Für die Zeitschrift Eltern wurden Ende 2011 1.003 Eltern repräsentativ durch forsa befragt. Ich möchte die wesentlichen Zahlen kurz besprechen.
Insgesamt 60 % der Eltern wendeten nach eigenen Angaben nie Gewalt an.
Kritisch muss man dazu anmerken, dass auch 431 Eltern befragt wurden, die Kinder über 10 Jahren haben. Diese Altersgruppe erlebt meist weniger Gewalt als kleinere Kinder, was auch diese Studie belegt (77% dieser Gruppe erleben keine Gewalt). Wenn man auf die Zahlen bzgl. der kleineren Kinder schaut, dann erleben nur noch ca. 50 % nie Gewalt.
Die Details:
40 % gaben einen Klaps auf den Po innerhalb von 12 Monaten vor der Befragung
davon
28 % 1-2 mal innerhalb von 12 Monaten vor der Befragung
8 % alle paar Monate
4 % alle paar Wochen
1 % alle paar Tage
10 % ohrfeigten ihre Kinder
davon
9 % 1-2 mal innerhalb von 12 Monaten vor der Befragung
1 % alle paar Monate
4 % versohlten den Hintern des Kindes
davon
3 % 1-2 mal innerhalb von 12 Monaten vor der Befragung
1 % alle paar Monate
Mit Stock oder ähnlichem versohlt
0 %
Jungen waren durchweg etwas mehr von Gewalt betroffen, als Mädchen. (was übrigens auch fast alle Gewaltstudien aufzeigen)
Ca. 3/4 der Befragten hatten ein schlechtes Gewissen oder haben sich über sich selbst geärgert, nachdem sie Gewalt angewandt hatten
47 % haben sich häufig nach der Gewaltanwendung bei ihren Kindern entschuldigt und ihnen gesagt, dass sie sie lieb haben
Auch bzgl. psychischer Gewalt wurde einiges erfragt.
19 % brüllen z.B. ihre Kinder nieder, nachdem diese sich unerwünscht verhalten haben
26 % reden nicht mehr mit dem Kind oder ignorieren es, nachdem diese sich unerwünscht verhalten haben
Auch nach den Gewalterfahrungen der Eltern wurde kurz gefragt
46 % der Eltern geben an, dass sie selbst nie als Kind geschlagen wurden. (Wobei die Frage einen gelegentlichen Klaps auf den Hintern ausschließt, was sehr verwundert. Insofern könnten noch einige mehr Gewalt erfahren haben, sofern man den Klaps mit einbezieht)
31 % wurden selten geschlagen
17 % immer mal wieder
5 % regelmäßig
Fazit
Elternbefragungen sind immer etwas anderes als Opferbefragungen. Insofern werden die o.g. Zahlen zum Teil etwas zu korrigieren sein. In vielen Teilen glaube ich den Eltern allerdings. Ich gehe davon aus, dass in der Tat ca. 50 % der Kinder keinerlei körperliche Elterngewalt erleben. Mit einem Stock oder ähnlichem wurde nach Angaben der Eltern kein einziges Kind verprügelt. Diese Zahl glaube ich den Eltern nicht ganz. Hier werden vermutlich die realen Zahlen im einstelligen unteren Prozentbereich liegen (vielleicht 1-2 %) , was zukünftige Opferbefragungen evtl. belegen werden.
Wenn man sich auf die o.g. Zahlen bezieht, dann lässt sich sagen, dass Gewalt gegen Kinder in Deutschland stark abgenommen hat, wenn man Zahlen aus den 50er/60er Jahren oder auch davor zum Vergleich heranzieht. Sofern Gewalt angewendet wird, dann selten und fast die Hälfte der Eltern entschuldigt sich danach sogar häufig. Schwere Formen der Gewalt liegen im Bereich um ca. 10 % oder auch darunter. (Dabei ist schwer einzuschätzen, ob nicht evtl. ein gewisser Prozentsatz der Eltern, die „nur“ einen Klaps angaben, damit auch schwerere Formen verdecken oder auch meinten.)
Wer diesen Blog verfolgt wird die Zahlen und Daten vor Augen haben, die ich z.B. für Indien, Afrika , USA oder auch Kambodscha angegeben habe. Deutschland ist demnach wirklich auf einem sehr guten Weg, auch wenn es immer noch gilt, viele Kinder hierzulande vor Gewalt zu schützen.
Siehe ergänzend auch: Geboren 2012
Das weltweite, enorme Ausmaß vielfältiger Gewalt gegen Kinder und die An- oder auch Abwesenheit von Mitgefühl sind für mich zentrale Aspekte der Kriegsursachen-/Extremismusforschung, denen ich hier nachgehen möchte. Meine Grundfrage lautet: Wie politisch war und ist Kindheit?
Mittwoch, 21. März 2012
Montag, 19. März 2012
Berühmte Leute und ihre schrecklichen Eltern
Jörg Zittlau hat 2010 das Buch „Sie meinten's herzlich gut: Berühmte Leute und ihre schrecklichen Eltern.“ herausgebracht. Er beschreibt darin die Kindheiten diverser Persönlichkeiten wie z.B. Michael Jackson, Elizabeth Taylor, Martin Luther, Salvador Dali, aber auch von politischen Größen wie Hitler, Stalin, Friedrich dem Großen und John F. Kennedy. Persönlich sehr interessant fand ich die Schilderungen über die Kindheit von Andre Agassi, der einen ähnlichen Vater (Erfolg, Erfolg, Erfolg von der Wiege an, ansonsten zählte nichts) hatte, wie Steffi Graf, mit der er verheiratet ist. Spannend fand ich auch, dass mein persönlicher Eindruck bestätigt wurde. Elizabeth Taylor z.B. wirkte auf mich stets wie eine Maske, ein falsches Selbst, so man will, unecht, künstlich, unglücklich. Wenn man darum weiß, dass sie eigentlich nie Schauspielerin werden wollte und ihre dominante Mutter ihr alles von Klein auf aufzwang, sie geradezu drillte, Elizabeth gar keine Kindheit hatte, jeder Widerspruch mit Liebensentzug und eisigem Schweigen bestraft wurde (auch über Tage und Wochen) dann wird vieles klarer.
Das Buch ist eher journalistisch angelegt. Was mich persönlich am meisten beeindruckt hat ist die Lockerheit des Autors bei dem Thema. Er beschreibt die Kindheiten seiner Protagonisten als Grundlage für deren späteres Leben und Verhalten, ohne jede Scheuklappe. Stalin, Hitler oder auch Alexander der Große…ja na logisch, deren Kindheiten waren eine Katastrophe, was auch sonst.
Diese Lockerheit im Umgang (die persönliche Befindlichkeiten außen vor lässt) mit dem Thema wünsche ich mir viel mehr für die Zukunft. Solche Bücher zeigen den Weg (auch wenn ich den Titel anders gewählt hätte).
Das Buch ist eher journalistisch angelegt. Was mich persönlich am meisten beeindruckt hat ist die Lockerheit des Autors bei dem Thema. Er beschreibt die Kindheiten seiner Protagonisten als Grundlage für deren späteres Leben und Verhalten, ohne jede Scheuklappe. Stalin, Hitler oder auch Alexander der Große…ja na logisch, deren Kindheiten waren eine Katastrophe, was auch sonst.
Diese Lockerheit im Umgang (die persönliche Befindlichkeiten außen vor lässt) mit dem Thema wünsche ich mir viel mehr für die Zukunft. Solche Bücher zeigen den Weg (auch wenn ich den Titel anders gewählt hätte).
Samstag, 17. März 2012
Internationale Zahlen über die Gewalt gegen Kinder
Mir fällt derzeit auf, dass es immer leichter wird, Zahlen zum Gewaltvorkommen gegen Kinder in diversen sich entwickelnden Gesellschaften zu bekommen. Nach meinem Eindruck sind seit ca. 2006 die Bemühungen weltweit gestiegen, entsprechende Studien durchzuführen. Diese aktuellen Zahlen zeigen fast durchweg ein sehr hohes Ausmaß an Gewalt gegen Kinder. Frühere Generationen werden entsprechend noch mehr und auch schwerer von Gewalt betroffen sein. Ich möchte an dieser Stelle unbedingt auf das Projekt Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children hinweisen. Auf der Website findet man zu unzähligen Ländern aktuelle Daten und Zahlen. Den Link zu der Seite habe ich auch hier in der Blogleiste aufgenommen.
Mir scheint, dass einiges in Bewegung kommt. Zahlen sind wichtig, um vor deren Hintergrund in den Ländern entsprechende Kinderschutzprogramme zu starten.
Mir scheint, dass einiges in Bewegung kommt. Zahlen sind wichtig, um vor deren Hintergrund in den Ländern entsprechende Kinderschutzprogramme zu starten.
Gewalt gegen Kinder in Indien
12.447 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 5 und 18 Jahren wurden in Indien für eine 2007 herausgegebene Studie befragt:
Ministry of Women and Child Development. Government of India 2007: Study on Child Abuse: India 2007.. New Delhi.
69 % berichteten über körperliche Gewalterfahrungen, vor allem auch in den Familien, allerdings zusätzlich häufig auch in anderen Kontexten. Von diesen 69 % wurden 63,67 % geschlagen/getreten, 31,31 % mit einem Knüppel/Stock geprügelt und 5,02 % erlebten andere Gewaltformen wie z.B. Schütteln. Die Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren erleben die meiste Gewalt. Ab 13 Jahren nehmen die Gewalterfahrungen ab.
65 % der Kinder berichteten, dass sie in der Schule geschlagen wurden.
Regional gibt es in Indien starke Unterschiede bzgl. des Gewaltvorkommens. Im Schnitt erlebten wie gesagt 69 % der Kinder körperliche Gewalt. Bestimmte Regionen weisen dagegen besonders hohe Raten auf: Assam (84.65%), Mizoram (84.64%), Delhi (83.12%) und Uttar Pradesh (82.77%). Andere deutlich niedrigere: Rajasthan (51.2 %), Goa (53.07 %), West Bengal (55.63 %) und Kerala (56.10 %).
Es wäre hier interessant zu schauen, ob sich auch bezgl. der sozialen und politischen Situation diese Regionen signifikant voneinander unterscheiden. Wenn dem so wäre, ist ein direkter Zusammenhang zu den unterschiedlichen Gewaltvorkommen wahrscheinlich.
50 % der Kinder arbeiten 7 Tage in der Woche. Sehr viele erleben auch hier Gewalt.
53,22 % der Kinder berichten über mindestens eine Form von sexueller Gewalt. Schwere Formen von sexueller Gewalt erlebten 21,9 % aller Kinder. 5,69 % erlebten Vergewaltigungen. 50 % der Angreifer waren den Kindern bekannt oder in einer Vertrauensposition.
48.37% berichten über psychische Gewalt in der einen oder anderen Form
44.13% berichten über Demütigungen innerhalb ihrer Familie. HaupttäterInnen waren Mütter (44,09 %) und Väter (35,35 %)
70.57% der Mädchen berichteten über die eine oder andere Form von Vernachlässigung in der Familie.
48,4 % der Mädchen wünschten sie wären ein Junge.
Die Situation der Mädchen in Indien wäre noch einmal einen ganzen eigenen Bericht wert. Zur Info verweise ich auf einen Artikel im Tagesspiegel. Dort heißt es u.a.: „Auf 1000 Männer kommen in Indien 927 Frauen im weltweiten Durchschnitt sind es hingegen 1050 Frauen. Indien verliere täglich 7000 Mädchen durch Abtreibungen, heißt es in einem Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef vom vergangenen Jahr. Die medizinische Fachzeitschrift "The Lancet" spricht von zehn Millionen abgetrieben oder getöteten Mädchen in den vergangenen zwei Jahrzehnten.“ Berichtet wird auch über gezielte Kindestötungen: „"Eine der beunruhigendsten Enthüllungen kam von einer Hebamme, die sagte, hunderte Neugeborene getötet zu haben, so viele, dass sie den Überblick verlor."
In Indien leben aktuell über 1,2 Millarden Menschen. Davon sind sehr viele unter 18 Jahren alt. Man kann sich ausmalen, dass in diesem Land unzählige Millionen Kinder von Gewalt und Vernachlässigung betroffen sind.
Ministry of Women and Child Development. Government of India 2007: Study on Child Abuse: India 2007.. New Delhi.
69 % berichteten über körperliche Gewalterfahrungen, vor allem auch in den Familien, allerdings zusätzlich häufig auch in anderen Kontexten. Von diesen 69 % wurden 63,67 % geschlagen/getreten, 31,31 % mit einem Knüppel/Stock geprügelt und 5,02 % erlebten andere Gewaltformen wie z.B. Schütteln. Die Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren erleben die meiste Gewalt. Ab 13 Jahren nehmen die Gewalterfahrungen ab.
65 % der Kinder berichteten, dass sie in der Schule geschlagen wurden.
Regional gibt es in Indien starke Unterschiede bzgl. des Gewaltvorkommens. Im Schnitt erlebten wie gesagt 69 % der Kinder körperliche Gewalt. Bestimmte Regionen weisen dagegen besonders hohe Raten auf: Assam (84.65%), Mizoram (84.64%), Delhi (83.12%) und Uttar Pradesh (82.77%). Andere deutlich niedrigere: Rajasthan (51.2 %), Goa (53.07 %), West Bengal (55.63 %) und Kerala (56.10 %).
Es wäre hier interessant zu schauen, ob sich auch bezgl. der sozialen und politischen Situation diese Regionen signifikant voneinander unterscheiden. Wenn dem so wäre, ist ein direkter Zusammenhang zu den unterschiedlichen Gewaltvorkommen wahrscheinlich.
50 % der Kinder arbeiten 7 Tage in der Woche. Sehr viele erleben auch hier Gewalt.
53,22 % der Kinder berichten über mindestens eine Form von sexueller Gewalt. Schwere Formen von sexueller Gewalt erlebten 21,9 % aller Kinder. 5,69 % erlebten Vergewaltigungen. 50 % der Angreifer waren den Kindern bekannt oder in einer Vertrauensposition.
48.37% berichten über psychische Gewalt in der einen oder anderen Form
44.13% berichten über Demütigungen innerhalb ihrer Familie. HaupttäterInnen waren Mütter (44,09 %) und Väter (35,35 %)
70.57% der Mädchen berichteten über die eine oder andere Form von Vernachlässigung in der Familie.
48,4 % der Mädchen wünschten sie wären ein Junge.
Die Situation der Mädchen in Indien wäre noch einmal einen ganzen eigenen Bericht wert. Zur Info verweise ich auf einen Artikel im Tagesspiegel. Dort heißt es u.a.: „Auf 1000 Männer kommen in Indien 927 Frauen im weltweiten Durchschnitt sind es hingegen 1050 Frauen. Indien verliere täglich 7000 Mädchen durch Abtreibungen, heißt es in einem Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef vom vergangenen Jahr. Die medizinische Fachzeitschrift "The Lancet" spricht von zehn Millionen abgetrieben oder getöteten Mädchen in den vergangenen zwei Jahrzehnten.“ Berichtet wird auch über gezielte Kindestötungen: „"Eine der beunruhigendsten Enthüllungen kam von einer Hebamme, die sagte, hunderte Neugeborene getötet zu haben, so viele, dass sie den Überblick verlor."
In Indien leben aktuell über 1,2 Millarden Menschen. Davon sind sehr viele unter 18 Jahren alt. Man kann sich ausmalen, dass in diesem Land unzählige Millionen Kinder von Gewalt und Vernachlässigung betroffen sind.
Donnerstag, 15. März 2012
Studie: Gewalt gegen Kinder in Burkina Faso, Nigeria, Kamerun, Kongo und Senegal
Kürzlich hatte ich ja in dem Text Gewalt gegen Kinder in Afrika viele Daten zusammengestellt. Ich bin jetzt zusätzlich auf zwei weitere Studie gestoßen.
Die Studie „The African Child Policy Forum (ACPF) 2011: VIOLENCE AGAINST CHILDREN IN AFRICA (A Compilation of the main findings of the various research projects conducted by the African Child Policy Forum (ACPF) since 2006) bietet eine Übersicht der wichtigsten Ergebnisse diverser Einzelstudien bzgl. der Gewalt gegen Kinder in Afrika. Ich will und kann nicht die Zahlen der gesamten Studie hier wiedergeben. Wer etwas über die diversen Formen von Gewalt in dieser Region erfahren will, der muss diese Studie komplett lesen!! Kaum ein Papier bringt so viele diverse Daten für Afrika zusammen, wie dieses.
Ich möchte hier vor allem auf die Zahlen aus der Einzelstudie "The African Child Policy Forum 2010: Childhood scars in Africa: a retrospective study on Violence against girls in Burkina Faso, Cameroon, Democratic Republic of Congo, Nigeria and Senegal." eingehen, die ähnlich angelegt ist, wie die bereits besprochene Studie aus dem Jahr 2006 für die Länder Kenia, Uganda und Äthiopien (siehe Text und Link ganz oben).
