dies ggf. die Beziehung zum Sohn beeinflusste; die Beziehung zur Mutter wird als sehr gut dargestellt, allerdings erfährt man auch folgendes: Zwar "gab es schon mal ´n paar Backpfeifen oder so", aber "mit schlagen is gar nich so gewesen" (S. 112). Hier sehen wir in klassischer Weise, wie Gewalterfahrungen im Rückblick als "keine Gewalt" umgedeutet werden (eine typische Folge eben dieser Gewalterfahrungen). Aus den Wörtern "schon mal" und "paar Backpfeifen" schließe ich, dass die Gewalt nicht selten war und es auch nicht bei einigen Ohrfeigen blieb. In der tabellarische Gesamtübersicht wurde von den Autoren geschrieben, dass die Mutter einen "demokratischen Erziehungsstil" pflegte (S. 132). Dies halte ich nach dieser gezeigten Aussage zumindest für zweifelhaft. Wir sehen hier also auch, wie wichtig es ist, detaillierte Infos zu den Einzelfällen zu bekommen.

Oskar: sehr schlechtes Verhältnis zum Vater, autoritäre Erziehung des Vaters, später Trennung der Eltern als er 18 war

Siegfried (ausführliche Falldarstellung): sehr autoritäre Erziehung, sehr schlechtes Verhältnis besonders zum Vater, heute keinen Kontakt mehr zu Eltern: „Beide sind für mich gestorben so“ (S. 130); Schwester stirbt bei einem Unfall, als er 14 Jahre alt ist, danach sei auch ein Teil von ihm gestorben; mit seinen Eltern konnte er seine Probleme nicht besprechen: „Über Probleme reden überhaupt so, das war tabu.“ (S. 128); mit 15 Jahren wurde er in einem Erziehungsheim untergebracht;  zwischenzeitlich immer wieder Versuche, Zuhause zu wohnen; er sei aber einige Male rausgeschmissen worden, so dass er auch einmal vier Monate auf der Straße leben musste.

Stefan: Eltern vor der Geburt geschieden, eher autoritärer Erziehungsstil und Überforderung der Mutter

Ulrich (ausführliche Falldarstellung): seit 3. Lebensjahr bei Pflegeeltern, auffällig vor allem auch die hohe Kinderzahl von 10 in der Ursprungsfamilie, zu leiblichen Eltern sehr schlechtes Verhältnis; als er 19 Jahre alt war, starb sein Pflegevater, danach begann die kriminelle Karriere von Ulrich; sein leiblicher Vater sei alkoholkrank, seine leibliche Mutter sei „schlimmer als ein Rabe“ (S. 131), die alle seine Geschwister gemocht hätte, nur ihn nicht;  seine gesamte Herkunftsfamilie inkl. der Geschwister (außer einer Schwester) bezeichnet er als „Dreck“.

Tobias (ausführliche Falldarstellung): Verhältnis zum häufig abwesenden Vater sehr schwierig (wird ihm gegenüber als "Beziehungslosigkeit" beschrieben inkl. mangelnde Aufmerksamkeit und Zuwendung), Problem in der Familie sei eine Art "Nicht-Erziehung" gewesen, hoher Erfolgsdruck in der Familie, nach eigenen Angeben selten körperliche Gewalt, was allerdings auffällt ist, dass er bezogen auf sich und später seine Erziehung gegenüber Kindern anmerkt: "Ich find so laizer faire-mäßig ist nicht das Richtige, ich find, ich bin auch emotional, aber ein Kind merkt, das ist eine Beziehung, sobald die Beziehung keine Emotionen mehr hat, is sie tot. Ich meine, gut, ein Klaps aufn Arsch ist besser als `Mach deinen Scheiß, weil dann merkt`s, irgendwo sind Emotionen da" (S. 100)
Hier wird zunächst die emotionale erlebte Kälte in der Familie deutlich. Dass ihm als Lösung nur körperliche Gewalt in der Erziehung einfällt, macht mich hellhörig: Hat er vielleicht in jüngeren Jahren doch mehr Gewalt erlebt, als er eingeräumt hat?

