Für nachfolgend genannte Studie wurden 24 Interviews mit jungen Gewalttätern in Ostdeutschland geführt:
Bannenberg, B. & Rössner, D. (2000): Hallenser Gewaltstudie - Die Innenwelt der Gewalttäter: Lebensgeschichten ostdeutscher jugendlicher Gewalttäter. In: DVJJ-Journal: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 11 (2000) 2, S. 121-134.
Von den 24 Gewalttätern bezeichneten sich 17 (nur eine Person davon war weiblich) als rechts oder früher rechts, als rechtsgerichtet, als rechtsdenkend, als Skin oder Skinhead mit nationalistischer oder ausländerfeindlicher Einstellung (S. 129). Die Bandbreite reichte dabei von rechtem Denken, das nicht unbedingt mit Gewalthandeln verbunden war, bis hin zu extrem hasserfüllten Denken, das in gewalttätige Handlungen mündete. Sehr häufig wurden die Freundschaft, Kameradschaft und der Familienersatz durch rechte Gruppen betont.
„Der familiäre Hintergrund war für viele Jugendliche der Einstieg in die Gewalt. Sie lernten nicht nur, Gewalt als normales Mittel des Verhaltens, der Interessensdurchsetzung und der Konfliktlösung anzuwenden, sondern wurden häufig auch schon sehr früh in extremer Weise Opfer. Sie mussten in frühen Jahren mit ansehen, wie Mutter und Geschwister geschlagen und verprügelt wurden und sie mussten in einem Klima leben, das jederzeit in unberechenbarer Weise in Gewalt, auch gegen sie selbst, umschlagen konnte. Viele machten auch die deprimierende Erfahrung, das keine Hilfe zu erwarten war“ (S. 123).
Die Befragten konnten in ihrer Kindheit und Jugend keine vertrauensvollen und tragfähigen Beziehungen zu Erwachsenen aufbauen. In den Fallbeispielen fällt auch immer wieder der Hinweis auf starken Alkoholkonsum von Elternteilen auf. Viele (die genaue Anzahl wurde nicht dargestellt, es wurde nur von „vielen“ berichtet) waren außerdem phasenweise in Kinderheimen untergebracht. Die Gewalttäter wiesen keine oder nur eine niedrige Bildungsqualifikation auf. Die Mehrheit hatte keinen Schulabschluss.
Manche Fallbeispiele sind extrem, so z.B. der Fall „Philip“. Philip schilderte, dass seine Eltern ihn nicht gewollt hätten. Es gab viel Streit, der Vater hätte randaliert bis die Polizei kam. Seine Mutter habe viel getrunken und sich nicht gekümmert. Weitgehend sei er bei seiner Oma aufgewachsen. Später kam er nur noch nach Hause, um dort zu schlafen. In der Schule gab es massive Probleme. 1992 wurde seine Mutter vergewaltigt und durch viele Messerstiche ermordet. Kurz nach der Wende schloss er sich einer rechten Gruppe an und beging mit 13 Jahren einen Brandanschlag auf eine Gedenkstätte. Seine weitere kriminelle „Karriere“ ist lang, inkl. gefährlicher Körperverletzung. Im Rahmen seiner rechten Aktivitäten wurde er aber auch Opfer von schwerer Gewalt (S. 129).
Ich möchte betonen, dass mein Beitrag in keinem Zusammenhang zu den aktuellen Ereignissen in Hanau steht. Ich hatte den Blog-Beitrag schon geplant und erst durch die heutige Medienberichterstattung wurde mir klar, dass die Mordserie in Hanau einen rechtsextremen/fremdenfeindlichen Hintergrund hat. Es wäre unpassend, gerade heute einen solchen Beitrag zu verfassen und dann einen Wink Richtung Hanau zu machen...
AntwortenLöschenGestern abend gab es bei "Monitor" einen Beitrag darüber, dass es eine Tendenz gäbe, rechte Gewalt zu entpolitisieren, indem man in diesem Kontext häufig von "psychisch gestörten Einzeltätern" sprechen würde.
AntwortenLöschenEs ist interessant, dass auf diese Weise der Eindruck ensteht, als könne eine solche Tat entweder (nur) politisch oder rassistisch motiviert sein, oder (nur) wegen psychischer Störungen ausgeführt werden.
Dass das zweite in den allermeisten Fällen die eigentliche Ursache für das erstere ist, dass es sich also nicht um ein "entweder-oder", sondern um ein "sowohl als auch", bzw. um eine geradezu logische Folge des einen aus dem anderen handelt, und zwar völlig egal, ob es um eine rechtsradikalen, islamistische oder sonstwie extremistische Gewalttat geht, wird immer noch nicht richtig wahrgenommen im öffentlichen Diskurs.
