Donnerstag, 28. Juni 2012

Adolf Eichmann - Eine ganz "normale" deutsche Kindheit

"Ich werde, wenn es sein muss, lachend in die Grube springen, denn das Bewusstsein, fünf Millionen Juden auf dem Gewissen zu haben, verleiht mir ein Gefühl großer Zufriedenheit."
(Adolf Eichmann zitiert nach Guido Knopp (1998):  Hitlers Helfer. Täter und Vollstrecker. S. 23; Anmerkungen: So handeln und sprechen nur Menschen, die wie "Untote" sind, emotional tot, körperlich am Leben.)


Mit Adolf Eichmann habe ich mich bisher nicht wirklich viel befasst. Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen.“ ist ja ein Klassiker, der mich allerdings bisher wenig zum Lesen reizte, weil die eigentlichen Ursachen des „Bösen“ – so viel ich über das Buch gelesen habe – nicht besprochen werden. 

Manchmal liegen die Erkenntnisse nur zwei, drei Suchbegriffe im Internet entfernt…. So stieß ich zu meiner großen Überraschung zunächst auf ein Worddokument einer auf den ersten Blick nicht seriös wirkenden Homepage mit englischer Webadresse. Eichmanns Memoiren wurden dort veröffentlicht. Als ich den ersten Teil über seine Kindheit und Jugend gelesen hatte, dachte ich zunächst, dass sich da wohl ein Alice Miller oder Arno Gruen Kenner einen Scherz erlaubt und eine Fälschung ins Netz gestellt hatte, um Eichmann selbst von den tieferen Ursachen sprechen zu lassen, die die NS Zeit ermöglichten. Eigentlich eine gute Idee, die bestimmt Aufmerksamkeit erzeugt, dachte ich. 

Ich irrte mich mit meinem ersten Eindruck. Denn der Text ist echt und wurde einst von der „Welt“ ("Ein Leben, bestimmt durch Befehle", 12.08.1999) veröffentlicht. Bereits der Anfangsteil seiner Erinnerungen macht deutlich, warum Eichmann zu dem werden konnte, was er war:

"Irgend etwas aber muß es doch gewesen sein, daß es meinen seligen Vater schon in meiner frühesten Jugend dazu bewogen haben muß, trotz liebevollster Zuneigung und Freude an mir, gerade mich besonders streng zu erziehen, eine Strenge, wie sie meine Geschwister nie in diesem Umfange zu verspüren bekommen hatten. Und dabei soll ich keinesfalls etwa ein schwer erziehbares Kind gewesen sein, sondern das gerade Gegenteil daran; leicht lenkbar und folgsam.
Von der Kinderstube angefangen also, war bei mir der Gehorsam etwas Unumstößliches, etwas nicht "ausderweltzuschaffendes". Als ich dann später, sehr viel später, genau 27 Jahre später, ich meine nach meiner Geburt, zur Truppe kam, fiel mir das Gehorchen nun keinen Deut schwerer als das Gehorchen in der Kinderstube, als das Gehorchen in den zwischen Kinderstube und Truppendienst liegenden Schulausbildungs- und Berufsjahren.
Ich anerkannte meinen Vater als absolute Autorität, ebenso meine leider früh verstorbene Mutter; ich erkannte meine Lehrer und beruflichen Vorgesetzten als Autorität an und ebenso später meine militärischen und dienstlichen Vorgesetzten.
Es wäre denkbar gewesen, daß das berühmte Kamel durch das Nadelöhr geht, aber undenkbar wäre es gewesen, daß ich nicht mir gegebenen Befehlen gehorcht hätte."

Nun ist ja bekannt, dass Eichmann keine Verantwortung für sein Handeln übernehmen wollte und sich als „Opfer“ von Befehlen darstellte. Natürlich war er verantwortlich und ein Täter und natürlich wusste und wollte er, was er tat. Aber, man sollte seine eigenen Erklärungen trotzdem ernst nehmen. Sein Vater war, nachdem was wir hier lesen, eine klassische autoritäre Persönlichkeit, die unbedingten Gehorsam durchsetzte. Anfang des 20. Jahrhunderts bedeutete dies für deutsche Kinder i.d.R. auch Schläge. Eichmann selbst fungierte in seiner Familie wohl als besonderer Blitzableiter, wie er selbst schildert, da seine Geschwister nicht so sehr der Strenge des Vaters ausgesetzt waren, wie er selbst. Seine Mutter verstarb zudem, als er noch ein Kind war. Dies an sich ist bereits traumatisch, kann aber verarbeitet werden, wenn eine Familie zusammenhält und sich gegenseitig Trost spendet. Ein autoritärer Vater wird keine emotionale Stütze für dieses Kind gewesen sein. 

Eichmanns Schilderungen wurden ihm oft als Verteidigungsstrategie ausgelegt. Vieles spricht allerdings dafür, dass er wirklich so fühlte. Er hatte keine Identität, war form- und dehnbar und wäre z.B. in der DDR sicher ein guter Funktionär geworden. Dieser Mann ist geradezu ein Paradebeispiel für einen Menschen, der als Kind keine eigene Identität aufbauen konnte, worüber vor allem Arno Gruen ganze Bücher geschrieben hat (insbesondere „Der Fremde in uns“). Adolf Eichman war „ganz normal“ in dem Sinne, dass die Mehrheit der damaligen Deutschen ebenfalls keine eigene Identität aufbauen konnten, weil ihre Eltern sie schwer angriffen und unterdrückten und dadurch alles Eigene als etwas Fremdes abgespalten werden musste. 

Ich staune immer noch etwas, dass diese Erkenntnisse derart offensichtlich durch Eichmann selbst dargestellt wurden. Und trotzdem bleibt er emotional blind während seiner Ausführungen, betrachtet sich selbst als jemand Fremden, so kommt es mir vor. Was Sinn macht, denn solche Menschen sind im Grunde nie in ihrem Leben und ihrer eigenen Gefühlswelt angekommen. Und der Vater, der einst den Willen des Kindes brach, blieb natürlich idealisiert:  In „liebevollster Zuneigung und Freude an mir“. Keine Wut, keinen Groll, der Vater tat ja alles nur „zum Besten“ des Kindes, das diesen Schmerz nicht fühlen darf und sich unterwirft.

Wie schon gesagt, manchmal liegen die Erkenntnisse nur zwei, drei Googel-Suchbegriffe entfernt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen