(aktualisiert am 05.06.2020)
Nicht erst nach der Trump-Präsidentschaft und den derzeitigen Eskalationen (an denen wiederum D. Trump nicht unwesentlich beteiligt ist) nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd geben viele Entwicklungen in den USA aus unserer europäischen Sicht Rätsel auf. Ich bin davon überzeugt, dass ein vertiefender Blick auf die Kindheitshintergründe der US-Amerikaner einen gewichtigen Teil des Rätsels auflösen. Die sehr traumatische Kindheit von Donald Trump habe ich hier im Blog bereits besprochen. Natürlich wirft diese Kindheit auch ihre Schatten auf den erwachsenen Trump und sein Verhalten. Oder anders gesagt: Hätte Donald Trump eine fürsorgliche, liebevolle und gewaltfreie Kindheit und Jugend erlebt, dann wäre aus ihm niemals ein rechtspopulistischer Hassredner und Menschenfeind geworden, davon bin ich überzeugt. Grundsätzlich fällt auf, dass viele US-Präsidenten der letzten Jahrzehnte als Kind schwer belastet waren. In meinem Buch (bzw. teils auch hier im Blog) habe ich die destruktiven Kindheiten von John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson, Ronald Reagan, George H. W. Bush, George W. Bush und Bill Clinton (ergänzt um die Kindheit seiner Frau Hillary Clinton) bereits besprochen. In der Vergangenheit habe ich außerdem Daten zur Kindheit in den USA gesammelt (die teils aus heutiger Sicht schon wieder veraltet sind). Diese Daten möchte ich hiermit etwas auf den aktuellen Stand bringen:
Merrick und Kollegen (2018) haben ACE-Daten (ACEs = Adverse Childhood Experiences) von insgesamt 214.157 Befragten ausgewertet. Dies ist die bisher größte Datenauswertung von belastenden Kindheitserfahrungen in den USA! Alle erwachsenen Altersgruppen sind repräsentiert. Die Ergebnisse seien hier kurz vorgestellt:
- 34,42 % erlebten vor dem 18. Lebensjahr emotionale Misshandlungen in ihrer Familie
- 17,94 % erlebten körperliche Misshandlungen in ihrer Familie.
- 11,6 % erlebten Formen von sexuellem Missbrauch (durch Familienmitglieder, Bekannte oder Fremde).
In den Familien bzw. im jeweiligen Haushalt wurde darüber hinaus folgendes miterlebt: - 17,51 % erlebten häusliche Gewalt mit
- 27,56 % erlebten Suchtmittelmissbrauch mit
- 16,53% erlebten psychisch kranke Haushaltsmitglieder
- 27,63 % erlebten elterliche Trennung oder Scheidung
- 7,9 % erlebten die Inhaftierung von einem Mitglied des Haushalts
- 38.45% der Befragten berichteten von 0 ACEs
- 23.53% der Befragten berichteten von 1 ACE
- 13.38% der Befragten berichteten von 2 ACEs
- 8.83% der Befragten berichteten von 3 ACEs
- 15.81% der Befragten berichteten von 4 oder mehr ACEs
Finkelhor und Kollegen (2019) haben vier repräsentative Studien aus den USA vorgestellt. Die Ergebnisse ergänzen die oben vorgestellten Daten zur körperlichen Misshandlung um Formen von körperlicher Gewalt gegen Kinder, die nicht als reine Misshandlung eingestuft werden können (im Englischen = spanking). Zunächst ist anzumerken, dass es einen Positivtrend in den USA gibt. 2014 wurden 49 % der Kinder im Alter zwischen 3 und 11 Jahren im Elternhaus innerhalb des Jahres vor der Befragung körperlich bestraft. 1995 wurden noch 65 % und in den Jahren 1985 und 1975 jeweils 77 % der Kinder geschlagen (Finkelhor et al. 2019, S. 1995).
