Im aktuellen Amnesty Journal (10/11 2010) wird über den Massenmörder Kaing Guek Eav alias "Duch" berichtet. "Duch" führte während der Gewaltherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha das Gefangenenlager S 21, wo über 15 000 Menschen brutal ermordet wurden. Er ist bereits zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Psychologin Françoise Sironi erstellte ein psychologisches Gutachten über diesen Verbrecher und gab dem Amnesty Journal unter dem viel vielversprechenden Titel „Im Kopf eines Massenmörders“ (online zu sehen auf der österreichischen AI Homepage) ein Interview. Vielversprechend deshalb, weil ich mich schon länger frage, warum eine Organisation wie Amnesty International nicht auch über tiefere, psychologische Ursachen von Terror, Folter und Krieg im Zusammenhang mit Kindheitserfahrungen etwas veröffentlicht. Ist es doch in ihrem Interesse, den Menschenrechtsverletzungen entgegenzutreten. Leider wurde ich enttäuscht, was den Inhalt des Interviews angeht.
„Wie ist es zu erklären, dass ein einfacher Familienvater solche Bluttaten beging?“, fragt das Amnesty Journal.
Antwort der Psychologin: „Wie bei den anderen Verbrechern gegen die Menschlichkeit befinden wir uns nicht in einer normalen Dimension der Pathologie. Wir müssen über die normale, individuelle Psychologie hinausgehen, um zu verstehen, welche Ereignisse des kollektiven Lebens diese Leute geprägt haben. Bei Duch waren mehrere solche Ereignisse ausschlaggebend. Er hat eine ganze Reihe von Akkulturationsphasen durchlaufen, die oft mit erniedrigenden Erfahrungen verbunden waren. Während seiner Jugend fühlte er sich wegen seiner chinesischen Herkunft abgewertet, danach prägte ihn die Konfrontation mit der französischen Kultur und schliesslich der Kommunismus. Als Zweites berücksichtigten wir seine Laufbahn im politischen Apparat der Khmer. Denn man kommt nicht als Pei¬niger zur Welt, man wird zu einem solchen gemacht.“
Was sagt uns diese Antwort? Im Grunde nichts halbes und nichts ganzes. Was meint sie mit „erniedrigenden Erfahrungen“? Im nächsten Satz wird ausgeführt, dass er sich auf Grund seiner chinesischen Herkunft abgewertet fühlte. Wird man deshalb gleich zum Massenmörder? Ach ja, da kommt noch die Überforderung mit der französischen Kultur, sein Weg in den Kommunismus und sein „beruflicher“ Aufstieg. Ich denke, wir müssen uns Kaing Guek Eav und seine Taten an dieser Stelle noch mal etwas genauer anschauen.
"Wir sahen überall Feinde, Feinde, Feinde", wird er vom SPIEGEL zitiert. Wie viele Menschen alleine in seinem Lager ermordet wurden, habe ich oben bereits erwähnt. „Und es kam so weit, dass er sich als Gott des Bösen sah“ , sagte Youk Chhang, der Direktor des Documentation Center of Cambodia, über „Dutch“. „In Choeung Ek, den Killing Fields nahe Phnom Penh, in denen Henker aus S-21 die Gefangenen zu Tausenden mit der Hacke erschlugen, pflegte Duch im schwarzen Pyjama am Rand zu sitzen und die Massenhinrichtungen zu beobachten.“ (der Freitag, „Gott des Bösen“)
In einem Memo fragte ein Wärter an, was mit sechs Jungen und vier Mädchen geschehen solle, die als Verräter verdächtigt wurden. „Töten bis zum letzten Mann“, vermerkte der Gefängnischef auf dem Blatt. (vgl. focus, „35 Jahre Haft für Folterchef“)
Kleinkinder wurden in dem Lager mit dem Kopf voran gegen einen Baum (genannt „Todesbaum“) geschleudert, die Erwachsenen mit Eisenstangen totgeschlagen; Duch wollte Kugeln sparen, berichtet der SPIEGEL unter dem Titel „HOLOCAUST ALS KARRIERE“. Die Unfähigkeit zur Mitmenschlichkeit, das Fehlen jeder Empathie und der Bruch jeder moralischen Norm wird ihm laut dem Bericht attestiert. Der SPIEGEL vergleicht außerdem "Duch" und Eichmann und fragt: „Was lässt einen Menschen so verrohen wie diesen Duch, der in seinem Tagebuch sieben Zeilen Bedauern über den ungewollten Tod einiger Hühner zu Papier bringt, aber das durch Folter forcierte Ende von 14 Gefangenen nur mit zwei Zeilen würdigt? Was hat einen Eichmann so unempfindlich gegenüber dem Leid seiner Mitmenschen gemacht? Gängige Erklärungsmuster greifen bei den beiden nicht. Sie wuchsen weder verwahrlost auf, noch hat sie die Gesellschaft in Jugendjahren mit Ungerechtigkeiten gebrandmarkt, die ihre Moralvorstellungen zusammenbrechen lassen mussten. Eichmann erhielt eine christliche Erziehung in einer Mittelklasseumgebung, Duch wurden von seinen einfachen, aber rechtschaffenen Eltern buddhistische Ideale wie Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe eingeimpft.“
Für mich sind diese Ausführungen des SPIEGEL absolut unverständlich. Glaubt jemand ernsthaft, dass ein Kind, das liebevoll erzogen und dem zusätzlich „buddhistische Ideale wie Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe eingeimpft“ wurden, später zu einem Menschen a la „Dutch“ werden kann? Immer wieder tauchen solche Gedankengänge auf, bei uns zu letzt auch über den Amokläufer Tim K. Für mich ist das so, als ob jemand behauptet, wenn ich einen Stein fallen lasse, würde die Schwerkraft außer Kraft gesetzt und er würde über dem Boden schweben. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, wird kein Folterknecht, der Menschen wie Fliegen sadistisch umbringt. Eine traumatische Kindheit muss auch bei „Dutch“ das Fundament gewesen sein, auf dem seine „Karriere“ aufbaute.
