Donnerstag, 23. Januar 2020

Linksextremismus: Die Kindheit von Katharina de Fries


Über die Kindheit von Katharina de Fries hatte ich schon während meiner Recherchen zu meinem Buch gelesen. Sie wurde zwar von der Bundesrepublik Deutschland als RAF-Terroristin verfolgt, allerdings kam es nie zu einem Prozess, da sie nach Frankreich floh. Ich fand keine Belege dafür, dass de Fries Mitglied der RAF war. Deswegen hatte ich sie im Rahmen meiner Fallbesprechungen von RAF-Terroristen in meinem Buch auch nicht aufgenommen.

In meiner „Terror von Links“-Reihe im Jahr 2019 habe ich hier im Blog viele Kindheiten von Linksterroristen besprochen. Auch die Kindheit von Katharina de Fries möchte ich dem nun anhängen. Ich selbst würde de Fries nach meinen Recherchen als Linksextremistin bezeichnen, die u.a. an ideologisch begründeten Raubüberfällen beteiligt war.

Meine wesentliche Quelle ist das Buch: Schmid, U. (2014): Frau mit Waffe: Zwei Geschichten aus terroristischen Zeiten. Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main.

Ulrike Edschmid hat wochenlange Gespräche mit de Fries (und auch Astrid Proll, deren Kindheit ich in meinem Buch besprochen habe) geführt und draus eine biografische Erzählung gemacht.
So weit ich es aus dem Bericht herausfiltern konnte, war de Fries in den 1970er und 1980er Jahren stark in die militant-linke Szene Berlins eingebunden. In dem Bericht wird u.a. erwähnt, dass sie mit Georg von Rauch befreundet war (Edschmid 2014, S. 56). Oder sie spricht davon, wie „ihre Freunde von Tod und Gefängnis sprachen und sich des Risikos bewusst waren“ (S. 62). Wer diese „Freunde“ alles waren und was diese angestellt haben, lies sie offen.
Ging es an dieser Stelle um Tod oder Gefängnis (und wohl um entsprechend schwere Straftaten ihrer Freunde), so berichtet sie an anderer Stelle vorher im Buch folgendes: „Nachts schlich sie mit ihren Freunden durch die Stadt, sie hinterließ ihre Zeichen. In der einen Hand den Hammer, in der anderen den Brandsatz, auf der Schulter die Leiter, näherten sie sich den Fenstern der Herrschenden und scheiterten am Panzerglas. Es waren Zeichen eines anarchistischen Gerechtigkeitssinns, wobei Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Menschen strikt unterschieden wurden“ (S. 48).

Schmid schreibt an einer Stelle: „Es war kein Zufall, dass die marxistisch-leninistischen Organisationen und die Rote Armee Fraktion gleichzeitig entstanden. Nicht die illegale Aktion hielt sie davon ab, sich ihr anzuschließen, sondern das Leben in der Illegalität, das die Trennung von den Kindern, von den Menschen, die sie liebte, vom Leben bedeutet hätte. Dazu war sie niemals bereit. (…) In tiefster Seele stellte sie sich den bewaffneten Kampf als eine Abenteuerexistenz vor, mit mutigen Frauen und Männern und warmherzigen Familien, die für die Kinder sorgten“ (S. 54). Sie erkannte wohl aber auch die Realitäten, die sich hinter dem Leben der Terroristen verbargen. Und auch dies scheint sie im Rückblick abgeschreckt zu haben. Ich betone hier „im Rückblick“. An den zitierten Zeilen wird auch deutlich, wie schmal der Grat war und wie leicht auch de Fries zur Terroristin im Untergrund hätte werden können.

Kommen wir nach diesem kleinen Überblick zu ihrer Kindheit:

Katharina wurde 1934 geboren und verlebte entsprechend eine Kriegskindheit. Drei Mal sei sie aus einem zerbombten Haus herausgezogen worden. Außerdem wird von dem Heulen der Bomben, den Schreien der Menschen und ihrem Zusammenbrechen berichtet (S. 63).
Aber schon vor dem Krieg begannen massive Probleme. Als Katharina drei Jahre alt war, gingen ihre Eltern fort. Ihr Vater schloss sich in Spanien den Anarchisten an, die Mutter ging zu den Kommunisten. Mit ihrer älteren Schwester wurde sie bei den Großeltern untergebracht. 1938 kamen beide Eltern zurück. Später (der genaue Zeitpunkt erschließt sich nicht) trennten sich die Eltern. Die Mutter verschwand auf Jahre aus dem Leben von Katharina. Der Vater brachte die Kinder erneut zu den Großeltern und scheint ansonsten oft abwesend gewesen zu sein (S. 13f).

Ihr Vater holte eine neue Frau an seine Seite. „Die Stiefmutter war eine harte Frau“, die die jüngere Schwester schlug, „bis das Blut aus der Nase lief“ (S. 17). 1944 wurde der Vater von der Gestapo abgeholt und kam dann in ein Strafbataillon. Später kam er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Eines Tages tauchte er plötzlich wieder Zuhause auf. Zuhause scheiterte er beruflich und musste die Kinder erneut bei den Großeltern unterbringen. Während der gesamten Zeit scheint das Verhältnis von Katharina zur Stiefmutter weiter und extrem eskaliert zu sein:
Nach dieser letzten Rückkehr zu den Großeltern beschloss sie, ihre Stiefmutter umzubringen. Sie war elf Jahre alt, und die Auseinandersetzungen waren ausweglos geworden. Auch die Großeltern hassten die Stiefmutter, alle hassten sie. Der Vater stand dazwischen. Die kleine Schwester machte das Bett naß und wurde dafür von der Stiefmutter geschlagen. Wochenlang lief sie mit Rattengift in der Tasche herum. Im Keller probierte sie es aus. Als sie eine Ratte mit offenem Mund und hochgezogener Lippe fand, schämte sie sich, dass sie das Tier umgebracht hatte“ (S. 22).
Eine Zeit danach wusste sie keinen Ausweg und wollte sich und ihre Schwester in einem Fluss umbringen, was misslang. „Der Hass auf ihre Mutter prägte ihr Verhältnis zu sich selbst. Von Kindheit an hatte sie sich nur dann lieben können, wenn sie sich aus ihrem eigenen Willen heraus bewegen konnte, losgelöst war von dem Schicksal, Frau zu sein“ (S. 24).
Zu den ganzen Umständen kam noch der Hunger dazu. Es gab nichts zu essen. Die Kinder zogen oft los, um irgendwo Nahrung aufzutun.

Zusammenfassend betrachtet ist Katharina de Fries als Kind komplex und schwer traumatisiert worden.

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