Freitag, 7. Mai 2010

Meinungsbild zum Afghanistaneinsatz und Kindheit

Kurz nachdem die Luftangriffe auf Afghanistan seitens der USA Anfang Oktober 2001 begannen, hielten damals knapp 80 Prozent der Deutschen diese für gerechtfertigt. Je länger sich allerdings die Luftangriffe hin zogen, desto weniger Deutsche hielten sie für einen sinnvollen Beitrag zu Bekämpfung des Terrorismus, die Relationen waren schließlich 53 zu 47.
(http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Medien/wittich.html)

„Mitte Oktober wurde in den Medien darüber spekuliert, ob Bundeswehrtruppen bei den Kampfhandlungen in Afghanistan eingesetzt würden. Zu diesem Zeitpunkt waren nur knapp 40 Prozent der deutschen Bevölkerung für einen Bundeswehreinsatz, reichlich 60 Prozent waren dagegen. Anfang März waren diese Einsätze knapp zwei Monate im Gange. Der Nachrichtenlage nach waren dort eingesetzte Bundeswehrangehörige mit Schutz- und Sicherheitsaufgaben betraut, über Verwicklungen in Kampfhandlungen wurde nichts bekannt. Entsprechend hatte sich das Meinungsbild in der deutschen Öffentlichkeit verändert. Nunmehr stimmte 58 Prozent der Deutschen den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan zu und 42 Prozent lehnten sie ab.“
(http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Medien/wittich.html)

Bei einer Forsa-Umfrage im März 2002 befürwortete eine große Mehrheit von 62 Prozent den Einsatz am Hindukusch, nur knapp ein Drittel wollte damals einen Abzug der Truppen. (http://www.stern.de/politik/deutschland/stern-umfrage-bundeswehr-soll-raus-aus-afghanistan-704985.html)

Im Jahr 2002 hielten nach einer Emnid Umfrage 55 Prozent der Befragten den Afghanistan Einsatz für richtig, 44 Prozent hielten ihn für falsch. (http://www.focus.de/politik/ausland/umfrage_aid_57018.html)

Eine Forsa Umfrage ergab im September 2005, dass nur knapp ein Drittel der Deutschen (34 Prozent) für einen Abzug aus Afghanistan plädierten. (http://www.welt.de/politik/deutschland/article7174424/62-Prozent-der-Deutschen-fuer-Afghanistan-Abzug.html)

Mitte 2007 lehnten nach einem blutigen Anschlag auf deutsche Soldaten in Kundus 68 Prozent der von Emnid Befragten den Einsatz ab. (http://www.focus.de/politik/ausland/umfrage_aid_57018.html)

Im September 2007 war (laut Forsa) eine Mehrheit von 52 Prozent für einen Rückzug, im September 2008 waren es 59 Prozent. Mit 61 Prozent lehnten im Juli 2009 die Deutschen den Einsatz ab. (http://www.stern.de/politik/deutschland/stern-umfrage-bundeswehr-soll-raus-aus-afghanistan-704985.html)

Nach dem Bombardement auf zwei Tanklastwagen im September 2009 waren laut Forsa 55 Prozent für eine Rückkehr der deutschen Truppen. (http://www.welt.de/politik/deutschland/article7174424/62-Prozent-der-Deutschen-fuer-Afghanistan-Abzug.html)

62 Prozent der Deutschen sprechen sich in einer aktuellen Forsa-Umfrage im April 2010 für einen Abzug aus Afghanistan aus. Nach einer kürzlich veröffentlichten ARD-Blitzumfrage sind 70 Prozent für einen möglichst schnellen Rückzug der deutschen Soldaten. Nur 26 Prozent sind für eine Fortsetzung des Einsatzes- im Herbst 2009 waren das noch 37 Prozent. (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,689243,00.html)

Ein Vergleich zwischen drei repräsentativen Jugendstudien (jeweils 1992, 2002 und 2005) zeigt, dass ca. 30 % (jeweils nach Jahreszahlen 31,8 %, 29,6 % und 32 %) der Jugendlichen gewaltfrei erzogen wurden. Die große Mitte sind die „konventionell“ erzogenen, die häufig leichte körperliche Bestrafungen und andere Sanktionen erfahren haben und in deren Erziehung „weitgehend“ auf schwere körperliche Gewalt verzichtet wurde. (Zahlen jeweils in der Reihenfolge der Jahreszahlen: 36,4 %, 51,2 % und 46, 7 %). Eine gewaltbelastete Erziehung (Diese Gruppe weist bei allen Sanktionsarten – inkl. psychischer Gewalt - eine überdurchschnittlich hohe Häufigkeit auf, insbesondere auch schwere Körperstrafen.) erlebten jeweils nach Jahreszahlen 31, 8 %, 19,3 % und 21,3 %.
(vgl. Bundesministerium der Justiz (erstellt von Prof. Dr. Kai-D. Bussmann) 2007: Report über die Auswirkungen des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung. Berlin, S. 18 (http://www.bmj.de/files/-/1375/BussmannReport.pdf))