Oftmals werden heutigen Folterern durch gezielte Traumatisierung in der Grundausbildung mögliche restliche Gefühle bzw. ihr Mitgefühl gänzlich abtrainiert. Dazu hat die Sonderabteilung „ai-Aktionsnetz für Heilberufe“ von Amnesty International zwei sehr informative Texte auf ihrer Homepage veröffentlicht, die ich schon im Grundlagentext z.T. zitiert habe: Traumatisierungsvorgänge bei der Foltererausbildung.
und Demütigung und Destruktivität: Folterer- und Spezialsoldatenausbildung in psychopolitischer Perspektive.
Auch hier wird klar, dass ein Folterer über eine stark gespaltene Persönlichkeitsstruktur verfügen muss, damit er überhaupt zu seinen Taten fähig wird. Auch "Duch" wurde unter der früheren Regierung auf Grund seiner Mitgliedschaft in einer Guerillagruppe verhaftet und gefoltert, wie der Focus berichtet. Diese eigenen Ohnmachts-/Traumatisierungserfahrungen während der Folter kumulieren sich dann zu einer explosiven Masse. (Wobei ich davon ausgehe, dass nicht jeder Folterer auch selbst in Haft oder Ausbildung gefoltert wurde. Das, was Kinder in ihren Familien erleben, kann leider oftmals ohne weiteres auch als Folter bezeichnet werden. Diese "Grundausbildung" kann dann schon ausreichen, um voller Hass auf andere Menschen zu sein.)
„Dutch“ sprach auch von einem "reinigende Blutbad", so der o.g. SPIEGEL Bericht. Die Psychologin Françoise Sironi sprach im AI Interview davon, dass „Duch“ die getöteten Menschen als quasi „rituelle Opfer“ ansah. Diese Sprache verrät etwas über die emotionalen Ursachen. Dass Kriege eine Art Reinigungsritual oder Opferritual darstellen, darauf verweist ja vor allem die psychohistorische Analyse immer wieder. DeMause schrieb z.B. „Krieg ist ein Opferritual, dazu bestimmt, Angst vor Individuation und Verlassenwerden abzuwehren, indem unsere frühen Traumata an Sündenböcken wiederaufgeführt werden.“
In einem Bericht aus dem Jahr 2007 der Kinderhilfsorganisation Plan Deutschland steht: „Leider ist Gewalt gegen Kinder in Kambodscha alltäglich, (…) In vielen Städten oder Gemeinden wird die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen von ihren Eltern täglich verprügelt. (…) Männer fühlen sich verpflichtet, für Ordnung in der Familie zu sorgen, und glauben, sie haben das Recht, ihre Frauen und Kinder zu verprügeln. Erschreckend viele Frauen teilen diesen Standpunkt.“
Das ist ein erschreckend hohes Ausmass von alltäglicher Gewalt! Wir können gewiss davon ausgehen, dass die Kindererziehung in den 4oer und 50er Jahren in Kambodscha sogar noch um einiges schlimmer aussah. („Duch“ wurde im Jahr 1942 geboren)
Als Pol Pots Truppen 1975 die Macht übernahmen, begann die schlimmste Zeit in der Geschichte Kambodschas, in der zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt durch die Roten Khmer umgebracht wurden - die Schätzungen schwanken zwischen einer und zwei Millionen Opfern. (vgl. planet-wissen.de, 01.06.2009, ) „Duch“ war dabei letztlich nur einer unter vielen brutalen Mördern. Wie sagte er noch: "Wir sahen überall Feinde, Feinde, Feinde!“ „Kriege sind klinische emotionale Störungen, kollektiv psychotische Episoden von wahnhaft erzeugter Schlächterei“ zitierte ich deMause bei der Definition von Kriegen. In Kambodscha führten die Menschen in den 70er Jahren ganz offensichtlich ihre frühen Traumata wieder auf. Die ganzen bekannten Ereignisse von damals kann man nur mit dem Wort Wahnsinn bezeichnen.
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