Ich habe kürzlich zwei interessante Studien gefunden, die ich nachfolgend besprechen möchte.
10.178 Männer im Alter zwischen 18 und 49 Jahren wurden für eine große Studie in den Ländern Bangladesch, China, Kambodscha, Indonesien, Papua Neuguinea und Sri Lanka repräsentativ befragt:
Jewkes, Rachel; Fulu, Emma; Roselli, Tim; Garcia-Moreno, Claudia (2013): Prevalence of and factors associated with non-partner rape perpetration: findings from the UN Multi-country Cross-sectional Study on Men and Violence in Asia and the Pacific. In: The Lancet Global Health, Volume 1, Issue 4, Pages e208 - e218, doi:10.1016/S2214-109X(13)70069-X
Ziel der Studie war es vordergründig, etwas über männliche Täter speziell bzgl. dem Sexualdelikt Vergewaltigung herauszufinden. Dies an sich ist bereits interessant und mir ist bisher keine Studie bekannt, die bzgl. der Fragestellung ähnlich ausführlich und groß gestaltet wurde. Die Studie hat allerdings weit mehr erfasst, u.a. auch Angaben zu eigenen Opfererfahrungen in der Kindheit und sonstigem destruktivem Verhalten, was sie für mich besonders interessant macht.
Ausgewählte Ergebnisse:
Zwischen einem von fünf (ca. 20 %) und einem von acht Männern(ca. 12,5 %) hat in den befragten asiatischen Ländern jemals eine Vergewaltigung begangen. Papua Neuguinea stach dabei deutlich heraus, hier waren weit mehr Männer Täter, als vorgenannt. Fast jeder Zweite (bezogen auf alle Befragten der Stichprobe, die Vergewaltigungen eingeräumt haben) hat mehr als eine Frau vergewaltigt.
In der Studie wurden zwei Kategorien von Vergewaltigern unterschieden: Solche, die alleine Vergewaltigungen begangen haben und solche, die zusammen mit anderen Männern Vergewaltigungen (also Gruppenvergewaltigung) oder manchmal zusätzlich auch alleine begangen haben.
Ich fand an der zitierten Studie folgendes besonders interessant (Tabelle 3):
- 35,3 % der Vergewaltiger und 36,1 % der Gruppenvergewaltiger hatten Alkoholprobleme (nur 8 % der Nicht-Vergewaltiger)
- 50,9 % der Vergewaltiger und 52,9 % der Gruppenvergewaltiger übten häusliche Gewalt gegen Frauen aus (23,8 % der Nicht-Vergewaltiger)
- 64 % der Vergewaltiger und 77 % der Gruppenvergewaltiger waren Freier (30,8 % der Nicht-Vergewaltiger)
- 35,3 % der Vergewaltiger und 36,7 % der Gruppenvergewaltiger waren in Kämpfe mit Waffen außerhalb ihres Zuhauses verwickelt (9,2 % der Nicht-Vergewaltiger)
- 26,6 % der Vergewaltiger und 40,8 % der Gruppenvergewaltiger waren in Gangs verwickelt(6,1 % der Nicht-Vergewaltiger)
- 19 % der Vergewaltiger und 30 % der Gruppenvergewaltiger hatten innerhalb eines Jahres Drogen genommen (7,9 % der Nicht-Vergewaltiger)
(Ergänzend fand ich interessant, dass die Vergewaltiger deutlich häufiger von mehr freiwilligen Sexualpartnern berichteten, als die Nicht-Vergewaltiger. 68,5 % der Nicht-Vergewaltiger hatten keinen oder einen Sexualpartner, 19,7 % zwei bis drei. 11,8 % mehr als vier. Von den Vergewaltigern hatte nur ca. jeder 4. (ca. 25 %) keinen oder einen Sexualpartner; ca. jeder Dritte hatte zwei bis drei und fast 40 % der Vergewaltiger hatten vier und mehr Sexualpartner. Jedem, der sich mit sexueller Gewalt befasst, ist klar, dass sexuelle Gewalt nichts mit Sex zu tun hat. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass Vergewaltiger meist keinen Mangel an Sex haben. Ihnen geht es offensichtlich viel mehr um Machtdemonstration und Demütigungen eines Menschen.)
