Donnerstag, 12. November 2015

Sendung: Wenn Eltern ihre Kinder schlagen

Ich habe kürzlich folgenden Beitrag gesehen:
WDR, 05.11.2015 (Sendereihe „Menschen hautnah“), „Nur ein Klaps auf den Po? - Wenn Eltern ihre Kinder schlagen“ (ein Film von Erika Fehse)

Eindrücklich wie auch erschreckend ist ein Ausschnitt, in dem SchülerInnen (viele mit Migrationshintergrund) verschiedener Altersgruppen aus einer Gesamtschule in Gelsenkirchen zusammen mit der zuständigen Sozialpädagogin das Thema Gewalt gegen Kinder besprechen. Alle anwesenden Kinder haben schon mal „einen Klaps“ von ihren Eltern bekommen. Die Mehrheit bewertet dies aber nicht als Gewalt. Als Gewalt wird von den SchülerInnen eher das bezeichnet, was man allgemein unter dem Begriff „Misshandlung“ (also schwere körperliche Gewalt) kennt. Einige SchülerInnen betonen, dass elterliche Gewalt etwas sei, was Folgen wie Prellungen, Blutungen u.ä. bewirken würde. Alles andere wäre keine Gewalt.

Eine Schülerin sagt wörtlich: „Ich habe ziemlich oft einen Klaps bekommen, aber das ist auch gerechtfertigt gewesen von meinen Eltern, weil ich wirklich meine Grenzen überschritten habe.“
Ein Schüler sagt: „Ich finde das o.k. Es ist unsere Schuld, wenn wir einen Klaps bekommen“ und eine neben ihm sitzende Schülerin stimmt zu. Ein Junge sagt: „Die Eltern wollen ja auch den Kindern nicht schaden, wollen das ja nur machen, damit die aufhören und später gut sind.“

Diese Kinder haben ihre Lektion gelernt. Man sieht fast ihre Eltern hinter ihnen stehen wie sie den Kindern eintrichtern: „Du bist schuld!“ „Das ist notwendig!“ „Das ist keine Gewalt, sondern meine Pflicht als Vater/Mutter, weil wir Dich ja lieben““ „Wir wollen nur Dein Bestes““. Die Kinder wiederholen quasi automatisiert diese klassische elterliche Lektion, die in Wahrheit eine Verdrehung der Wirklichkeit ist. Denn in Wahrheit ist ein „Klaps“ natürlich Gewalt und ein „häufiger Klaps“ ist „häufige Gewalt“. Dass diese Formen von Gewalt, die unterhalb der Misshandlung liegen, nicht folgenlos bleiben, zeigen die Aussagen der Kinder. Ist die Wirklichkeit eines Kindes erst einmal verdreht worden, ist sie vernebelt, dann wirkt dies auch später in anderen Kontexten. Beim Partner, Arbeitgeber oder auch „politischen Führer“, an dem man festhält, obwohl er einen schlecht behandelt, weil „der meint das doch nicht so, der ist nicht schlecht“. Dafür gibt es auch einen Fachbegriff „Identifikation mit dem Aggressor“. Natürlich ist auch die Gefahr groß, dass diese Kinder später, wenn sie selbst Eltern werden, Gewalt gegen ihre eigenen Kinder anwenden, weil dies ja – so haben sie leider gelernt – keine Gewalt sei, sondern eine erzieherische Notwendigkeit zum angeblichen Wohle des Kindes. Um so wichtiger finde ich es, dass diese Schule solche Kurse mit Kindern macht und versucht, die Vernebelung etwas aufzulösen. 

Besonders eindrucksvoll fand ich einen Bericht im hinteren Teil des Films. In einem Kinderschutzteam wurde der Fall eines neun Jahre alten Jungen besprochen. Dieser sei bereits im Alter von drei Jahren von seinem Vater schwer misshandelt worden, bis hin zu Knochenbrüchen. Eine Fachfrau trägt vor, dass sie bei der Diagnostik diesem Jungen die Frage gestellt habe, was er machen würde, wenn er König von Deutschland wäre. Der Junge habe aufgeschrieben:
Wenn ich König von Deutschland wäre, würde ich mir alle Pistolen der Welt kaufen, dann könnten Soldaten ausgebildet werden und dann könnten die mich beschützen vor denen, die mich angreifen.“
Diese Aussage ist erschütternd... Sie zeigt allerdings, warum es auch aus politischen Gesichtspunkten heraus wichtig ist, Kinder vor Gewalt zu schützen. Menschen, die als Kind sicher und geborgen aufwachsen durften, brauchen keine Waffen und Soldaten, um sich sicher zu fühlen.
Dagegen: Erwachsene, die einst verängstigte Kinder waren, „vergessen“ dies meist auf die eine oder andere Weise. Trotzdem wirkt – solange nicht therapeutisch aufgearbeitet – die alte Angst weiter und begünstigt destruktive oder gar schlimmstenfalls paranoid anmutende Entscheidungen oder Verhaltensweisen.

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