Für diese Studie aus dem Jahr 2010 wurden junge Frauen im Altern von 18 bis 24 Jahren aus den jeweiligen Hauptstädten der ausgewählten Länder befragt. Je Land wurden ca. 600 Frauen befragt. Die Studie ist sehr umfangreich und ich kann hier nur die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammenfassen (Hinweis: DRC steht für "Demokratische Republik Kongo")
Körperliche Gewalt (ausgesuchte Beispiele)
Schläge mit einem Gegenstand (wie z.B. Stock, Besenstiel oder Gürtel) erlitten in
Burkina Faso: 88 %
Nigeria: 90 %
Kamerun: 66 %
DRC: 83 %
Senegal: 79 %
Schläge/Prügel erlitten in
Burkina Faso: 91 %
Nigeria: 84 %
Kamerun: 43 %
DRC: 74 %
Senegal: 52 %
Tritte („very hard“) erlitten in
Burkina Faso: 51 %
Nigeria: 55 %
Kamerun: 21 %
DRC: 25 %
Senegal: 21 %
Würgen / Verbrennungen erlitten in
Burkina Faso: 27 %
Nigeria: 17 %
Kamerun: 7 %
DRC: 7 %
Senegal: 16 %
Eingesperrt in einem kleinen Raum oder mit einem Seil festgebunden wurden in
Burkina Faso: 17 %
Nigeria: 16 %
Kamerun: 8 %
DRC: 19 %
Senegal: 6 %
TäterInnen bei der körperlichen Gewalt:
Haupttäterinnen bei der körperlichen Gewalt waren die Mütter (Burkina Faso 85 %, Nigeria 60 %, Cameroon 71 %, DRC 70 %, Senegal 70 %) gefolgt von Lehrerinnen und eigenen Schwestern.
Männliche Haupttäter waren hautsächlich Väter (Burkina Faso 61 %, Nigeria 45 %, Cameroon 64 %, DRC 45 %, Senegal 58 %) gefolgt von den eigenen Brüdern und Lehrern.
-----------------------------------------------------------
Psychische Gewalt
Der Großteil der Befragten erlebte diverse Formen von psychischer Gewalt, die ich hier nicht alle aufführen kann. Mütter und Väter waren hier erneut die HaupttäterInnen. Zwei Beispiele:
Beschimpft wurden 84 % (Nigeria niedrigster Wert) – 99 % (Burkina Faso höchster Wert)
Angeschrien wurden 73 % (Kamerun niedrigster Wert) – 96 % (Burkina Faso höchster Wert)
-----------------------------------------------------------
Sexuelle Gewalt (drei Beispiele)
(HaupttäterInnen waren männliche und weibliche Freunde)
59 – 65 % aller Befragten wurden in einer sexuellen Weise angesprochen, in Burkina Faso waren es sogar 81 %
Sexuell angefasst wurden in
Burkina Faso: 52 %
Nigeria: 24 %
Kamerun: 30 %
DRC: 38 %
Senegal: 37 %
Zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden in
Burkina Faso: 40 %
Nigeria: 40 %
Kamerun: 30 %
DRC: 27 %
Senegal: 17 %
-----------------------------------------------------------
Genitalienverstümmelung erlebten in
Burkina Faso: 68 %
Nigeria: 21 %
Kamerun: -
DRC: -
Senegal: 19 %
Die Studie „The African Child Policy Forum (ACPF) 2011: VIOLENCE AGAINST CHILDREN IN AFRICA (A Compilation of the main findings of the various research projects conducted by the African Child Policy Forum (ACPF) since 2006) bietet eine Übersicht der wichtigsten Ergebnisse diverser Einzelstudien bzgl. der Gewalt gegen Kinder in Afrika. Ich will und kann nicht die Zahlen der gesamten Studie hier wiedergeben. Wer etwas über die diversen Formen von Gewalt in dieser Region erfahren will, der muss diese Studie komplett lesen!! Kaum ein Papier bringt so viele diverse Daten für Afrika zusammen, wie dieses.
Ich möchte hier vor allem auf die Zahlen aus der Einzelstudie "The African Child Policy Forum 2010: Childhood scars in Africa: a retrospective study on Violence against girls in Burkina Faso, Cameroon, Democratic Republic of Congo, Nigeria and Senegal." eingehen, die ähnlich angelegt ist, wie die bereits besprochene Studie aus dem Jahr 2006 für die Länder Kenia, Uganda und Äthiopien (siehe Text und Link ganz oben).
Für diese Studie aus dem Jahr 2010 wurden junge Frauen im Altern von 18 bis 24 Jahren aus den jeweiligen Hauptstädten der ausgewählten Länder befragt. Je Land wurden ca. 600 Frauen befragt. Die Studie ist sehr umfangreich und ich kann hier nur die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammenfassen (Hinweis: DRC steht für "Demokratische Republik Kongo")
Körperliche Gewalt (ausgesuchte Beispiele)
Schläge mit einem Gegenstand (wie z.B. Stock, Besenstiel oder Gürtel) erlitten in
Burkina Faso: 88 %
Nigeria: 90 %
Kamerun: 66 %
DRC: 83 %
Senegal: 79 %
Schläge/Prügel erlitten in
Burkina Faso: 91 %
Nigeria: 84 %
Kamerun: 43 %
DRC: 74 %
Senegal: 52 %
Tritte („very hard“) erlitten in
Burkina Faso: 51 %
Nigeria: 55 %
Kamerun: 21 %
DRC: 25 %
Senegal: 21 %
Würgen / Verbrennungen erlitten in
Burkina Faso: 27 %
Nigeria: 17 %
Kamerun: 7 %
DRC: 7 %
Senegal: 16 %
Eingesperrt in einem kleinen Raum oder mit einem Seil festgebunden wurden in
Burkina Faso: 17 %
Nigeria: 16 %
Kamerun: 8 %
DRC: 19 %
Senegal: 6 %
TäterInnen bei der körperlichen Gewalt:
Haupttäterinnen bei der körperlichen Gewalt waren die Mütter (Burkina Faso 85 %, Nigeria 60 %, Cameroon 71 %, DRC 70 %, Senegal 70 %) gefolgt von Lehrerinnen und eigenen Schwestern.
Männliche Haupttäter waren hautsächlich Väter (Burkina Faso 61 %, Nigeria 45 %, Cameroon 64 %, DRC 45 %, Senegal 58 %) gefolgt von den eigenen Brüdern und Lehrern.
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Psychische Gewalt
Der Großteil der Befragten erlebte diverse Formen von psychischer Gewalt, die ich hier nicht alle aufführen kann. Mütter und Väter waren hier erneut die HaupttäterInnen. Zwei Beispiele:
Beschimpft wurden 84 % (Nigeria niedrigster Wert) – 99 % (Burkina Faso höchster Wert)
Angeschrien wurden 73 % (Kamerun niedrigster Wert) – 96 % (Burkina Faso höchster Wert)
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Sexuelle Gewalt (drei Beispiele)
(HaupttäterInnen waren männliche und weibliche Freunde)
59 – 65 % aller Befragten wurden in einer sexuellen Weise angesprochen, in Burkina Faso waren es sogar 81 %
Sexuell angefasst wurden in
Burkina Faso: 52 %
Nigeria: 24 %
Kamerun: 30 %
DRC: 38 %
Senegal: 37 %
Zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden in
Burkina Faso: 40 %
Nigeria: 40 %
Kamerun: 30 %
DRC: 27 %
Senegal: 17 %
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Genitalienverstümmelung erlebten in
Burkina Faso: 68 %
Nigeria: 21 %
Kamerun: -
DRC: -
Senegal: 19 %
Donnerstag, 8. März 2012
Buchhinweis: Die geprügelte Generation
Die Journalistin Ingrid Müller-Münch hat kürzlich ihr Buch "Die geprügelte Generation" herausgebracht. Zum Buch hat sie auch eine eigene Homepage aufgebaut: http://gepruegelte-generation.de
Das Buch bringt für Menschen, die sich tief mit der Materie befassen, nicht sehr viel Neues. (Auf das für mich Neue werde ich noch eingehen) Die Zielgruppe ist aber auch eine andere, es sollen ja eben gerade die angesprochen werden, die bisher weggeschaut haben. Und dies schafft das Buch in sehr klarer und beeindruckender Weise. Es bestätigt aber auch die eigene Wahrnehmung und macht auch Türen auf, z.B. zu politischen Entwicklungen oder Gewaltverhalten als Folge eigener Gewalterfahrungen.
Das Neue und Wichtige an dem Buch ist vor allem das, was der Titel aussagt. Es geht um die Bewusstwerdung dessen, dass Gewalt gegen Kinder in Deutschland ganz normal war, Alltag und nicht-geschlagene Kinder die Ausnahme waren. Darüber muss aufgeklärt und gesprochen werden. Und dieses Buch ist ein sehr guter Anstoss dazu. Die Autorin hat durch ihre Arbeit dazu auch noch viele Möglichkeiten und Kontakte, um das Buch bekannt zu machen und schon jetzt häufen sich die Interviews mit ihr.