Dies alles deutet darauf hin, dass man so etwas wie „Vergewaltigung“ nicht isoliert- als quasi als eine einzige destruktive Eigenschaft des entsprechenden Mannes – sehen kann. Solche Männer scheinen vielmehr von Destruktivität durchzogen zu sein. Ich finde es sehr wichtig, dass diese Feststellung einmal wissenschaftlich nachweisbar ist. Natürlich kommen viele Vergewaltiger auch aus der Mitte der Gesellschaft, sie sind Nachbarn, Verwandte, Freunde, Partner, Dorfvorsteher usw. Aber es sind – das zeigt diese Studie eindrücklich – im Grunde keine „ganz normalen Männer“ (im Sinne von psychisch gesund, nicht-selbst-schädigend, lebensbejahend und liebevoll). Ich hatte dies kürzlich auf eine andere Art in einem Beitrag bzgl. NS-Tätern und deren Verhalten im Privaten/in der Familie beschrieben, das sich offensichtlich häufig extrem destruktiv gestaltete. Im Grund ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die o.g. Vergewaltiger auch bzgl. des Umgangs mit Kinder (sofern sie eigene haben) deutlich von den Nicht-Vergewaltigern unterscheiden. Leider wurde dieser Bereich nicht abgefragt. Es entspricht auch meiner Lebenserfahrung und Berichten über das Leben von grausamen Menschen: Destruktivität kommt selten alleine. Ab bestimmten destruktiven Verhaltensweisen (Vergewaltigung, Mord, (schwere) Misshandlung von Kindern usw.) kann mensch fast sicher sein, dass entsprechende Akteure/TäterInnen in vielerlei Hinsicht daran arbeiten, sich und/oder andere zu zerstören (auch wenn dies manchmal nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist.)
Zurück zu den Ergebnissen der Studie:
Es wurden zudem starke Zusammenhänge bzgl. Vergewaltigern und eigenen diversen (schweren) Gewalterfahrungen in der Kindheit gefunden. Leider wurde nicht ausgewiesen, wie viel Prozent der Vergewaltiger als Kind nicht Opfer von (schwerer) Gewalt wurden. (Das ist leider ein Fehler von vielen derart angelegten Studien, kaum eine geht der Frage nach, ob Täter gänzlich ohne Gewalterfahrungen als Kind aufgewachsen sind.) Zudem wurden keine Abstufungen aufgeführt (auch dies ist ein typischer Mangel solcher Studien). Es macht einen Unterschied, ob ein Kind zwei oder drei Mal z.B. körperlich misshandelt wird oder ob dies wöchentlich oder gar täglich geschieht. Auch ein nicht unwesentlicher Teil der Nicht-Vergewaltiger hat Gewalt erfahren. Hier wäre es z.B. interessant zu vergleichen, ob es Unterschiede zu Vergewaltigern bzgl. der Häufigkeit und Intensität der Gewalt gibt, was ich stark vermute. Zudem fehlt in der Studie auch eine Aufstellung bzgl. multipler Gewaltbetroffenheit. Je mehr verschiedene Formen von Gewalt als Kind erlitten wurden, desto schwerwiegender sind die Folgen. Eine Aufgliederung bzgl. dem Anteil, der alle vier, alle drei, zwei oder nur eine Form abgefragter Gewalt erlitten hat, wäre sicher aufschlussreich gewesen. (Die selbe Kritik trifft im Übrigen auf die weiter unten besprochene Studie zu.)
Gewalterfahrungen in der Kindheit von Vergewaltigern und Nicht-Vergewaltigern im Vergleich:
- 58,7 % der Vergewaltiger und 60,5 % der Gruppenvergewaltiger hatten als Kind körperliche Misshandlungen (also schwere Gewalt gegen das Kind) erlebt (dagegen 31,4 % der Nicht-Vergewaltiger)
- 31,3 % der Vergewaltiger und 36,6 % der Gruppenvergewaltiger wurden als Kind sexuell missbraucht (16 % der Nicht-Vergewaltiger)
- 51,9 % der Vergewaltiger und 59,7 % der Gruppenvergewaltiger erlebten emotionale Misshandlungen oder Vernachlässigung (30 % der Nicht-Vergewaltiger)
- 9,9 % der Vergewaltiger und 18,4 % der Gruppenvergewaltiger wurden durch einen Mann als Kind vergewaltigt oder sexuell genötigt (3,3 % der Nicht-Vergewaltiger)
Allgemeine Gewaltbetroffenheit in der Kindheit von Männern im asiatischen Raum
Die Studie erlaubt es zusätzlich, die Daten bzgl. (schweren)
Gewalterfahrungen zusammenzuzählen (also Nicht-Vergewaltiger +
Vergewaltiger) und auf die gesamten befragten Männer zu beziehen. Da die
Stichprobe repräsentativ war kann man also sagen, dass die Männer in
den befragten asiatischen Ländern allgemein wie folgt von (schwerer)
Gewalt in der Kindheit betroffen waren.