Michael: seit 1. Lebensjahr Eltern geschieden,

Matthias: Eltern seit dem 14. Lebensjahr geschieden, Verhältnis zum Vater sehr schlecht, sehr autoritäre Erziehung, abwechselnd wohnhaft bei Vater und Mutter

Horst: seit 5. Lebensjahr Eltern geschieden, autoritäre Erziehung durch den Vater, schlechtes Verhältnis zum Vater

Peter: Seit dem 10. Lebensjahr Eltern geschieden

Christoph: sehr autoritäre Erziehung des Vaters, gespanntes Verhältnis zu beiden Elternteilen

Jakob (ausführliche Falldarstellung): leiblicher Vater unbekannt, darüber wurde er erst im Alter von 17 Jahren aufgeklärt, vorher dachte er, sein Stiefvater sei sein echter Vater; autoritäre Erziehung des Stiefvaters (Prügel und Ohrfeigen); seine Mutter habe viel geredet, aber auch geschrien; seine Beziehung zu seinen Eltern beschreibt er seit seinem 16. Lebensjahr aktuell als "gleichgültig", er kam nur noch zum Schlafen und Essen nach Hause.

Klaus: Eltern seit dem 2. Lebensjahr geschieden, sehr autoritäre Erziehung des Stiefvaters, schlechtes Verhältnis zum Stiefvater

Philip: Eltern seit 11. Lebensjahr geschieden, leiblicher Vater unbekannt, sehr gewalttätiger Stiefvater, 8 Jahre Heimaufenthalt

Harald: Eltern seit 2. Lebensjahr getrennt, Mutter überfordert, Heimaufenthalt zwischen 10. Und 15. Lebensjahr

Patrick: autoritäre Erziehung der Eltern, Vater das erste Mal im Alter von 3 Jahren kennengelernt

Werner: Vater im 8. Lebensjahr gestorben, auffällig die hohe Geschwisterzahl von 8, autoritäre Erziehung der Mutter, Verhältnis zur Mutter sehr schlecht, kaum Kontakt zu Geschwistern

Frank: Eltern seit 11. Lebensjahr geschieden, keinen Kontakt mehr zum Vater

Arno: Eltern seit 13. Lebensjahr geschieden, keinen Kontakt mehr zur Mutter und den jüngeren Geschwistern

Edgar: Eltern seit 10. Lebensjahr geschieden, autoritäre Erziehung durch den Vater, Verhältnis zum Vater sehr schlecht

Gregor: hat Adoptiveltern, er kennt seine leiblichen Eltern nicht, sehr schwieriges Verhältnis zum Adoptivvater

Volker: sehr autoritärer Erziehungsstil und schwieriges Verhältnis zu den Eltern, insbesondere dem Vater

Norbert: Eltern seit 5. Lebensjahr geschieden,

Rainer (ausführliche Falldarstellung): sehr autoritärer Erziehungsstil des Vaters, sehr schlechtes Verhältnis zum Vater; auffällig sind dabei vor allem Schilderungen von besonders schwerer Gewalt seitens des Vaters mit Folgen wie blauen Flecken, so dass er nicht mehr sitzen konnte; ergänzend wird auch eine Szene beschrieben, in der die Mutter gewalttätig wurde, worauf er erst einmal abgehauen sei.

Robert: sehr autoritärer Erziehungsstil der Mutter, Vater war früher beruflich häufig längere Zeit abwesend

Thilo: keine Besonderheiten

Sonja: Eltern seit 4. Lebensjahr geschieden, autoritäre Erziehung, schlechtes Verhältnis vor allem zur Mutter, Mutter war häufig abwesend

Sebastian: Eltern seit dem 4. Lebensjahr geschieden, sehr schlechtes Verhältnis zur Mutter und zum Stiefvater, Überforderung der Eltern, 3 Jahre Heimaufenthalt

Rolf: keine Besonderheiten

Tim: Keine Besonderheiten

Richard: Eltern seit dem 12. Lebensjahr geschieden, 6 Geschwister, zum Vater sehr schlechtes Verhältnis, häufige Abwesenheit des Vaters, seit Jahren keinen Kontakt mehr zum Vater

Albert: Vater eher autoritär, früher schlechtes Verhältnis zum Vater

Günther: Eltern seit 12. Lebensjahr geschieden

Guido: Mutter im 15. Lebensjahr gestorben, Vater war viel abwesend, nach dem Tod der Mutter war Guido auf sich alleine gestellt

Fridolin: Vater unbekannt, seit dem 7. Lebensjahr im Heim, Mutter seit Heimaufenthalt noch 5 mal gesehen, über ihren späteren Tod war er „froh“

Thomas: autoritäre Erziehung der Mutter, schwieriges Verhältnis zur Mutter, Vater oft lange abwesend

