Am 04.02.2015 hat sich Papst Franziskus in seiner wöchentlichen Generalaudienz im Prinzip für Körperstrafen gegen Kinder ausgesprochen. Sein entscheidender Satz lautete:
"Einmal habe ich einen Vater bei einem Treffen mit Ehepaaren sagen hören: 'Ich muss manchmal meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu demütigen'." "Wie schön!", erklärte Franziskus. "Er weiß um den Sinn der Würde. Er muss sie bestrafen, aber tut es gerecht und geht dann weiter." (siehe z.B. ZEIT-Online) Seine Äußerungen kann mensch auch als Video auf youtube sehen. Als der Papst mit den Worten „Wie schön!“ beginnt, hebt er belehrend und unterstreichend die rechte Hand (Daumen und Zeigefinger verbindend) und gleitet in ein Lächeln ab, als er auf die „Gerechtigkeit“ der Strafe zu sprechen kommt. Ich fand seine Aussage und Gesten sehr authentisch. Sprich: Er glaubt wirklich, dass Körperstrafen „gerecht“ und „würdevoll“ sein können und Sinn machen, um Kinder väterlich zu „korrigieren“ (Dass Väter ihre Kinder mit „Bestimmtheit korrigieren“ sollen, sagte er vorher in seiner Rede.)
Dazu habe ich (passend zur kirchlichen Tradition) dreifaltige Anmerkungen:
1. Die Reaktionen in den deutschen Medien und auch in Kommentarbereichen entsprechender Artikel über die Papstaussage sind eindeutig kritisch. Gewalt gegen Kinder kann niemals würdevoll sein und ist falsch, das ist die überwiegende Reaktion. Ist das nicht großartig? Noch vor 15-20 Jahren hätte es kaum derart breite kritische Anmerkungen in den Medien bzgl. der Papstaussage gegeben.
2. Viele befürchten, dass der Papst durch seine Äußerungen Gewalt in der Erziehung befördern könnte. Das glaube ich weniger. Er stützt eher die, die sowieso schon schlagen. Eltern brauchen keine päpstlichen Belehrungen, um Schläge auszuteilen. Sie kommen alleine darauf, weil sie nur das weitergeben, was sie selbst als Kind erlitten haben.
Anders wäre es gewesen, wenn er sich eindeutig gegen jegliche Gewalt in der Erziehung gestellt hätte. Da hätte manch gläubiger Katholik vielleicht Denkanstöße mit nach Hause bekommen.
3. Das besonders Erschreckende an seinen Äußerungen ist etwas, dass in den Medien nicht angesprochen wurde. Die o.g. Papstaussage lässt die starke Vermutung zu, dass Franziskus selbst als Kind geschlagen wurde. „Auf Nachfrage verteidigte Vatikan-Vertreter Thomas Rosica die Thesen des Papstes.“, schreibt die ZEIT. „Wer habe nicht schon einmal sein Kind gezüchtigt oder sei von den Eltern gezüchtigt worden, schrieb Rosica in einer E-Mail. Der Papst habe nicht über Gewalt oder Grausamkeit gegenüber Kindern gesprochen, sondern vielmehr darüber, jemandem zu Wachstum und Reife zu verhelfen.“ Der Papst-Sprecher Rosica spricht im Grunde also aus, was ich vermute. Wer sei nicht schon einmal als Kind geschlagen worden?, antwortet er, wohl auch im Namen des heiligen Vaters Franziskus. (Rein statistisch ist es eh extrem wahrscheinlich, dass er als Kind geschlagen wurde. Er ist Jahrgang 1936 und stammt zudem aus Südamerika, wo das Schlagen von Kindern auch heute noch sehr weit verbreitet ist)
Nun möchte ich nicht schreiben, dass es grundsätzlich erschreckend ist, dass ein – vermutlich – als Kind Geschlagener so eine mächtige Position wie die des Papstes inne hat (Natürlich sind die Mächtigen in der Welt eh den gleichen Erziehungspraktiken ausgesetzt gewesen, wie das Volk) Erschreckend ist, dass dieser mächtige Mensch offensichtlich weiterhin mit dem Aggressor identifiziert ist (wobei es da unterschiedlich starke Ausprägungen gibt) Wo elterliches Gewaltverhalten mit einem Lächeln unterstrichen wird und Gewalt mit positiven Begriffen wie „Würde“ und „Gerechtigkeit“ verbunden wird, da stimmt etwas nicht in dem emotionalen Zugang zur Welt, da wurde die eigene Wahrnehmung einst vernebelt und verdreht. Die Frage ist, in wie weit dies politisch-kirchliche Entscheidungen ggf. mit prägt. Und eine andere grundsätzliche Frage ist auch, in wie weit eine Organisation wie die katholische Kirche - mit ihren festen Hierarchien, ihren festen Strukturen und Erklärungen von Welt – in besonderem Maße Menschen anzieht, die durch ihre Kindheitserlebnisse aus der Bahn geworfen wurden und Sinn und Halt suchen. Ohne dass ich dies jetzt zwangsläufig negativ bewerte, denn ein religiöses Auffangen, dass nicht zu Gewalt und Destruktivität führt, kann ja auch nützlich sein.