Müller-Münch ist nach eigenen Angaben bewusst, dass auch vor den 50er und 60er Jahren Gewalt gegen Kinder normal war. (In ihrem Buch ist sie auch auf die Arbeit von Lloyd deMause eingegangen) "Ich arbeite mit diesem Generationsbegriff, weil wir die letzte noch aktiv im Leben stehende Generation sind, bei der das Prügeln und Schlagen in der Kindheit normal war. Freilich wurden die Kinder auch davor geschlagen, die Geschichte der Prügelstrafe ist ja uralt." (Welt Online, 08.03.2012)
Wir wachen hierzulande wirklich immer mehr auf, wir schauen zurück und sehen überall Gewalt gegen Kinder, heute, wo immer weniger Gewalt gegen Kinder in Deutschland herrscht (siehe auch meinen vorherigen Beitrag), werden die Menschen es immer mehr wagen, zurück in die Geschichte auf diese Kindheitsalpträume zu schauen. Wir werden die Geschichte der Menschheit dadurch immer besser verstehen lernen und wir werden auch verstehen, warum wir heute immer friedlicher und demokratischer werden.
Das Buch bringt für Menschen, die sich tief mit der Materie befassen, nicht sehr viel Neues. (Auf das für mich Neue werde ich noch eingehen) Die Zielgruppe ist aber auch eine andere, es sollen ja eben gerade die angesprochen werden, die bisher weggeschaut haben. Und dies schafft das Buch in sehr klarer und beeindruckender Weise. Es bestätigt aber auch die eigene Wahrnehmung und macht auch Türen auf, z.B. zu politischen Entwicklungen oder Gewaltverhalten als Folge eigener Gewalterfahrungen.
Das Neue und Wichtige an dem Buch ist vor allem das, was der Titel aussagt. Es geht um die Bewusstwerdung dessen, dass Gewalt gegen Kinder in Deutschland ganz normal war, Alltag und nicht-geschlagene Kinder die Ausnahme waren. Darüber muss aufgeklärt und gesprochen werden. Und dieses Buch ist ein sehr guter Anstoss dazu. Die Autorin hat durch ihre Arbeit dazu auch noch viele Möglichkeiten und Kontakte, um das Buch bekannt zu machen und schon jetzt häufen sich die Interviews mit ihr.
Müller-Münch ist nach eigenen Angaben bewusst, dass auch vor den 50er und 60er Jahren Gewalt gegen Kinder normal war. (In ihrem Buch ist sie auch auf die Arbeit von Lloyd deMause eingegangen) "Ich arbeite mit diesem Generationsbegriff, weil wir die letzte noch aktiv im Leben stehende Generation sind, bei der das Prügeln und Schlagen in der Kindheit normal war. Freilich wurden die Kinder auch davor geschlagen, die Geschichte der Prügelstrafe ist ja uralt." (Welt Online, 08.03.2012)
Wir wachen hierzulande wirklich immer mehr auf, wir schauen zurück und sehen überall Gewalt gegen Kinder, heute, wo immer weniger Gewalt gegen Kinder in Deutschland herrscht (siehe auch meinen vorherigen Beitrag), werden die Menschen es immer mehr wagen, zurück in die Geschichte auf diese Kindheitsalpträume zu schauen. Wir werden die Geschichte der Menschheit dadurch immer besser verstehen lernen und wir werden auch verstehen, warum wir heute immer friedlicher und demokratischer werden.
Montag, 5. März 2012
Geboren 2012 = weitgehend gewaltfreies Aufwachsen, zumindest in Deutschland
Die aktuelle ZEIT Serie „Geboren 2012“ fragt nach der Zukunft in Deutschland und geht dabei mehreren Themenfeldern nach. Wie sieht das Leben in 30 bis 40 Jahren aus? In Anlehnung an diese Serie gehe ich auf das hier im Bog wohl bekannte Thema ein, dessen sich die ZEIT und ZukunftsforscherInnen i.d.R. nicht widmen.
2012 in Deutschland geboren zu sein, bedeutet mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine relativ glückliche und vor allem auch gewaltfreie Kindheit. Es ist noch nicht lange her, dass diejenigen, von denen ein Kind eigentlich Liebe, Fürsorge, Vorbild und Schutz erwarten darf, die größten Feinde und Aggressoren waren. Noch Mitte der 60er Jahre galten Schläge bei 80 bis 85 Prozent aller deutschen Eltern als notwendiges Erziehungsmittel. Jedes dritte Kind wurde mit einem Stock verprügelt, vor 1939 war es sogar jedes zweite. (vgl. DER SPIEGEL, 22.04.1963) Schon heute sieht das Bild spektakulär anders aus. In den Jahren 2007 und 2008 wurden insgesamt 44.610 Schüler (Durchschnittsalter ca. 15 Jahre) durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen befragt. (vgl. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2009, S. 51ff) Ergebnis: 42,1 % der Befragten berichteten über keinerlei gewalttätige, körperliche Übergriffe der Eltern. 42,7 % erlebten leichte körperliche Gewalt. Insgesamt 15,3 % der Befragten geben an, vor ihrem zwölften Lebensjahr schwerer Gewalt durch Elternteile ausgesetzt gewesen zu sein. Wir bewegen uns also auf eine Gesellschaft zu, in der die Mehrheit der Menschen als Kind keine elterliche Körpergewalt erlebt haben wird; ein Gesellschaftszustand, den unser Land bisher nicht kannte und der als geradezu bahnbrechend bezeichnet werden muss. Diese befragten Schüler werden im Jahr 2022/2023 ca. 30 Jahre alt sein und dann beginnen, gesellschaftliche Positionen einzunehmen und zu gestalten.
Schon jetzt ist also belegt, dass 2022/2023 die Mehrheit der jungen Leistungsbringer nicht oder selten bzw. leichte Formen von körperlicher Elterngewalt erlebt haben wird. (Siehe ergänzend auch Gewalt-Studie für die Zeitschrift "Eltern") Nun gibt es auch andere Formen der Gewalt, die weniger sichtbar sind, aber nicht minder folgenreich: Psychische Gewalt und Vernachlässigung. Trotzdem glaube ich, dass die körperliche Gewalt ein gewaltiges Indiz dafür ist, wie auch der sonstige Umgang mit Kindern aussieht. Wer Kinder schlägt, wird diese i.d.R. auch vernachlässigen und emotional bedrohen. Wer Kinder nicht schlägt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in anderen Gebieten eher auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen, nicht emotional gewalttätig sein usw.
2012 geboren sein, das bedeutet auch (vor allem für Mädchen), dass die meisten Kinder keinen sexuellen Missbrauch erleben werden. Das KFN hat Zahlen aus einer großen Befragung aus dem Jahr 2011 veröffentlicht. So haben die heute weiblichen 31 bis 40-jährigen der aktuellen Untersuchung bis zu ihrem 16. Lebensjahr zu 8,0% einen Missbrauch mit Körperkontakt erlitten, die 21 bis 30-jährigen zu 6,4%, die 16 bis 20-jährigen dagegen nur zu 2,4%. Bei den Männern lauten die Vergleichsquoten 1,8%, 1,1% und 0,6%. (vgl. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2011, S. 40)
Wer sich vertiefend mit der Geschichte der Kindheit befassen will, muss vor allem die berühmte Studie „Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit.“ herausgegeben von dem Psychohistoriker Lloyd deMause lesen. Der meist zitierte Satz aus diesem Buch lautet: "Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, aus dem wir gerade erst erwachen." Dieser Geschichte muss man sich erst einmal bewusst werden, um zu erkennen, dass es Kindern in unseren Breitengraden noch nie so gut erging wie heute. Letztlich gehen sämtliche Zahlen im historischen Rückblick auf die 100 % zu, für die Bereiche Miterleben vom Tod eines Geschwisterkindes (dabei auch oft durch die Eltern verursacht oder gezielt ermordet), körperlicher und seelischer Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch. Eine Umfrage aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ergab z.B., dass 100 % der amerikanischen Kinder mit einem Stock, einer Peitsche oder einer anderen Waffe geschlagen wurden. (vgl. Pinker 2011: 636) Wenn vor 1939 in Deutschland noch jedes zweite Kind mit einem Gegenstand geschlagen wurde (siehe oben), dann wird in den Jahrzehnten und Jahrhunderten davor diese Zahl bei 100 % gelegen haben. Ähnlich wird es mit den anderen Gewaltformen gegen Kinder ausgesehen haben, das zeigen vor allem auch psychohistorische Studien.