Lutz: keine Besonderheiten

Kai: Vater im 1. Lebensjahr gestorben, Verhältnis zur Mutter und zum Stiefvater sei „normal“, allerdings seit dem 13. Lebensjahr Leben in einem Heim

Bert: Eltern im 16. Lebensjahr geschieden, sehr autoritärer Erziehung der Eltern, er fühlte sich als „schwarzes Schaf“ der Familie

Theo: Keine Besonderheiten

Oliver: keine Besonderheiten

Bruno: keine Besonderheiten

Holger: Keine Besonderheiten

Ewald (ausführliche Falldarstellung): kennt seinen leiblichen Vater nicht, sehr autoritäre Erziehung des Stiefvaters (Gewalt und emotionale Kälte) und schlechtes Verhältnis zu ihm; Mutter schützte ihren Sohn nicht, sondern habe sich untergeordnet; Ewald hat zum Zeitpunkt des Interviews seit vier oder fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern

Mittwoch, 4. März 2020

Zwei kleine Studien über die Kindheitserfahrungen von Rechtsextremisten

Es gibt auch kleinere Untersuchungen, die sich mit der Sozialisation und auch Kindheit von Rechtsextremisten befasst haben. Zwei möchte ich heute vorstellen.

Beginnen wir mit folgender Arbeit:
Nölke, E. ( 1998): Marginalisierung und Rechtsextremismus. Exemplarische Rekonstruktion der Biographie- und Bildungsverläufe von Jugendlichen aus dem Umfeld der rechten Szene. In: König, H.-D. (Hrsg.): Sozialpsychologie des Rechtsextremismus. Suhrkamp -Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main. S. 257-278.

Eberhard Nölke hat im Rahmen eines Projektes an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zwei Jugendliche, die der rechten Jugendszene nahestehen, befragt.

Der Fall Michael (zum Zeitpunkt der Befragung inhaftiert):

War eigentlich ne ganz gute Kindheit so, also die ersten zwei Jahre gings“, sagte Michael (S. 259).
In Falldarstellungen von Gewalttätern oder Extremisten findet man solche Sätze nach meiner Erfahrung gar nicht so selten. „War ganz normal“ + „Alles gut“ sind Aussagen zur eigenen Kindheit, die bei genauer Betrachtung so gar nicht gut und so gar nicht normal sind. Im Fall von Michael sieht man die dunkle Seite seiner Kindheit schon gleich im Nachsatz: „also die ersten zwei Jahre gings“…

Schauen wir uns also einige wesentliche Daten zur Kindheit von Michael an: Zu seinem Vater hatte er kein gutes Verhältnis und konnte sich mit diesem auch nicht über Probleme austauschen. Über seine Mutter und die Beziehung zu ihr gibt Michael gar nichts Preis. Wie problematisch die Verhältnisse in der Familie (die zudem mit sechs Kindern sehr kinderreich war) waren, wird an einer Stelle sehr deutlich: „Auf Nachfragen des Interviewers hin erzählt Michael ergänzend, dass es in der Familie oft zu Streitereien und gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, insbesondere zwischen den Eltern sowie seinen beiden älteren Brüdern und dem alkoholisierten Vater. Die biographische Erzählung über die Kindheit wird hier auch zur retrospektiven Annäherung an traumatisierende Erfahrungen und gerät zum Versuch, das Geschehene auszublenden oder zu neutralisieren“ (Nölke 1998, S. 260f).
In der Schule gab es große Probleme, was letztendlich dazu führte, dass Michael auf eine Sonderschule kam. Der weitere Eskalationsprozess nahm seinen Lauf:  „Die zunehmende Entkoppelung von der Schule, der steigende Alkoholkonsum sowie die sich häufenden Diebstähle und gewaltsamen Auseinandersetzungen, in die Michael und sein älterer Bruder verstrickt sind, führen schließlich, nach zahlreichen vergeblichen Interventionen des Jugendamtes, zur Unterbringung in einem entfernt gelegenen Heim“ (Nölke 1998,. 266). Dort traf er auf einen rechten Skinhead, den er als „Artgenossen“ beschrieb. Mit ihm habe er nächtelang über die Nazizeit reden können.