Übrigens hat einzig die Pädagogin Katharina Saalfrank in einem offenen Brief an den Papst den vorgenannten Gedanken ebenfalls öffentlich gemacht (Danke an Mario für den Hinweis auf den Brief im Gästebuch!) Sie schreibt: "Im Grunde aber strafen die Erwachsenen zumeist, weil sie als Kinder selbst geschlagen wurden und unbewusst etwas selbst Erlebtes wiederholen. Würden wir uns gegenüber sitzen, so würde ich die Frage stellen, wie war es eigentlich bei Ihnen? Vermutlich haben Sie selbst Schläge erlebt und die Programmierung „es geschieht zu Deinem Besten“ hat vortrefflich funktioniert." (siehe hier)
Dass Eltern Kindern nicht immer gerne ins Gesicht schlagen, hat übrigens oft einen ganz anderen Grund, als den, sie – angeblich - nicht „in ihrer Würde zu verletzten“. Schläge ins Gesicht hinterlassen sichtbare Spuren für Nachbarn, Lehrer und Umfeld und das könnte im Zweifel Konflikte hervorrufen.
Anmerkung:
Im Kommentarbereich des o.g. ZEIT-Artikels hat übrigens jemand im Kommentar Nr. 3 folgendes geschrieben:
"Ich bin froh darüber, dass mich mein Vater damals als ich mit 11 Jahren angenfangen habe aus meinen elterlichen Portmonee Geld zu stibitzen mir einpaar gescheurt hat. Oder meine Mutter als ich mehrere 6er hintereinander nach Hause gebracht habe nur wegen Faulheit. Es hatte seine nachhaltige Wirkung.
Alles was ich heute bin oder erreicht habe, habe ich meinen Eltern zu verdanken. Meinen Eltern war ich halt nicht einfach egal wie bei anderen Eltern es so oft der Fall ist.
Es gibt halt einfach schwierige Kinder wo einfache Strafen wie Hausarrest oder einfaches reden nicht wirklich hilft. Bei mir war das auch nicht anders. Und nicht jede Eltern sind irgendwelche pseudo Psychologen."
Solche Kommentare finden sich vereinzelnd fast immer unter solchen Themenartikeln. Erschreckend ist dabei, wie deutlich zu sehen ist, wie das einst geschlagene Kind die Sicht der Eltern übernahm und sich unterwarf. Es ist das eigentlich ver-rückte, dass Erwachsene ihren Eltern rückblickend dankbar für Schläge sind. Ach, was hätte der Papst wohl dazu gesagt?
Diese Kommentare der Richtung "ich danke meinen Eltern dafür, dass sie mich verdroschen haben", habe ich auch schon oft gesehen. Seltsamerweise kommen die Leute, die dann argumentieren, auch fast ständig nur mit hohlen Phrasen wie "ein Klaps hat noch keinem Geschadet". Die Argumentieren gar nicht mehr, sondern kletschen nur ihre Phrasen hin. Auch eine typische Argumentationsstruktur ist dann, von einer angeblichen Verweichlichung zu sprechen und quasi eine Schuldumkehr zu betreiben. Nicht der, der schlägt ist für die ein schlechter Mensch, sondern der, der die Schläge nicht aushält.
AntwortenLöschenSeltsamerweise sind viele Pro Schulpflicht Leute aber argumentativ auch sehr ähnlich. Die haben auch ihre Hohlen Phrasen. z.B. die von den "sozialen Fähigkeiten", was die in den absurdesten Situationen bringen. (z.B. als ich mal in so einer Diskussion erklärt hatte, dass mich die halbe Schule gemobbt hatte und man mir Sachen an den Kopf warf, wie die Aussage, ich solle am Besten vergast werden, hat doch so ein Pro Schulpflicht Heini mir ernsthaft gesagt, es wäre richtig gewesen, dass ich gemobbt worden sei, denn dass man mich täglich an der Schule quälen konnte, wäre gut für die Ausbildung von meinen sozialen Fähigkeiten. WTF? Wie menschenverachtend muss man sein, um so eine Aussage von Sich zu geben?)
Dann kommen die auch ebenfalls mit "nur die Harten kommen in den Garten" Argumentationen.
Mich wundert das, warum die so Ähnlich reden.
Mal ehrlich, Michael, wenn jemand dir nach diesen Schilderungen von Mobbing und "Vergasung" sagt, das wäre doch richtig gewesen, dann hat das nichts damit zu tun, dass er "pro Schule" ist, sondern damit, dass er emotional selbst tot ist. Unglaublich so was!
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