Wenn man nun die o.g. Trends bzgl. des Rückganges der Gewalt gegen Kinder weiterdenkt und dabei mit einbezieht, dass wieder ca. 20 Jahre zwischen den 2012 geborenen und den oben untersuchten Schülern bzw. 16-20jähren aus der Missbrauchsstudie liegen, dann kommt man zu dem Schluss, dass die 2012 geborenen die voraussichtlich glücklichsten und gewaltfreisten Kindheiten durchlaufen werden, die unser Land bisher je gesehen hat. In 30 bis 40 Jahren, also 2042/2052, werden diese 2012 geboren als geballte Mehrheit die Gesellschaft durchdringen. Diese Generation wird kaum Kindheitsalpträume kennen, sie werden fast alle nicht sexuell missbraucht worden sein, die wenigsten von ihnen werden schwer körperlich misshandelt worden sein, die allermeisten werden sogar nicht eine einzige Form von körperlicher Elterngewalt erlebt haben. Die große Mehrheit wird also nicht an den bekannten Folgen der Gewalt gegen Kinder leiden. Dies ist absolut bahnbrechend! Die Menschen werden folglich immer emotional gesünder, (innerlich) freier, weniger ängstlich, toleranter, selbstbewusster, flexibler, friedlicher usw. werden und alle möglichen Feindbilder in den Abfallberg der Geschichte schmeißen, weil sich die Kindheiten hierzulande so rasant entwickeln. (Was bisher öffentlich leider kaum wahrgenommen wird) 2012 wird ein tolles Jahr, zumindest für unsere Region.
Was hierzulande bahnbrechend verläuft, verläuft leider in vielen anderen Regionen auf dieser Welt ziemlich schleppend (inkl. in so mächtigen Ländern wie den USA). Insofern muss das Ziel sein, den weltweiten Kinderschutz gezielt voranzutreiben, mit erheblich viel mehr Mitteln, als dies bisher geschieht. Dies wird um so effektiver geschehen, wenn den Verantwortlichen bewusst wird, wie sehr die Kindheit eine Gesellschaft beeinflusst und wie entsprechend dringlich den Kindern geholfen werden muss.
Nachtrag: Siehe ergänzend auch unbedingt Gewalt gegen Kinder in Deutschland in Zahlen. 1910 bis Heute
Quellen:
DER SPIEGEL, 22.04.1964, Nr, 17: „Züchtigung durch Mutter“; http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46174518.html
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2009: Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt. (Forschungsbericht Nr. 107) Hannover; http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb107.pdf
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2011: Erster Forschungsbericht zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011. Hannover; http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb1semissbr2011.pdf
Pinker, S. (2011): Eine neue Geschichte der Menschheit. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.
2012 in Deutschland geboren zu sein, bedeutet mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine relativ glückliche und vor allem auch gewaltfreie Kindheit. Es ist noch nicht lange her, dass diejenigen, von denen ein Kind eigentlich Liebe, Fürsorge, Vorbild und Schutz erwarten darf, die größten Feinde und Aggressoren waren. Noch Mitte der 60er Jahre galten Schläge bei 80 bis 85 Prozent aller deutschen Eltern als notwendiges Erziehungsmittel. Jedes dritte Kind wurde mit einem Stock verprügelt, vor 1939 war es sogar jedes zweite. (vgl. DER SPIEGEL, 22.04.1963) Schon heute sieht das Bild spektakulär anders aus. In den Jahren 2007 und 2008 wurden insgesamt 44.610 Schüler (Durchschnittsalter ca. 15 Jahre) durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen befragt. (vgl. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2009, S. 51ff) Ergebnis: 42,1 % der Befragten berichteten über keinerlei gewalttätige, körperliche Übergriffe der Eltern. 42,7 % erlebten leichte körperliche Gewalt. Insgesamt 15,3 % der Befragten geben an, vor ihrem zwölften Lebensjahr schwerer Gewalt durch Elternteile ausgesetzt gewesen zu sein. Wir bewegen uns also auf eine Gesellschaft zu, in der die Mehrheit der Menschen als Kind keine elterliche Körpergewalt erlebt haben wird; ein Gesellschaftszustand, den unser Land bisher nicht kannte und der als geradezu bahnbrechend bezeichnet werden muss. Diese befragten Schüler werden im Jahr 2022/2023 ca. 30 Jahre alt sein und dann beginnen, gesellschaftliche Positionen einzunehmen und zu gestalten.
Schon jetzt ist also belegt, dass 2022/2023 die Mehrheit der jungen Leistungsbringer nicht oder selten bzw. leichte Formen von körperlicher Elterngewalt erlebt haben wird. (Siehe ergänzend auch Gewalt-Studie für die Zeitschrift "Eltern") Nun gibt es auch andere Formen der Gewalt, die weniger sichtbar sind, aber nicht minder folgenreich: Psychische Gewalt und Vernachlässigung. Trotzdem glaube ich, dass die körperliche Gewalt ein gewaltiges Indiz dafür ist, wie auch der sonstige Umgang mit Kindern aussieht. Wer Kinder schlägt, wird diese i.d.R. auch vernachlässigen und emotional bedrohen. Wer Kinder nicht schlägt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in anderen Gebieten eher auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen, nicht emotional gewalttätig sein usw.
2012 geboren sein, das bedeutet auch (vor allem für Mädchen), dass die meisten Kinder keinen sexuellen Missbrauch erleben werden. Das KFN hat Zahlen aus einer großen Befragung aus dem Jahr 2011 veröffentlicht. So haben die heute weiblichen 31 bis 40-jährigen der aktuellen Untersuchung bis zu ihrem 16. Lebensjahr zu 8,0% einen Missbrauch mit Körperkontakt erlitten, die 21 bis 30-jährigen zu 6,4%, die 16 bis 20-jährigen dagegen nur zu 2,4%. Bei den Männern lauten die Vergleichsquoten 1,8%, 1,1% und 0,6%. (vgl. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2011, S. 40)
Wer sich vertiefend mit der Geschichte der Kindheit befassen will, muss vor allem die berühmte Studie „Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit.“ herausgegeben von dem Psychohistoriker Lloyd deMause lesen. Der meist zitierte Satz aus diesem Buch lautet: "Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, aus dem wir gerade erst erwachen." Dieser Geschichte muss man sich erst einmal bewusst werden, um zu erkennen, dass es Kindern in unseren Breitengraden noch nie so gut erging wie heute. Letztlich gehen sämtliche Zahlen im historischen Rückblick auf die 100 % zu, für die Bereiche Miterleben vom Tod eines Geschwisterkindes (dabei auch oft durch die Eltern verursacht oder gezielt ermordet), körperlicher und seelischer Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch. Eine Umfrage aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ergab z.B., dass 100 % der amerikanischen Kinder mit einem Stock, einer Peitsche oder einer anderen Waffe geschlagen wurden. (vgl. Pinker 2011: 636) Wenn vor 1939 in Deutschland noch jedes zweite Kind mit einem Gegenstand geschlagen wurde (siehe oben), dann wird in den Jahrzehnten und Jahrhunderten davor diese Zahl bei 100 % gelegen haben. Ähnlich wird es mit den anderen Gewaltformen gegen Kinder ausgesehen haben, das zeigen vor allem auch psychohistorische Studien.
Wenn man nun die o.g. Trends bzgl. des Rückganges der Gewalt gegen Kinder weiterdenkt und dabei mit einbezieht, dass wieder ca. 20 Jahre zwischen den 2012 geborenen und den oben untersuchten Schülern bzw. 16-20jähren aus der Missbrauchsstudie liegen, dann kommt man zu dem Schluss, dass die 2012 geborenen die voraussichtlich glücklichsten und gewaltfreisten Kindheiten durchlaufen werden, die unser Land bisher je gesehen hat. In 30 bis 40 Jahren, also 2042/2052, werden diese 2012 geboren als geballte Mehrheit die Gesellschaft durchdringen. Diese Generation wird kaum Kindheitsalpträume kennen, sie werden fast alle nicht sexuell missbraucht worden sein, die wenigsten von ihnen werden schwer körperlich misshandelt worden sein, die allermeisten werden sogar nicht eine einzige Form von körperlicher Elterngewalt erlebt haben. Die große Mehrheit wird also nicht an den bekannten Folgen der Gewalt gegen Kinder leiden. Dies ist absolut bahnbrechend! Die Menschen werden folglich immer emotional gesünder, (innerlich) freier, weniger ängstlich, toleranter, selbstbewusster, flexibler, friedlicher usw. werden und alle möglichen Feindbilder in den Abfallberg der Geschichte schmeißen, weil sich die Kindheiten hierzulande so rasant entwickeln. (Was bisher öffentlich leider kaum wahrgenommen wird) 2012 wird ein tolles Jahr, zumindest für unsere Region.
Was hierzulande bahnbrechend verläuft, verläuft leider in vielen anderen Regionen auf dieser Welt ziemlich schleppend (inkl. in so mächtigen Ländern wie den USA). Insofern muss das Ziel sein, den weltweiten Kinderschutz gezielt voranzutreiben, mit erheblich viel mehr Mitteln, als dies bisher geschieht. Dies wird um so effektiver geschehen, wenn den Verantwortlichen bewusst wird, wie sehr die Kindheit eine Gesellschaft beeinflusst und wie entsprechend dringlich den Kindern geholfen werden muss.