Der Fall Erich:

Über die Kindheit von Erich erhält man nur sehr wenig Informationen (vor allem zum Erziehungsstil gibt es im Grunde keine Infos). Zwei Belastungen stechen ins Auge: Sein Vater verunglückte tödlich, als Erich zwei Jahre alt war. Nach dem Tod des Vaters heiratete seine Mutter erneut. Den Stiefvater kennzeichnet Erich als „Arbeitstier“, der auch im Anschluss seiner Arbeit noch einige Stunden im Keller arbeitete. Auch die Mutter war berufstätig, so dass Erich nach der Schule in einen Hort kam. Viel Zeit der Eltern für das Kind scheint also nicht dagewesen zu sein. Bzgl. des Stiefvaters deutet Erich einen hohen Alkoholkonsum (dieser habe „noch ausgiebiger gefeiert“, als er selbst) an. Bzgl. seines leiblichen Vaters deutet sich an, dass dieser alkoholisiert war, als er mit dem Auto verunglückte. Auch Erich neigt sehr dem Alkohol zu. Erich wird schließlich Teil der rechten Skinheadszene in Ostdeutschland (Nölke 1998,. 268-272). Vom Autor wird Erich als ein durch „Konventionalismus und Unterwürfigkeit unter Autoritäten geleiteter Typus“ beschrieben, dessen Lebens-Prinzip man wie folgt beschreiben könnte: „Man kann eh nichts machen, das ganze Leben ist ein Kompromiss“ (Nölke 1998, S. 275f)

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Für nachfolgende Studie wurden drei Interviews mit männlichen Jugendlichen aus der rechtsextremen Szene geführt: Michel, S. & Schiebel, M. (1989): Lebensgeschichten von rechtsextremen Jugendlichen. In: Rosenthal, G. (Hrsg.): Wie erzählen Menschen ihre Lebensgeschichte? Hermeneutische Fallrekonstruktion distinkter Typen. Forschungsbericht des Lehrprojektes: „Biographie“. Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie. S. 212-233.

Der erste Befragte begann seine Erzählung mit den Worten, dass seine Kindheit „normal“ verlaufen wäre (Michel & Schiebel 1989, S. 213). Auf ähnliche typische Ausführungen in diese Richtung habe ich oben schon hingewiesen. Die weiteren Details: Seine Eltern trennten sich und er sei danach vorübergehend in ein Internat in die Schweiz abgeschoben worden. Über diese Zeit schwieg sich der Befragte aus. Nach dem Internat habe er abwechselnd bei seiner Mutter und bei seinem Vater gelebt. Den Anstoß zu den jeweiligen Umzügen gab immer ein Streit (Michel & Schiebel 1989, S. 213f) Das Interview wurde in einer Kneipe geführt, in der sich rechte Jugendliche trafen. Das Interview sei immer wieder von Anwesenden gestört worden. Ich gehe davon aus, dass in diesem Rahmen kaum Angaben des Befragten über evtl. erlebte schwere Belastungen (Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch usw.) zu erwarten sind. Trotzdem zeigten die o.g. Ausführungen bereits ein sehr konfliktbeladenes Aufwachsen.

Die zweite Befragung fand im gleichen Rahmen statt. „Er begann seine Darstellung mit der Schilderung einer durchweh konfliktreichen Kindheit. Die Scheidung seiner Eltern und ein mehrmaliger Umgebungswechsel (Pflegefamilie, Schwägerin, Internat) waren seiner Darstellung zufolge für seine Kindheit und Jugend kennzeichnend“ (Michel & Schiebel 1989, S. 215). Er erwähnt weitere Krisen in seinem Leben, wie die Trennung von seiner Freundin und später einen Selbstmordversuch. Zum Zeitpunkt der Befragung war er 19 Jahre alt und wohnte weit entfernt von seinen Eltern und der Pflegefamilie. Seine wesentlichen Kontakte hatte er in der rechten Szene (Familienersatz?).

Der dritte Befragte (dieses Interview fand in einem Haus statt, allerdings auch nicht alleine, ein anderer junger Mensch – wohl ebenfalls aus der rechten Szene - war dabei anwesend) hat, laut den Autoren, sehr wenig über sein Leben Preis gegeben. Nur so viel kam zur Kindheit zu Tage: Seine Eltern ließen sich scheiden, als er fünf Jahre alt war. Mit zwei jüngeren Geschwistern kam er bei seiner Mutter unter. Während seiner Hauptschulzeit sei er viel in gewalttätige Konflikte verwickelt gewesen (Michel & Schiebel 1989, S. 216).


