Freitag, 1. Oktober 2010

gewaltvolle Kindheiten in den USA - Beispiel "Paddeln" von SchülerInnen

In Anbetracht unzähliger aktueller und auch vergangener Kriege (sowohl direkter, als auch stellvertretend geführter), in denen die USA verwickelt war, möchte ich jetzt im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten einen kurzen Blick auf die Kinderziehungspraxis in diesem Land werfen. Es ist eine schwierige Angelegenheit, etwas in dieser Hinsicht über dieses Land zu schreiben, das so unendlich groß und vielschichtig und das darüberhinaus ein Einwanderungsland ist. Dem Thema gerecht werden kann ich hier nur bedingt.

Kürzlich stieß ich allerdings auf zwei Artikel auf SPIEGEL-Online, die mich wirklich erschreckt haben. Mir war bereits bekannt, dass in den USA die Prügelstrafe an Schulen in vielen Bundesstaaten nicht verboten ist. Ich hatte in dieser Hinsicht allerdings bisher nicht weiter recherchiert. Ich muss gestehen, dass ich davon ausgegangen bin, dass dieses „fehlende Verbot“ in dieser westlichen Demokratie heute kaum oder keine Konsequenzen für die amerikanischen SchülerInnen haben würde. Gerade die US-AmerikanerInnen sind ja bekanntlich auch recht klagefreudig und verteidigen ihre Rechte vor Gericht um alles Erdenkliche (manchmal auch Übertriebene und Absurde). Ich wurde eines besseren belehrt…

In fast der Hälfte der US-Staaten dürfen LehrerInnen ihre SchülerInnen schlagen. Und sie tun es auch, am liebsten mit Holzpaddeln aufs Gesäß. Eine Studie verzeichnet 200.000 Fälle jährlich, meist in den Südstaaten, berichtet SPIEGEL-Online in einem Artikel aus dem Jahr 2008. Die geschlagenen Schüler waren zwischen 3 und 19 Jahren alt. Schwarze Mädchen traf es doppelt so häufig wie weiße Mädchen. Jungs werden dreimal so häufig geschlagen wie Mädchen; bei Kindern indianischer Herkunft langten LehrerInnen ebenfalls besonders häufig zu. Begründungen für die Körperstrafe sind z.B. heimliches Rauchen, sich geküsst haben, während des Unterrichts unerlaubt im Gang herum stehen, Kaugummi gekaut oder den Unterricht gestört haben. Führend im Schlagen ist der Staat Mississippi. Dort werden etwa 7.5 % der SchülerInnen von ihren LehrerInnen geschlagen! Aber auch Texas hat einen führenden Negativplatz mit ca. 50.000 Fällen pro Jahr.

In einem anderen SPIEGEL Artikel wird das "Paddeln" beschrieben: „Das gefürchtete Instrument ist rund einen Meter lang, aus Holz und ähnelt einem Paddel. Mit Wucht auf den Hintern geschlagen, hinterlässt es Striemen oder sogar Blutergüsse. Zur Züchtigung müssen sich Schüler nach vorne beugen - eine ebenso schmerzhafte wie erniedrigende Prozedur.“ Und DER SPIEGEL zitiert Zahlen aus dem Jahr 2000. In Mississippi wurden damals noch 9,8 % der SchülerInnen geschlagen. Auf den weiteren Plätzen folgen Arkansas mit 9,1 %, Alabama mit 5,4 % und Tennessee mit 4,2 %. Hier zeigt sich am Beispiel von Mississippi, dass die Rate ansteigt, wenn man weiter zurückschaut.

Dass die Gewalt im historischen Rückblick ansteigt, zeigt auch ein weiterer Bericht: 1980 wurden nach Angaben des US-Bildungsministeriums landesweit 1.415.540 Schüler geprügelt. 1990 waren es noch 613.514 und im Jahr 2000 342.038. (vgl. Stern.de, 13.08.2004: "Prügelstrafe für US-Schüler")

Es ist unglaublich, was in den USA heute noch an offener institutioneller Gewalt stattfindet. Dies an einem Ort, an dem die neue Generation sozialisiert und auf das Leben vorbereitet werden soll. Die Lektion ist Gewalt. Auch die nicht-geschlagenen Schülerinnen werden diese Lektion verinnerlichen. Indem sie z.B. ein besonders angepasstes Verhalten an den Tag legen, um nicht Ziel des „Paddelns“ zu werden. Und natürlich lernen sie, dass Gewalt ein toleriertes Mittel der Konfliktlösung ist. Auf einem Bild im SPIEGEL Artikel ist auch ein Lehrer zu sehen, der einen Schüler vor der Klasse „paddelt“. Im Hintergrund lachen einige Schüler darüber. Hier ist die Lektion: „Der Schmerz des Anderen macht mich glücklich, denn nicht ich, sondern er ist das Opfer.“ Dazu kommt, dass auch die Zeugen von Misshandlungen mittelbar Opfer werden. Das zeigt die Forschung über häusliche Gewalt. Es hinterlässt tiefe Spuren bei Kindern, wenn Andere vor den eigenen Augen gequält und in ihrer Würde verletzt werden. Im o.g. Stern-Bericht wird ein ehemaliger Schüler, der verprügelt wurde, zitiert: "Das Schlimmste ist nicht der Schmerz, sondern die Erniedrigung. Es ist ganz einfach ein unmenschlicher Akt."

Für mich sind diese Berichte Motivation genug, die Gewalt gegen Kinder in den USA weiter zu beleuchten. Ich werde zukünftig Stück für Stück die Infos über dieses Land zusammentragen, die ich finden kann. Anfangen möchte ich mit folgender Info:

Die internationale UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ (2003) zeigt, dass in den USA im Vergleich zu den meisten anderen Industrienationen mehr Kinder auf Grund von Misshandlungen/Vernachlässigung sterben. Insgesamt wurden 26 Nationen ausgewertet. Die USA kommen in einer bereinigten Tabelle auf Platz 23 mit 2,4 Todesfällen auf 100.000 Kinder. In Deutschland sind es zum Vergleich 0,8 Todesfälle. In Norwegen, Irland, Italien, Griechenland und Spanien liegen die Raten sogar alle unter 0,3. „Hängt das Risiko von Misshandlungen mit dem allgemeinen Ausmaß von Gewalt in der Gesellschaft zusammen?“ wird in einer Zusammenfassung der o.g. Studie in deutscher Sprache gefragt. „Diese Frage beantwortet die Studie mit ja. So haben die Länder, mit den wenigsten Todesfällen bei Kindern aufgrund von Misshandlungen und Vernachlässigung auch die wenigsten Mordfälle unter Erwachsenen. Umgekehrt weisen die drei Länder mit den meisten Kindestötungen – USA, Mexiko und Portugal – auch die höchsten Mordraten an Erwachsenen auf.
Ich kann mir hier natürlich nicht verkneifen, die obige Frage auch umzudrehen: Hängt das Risiko von Gewalt in der Gesellschaft (wie z.B. hohe Mordraten und häufige Kriege) mit dem allgemeinen Ausmaß von Kindesmisshandlungen zusammen? Die Frage würde ich natürlich mit Ja beantworten.


Siehe ergänzend auch: UNICEF Bericht zum Wohlergehen der Kinder in Industrieländern Hier landeten die USA auf den vorletzten Platz im Ranking!

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