Nachtrag: Siehe ergänzend auch unbedingt Gewalt gegen Kinder in Deutschland in Zahlen. 1910 bis Heute
Quellen:
DER SPIEGEL, 22.04.1964, Nr, 17: „Züchtigung durch Mutter“; http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46174518.html
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2009: Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt. (Forschungsbericht Nr. 107) Hannover; http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb107.pdf
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2011: Erster Forschungsbericht zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011. Hannover; http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb1semissbr2011.pdf
Pinker, S. (2011): Eine neue Geschichte der Menschheit. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.
Samstag, 3. März 2012
Kindheit von Jassir Arafat
Jassir Arafat wurde 1929 in eine Zeit und in eine Region geboren, die ihm die klaren Feindbilder quasi mit in die Wiege lag. Dass diese von Außen vorgegebenen Feindbilder bei ihm auch auf fruchtbaren Boden fielen, wird an Hand seiner Kindheit deutlich. (Wie schon oft erwähnt ist meine Grundthese, dass wirklich geliebte Kinder Freund-Feind-Schemata in ihrem späteren Leben entsprechend kritisch gegenüberstehen und insbesondere nicht mit gezielter mörderischer Gewalt gegen andere Menschen vorgehen können, so wie dies Arafat während seiner Zeit als Terrorist und Guerillakämpfer tat.)
1933 – Jassir ist zu dieser Zeit ca. vier Jahre alt – stirbt seine Mutter an einer Nierenerkrankung. (vgl. Sadek, 2006, S. 23) Sie hinterlässt drei Töchter und vier Söhne. Der Vater heiratet darauf ein zweites mal, aber die Ehe scheitert bereits nach einigen Monaten, wie Sadek berichtet. Eine andere Quelle (Rubin & Rubin, 2003, S. 13) belegt, dass diese zweite Frau die Kinder schlecht behandelte (was auch immer sich hinter diesem „schlecht“ verbergen mag.) Zu seiner Entlastung schickt der Vater seine beiden jüngsten Kinder (eines davon ist Jassir) nach Jerusalem in die Obhut eines Onkels, über dessen Erziehungsstil man in den verwendeten Quellen nichts erfährt. Er erlebt somit gleich zwei schwere Trennungen hintereinander, den Verlust der Mutter und die Trennung von seinen Geschwistern, seinem Vaters und der vertrauten Umgebung. Zwischen 1933 und 1937 verbringt Jassir seine Kindheit bei dieser Jerusalemer Familie.
Im April 1936 beginnt ein landesweiter palästinensischer Generalstreik und in der Folge auch ein bewaffneter Aufstand, der von den Briten brutal niedergeschlagen wird. Der junge Arafat erlebt diesen Aufstand aus nächster Nähe mit, bei dem auch sein Onkel verhaftet wird. 1937 kehren Jassir und sein jüngerer Bruder zurück zu ihrem Vater nach Kairo, der inzwischen ein drittes Mal geheiratet hat. Beide kommen in die Obhut ihrer zwölf Jahre älteren Schwester Inam. „Die neue Stiefmutter können die Kinder nicht ausstehen. Die dritte Ehe des Vaters erweist sich abermals als Fehlschlag, sie vertieft den Graben zwischen dem Vater und seinen Kindern. Abd al-Rauf bleibt ihnen als disziplinierender, autoritärer Vater in Erinnerung.“ (Sadek, 2006, S. 25) Was sich alles an Gewalt hinter den Worten „disziplinierend“ und „autoritär“ verbirgt, erfährt man vom Biographen leider nicht. Laut UNICEF erlebten – Grundlage sind Daten aus den Jahren 2005-2007 - in Prozent der Kinder (2-14 J.) psychische und/oder körperliche Gewalt (wobei die Mehrheit beides erlebte) in den besetzten palästinensischen Gebieten 95 % und in Ägypten 92 %. (vgl. UNICEF 2009, S. 8) Wenn schon heute noch fast alle Kinder in dieser Region Gewalt erfahren, dann wird auch der 1929 geborene Arafat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Gewalt erfahren haben, vermutlich auch noch in heftigerer Form, als die heutigen Kinder, da sich die Erziehungspraxis im historischen Rückblick stetig verschlechtert.
Arafat selbst erwähnte seinen Vater nie, mit dem er nachweisbar keine enge Beziehung hatte. Neben der autoritären Art wird auch die jahrelange Trennung vom Vater ihren Teil dazu beigetragen haben, dass Vater und Sohn sich nicht gerade nahe standen.
Arafats Schwester erinnerte sich, dass ihr Bruder bereits als Kind seine Spielkameraden in militärische Gruppen einteilte und ihnen befahl, die Straßen rauf und runter zu marschieren. Wenn ein Kind aus der Reihe tanzte, wurde es von Arafat mit einem Stock geschlagen. (vgl. Brexel, 2004, S. 13) Hier findet sich ein gewichtiges Indiz dafür, dass auch Arafat selbst mit einem Gegenstand geschlagen wurde und dies im „Spiel“ wiederaufführte. Alles in allen ergibt sich das Bild einer sehr traurigen Kindheit.
Quellen:
Brexel, B. 2004: Yasser Arafat. Rosen Publishing Group, New York.
Rubin, B & Rubin, J. C. 2003: Yasir Arafat: A Political Biography. Oxford University Press, New York.
Sadek, H. 2006: Arafat. Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen / München.
UNICEF 2009: Progress for Children. A Report Card on Child Protection; http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/presse/PFC_2009/Progress_20for_20Children-No.8_20LoRes_EN_USLetter_08132009.pdf
1933 – Jassir ist zu dieser Zeit ca. vier Jahre alt – stirbt seine Mutter an einer Nierenerkrankung. (vgl. Sadek, 2006, S. 23) Sie hinterlässt drei Töchter und vier Söhne. Der Vater heiratet darauf ein zweites mal, aber die Ehe scheitert bereits nach einigen Monaten, wie Sadek berichtet. Eine andere Quelle (Rubin & Rubin, 2003, S. 13) belegt, dass diese zweite Frau die Kinder schlecht behandelte (was auch immer sich hinter diesem „schlecht“ verbergen mag.) Zu seiner Entlastung schickt der Vater seine beiden jüngsten Kinder (eines davon ist Jassir) nach Jerusalem in die Obhut eines Onkels, über dessen Erziehungsstil man in den verwendeten Quellen nichts erfährt. Er erlebt somit gleich zwei schwere Trennungen hintereinander, den Verlust der Mutter und die Trennung von seinen Geschwistern, seinem Vaters und der vertrauten Umgebung. Zwischen 1933 und 1937 verbringt Jassir seine Kindheit bei dieser Jerusalemer Familie.
Im April 1936 beginnt ein landesweiter palästinensischer Generalstreik und in der Folge auch ein bewaffneter Aufstand, der von den Briten brutal niedergeschlagen wird. Der junge Arafat erlebt diesen Aufstand aus nächster Nähe mit, bei dem auch sein Onkel verhaftet wird. 1937 kehren Jassir und sein jüngerer Bruder zurück zu ihrem Vater nach Kairo, der inzwischen ein drittes Mal geheiratet hat. Beide kommen in die Obhut ihrer zwölf Jahre älteren Schwester Inam. „Die neue Stiefmutter können die Kinder nicht ausstehen. Die dritte Ehe des Vaters erweist sich abermals als Fehlschlag, sie vertieft den Graben zwischen dem Vater und seinen Kindern. Abd al-Rauf bleibt ihnen als disziplinierender, autoritärer Vater in Erinnerung.“ (Sadek, 2006, S. 25) Was sich alles an Gewalt hinter den Worten „disziplinierend“ und „autoritär“ verbirgt, erfährt man vom Biographen leider nicht. Laut UNICEF erlebten – Grundlage sind Daten aus den Jahren 2005-2007 - in Prozent der Kinder (2-14 J.) psychische und/oder körperliche Gewalt (wobei die Mehrheit beides erlebte) in den besetzten palästinensischen Gebieten 95 % und in Ägypten 92 %. (vgl. UNICEF 2009, S. 8) Wenn schon heute noch fast alle Kinder in dieser Region Gewalt erfahren, dann wird auch der 1929 geborene Arafat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Gewalt erfahren haben, vermutlich auch noch in heftigerer Form, als die heutigen Kinder, da sich die Erziehungspraxis im historischen Rückblick stetig verschlechtert.
Arafat selbst erwähnte seinen Vater nie, mit dem er nachweisbar keine enge Beziehung hatte. Neben der autoritären Art wird auch die jahrelange Trennung vom Vater ihren Teil dazu beigetragen haben, dass Vater und Sohn sich nicht gerade nahe standen.
Arafats Schwester erinnerte sich, dass ihr Bruder bereits als Kind seine Spielkameraden in militärische Gruppen einteilte und ihnen befahl, die Straßen rauf und runter zu marschieren. Wenn ein Kind aus der Reihe tanzte, wurde es von Arafat mit einem Stock geschlagen. (vgl. Brexel, 2004, S. 13) Hier findet sich ein gewichtiges Indiz dafür, dass auch Arafat selbst mit einem Gegenstand geschlagen wurde und dies im „Spiel“ wiederaufführte. Alles in allen ergibt sich das Bild einer sehr traurigen Kindheit.
