„Ich glaube, wir müssten viel mehr Wert darauf legen, wie es den Menschen geht, die so etwas tun. Wie kommt denn jemand dazu, dass er überhaupt zu so einer Tat schreitet? Und da haben wir einige Untersuchungen gemacht, die uns vielleicht weiterhelfen, als jeder massive Betonblock. (…) Wir haben in verschiedenen Ländern geforscht, in Somalia, im Kongo, wirklich in Gebieten, wo Täter aktiv sind und Zivilisten treffen möchten. (…) Wir haben festgestellt, dass tatsächlich eine Menge Gewalt in der Kindheit dieser Menschen eine große Rolle spielt. Die erleben schreckliche Gewalt selber am eigenen Leib, in den eigenen Familien. Und diese Gewalt, die labilisiert mich mit Angst oder mit wieder mit Gewalt zu reagieren. (…) Mein Statement kann ich hier gleich zu Anfang machen: Wir müssen wirklich auch politisch umdenken. (…) Diese Menschen, die müssen von Anfang an Unterstützung bekommen, untersucht werden und auch Psychotherapie bekommen. Wir müssen unser Geld tatsächlich anders einsetzen.“ Ihr Statement (das sich übrigens auch direkt auf (junge) Geflüchtete bezieht, worauf sie später in der Sendung nochmal zurückkommt) endet ca. in Minute 10 der Sendung. Mensch achte auf den sehr verhaltenden Applaus im Publikum!
Bzgl. dieses Redebeitrages ist mir auch ein Kommentar unter dem Titel „Angst? Wut und Abscheu!“ (vom 22.12.2016) von dem Historiker Dr. Rainer Zitelmann aufgefallen. Er schrieb:
„Was empfinde ich nach Terroranschlägen? Zuerst Trauer. Und Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen. Aber auch eine Wut, die immer größer wird. Gestern in der Talkshow bei Maybrit Illner räsonierte eine Psychologin wortgewandt über die schlimmen und traumatisierenden Gewalterfahrungen, die diese Terroristen in ihrer Kindheit und ihren Heimatländern erlebt haben. Sie will alle psychotherapeutisch behandeln. Dafür müsse viel mehr Geld her. Arbeitsbeschaffung für sie und ihre Kollegen. Was kriminelle Fanatiker dazu bringt, auf eine Familie mit einer Axt einzuschlagen oder Menschen auf einem Weihnachtsmarkt mit einem LKW zu überfahren, will ich nicht verstehen.“ Nun, wer nicht verstehen will, wird auch keine nachhaltige Prävention auf die Beine stellen können! Wie auch immer...
Erstaunlich und neu ist nicht, dass solche Ansätze keinen Applaus bekommen, sondern eher Kritik ernten (oder nicht weiter besprochen werden, denn keiner in der Talkshowrunde griff die Ausführungen der Expertin auf!). Erstaunlich und neu ist für mich, dass es Forschende schaffen, solche Ansätze vor einem Millionenpublikum unterzubringen und dabei auch ergänzen, dass es ein Umdenken bzgl. Prävention geben muss. Das sind alles langsame Schritte hin zu einem offenen Bewusstsein bzgl. der tieferen Hintergründe von Krieg und Terror.
Erst kürzlich wurde in einem ZEIT Artikel auf die BKA Studie „Die Sicht der Anderen“ verwiesen. Der Autor schrieb: „Überhaupt ist es nicht eine bestimmte Religion, die Terroristen gebiert. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat 2010 in einer Studie die Karrieren von Extremisten untersucht. Sie zeigt: Nicht der Glaube macht Menschen zu Tätern, sondern ihre Erfahrungen in Kindheit und Jugend. Prekäre Lebenslagen, enormer Entwicklungsstress – das ist allen Extremisten gemein. Davon hatte Amri genug.“ Diese BKA Studie wurde zu meinem großen Erstaunen – ich hatte darüber berichtet – auch in einer Sendung von „Hart aber Fair“ relativ breit besprochen. Allerdings ohne auf eine Veränderung von Prävention hinzuweisen und auf verbreitete kindliche Gewalterfahrungen in „gescheiterten Staaten“ Afrikas und im Nahen Osten. Dies sind alles wie gesagt kleine Schritte.
Irgendwann wird die Zeit reif dafür sein, dass die Menschen verstehen wollen. Meiner Ansicht nach spielt dabei die massive Abnahme von Gewalt gegen Kinder in Europa auf diesem Weg eine entscheidende Rolle (ergänzt durch flächendeckende Psychotherapie von als Kind schwer psychisch verletzten Menschen). Menschen, die sich nicht vor ihrer eigenen Kindheit gruseln und fürchten müssen, werden sich offen und ohne Scheu mit den Kindheiten von Terroristen, Kriegstreibern, wie auch sonstigen Gewalttätern befassen können oder zumindest die öffentliche Besprechung begrüßen.
(Ergänzend ein Hinweis auf einen Artikel, der sich auf die Forschung von Thomas Elbert bezieht, der wiederum viel mit der oben zitierten Frau Schauer zusammenarbeitet): "Gestresste Mütter, ängstliche Kinder". Darin heißt es gleich zu Beginn: "Trägt die hohe Gewaltbereitschaft in vielen Kulturen und Gesellschaften mit dazu bei, dass sie nicht vorankommen? Für den Traumaexperten Professor Thomas Elbert von der Universität Konstanz ist dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Seine Feldstudien legen zusammen mit neuen molekularen Erkenntnissen und Tierexperimenten nahe, dass Gewalterfahrungen der Mutter während der Schwangerschaft sowie Stress und Missbrauch in der frühen Kindheit Gehirne entstehen lassen, die in einer modernen Wissensgesellschaft Probleme haben." Auch solche Sätze, zumal im Ärzteblatt veröffentlicht, habe ich in dieser Form bisher selten gelesen. Da tut sich was. Auf diesen Artikel werde ich bei Zeiten noch einmal zum Thema "Geflüchtete aus islamischen und afrikanischen Ländern" zurückkommen.)
Danke für diesen wichtigen Hinweis, Kai!
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