Abschließende Bemerkung:

In beiden Studien konnten deutliche Belastungen in der Kindheit der Befragten aufgezeigt werden. Allerdings offenbaren sich auch die Schwierigkeiten, vertiefende Informationen zur Kindheit von rechtsextremen Personen zu bekommen. Bagatellisierungen scheinen eher die Regel zu sein (was sich auch in anderen Studien zeigt). Ich würde dem noch anhängen, dass rechtsextreme Akteure ja bereits durch ihre Gesinnung deutlich machen, dass sie nach Außen Stärke, Kontrolle und Macht demonstrieren und auch Angst verbreiten wollen. Zu diesem Selbstbild passt kaum, sich auf vertiefende Erzählungen zu verletzenden Erfahrungen in der Kindheit einzulassen und Ohnmacht einzugestehen. Es ist deshalb im Grunde schon erstaunlich, dass sich in vielen anderen Extremismus-Studien (die ich hier auch im Blog besprochen habe) deutliche Belastungen (dabei auch Gewalterfahrungen) in der Kindheit von Rechtsextremisten feststellen lassen. Man muss wohl einen guten Rahmen wählen und auch die Fragen geschickt stellen, dann bekommt man auch Antworten. Beide o.g. Studien sind schon etwas älter und waren methodisch sicher auch nicht perfekt. Trotzdem möchte ich sie hier besprechen, denn die Grunderkenntnis ist auch hier, dass sich regelmäßig belastende Kindheitserfahrungen bei Extremisten finden lassen.

Donnerstag, 20. Februar 2020

Hallenser Gewaltstudie: Die Kindheitsgeschichte ostdeutscher, rechter Gewalttäter



Für nachfolgend genannte Studie wurden 24 Interviews mit jungen Gewalttätern in Ostdeutschland geführt:

Bannenberg, B. & Rössner, D. (2000): Hallenser Gewaltstudie - Die Innenwelt der Gewalttäter: Lebensgeschichten ostdeutscher jugendlicher Gewalttäter. In: DVJJ-Journal: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 11 (2000) 2, S. 121-134.

Von den 24 Gewalttätern bezeichneten sich 17 (nur eine Person davon war weiblich) als rechts oder früher rechts, als rechtsgerichtet, als rechtsdenkend, als Skin oder Skinhead mit nationalistischer oder ausländerfeindlicher Einstellung (S. 129). Die Bandbreite reichte dabei von rechtem Denken, das nicht unbedingt mit Gewalthandeln verbunden war, bis hin zu extrem hasserfüllten Denken, das in gewalttätige Handlungen mündete. Sehr häufig wurden die Freundschaft, Kameradschaft und der Familienersatz durch rechte Gruppen betont.

Der familiäre Hintergrund war für viele Jugendliche der Einstieg in die Gewalt. Sie lernten nicht nur, Gewalt als normales Mittel des Verhaltens, der Interessensdurchsetzung und der Konfliktlösung anzuwenden, sondern wurden häufig auch schon sehr früh in extremer Weise Opfer. Sie mussten in frühen Jahren mit ansehen, wie Mutter und Geschwister geschlagen und verprügelt wurden und sie mussten in einem Klima leben, das jederzeit in unberechenbarer Weise in Gewalt, auch gegen sie selbst, umschlagen konnte. Viele machten auch die deprimierende Erfahrung, das keine Hilfe zu erwarten war“ (S. 123).

Die Befragten konnten in ihrer Kindheit und Jugend keine vertrauensvollen und tragfähigen Beziehungen zu Erwachsenen aufbauen. In den Fallbeispielen fällt auch immer wieder der Hinweis auf starken Alkoholkonsum von Elternteilen auf. Viele (die genaue Anzahl wurde nicht dargestellt, es wurde nur von „vielen“ berichtet) waren außerdem phasenweise in Kinderheimen untergebracht. Die Gewalttäter wiesen keine oder nur eine niedrige Bildungsqualifikation auf. Die Mehrheit hatte keinen Schulabschluss.

