Dienstag, 23. Juni 2015

Die emotionale Beschneidung der britischen Eliten in Internaten

Im ZDF Auslandsjournal gab es am 07.01.2015 einen Bericht unter dem Titel  „Kindheit im Internat“.  Der Beitrag ist derzeit noch online in der Mediathek einsehbar.
U.a. Sam Barber kommt in dem Bericht zu Wort. Der Erwachsene hat starke Probleme in seinem Leben, fühlt sich u.a. bindungsunfähig. Mit acht Jahren kam er ins Internat, für ihn der schlimmste Tag in seinem Leben. Sam fühlte sich nicht beschützt und sicher im Internat, einem  Ort, an dem Angst herrschte, wie er sagt. “Irgendwann hört man dann auf zu weinen. Das ist der schlimmste Moment. Wenn man mit dem Fühlen aufhört und sagt: Alles in Ordnung, ich habe mich dran gewöhnt.“
Bereits fünf Jahre alte Kinder werden in Großbritannien in Internate geschickt. Mehr als 80.000 britische Kinder leben weit Weg von zu Hause in solchen privaten Einrichtungen. Und diese Orte verstehen sich meist als Elite-Schmieden, die dortigen Kinder sollen später Karriere machen und die britische Gesellschaft führen.
Der Psychotherapeut und Psychohistoriker Nick Duffel äußert sich im Auslandsjournal wie folgt:
Wer das durchlebt, muss einen Teil seiner Persönlichkeit verleugnen. Die Gefühlswelt, Spontanität, Sexualität, dadurch gibt es Defizite bei der emotionalen Intelligenz. Und die meisten unserer Minister waren in solchen Internaten. Dabei braucht die Welt heute Politiker, die gemeinschaftlich Kompromisse finden können.
Duffel hat über das Thema Bücher geschrieben. Das aktuellste heißt  “Wounded Leaders: the Psychohistory of British Elitism and the Entitlement Illusion”. Auf seiner Homepage gibt es einiges darüber zu lesen und auch Videobeiträge, die aufschlussreich sind. (Einen Blogeintrag von Duffel möchte ich hervorheben. Darin beschreibt er, dass sich die britischen Internate natürlich verbessert haben, Gewalt, Demütigungen und Isolation haben deutlich abgenommen. Es bliebe aber immer das Trauma, von den Eltern getrennt zu werden. Darum geht es! Und ich möchte persönlich anmerken, dass die heutige Machtelite in dieser Region noch Kindheiten in Internaten verbracht hat, wo die Rahmenbedingungen noch nicht so aussahen wie heute.)

Ich finde seine Denkansätze wichtig und interessant. Letztlich geht es um die Frage, was für Menschen wir an der Macht und in Führungspositionen wollen? Ich habe mich hier im Blog schon häufig in der Hinsicht geäußert, dass Machtpositionen sehr reizvoll gerade für die Menschen sind, die als Kind schwere Ohnmachtserfahrungen gemacht haben. Dadurch verstärken sich destruktive gesellschaftliche Prozesse, weil die Führenden – so meine Vermutung – überproportional häufig emotional beschädigt zu sein scheinen. Die britische Gesellschaft scheint dies sowohl historisch als auch immer noch aktuell systematisiert und institutionalisiert zu haben. Kinder werden früh emotional beschnitten, in dem sie aus den Elternhäusern entfernt und dann in Eliteschulen auf die Führung des Landes getrimmt werden. Das ganze wird ihnen sowohl durch die Eltern, die Internatslehrkräfte als auch durch die Gesellschaft als "Wohlwollen" verkauft, wie immer wollen alle nur „das Beste für das Kind“…

Hinweis: In meinem Blog habe ich mich mit den Auswirkungen von Internatszeiten auf Politiker bereits an Hand des Beispieles von Tony Blair befasst.

2 Kommentare:

  1. Hallo Sven

    Vielleicht sollte die Floskel „Eltern wollen immer nur das Beste für das Kind“ umgeschrieben werden in „Eltern wollen immer nur das Beste VOM Kind“, nämlich seine Lebendigkeit (opfern), sie wollen das Beste dem Kind wegnehmen, damit es gleich wird wie sie bzw. damit es sie auf jeden Fall nicht verunsichert und in Frage stellt.

    Und „das Wohl des Kindes im Auge behalten“ ist auch so eine Floskel, die eigentlich aussagt, dass das Wohl gar nicht beim Kind ankommen soll, sondern im Auge bleiben soll.

    Im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes heisst es im Art. 3:

    «Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.»

    Hier ist also das Wohl des Kindes ein „Gesichtspunkt“!? Wo der wohl ist?

    Nun noch ein kurzer Auszug aus dem Buch „Ich will eine Welt ohne Kriege“ von Arno Gruen. Auf Seite 86 fragt er „Alles nur zu unserem Besten?“ und schreibt dann:

    „Gewalt gehört zu unserem Alltag. Sie prägt die Kindererziehung wie das Geschäftsleben, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern sowie den Umgang mit Tier und Natur. Trotzdem schauen wir über destruktive Absichten hinweg, weil wir uns vom Anschein „guter“ Absichten täuschen lassen. Wir akzeptieren politische Massnahmen, die unseren Interessen zuwider laufen, weil sie angeblich zu unserem Besten sind. Denn wir billigen den Mächtigen die Fähigkeit zu, besser zu wissen, was für uns gut ist. Auch wenn es unserem Selbstbild als emanzipierte Bürger so gar nicht entspricht: Die Bewunderung von Erfolg, Macht und Grösse, die auf eine Idealisierung von Eltern, die uns unterdrückt haben, zurückgeht, verleitet uns immer wieder, falschen Göttern zu trauen und ihren Inszenierungen zu erliegen. Wir staunen über die Schamlosigkeit, mit der in den Führungsetagen von Politik und Wirtschaft gelogen und betrogen wird, weil wir die Inhaber solcher Positionen grundsätzlich für klug und integer halten. Dabei ist uns nicht bewusst, wie sehr solche Vorstellungen einem Wunschdenken entsprechen, das seinen Ursprung in einer Realitätsverleugnung hat, die weit in unsere Kindheit zurückreicht.“

    Beste Grüsse
    Mario

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  2. Arno Gruen hat da die Dinge gut auf den Punkt gebracht.

    Jetzt gibt es zwei Lösungen.

    1. Eltern, die dem Wohle des Kindes im eigentlichen Sinne nachkommen und ein gesundes Aufwachsen ermöglichen

    2. Menschen, denen das, was ihnen als Kind angetan wurde, als "Wohlwollen" verkauft wurde und die dies therapeutisch auflösen können. Der oben im Artikel zitierte Mann ist zwar bindungsunfähig u.a., aber er hat durchschaut, dass die Weggabe ins Internat nicht zu seinem "Besten" geschah (die Grundlage, um sich psychisch zu befreien). Wie viele andere werden dagegen sagen "Das Internat, das war eine gute Zeit, meine Eltern haben es richtig gemacht und ich würde meine Kinder auch dort hinschicken, jederzeit". Letztere werden auch im sonstigen Leben viele blinde Flecke haben, wenn es um das Erkennen von Wahrheiten oder von Menschen, die schaden geht.

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