Quellen:
Brexel, B. 2004: Yasser Arafat. Rosen Publishing Group, New York.
Rubin, B & Rubin, J. C. 2003: Yasir Arafat: A Political Biography. Oxford University Press, New York.
Sadek, H. 2006: Arafat. Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen / München.
UNICEF 2009: Progress for Children. A Report Card on Child Protection; http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/presse/PFC_2009/Progress_20for_20Children-No.8_20LoRes_EN_USLetter_08132009.pdf
Donnerstag, 1. März 2012
Kindheit von Fidel Castro
Fidel Castro wurde in eine im Wohlstand lebende, privilegierte Landbesitzerfamilie hineingeboren. Etwa 1000 Menschen, überwiegend farbige haitianische Landarbeiter und ihre Familien, lebten in ärmlichen Verhältnissen unter dem Patronat von Fidels Vater. Die Ehefrau – Maria Luisa Argone – von Fidel Castros Vater soll nach Fidels Geburt die Familie verlassen haben. (Skierka, 2001, S, 17) Der Vater - Ángel Castro y Argiz – bekam nämlich mit der Haushälterin und Köchin Lina Ruz González – die nur halb so alt war wie er – mit Fidel bereits das dritte uneheliche Kind. Er heiratete später seine Bedienstete und bekam mit ihr weitere vier Kinder. „Sein Vater, ein verschlossener, hart arbeitender und zupackender Mann, grob und aufbrausend, streitsüchtig und keinen Widerspruch duldend, ist ein Patriarch wie aus dem Bilderbuch“ und führt „ein strenges Regiment über Haus und Hof.“ (ebd., S. 20)
Die Mutter beschreibt Skierka als den ausgleichenden Charakter in der Familie, die den Kindern die beim Vater vermisste Nähe gab. Auch Fidel Castro selbst sprach von seiner Mutter oft mit Wärme und Zuneigung, während er seinen Vater kaum erwähnte. Allerdings hatte auch seine Mutter offenbar keine Bedenken, ihren Sohn, um seine schulischen Leistungen zu fördern, früh weg zu geben. Fidel wird erst spät getauft, als er mit fünf oder sechs Jahren bei Pflegeeltern – der Familie Hibberts -in Santiago de Cuba einquartiert wird, wo er auf Grund seiner ungewöhnlich guten Leistungen privaten Schulunterricht erhält. Mit sechs oder sieben Jahren wird er dann in das streng katholisches Kolleg „La Salle“, das sein Bruder als „Gefängnis“ mit endlosem „Beten und der Furcht vor Gott“ beschreibt, in der selben Stadt eingeschult. “Offenbar sind die zeitweilig unklaren familiären Beziehungen in Verbindung mit Fidel Castros unehelicher Geburt der wahre Grund dafür, dass der Taufpate nicht zur Verfügung steht und der kleine Junge den Segen der Kirche zunächst nicht erhält.“ (ebd., S. 17) Fidel wird nach eigenen Angaben in dieser Zeit des ungetauft Seins ausgegrenzt und „Jude“ genannt. Ob seine leiblichen Eltern überhaupt bei der Taufe zugegen waren, ist nicht klar, schreibt Skierka. Castro wörtlich über diese Zeit: „Ich war weit weg von meiner Familie, von unserem Haus, von der Gegend, die ich so liebte, wo ich … mich frei fühlte. [Sie] schickten mich unversehens in die Stadt, wo ich all diese Schwierigkeiten hatte.“ (ebd., S. 22)
An die Zeit im Hause des Konsuls Hibbert hat Castro überwiegend negative Erinnerungen. „(…) es scheint, als hätte dieser es nur auf die Unterhaltszahlungen der Castros abgesehen.“ (Hagemann, 2002, S. 21) Fidels Mutter galt als streng katholisch und wollte diesen Glauben auch an ihre Kinder weitergeben. Vor diesem Hintergrund verwundert folgende Gegebenheit: „Seltsamerweise verbringt der kleine Fidel dreimal hintereinander das Drei-Königs-Fest nicht bei der Familie auf der Finca in Biran, sondern bei den Pflegeeltern in Santiago de Cuba, zu denen er ein zunehmend schwieriges Verhältnis entwickelt. (…) Der Grund, weshalb er die Weihnachtszeit und das wichtigste Fest im Jahr so oft in Folge nicht bei seiner Familie verbringt, liegt im Dunkeln. Ob er wegen des häuslichen Durcheinanders ganz bei den offenbar kinderlosen Pflegeeltern bleiben sollte? Der junge Fidel muss darunter nachhaltig gelitten haben.“ (Skierka, 2001, S. 23+24)
Die Schulleitung des Kolleg will Fidel und seine beiden Brüder schließlich wieder zu seinen Eltern zurückschicken, „weil sie sich wie Rabauken aufführen und der junge Fidel sogar einmal die Ohrfeige eines Lehrers erwidert.“ (Skierka, 2001,S. 22) Die Mutter interveniert und Fidel durfte bleiben, was auch sein erklärter Wille war. Er drohte sogar, zu Hause das Haus anzuzünden, falls ihn die Eltern aus der Schule zurück nach Hause gehen lassen würden. Schließlich wechselt er später im Alter von ca. neun Jahren auf Grund seiner Intelligenz auf das strenge und angesehene Jesuitenkolleg Dolores, das er zunächst als Tagesschüler besucht. Wieder bedeutet dies die Unterkunft bei fremden Leuten in einer neuen Gastfamilie. „Er hasste seine Gasteltern und trachtete erneut nach der Aufnahme in das Internat der Schule.“ (Hermann, 2002, S. 22) Castro fand sich „häufig eingesperrt im Hause seiner Gasteltern. Er nutzte die Zeit zum Nachdenken, zum Lesen von Comics und geschichtlichen Darstellungen, vorzugsweise solcher militärischen Inhalts.“ (ebd.) Schließlich schafft er die Trennung von der verhassten Gastfamilie und die Unterbringung im Internat Dolores. Er ist zu dieser Zeit wohl ca. zwölf Jahre alt und geht zunehmend eigene Wege. Mit dreizehn Jahren probte Fidel seinen ersten Aufstand. „Er wiedegelt die Zuckerrohrarbeiter der Finca auf und versucht einen Streik gegen seinen Vater zu organisieren. Er wirft ihm vor, seine Leute auszubeuten. Dieser ungeheuerliche, brüske Regelverstoß vor aller Augen gegen die in den hispanoamerikanischen Ländern tabuisierte Autorität des Patrons durch den Sohn führt zu einem tiefen Zerwürfnis.“ (Skierka, 2001, S. 22)
Ob Fidel Castro auch geschlagen wurde, erschließt sich aus den verwendeten Quellen nicht direkt. Es ist in meinen Augen allerdings auf Grund des Charakters des Vaters sehr wahrscheinlich, dass dieser auch körperlich übergriffig war. Zudem war Fidel gänzlich ohne Schutz fern der Familie sicherlich auch Opfer durch Gewalt von Lehrern, was sich oben auch belegen lässt, da er eine Ohrfeige eines Lehrers erwiderte. Wie das jahrelange Leben in den Gastfamilien aussah und ob dort auch offene Gewalt herrschte, deutet sich nur ansatzweise an. Über Einsperren und Streitigkeiten mit den Pflegefamilien ist einiges belegt, nichts allerdings über andere Übergriffe. Alles in allem ergibt sich das Bild eines abgeschobenen, unehelich geborenen Kindes, das schnell lernt, das es auf sich allein gestellt ist und sich durchkämpfen muss. Die sehr distanzierte Beziehung zum autoritären Vater wurde bereits angesprochen. In Anbetracht dessen, dass Fidel bereits ab ca. dem fünften oder sechsten Lebensjahr die Familie verließ, glaube ich ihm nicht wirklich die angeblich gute Beziehung zur Mutter. Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss er sich auch von ihr verlassen und verkauft gefühlt haben. Wie sein Innenleben damals aussah bleibt natürlich Spekulation.
Fidel Castros Kindheit war alles andere als glücklich und von Geborgenheit geprägt, das kann man mit Bestimmtheit sagen . Er wollte (selbst erklärt) gegen Autoritäten, Unterdrückung und Unfreiheit kämpfen, wurde aber letztlich genau das, was er so hasst: Ein autoritärer Mann, der keinen Widerspruch duldete und sein Land von einer abgelösten Diktatur in die nächste nun von ihm geleitete führte. Tausende politische Gegner ließ er nach seiner Machtübernahme einsperren und hinrichten, „ohne Gerichtsverfahren und ohne zu prüfen, ob die bisweilen vage formulierten Vorwürfe gegen die „Konterrevolutionäre“ oder „CIA-Agenten“ der Wahrheit entsprachen, säuberte Castro seine Insel von innenpolitischen Gegnern. „ (FAZ.net, 28.08.2011) Im Jahr 1962 brachte er zudem während der Cuba-Krise zusammen mit der Sowjetunion und den USA die Welt fast zum Untergang durch einen Atomkrieg. All diese Dinge kann ein Mensch nur tun, wenn er tief gespalten ist und die eigenen Emotionen gestört sind. Fidel Castros Kindheit bietet dahingehend Antworten, woher diese Störungen ursprünglich kommen.