Wir haben also grob gedacht eine drei Drittel Gesellschaft, wobei es natürlich unzählige Grautöne gibt, was das Gewalterleben angeht. Und diese Drittelung wird sich je nach Geburtsjahrgang weiter verändern. Je älter die Menschen, desto verhältnismäßig mehr Gewalterfahrungen, ist hier meine These. Diese Drittelung ist mir immer wieder ins Auge gefallen, wenn es um gesellschaftliche Themen geht. Z.B. bei Alice Schwarzer, die von einer drei Drittel Mentalität bei den Männern ausgeht. „Viele Erfahrungen, Studien und Umfragen deuten zurzeit auf eine Zwei-Drittel-Männergesellschaft hin: Das erste Drittel steht der Sache der Frauen aufgeschlossen und sympathisierend gegenüber, wenn auch nicht ohne Rückfälle. Das zweite Drittel versucht, sich durchzuschlawinern. Das dritte Drittel hat verstanden und hält hart gegen. Wobei Bewusstsein und Bereitschaft zur Veränderung keineswegs immer eine Frage des Alters sind; die jungen, von emanzipierten Müttern und Schwestern geforderten Männer sind jedoch überproportional im ersten Drittel vertreten.“ (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-17540822.html)

Diese Aufteilung findet sich jetzt auch in interessanten Zahlen bzgl. des Afghanistan Einsatzes (siehe Zahlen oben). 20 Prozent hielten spontan Luftangriffe auf Afghanistan seitens der USA kurz nach dem 11. September – wo alle Emotionen für die USA schlugen - für falsch. Ich glaube, dass diese "20 Prozent" den festen Kern der modernen, gewaltfreien Erziehung in Deutschland repräsentiert. Oder wissenschaftlicher ausgedrückt: Würde man diese 20 Prozent zu ihren Kindheitserfahrungen befragen, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit eine große Mehrheit der Befragten eine weitgehend gewaltfreie Erziehung und mehr noch mindestens eine besonders fürsorgliche Elternfigur angeben, davon gehe ich aus. Leider finden solche Art von Befragungen fast nie statt, insofern lässt sich dies schwer überprüfen. Diese 20 % vergrößerten sich dann im Laufe der Zeit – je nach Nachrichtenlage - langsam auf ca. 30-45 Prozent wenn es um den Einsatz der Bundeswehr ging, wie oben dargestellt. Je mehr Opfer publik wurden, desto mehr stieg auch die Ablehnung dem Einsatz gegenüber, ein Zeichen für die gewachsene Empathiefähigkeit von uns Deutschen. Stück für Stück lehnt nun auch eine Mehrheit der Deutschen den Einsatz ab. Ein fester Kern von um die 30-40 % ist immer noch für den Einsatz. In dieser Gruppe der festen 30-40 % vermute ich eine verhältnismäßig große Mehrheit von Menschen, die als Kind schwerere Formen von Gewalt erfahren haben. Auch dies gilt es zu prüfen. Wir werden sehen, ob zukünftig Studien in dieser Art auftauchen werden.

(Menschen, die dies hier lesen, die selbst Gewalt erfahren haben und schon immer gegen den Krieg waren, mögen sich bitte nicht all zu sehr über meine Gedanken ärgern. Die Gedanken beschreiben ein grobes Modell, an den Rändern gibt es immer auch andere Bewegungen und als Menschen sind wir eh zu allem fähig :-).)

Die Mitte – im Sinne wie einleitend oben beschrieben – entscheidet dabei die wesentlichen Richtungen, in die eine Gesellschaft schwenkt, so scheint es. Sie verfügt über beide Anteile, den destruktiven, der sich mit der Macht identifiziert und den konstruktiven, der diese Identifikation auflösen kann und Emphatiefähigkeit zulässt. Die gesellschaftlichen Entwicklungen und Nachrichtenlagen wirken stark auf diese Mitte. Das erste Drittel – die gewaltfrei Erzogenen – stehen grundsätzlich fester im Leben, stehen Krieg aus einem tiefen emotionalen Gefühl heraus ablehnend gegenüber. Insofern sind sie auch weniger durch äußere Einflüsse in ihrer Meinung und Sicht beeinflussbar.
All dies sind meine persönlichen Vermutungen, wie schon gesagt. Einige Zahlen und Indizien (man siehe auch viele Bereiche dieses Blogs) scheinen diese allerdings ein wenig zu bestätigen. Gezielte Studien in dieser Hinsicht wären ein Weg, Kindheitserfahrungen und politische Überzeugungen im Zusammenhang zu betrachten.

Als Schlusswort möchte ich noch loswerden, dass die Deutschen Verantwortung übernehmen müssen. Das Meinungsbild war nicht immer mehrheitlich gegen einen Einsatz der Bundeswehr. Die PolitikerInnen handelten also im Sinne des Volkes mit der Vergabe des Afghanistan Mandats. Auch jeder Wähler und jede Wählerin trägt mit eine Verantwortung dafür, dass weiterhin Menschen in Afghanistan sterben. Umso mehr freut es mich aktuell, dass eine Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile erkannt hat, dass der Einsatz von Soldaten keinen Sinn macht.

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