Manche Fallbeispiele sind extrem, so z.B. der Fall „Philip“. Philip schilderte, dass seine Eltern ihn nicht gewollt hätten. Es gab viel Streit, der Vater hätte randaliert bis die Polizei kam. Seine Mutter habe viel getrunken und sich nicht gekümmert. Weitgehend sei er bei seiner Oma aufgewachsen. Später kam er nur noch nach Hause, um dort zu schlafen. In der Schule gab es massive Probleme. 1992 wurde seine Mutter vergewaltigt und durch viele Messerstiche ermordet. Kurz nach der Wende schloss er sich einer rechten Gruppe an und beging mit 13 Jahren einen Brandanschlag auf eine Gedenkstätte. Seine weitere kriminelle „Karriere“ ist lang, inkl. gefährlicher Körperverletzung. Im Rahmen seiner rechten Aktivitäten wurde er aber auch Opfer von schwerer Gewalt (S. 129).

Mittwoch, 19. Februar 2020

Studie: Der soziobiographische Hintergrund rechtsextremistischer Gewalttäter


Für die nachfolgend genannte Studie wurden 61 rechtsextreme, männliche Gewalttäter, die vom Landgericht Halle und Dessau vorwiegend wegen Mordes, versuchten Mordes, Totschlag oder gefährlicher Körperverletzung angeklagt worden waren, mehrstündig befragt (ergänzend wurden teils auch die Eltern im Gerichtssaal befragt):

Marneros, A., Steil, B. & Galvao, A. (2003): Der soziobiographische Hintergrund rechtsextremistischer Gewalttäter. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. Band 86, Heft 5. S. 364–372.


Zur Kindheit und Familiensituation gibt es folgende Ergebnisse:
  • Bei 68,9 % (N=42) der Täter konnte eine sogenannte „Broken-home-Situation“ nachgewiesen werden. Darunter fielen:  Trennung/Scheidung der Eltern, Sucht bei einem Elternteil, Wechsel der Erziehungsträger, Heimaufenthalte, aufwachsen ohne Vater, aufwachsen ohne Mutter, Tod eines Elternteils.
  • Besonders auffällig fand ich vor allem die hohen Zahlen suchtkranker Eltern (34,4%) und von Heimaufenthalten (23%). 
  • Nur 34,4 % (N=21) der Täter gaben an, dass sie in ihrer Ursprungsfamilie keine Gewalt erlebt hatten. 
  • 65,6 % der Täter haben entsprechend Gewalt in unterschiedlichen Konstellationen (Mutter gegen Kinder, Eltern gegen Geschwister usw.) erlebt. Die häufigste Gewaltkonstellation war Gewalt durch den Vater gegen die Befragten (60,7%). 

Aus Erfahrung weiß man, dass gerade solche Gewalttäter dazu neigen, negative Kindheitserfahrungen zu bagatellisieren oder zu verdrängen. In dieser Hinsicht haben auch die Autoren der Studie beim Thema Gewalt bzw. problematische Familienhintergründe Hinweise gegeben: Einige Befragte hätten Schwierigkeiten gehabt, ihre Antworten detailliert darzustellen. „Die Motive dafür sind unterschiedlich. So spielen Abwehr, Verleugnung oder auch Intention eine entscheidende Rolle bei der Beantwortung der Fragen“ (S. 366).

Im weiteren Bildungsverlauf zeigt die Studie klassische Ergebnisse ähnlicher Studien: 27,9 % der Befragten hatten die Schule abgebrochen und 23 % waren auf einer Sonderschule. Nur ein Befragter hatte Abitur. Bei 64 % der Befragten wurde ein sehr stark ausgeprägte Störung des Sozialverhaltens (nach Kriterien der WHO) festgestellt.

Dienstag, 18. Februar 2020

NS-Täter. Die Kindheit von Odilo Globocnik


Ich habe mich mit der Kindheit des NS-Täters Odilo Globocnik befasst. Meine Quelle dafür ist:
Sachslehner, J. (2014): Zwei Millionen ham'ma erledigt: Odilo Globocnik - Hitlers Manager des Todes. Styria, Wien – Graz – Klagenfurt. 

Odilo Globocnik wird als der ´“blutigste Einpeitscher von Judenvernichtung und Germanisierung“ im polnischen Generalgouvernement benannt (S. 11). Er gilt als einer der Haupttäter des Holocaust. In der Inhaltsbeschreibung heißt es: „SS-Brigadeführer Odilo Globocnik ist ­Manager: Manager des Todes. Seine Geschäfte sind der millionenfache Massenmord und der Raub jüdischen Eigentums. (…) Sein monströser Vorschlag zur physischen Vernichtung der polnischen Juden durch Giftgas findet im Herbst 1941 rasch die Zustimmung Berlins, ab dem März 1942 rollen die Todeszüge in die neu errichteten Vernichtungslager Belzec, Sobibór und Treblinka.“