In der "Frankfurter Allgemeinen" las ich gerade eben online unter der Titel "
Gewalttat von Hanau : „Die Handschrift eines rechtsterroristischen‚ einsamen Wolfs‘“
ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Florian Hartleb gelesen, der schon zwei Bücher über die "einsamen Wölfe", rechte Einzeltäter geschrieben hat.
"Für ihn deutet vieles an dem mutmaßlichen Täter von Hanau auf eine Mischung aus rechtsextremen politischen Motiven und psychischen Störungen hin."
Es mag sein, dass die Erklärung "psychisch gestört" für viele immer noch wie eine Entschuldigung für die Gewaltat wirkt. Der Täter ist psychisch krank, deshalb kann er nichts dafür, und man muß sogar noch Mitleid mit ihm haben.
Vielleicht müßte noch viel mehr verdeutlicht werden, dass es sich um eine Erklärung, nicht um eine Entschuldigung handelt, und dass diese Erklärung vor allem wichtig dafür ist, zukünftige Gewalttaten zu verhindern.
Das ist vielen Menschen immer noch nicht klar, fürchte ich. Deswegen auch oft diese Empörung, wenn als Motiv "psychische Störungen" herangezogen werden.
Hallo Ulrike,
AntwortenLöschenich verfolge die mediale Berichterstattung zu dem Fall ebenfalls intensiv. Vielen Dank für Deine ausgewogenen Gedanken! Ich kann das nur unterschreiben.
Mir gehen da ebenfalls viele Gedanken durch den Kopf. Ich werde da ganz sicher noch etwas zu im Blog schreiben.
Viele Grüße
Sven
Hallo Sven,
AntwortenLöschengerade bin ich auf einen interessanten Artikel aus der taz vom 22.2.2020 getroffen, der dich bestimmt interessiert:
https://taz.de/Kinder-in-Deutschland/!5663024/
Ein wunderbarer Artikel, danke für den Hinweis!
AntwortenLöschenGenau mein Reden: Wir sehen oft gar nicht, wie gut die Kinder es hierzulande haben!
Ich werde den Artikel gleich noch im Blogbeitrag über die Gewalt gegen Kinder in den USA als Kommentar einbringen
Ganz genau. Eine Erklärung, keine Entschuldigung. Ein sehr guter Kommentar!
AntwortenLöschenIch wünschte, Sie wären bei Twitter, ich kann mich da nur wiederholen. Ihr Blog ist so bedeutend für die Welt!!! Bin Jahrgang 93 und meine Generation twittert nun mal und wird so auch politisch gebildet.
So, Bianca, bitteschön, ich bin jetzt auch auf Twitter: https://twitter.com/SvenFuchs15
AntwortenLöschenWenn mich das dort nervt, das zu viel Zeit kostet, ich viele doofe Kommentare bekomme oder merke, dass ich selbst zu viel unnützen Kram schreibe, dann melde ich mich aber wieder ab :-)
Am besten gleich mit anderen Forschern vernetzen. Ich denke, wir sind nun an dem Punkt angelangt, dass die Öffentlichkeit ein stärkeres Bewusstsein entwickelt. Ich lese Ihren Blog nun seit 7 Jahren und finde, dass sich deutlich was verändert hat. Wenn das Wissen gleich bei den jungen Leuten ankommt, können die von Anfang an eine rationalere, entspannte, nachhaltig denkende Generation aufziehen und 2040 sprechen wir uns noch mal. ^^
AntwortenLöschenIch muss erst einmal etwas ausprobieren, wie mir Twitter so gefällt und wie die Funktionen sind. In der Tat habe ich aber immer wieder hier und da kurze Gedanken und Hinweise, die keinen ganzen Blogbeitrag rechtfertigen. Das wäre dann etwas für Twitter.
AntwortenLöschenBzgl. der jungen Leute: Die machen das - zumindest hierzulande - von ganz alleine. Die Kindheiten werden hierzulande immer mehr "befriedet". Trotz allem darf die Entwicklung auch schneller gehen :-), wenn ich da etwas anstoßen kann, dann freut mich das.
Ich finde sehr interessant bei der Berichterstattung zum Hanauer Täter, dass niemand beachtet, dass er nicht nur Migranten bzw. Menschen mit Migrationshintergrund getötet hat, sondern auch - und ich würde sagen: vor allem - seine Mutter umgebracht hat.
AntwortenLöschenJa! Also dieser Umstand wurde schon berichtet, aber er wurde nicht hervorgehoben oder gar in eine mögliche Verbindung zu Problemen im Elternhaus gesetzt.
AntwortenLöschenNicht zu vergessen auch: Am Ende stand die Selbsttötung (und damit auch der Selbsthass)! Psychische Krankheit hin oder her, beide Sachverhalte sind enorm auffällig!
https://mobile.twitter.com/hashtag/svenfuchs
AntwortenLöschenhttps://mobile.twitter.com/_Kinderrechte_
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