Quellen:
FAZ.net, 28.08.2011: Fidel Castro. Das Fossil (http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/fidel-castro-das-fossil-11126384.html)
Hagemann, A. 2002: Fidel Castro. (aus der Reihe dtv portrait) Deutscher Taschenbuchverlag, München.
Skierka, V. 2001: Fidel Castro: Eine Biographie. Kindler Verlag Berlin.
Die Mutter beschreibt Skierka als den ausgleichenden Charakter in der Familie, die den Kindern die beim Vater vermisste Nähe gab. Auch Fidel Castro selbst sprach von seiner Mutter oft mit Wärme und Zuneigung, während er seinen Vater kaum erwähnte. Allerdings hatte auch seine Mutter offenbar keine Bedenken, ihren Sohn, um seine schulischen Leistungen zu fördern, früh weg zu geben. Fidel wird erst spät getauft, als er mit fünf oder sechs Jahren bei Pflegeeltern – der Familie Hibberts -in Santiago de Cuba einquartiert wird, wo er auf Grund seiner ungewöhnlich guten Leistungen privaten Schulunterricht erhält. Mit sechs oder sieben Jahren wird er dann in das streng katholisches Kolleg „La Salle“, das sein Bruder als „Gefängnis“ mit endlosem „Beten und der Furcht vor Gott“ beschreibt, in der selben Stadt eingeschult. “Offenbar sind die zeitweilig unklaren familiären Beziehungen in Verbindung mit Fidel Castros unehelicher Geburt der wahre Grund dafür, dass der Taufpate nicht zur Verfügung steht und der kleine Junge den Segen der Kirche zunächst nicht erhält.“ (ebd., S. 17) Fidel wird nach eigenen Angaben in dieser Zeit des ungetauft Seins ausgegrenzt und „Jude“ genannt. Ob seine leiblichen Eltern überhaupt bei der Taufe zugegen waren, ist nicht klar, schreibt Skierka. Castro wörtlich über diese Zeit: „Ich war weit weg von meiner Familie, von unserem Haus, von der Gegend, die ich so liebte, wo ich … mich frei fühlte. [Sie] schickten mich unversehens in die Stadt, wo ich all diese Schwierigkeiten hatte.“ (ebd., S. 22)
An die Zeit im Hause des Konsuls Hibbert hat Castro überwiegend negative Erinnerungen. „(…) es scheint, als hätte dieser es nur auf die Unterhaltszahlungen der Castros abgesehen.“ (Hagemann, 2002, S. 21) Fidels Mutter galt als streng katholisch und wollte diesen Glauben auch an ihre Kinder weitergeben. Vor diesem Hintergrund verwundert folgende Gegebenheit: „Seltsamerweise verbringt der kleine Fidel dreimal hintereinander das Drei-Königs-Fest nicht bei der Familie auf der Finca in Biran, sondern bei den Pflegeeltern in Santiago de Cuba, zu denen er ein zunehmend schwieriges Verhältnis entwickelt. (…) Der Grund, weshalb er die Weihnachtszeit und das wichtigste Fest im Jahr so oft in Folge nicht bei seiner Familie verbringt, liegt im Dunkeln. Ob er wegen des häuslichen Durcheinanders ganz bei den offenbar kinderlosen Pflegeeltern bleiben sollte? Der junge Fidel muss darunter nachhaltig gelitten haben.“ (Skierka, 2001, S. 23+24)
Die Schulleitung des Kolleg will Fidel und seine beiden Brüder schließlich wieder zu seinen Eltern zurückschicken, „weil sie sich wie Rabauken aufführen und der junge Fidel sogar einmal die Ohrfeige eines Lehrers erwidert.“ (Skierka, 2001,S. 22) Die Mutter interveniert und Fidel durfte bleiben, was auch sein erklärter Wille war. Er drohte sogar, zu Hause das Haus anzuzünden, falls ihn die Eltern aus der Schule zurück nach Hause gehen lassen würden. Schließlich wechselt er später im Alter von ca. neun Jahren auf Grund seiner Intelligenz auf das strenge und angesehene Jesuitenkolleg Dolores, das er zunächst als Tagesschüler besucht. Wieder bedeutet dies die Unterkunft bei fremden Leuten in einer neuen Gastfamilie. „Er hasste seine Gasteltern und trachtete erneut nach der Aufnahme in das Internat der Schule.“ (Hermann, 2002, S. 22) Castro fand sich „häufig eingesperrt im Hause seiner Gasteltern. Er nutzte die Zeit zum Nachdenken, zum Lesen von Comics und geschichtlichen Darstellungen, vorzugsweise solcher militärischen Inhalts.“ (ebd.) Schließlich schafft er die Trennung von der verhassten Gastfamilie und die Unterbringung im Internat Dolores. Er ist zu dieser Zeit wohl ca. zwölf Jahre alt und geht zunehmend eigene Wege. Mit dreizehn Jahren probte Fidel seinen ersten Aufstand. „Er wiedegelt die Zuckerrohrarbeiter der Finca auf und versucht einen Streik gegen seinen Vater zu organisieren. Er wirft ihm vor, seine Leute auszubeuten. Dieser ungeheuerliche, brüske Regelverstoß vor aller Augen gegen die in den hispanoamerikanischen Ländern tabuisierte Autorität des Patrons durch den Sohn führt zu einem tiefen Zerwürfnis.“ (Skierka, 2001, S. 22)
Ob Fidel Castro auch geschlagen wurde, erschließt sich aus den verwendeten Quellen nicht direkt. Es ist in meinen Augen allerdings auf Grund des Charakters des Vaters sehr wahrscheinlich, dass dieser auch körperlich übergriffig war. Zudem war Fidel gänzlich ohne Schutz fern der Familie sicherlich auch Opfer durch Gewalt von Lehrern, was sich oben auch belegen lässt, da er eine Ohrfeige eines Lehrers erwiderte. Wie das jahrelange Leben in den Gastfamilien aussah und ob dort auch offene Gewalt herrschte, deutet sich nur ansatzweise an. Über Einsperren und Streitigkeiten mit den Pflegefamilien ist einiges belegt, nichts allerdings über andere Übergriffe. Alles in allem ergibt sich das Bild eines abgeschobenen, unehelich geborenen Kindes, das schnell lernt, das es auf sich allein gestellt ist und sich durchkämpfen muss. Die sehr distanzierte Beziehung zum autoritären Vater wurde bereits angesprochen. In Anbetracht dessen, dass Fidel bereits ab ca. dem fünften oder sechsten Lebensjahr die Familie verließ, glaube ich ihm nicht wirklich die angeblich gute Beziehung zur Mutter. Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss er sich auch von ihr verlassen und verkauft gefühlt haben. Wie sein Innenleben damals aussah bleibt natürlich Spekulation.
Fidel Castros Kindheit war alles andere als glücklich und von Geborgenheit geprägt, das kann man mit Bestimmtheit sagen . Er wollte (selbst erklärt) gegen Autoritäten, Unterdrückung und Unfreiheit kämpfen, wurde aber letztlich genau das, was er so hasst: Ein autoritärer Mann, der keinen Widerspruch duldete und sein Land von einer abgelösten Diktatur in die nächste nun von ihm geleitete führte. Tausende politische Gegner ließ er nach seiner Machtübernahme einsperren und hinrichten, „ohne Gerichtsverfahren und ohne zu prüfen, ob die bisweilen vage formulierten Vorwürfe gegen die „Konterrevolutionäre“ oder „CIA-Agenten“ der Wahrheit entsprachen, säuberte Castro seine Insel von innenpolitischen Gegnern. „ (FAZ.net, 28.08.2011) Im Jahr 1962 brachte er zudem während der Cuba-Krise zusammen mit der Sowjetunion und den USA die Welt fast zum Untergang durch einen Atomkrieg. All diese Dinge kann ein Mensch nur tun, wenn er tief gespalten ist und die eigenen Emotionen gestört sind. Fidel Castros Kindheit bietet dahingehend Antworten, woher diese Störungen ursprünglich kommen.
Quellen:
FAZ.net, 28.08.2011: Fidel Castro. Das Fossil (http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/fidel-castro-das-fossil-11126384.html)
Hagemann, A. 2002: Fidel Castro. (aus der Reihe dtv portrait) Deutscher Taschenbuchverlag, München.
Skierka, V. 2001: Fidel Castro: Eine Biographie. Kindler Verlag Berlin.