Montag, 9. September 2019

Nazi-Familien: "Wir waren keine glückliche Familie"


Heidi Benneckenstein wuchs in einer Nazi-Familie auf und hat über ihr Leben und auch ihren Ausstieg aus der rechten Szene ein Buch geschrieben: „Ein deutsches Mädchen: Mein Leben in einer Neonazi-Familie“ (2019).

Sie schreibt: „Ich habe meine ersten 18 Jahre mit Nazis verbracht. Nicht aus sicherer Distanz und nicht für ein, zwei Jahre in der Pubertät, sondern mittendrin, ausschließlich und von Anfang an. Ich wurde von ihnen erzogen und aufs Leben vorbereitet. Ich wurde von ihnen geschlagen und drangsaliert, gelobt und belohnt. Eigentlich kannte ich überhaupt keine anderen Menschen: meine Großeltern, mein Vater, die Freunde meiner Eltern, die Kinder, mit denen ich meine Ferien verbrachte, meine erste Clique, mein erster Freund, ja sogar der Mann, mit dem ich heute verheiratet bin – alles Nazis (…). Ich wurde von klein auf ideologisch geschult und militärisch gedrillt. (…) Ich prügelte und wurde verprügelt, griff Polizisten an und rannte vor ihnen weg“ (S. 13f)

Disziplin, Gehorsam, Fleiß, Ehre und Heimatliebe waren die Werte, die ihr Vater ihr versuchte einzutrichtern. Dazu kam ständiger Leistungsdruck. Lieblosigkeit und Psychoterror waren dabei sein wesentliches Erziehungsprogramm. Dies fing schon nach der Geburt von Heidi an: Ihr Vater bestand darauf, dass der Säugling die Nächte in den Wochen nach der Geburt alleine im Kinderzimmer zu verbringen hatte und nicht im Schlafzimmer der Eltern. „Ich tat mir wahnsinnig leid, als ich das hörte, stellte mir vor, wie ich einsam in meinem dunklen Zimmer lag und weinte, ohne dass mich jemand hörte“ (S. 29).
Irgendwann in Heidis Kindheit (der genaue Zeitpunkt ist unklar) brach die Familie auseinander, als die Mutter erklärte, dass sie es nicht mehr aushalten würde und die Scheidung wolle. Der Vater zog aus, die älteste Schwester war bereits ausgezogen, eine andere Schwester ließ sich lieber bei einer Pflegefamilie aufnehmen, als bei einem der Elternteile zu bleiben. Heidi wohnte abwechselnd bei ihrer Mutter und ihrem Vater. Und sie fügt an: "Es brachen schwierige und unruhige Zeiten an. Der Zerfall unserer Familie hatte begonnen" (S. 43).  „Wir waren keine glückliche Familie“, schreibt Heidi Benneckenstein an einer Stelle im Buch (S. 50).

Und ist es nicht genau das, was immer wieder bzgl. Rechtsextremen auszumachen ist? Diese Leute, diese Hasser und Menschenverachter, sind zutiefst unglückliche Menschen. Man schaue sich die Gesichter und Mimik auf entsprechenden Demos und Versammlungen einmal an! Das sind keine Leute, die strahlen, die zufrieden und gesund wirken, die sich dem Leben zuwenden. Ich sehe dort das genaue Gegenteil.

Es ist kein Zufall, dass rechtsextreme Familien – wie in dem oben genannten Bericht gesehen – von Chaos, Unglück und Gewalt bestimmt sind. Die Forschungslage bzgl. Kindheitshintergründen von Rechtsextremisten ist da ja ziemlich deutlich: Bei der überwältigenden Mehrheit findet man sehr destruktive Kindheiten. Das Fundament dafür, in Extremismus und Gewalt abzurutschen.

Auch die Autorin hat diese Zusammenhänge offensichtlich ausgemacht. Sie bezieht sich im Buch auf das Lied der Gruppe Die ÄrzteSchrei nach Liebe“ und merkt an: „Es stimmt leider nur zur Hälfte: Bei vielen Kameraden ist die Gewalt kein stummer Schrei nach Liebe, sondern Konsequenz einer verkorksten Kindheit“ (S. 81). Wenn jemand, der über 18 Jahre lang ein Nazi und tief in die Szene integriert war, so etwas schreibt, dann sollte man das sehr ernst nehmen. Und sie beschreibt auch, wie diese Leute im Prinzip zutiefst unsichere Menschen sind, die keine tieferen Beziehungen mit Menschen (inkl. den eigenen Kindern) hinbekommen. Und: Sie sehnen sich nach Anerkennung. „Es klingt wie ein Klischee, aber meiner Meinung nach ist es die Wahrheit: Der Nährboden für rechte Gesinnung ist fast immer persönliche Unzufriedenheit“ (S. 98).
Bzgl. Heidi kommt noch die Besonderheit dazu, dass ihre Familie und Umfeld bereits rechtsextrem war. Andere Akteure werden durch ihre destruktiven Kindheitshintergründe und Zufälle/Begegnungen erst im Laufe ihrer Jugend zu Extremisten.

Ergänzend möchte ich auf den Beitrag Die Kinder der NS-Täter und die Kindheit der NS-Täter hinweisen. Auch in diesem Beitrag konnte ich an Hand der Familiengeschichte von Kindern der NS-Täter deutlich herausstellen, dass diese Familien keine glücklichen Familien waren, um es milde auszudrücken...

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