Der Vater von Odilo war ursprünglich beim Militär im Rang eines Oberleutnants. Als er heiraten wollte, wurde er in den Stand der Reserve zurückversetzt und war von nun an Postbeamter. Sein Sohn Odilo Globocnik wurde 21.04.1904 in Triest geboren. Im Ersten Weltkrieg wurde der Vater einberufen und schaffte es in den Rang eines Rittmeisters. Wegen eines Magenleidens scheint ihm der Einsatz an der Front allerdings erspart geblieben zu sein.
Eine Offizierskarriere in der Armee des Kaisers sah der Vater offenbar auch für seinen Sohn als erstrebenswert an, „so wird der elfjährige Odilo nach St. Pölten geschickt, wo dieser am 13. Dezember 1915 nach bestandener Aufnahmeprüfung in die Militär-Unterrealschule eintritt“ (S. 22).

Der Biograf Johannes Sachslehner beschreibt einen Bericht eines früheren Zöglings dieses Militärinternats, die „Vergewaltigung seiner Kindheit“ und den körperlichen und geistigen Missbrauch während dieser Zeit (S. 23). Wie Odilo seinen Aufenthalt dort erlebte, wird nicht beschrieben. Der Biograf meint, dass Odilo mit den „Herausforderungen der Militärerziehung besser zurechtgekommen zu sein“ scheint (S. 23); Grundlage für diese Einschätzung sind offenbar sehr gute Zeugnisse des Schülers, keine Aussagen von Odilo.

Nach Ende des Krieges kehrte der nun mehr 14-Jährige zurück zu seinen Eltern, die ihm ein neues Berufsziel auferlegten: Techniker. Am 01.12.1919 starb sein Vater im Alter von 49 Jahren, wohl an einer Krankheit, die er sich im Krieg zugezogen hat. Für Odilos Mutter, „die nun mit drei unversorgten Kindern allein dasteht, beginnt ein verzweifelter Kampf ums Überleben“ (S. 27). In einem Unterstützungsersuch an die Postdirektion schrieb sie, dass sie und ihre Kinder dem Hungertod anheimfallen werden. „Odilo, der diesen Überlebenskampf hautnah miterlebt, fühlt sich von nun an als einziger `Mann` in der Familie für seine Mutter und für seine jüngere Schwester Erika verantwortlich“ (S. 27). Er verdiente sich als Kofferträger etwas dazu. Allerdings betätigte der Jugendliche sich nebenbei auch politisch, die Parolen der extrem Rechten machte er sich schnell zu eigen. In seinem Heimatort scheint es eine sehr aktive politische Szene gegeben zu haben.

Schilderungen über die Familienatmosphäre oder den Umgang der Eltern mit den Kindern findet man im Grunde fast gar nicht in der verwendeten Quelle. Ebenfalls finden sich wie geschildert keine Details über den ca. dreijährigen Aufenthalt im Militärinternat. Ich muss also etwas spekulieren:
Seine Mutter war die Tochter eines Beamten. Sein Vater war sowohl Beamter als auch beim Militär. Die Eltern regelten den Lebensweg ihres Sohnes, erst sollte er Offizier werden, dann Techniker. Einen Elfjährigen – zudem in Kriegszeiten - in ein Militärinternat zu schicken, mag man damals für eine gute Idee gehalten haben; ein Kind bleibt aber ein Kind. Für einen Elfjährigen bedeutet es einen tiefen Einschnitt von der Familie getrennt und den Vorgesetzten im Internat ausgeliefert zu sein. Was sich dort alles abspielte, lässt sich nur erahnen. Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass das Kind in den Jahren dort keine Verletzungen und Indoktrinationen erlebt hat.

Die Frage bleibt ergänzend, wie die Eltern Zuhause mit den Kindern umgingen?  Eine vom Militär und vom Beamtentum geprägte Familie des Kaiserreichs steht für mich nicht gerade für eine liberale Erziehung, letztere war damals eh selten zu finden. Ich vermute deutliche Belastungen und Gehorsamsforderungen in der Familie.

Bei aller Spekulation bleiben aber auch die deutlichen Fakten, die eine sehr belastete Kindheit aufzeigen: Trennung von der Familie und Zeit im Militärinternat zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr, Tod des Vaters als Odilo 15 Jahre alt war und anschließend verzweifelte Situation der Familie.

Montag, 17. Februar 2020

NS-Täter. Die Kindheit von Werner Best


Ich habe mir die Kindheitsgeschichte von Werner Best angeschaut. Meine Quelle dafür ist:
Herbert, U. (1996): Best: Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989. J.H.W. Dietz Nachfolger, Bonn.

Als Stellvertreter Heydrichs bei der Gestapo, Chef der Innenverwaltung im besetzen Frankreich, Reichsbevollmächtigter in Dänemark sowie einflussreicher Ideologe der SS stand Best während der NS-Diktatur immer im Schnittpunkt nationalsozialistischer Weltanschauung und Politik“ (Herbert 1996, Inhaltsangabe)

Werner Best hat seine frühe Kindheit als unbeschwert und behütet dargestellt. Wobei auffällt, dass er sich (den Ausschnitten nach) dabei nur auf Erlebnisse außerhalb der Familie konzentriert: Schlittenfahren, Sommersingen, Theater usw. (S. 46). Als Bruchpunkt beschrieb er den Tod seines Vater, der in Folge einer Verwundung an der Westfront in Frankreich am 04.10.1914 starb. Werner war zu dem Zeitpunkt 11 Jahre alt. Best schreibt: „Der frühe Heldentod meines Vaters hat mich schon mit elf Jahren einsam gemacht, da meine Mutter zusammenbrach und mehr Stütze von seiten ihrer Söhne brauchte, als sie ihnen geben konnte. Ich bin deshalb eher von der Tradition meiner Familie als von meinen Eltern erzogen worden. (…) Mein Vater hatte einen Brief an seine beiden Söhne hinterlassen, in dem er uns die Mutter anbefahl und uns aufforderte, patriotische deutsche Männer zu werden. So fühlte ich mich mit elf Jahren bereits für meine Mutter und meinen jüngeren Bruder verantwortlich. Und vom 15. Lebensjahr ab (1918!) fühlte ich mich verantwortlich für die Wiederaufrichtung Deutschlands. Ich habe deshalb in meiner Jugend nur Ernst und Sorge, Arbeit und Verantwortung gekannt“ (S. 47)
Der Tod des Vaters war für die Familie traumatisch. In der Folge konnte seine Mutter nicht mehr wie vorher für ihre Kinder sorgen, wenn man den Ausführungen folgt. Wenige Wochen nach dem Vater starb zudem auch noch der Großvater (S. 47).

Über den Erziehungsstil und weitere Belastungen in der Familie erfährt man nicht viel in der verwendeten Quelle. Nur so viel: „Der Vater durchlief die höhere Postbeamtenlaufbahn, bei jeder Beförderung wurde er versetzt. Die Familie zog mit, von Darmstadt nach Liegnitz, von Liegnitz nach Dortmund“ (S. 46). Nach dem Tod des Vaters siedelte die Familie erneut um, nach Gosenheim bei Mainz. Das Leben der Kinder und Familie verlief also auch räumlich unstet.

O-Ton Werner Best: „Ich bin in der Atmosphäre deutschen Beamtentums aufgewachsen. Mein Vater war Postbeamter und Sohn eines Eisenbahnbeamten, meine Mutter die Tochter eines Bürgermeisters. Dienst für Volk und Staat, strenge Pflichterfüllung und spartanisch einfache Lebenshaltung waren der Lebensrahmen einer deutschen Beamtenfamilie“ (S. 46)
Hier deutet sich ziemlich klar an, dass viel Wert auf Disziplin und Gehorsam gelegt wurde. Wie genau sich dies im Erziehungsstil niederschlug, wird nicht beschrieben. Fest steht aber auch, dass in der verwendeten Quelle keine Belege für Gewaltfreiheit in der Familie zu finden sind. Überhaupt ist die Informationslage über die Kindheit von Werner Best sehr dünn.

Bei den meisten von mir untersuchten NS-Tätern fällt auf, dass es meisten mehrer Belastungen in der Kindheit gab: Also z.B. strenge, autoritäre Erziehung und Tod eines Elternteils oder strenge, autoritäre Erziehung und lange Trennung von der Familie usw. Bei Werner Best gibt es nur Andeutungen, die eine strenge Erziehung nahe legen. Die traumatischen Belastungen nach dem Tod des Vaters wurde beschrieben. Ebenfalls der Zusammenbruch der Mutter. Eine sehr belastete Kindheit an sich ist insofern belegt.