- 34,44 % (3425 von 9946) erlebten körperliche Misshandlung (schwere körperliche Gewalt)
- 32,71 % (3253 von 9946) erlebten emotionale Misshandlungen oder Vernachlässigung
- 17,84 % (1774 von 9946) erlebten sexuellen Missbrauch
- 4,33 % (427 von 9869) wurden durch einen Mann als Kind vergewaltigt oder sexuell genötigt
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Deutsche Studie bzgl. inhaftierten Sexualstraf- und Gewalttätern
Ich möchte dem Beitrag hier eine weitere Studie anhängen, die ich kürzlich gefunden habe. Für die Studie wurden inhaftierte Kindesmissbraucher, allgemeine Gewaltstraftäter und Sexualstraftäter (nur sexuelle Gewalt gegen Erwachsene) miteinander verglichen:
Urban, Dieter & Fiebig, Joachim (2011): Pädosexueller Missbrauch: wenn Opfer zu Tätern werden. Eine empirische Studie. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 40, Heft 1, Februar 2011, S. 42–61
Ausgewählte Ergebnisse:
Sexuellen Missbrauch in der eigenen Kindheit (bis zum Alter von 14. Jahren mit Körperkontakt) erlebten:
Kindesmissbraucher (N = 130) = 48,5 %
Sexualstraftäter - nicht gewalttätig gegen Kinder (N = 67) = 28,4 %
nicht sex. Gewalttäter (N = 157) = 15,9 %
Bzgl. der nachfolgenden Gewalterfahrungen muss erwähnt werden, dass nur solche in den Zahlen aufgenommen wurden, die häufiger bzw. erheblicher waren. Insofern geben die Zahlen nicht einen absoluten Wert sämtlicher Gewalterfahrungen wieder. (Anders beim sexuellen Missbrauch, hier wurden alle Gewalterfahrungen mit Körperkontakt erfasst.)
Erlittene körperliche Gewalt in der Kindheit (u.a. geohrfeigt, mit der Faust geschlagen)
Kindesmissbraucher (N = 130) = 50,8 %
Sexualstraftäter - nicht gewalttätig gegen Kinder (N = 67) = 40,3 %
nicht sex. Gewalttäter (N = 157) = 47,1 %
Erlittene psychische Gewalt in der Kindheit (u.a. Nichtbeachtung, Erniedrigung, Bedrohung)
Kindesmissbraucher (N = 130) = 47,7 %
Sexualstraftäter - nicht gewalttätig gegen Kinder (N = 67) = 43,3 %
nicht sex. Gewalttäter (N = 157) = 42,7 %
Beobachtete körperliche Gewalt in der Familie
Kindesmissbraucher (N = 130) = 46,2 %
Sexualstraftäter - nicht gewalttätig gegen Kinder (N = 67) = 49,3 %
nicht sex. Gewalttäter (N = 157) = 50,3 %
Die Studie konnte deutlich nachweisen, dass eigene sexuelle Opfererfahrungen deutlich das Risiko erhöhen, selbst sexuelle Gewalt gegen Kinder auszuüben (fast jeder Zweite Kindesmissbraucher ist selbst sexuell missbraucht worden.) Leider wurde auch bei dieser Studie versäumt aufzuführen, wie viel Prozent der Straftäter keine der vier abgefragten verschiedenen Opfererfahrungen in der Kindheit erlitten haben. Insgesamt zeigen die aufgeführten Zahlen eine sehr hohe Rate von Opfererfahrungen bei allen drei Straftätertypen, wobei die Kindesmissbraucher bzgl. sexueller Gewalterfahrungen überdurchschnittlich hervorstechen. Die Studie ist nicht direkt mit Gewaltstudien bzgl. der allgemeinen Bevölkerung vergleichbar, da jede Studie anders aufgebaut wird. Sie zeigt aber deutliche Tendenzen. So stellte das KFN (http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fob118.pdf, S. 22) in einer großen repräsentativen aktuellen Befragung fest, dass nur 1,1 % der Männer in Deutschland sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt vor dem 14. Lebensjahr erlebt haben. Selbst wenn man Exhibitionismus (1,3 %) und „sonstige sexuelle Handlungen“ (0,3%) hinzuziehen würde, käme man nicht annähernd an die Opferraten der drei Straftätertypen! Auch von den drei anderen Opfererfahrungen (psychische Gewalt, beobachtete körperliche Gewalt, erlebte körperliche Gewalt) sind die Straftäter sehr häufig betroffen. Die Studie ergänzt u.a. die oben besprochene Studie bzgl. Vergewaltigern. Sexualstraftäter (aber auch nicht-sexuelle Gewalttäter) scheinen in hohem Maße von Gewalt in der Kindheit betroffen zu sein.
Hinweis:
AntwortenLöschenhttp://www.soziale-probleme.de/2003/02_Urban-Lindhorst_-_Vom_Sexualopfer_zum_Sexualtater_2003-2.pdf
Studie "Vom Sexualopfer zum Sexualtäter?" von Dieter Urban und Heiko Lindhorst (2003)