Diese Zahlen zeigen wohlgemerkt nur das Gewalterleben innerhalb eines Jahres, nicht für die gesamte Kindheit! Zudem werden kleinere Kinder deutlich häufiger körperlich bestraft, als ältere Kinder, was auch die genannte Studie zeigt: So wurden in der Befragung 2014 deutlich über 60 % der 3- bis 4-Jährigen geschlagen. Dadurch, dass andere Altersgruppen weniger geschlagen werden, ergibt sich der o.g. Durchschnittswert von 49 % für 2014. Da auch die älteren Kinder einmal 3 und 4 Jahre alt waren wird deutlich, dass auch die Befragung 2014 zeigt, dass eine Mehrheit der Kinder in den USA elterliche Gewalt erlebt hat. (Weitergedacht bedeutet dies, dass auch die o.g. Durchschnittswerte für die Studien 1995, 1985 und 1975 genau das sind: Durchschnittswerte und keine Angaben über das Gewalterleben für die gesamte Kindheit, das deutlich höher liegt.)
Es darf auch nicht vergessen werden, dass die großen Mehrheiten, die noch in den 1970er und 1980er Jahren geschlagen wurden, heute Erwachsene sind und das Leben und den Alltag (inkl. den politischen) in den USA gestalten. Außerdem muss darauf hingewiesen werden, dass es starke regionale Differenzen im Gewaltaufkommen gibt. Die jüngeren Kinder (0-9 Jahre) aus der Studie 2014 wurden häufiger im Süden (59%) und Mittleren Westen (49%) der USA geschlagen. Im Nordosten und Westen der USA lag die Rate dagegen jeweils bei 40% (Finkelhor et al. 2019, S. 1994f.). (Ist es reiner Zufall, dass in den USA Staaten mit hohen Gewaltraten gegen Kinder eher sogenannte rote Staaten (also politisch konservativer) sind und dass die Staaten mit niedrigeren Gewaltraten eher blaue Staaten (also politisch liberaler) sind?)
Es darf auch nicht vergessen werden, dass die großen Mehrheiten, die noch in den 1970er und 1980er Jahren geschlagen wurden, heute Erwachsene sind und das Leben und den Alltag (inkl. den politischen) in den USA gestalten. Außerdem muss darauf hingewiesen werden, dass es starke regionale Differenzen im Gewaltaufkommen gibt. Die jüngeren Kinder (0-9 Jahre) aus der Studie 2014 wurden häufiger im Süden (59%) und Mittleren Westen (49%) der USA geschlagen. Im Nordosten und Westen der USA lag die Rate dagegen jeweils bei 40% (Finkelhor et al. 2019, S. 1994f.). (Ist es reiner Zufall, dass in den USA Staaten mit hohen Gewaltraten gegen Kinder eher sogenannte rote Staaten (also politisch konservativer) sind und dass die Staaten mit niedrigeren Gewaltraten eher blaue Staaten (also politisch liberaler) sind?)
Es steht außer Frage, dass etliche weitere Einflussfaktoren in den Blick genommen werden müssen, um destruktive Prozesse in den USA deuten und verstehen zu können. Was mich aber immer wieder erstaunt ist, dass die o.g. Kindheitshintergründe bei der Bewertung dieser Prozesse fast immer ausgeklammert werden. Das ist eine fahrlässige Lücke!
Quellen:
Merrick, M. T., Ford, D. C., Ports, K. A., & Guinn, A. S. (2018): Prevalence of Adverse Childhood Experiences From the 2011-2014 Behavioral Risk Factor Surveillance System in 23 States. In: JAMA pediatrics, 172(11), S. 1038–1044.
Finkelhor, D., Turner, H., Wormuth, B. K., Vanderminden, J. & Hamby, S. (2019): Corporal Punishment: Current Rates from a National Survey. In: Journal of Child and Family Studies. Volume 28, Issue 7, S. 1991–1997.
Den Zusammenhang mit Konservatismus, den Du am Ende hier postulierst, sehe ich aus dem Grunde nicht, weil dies fundamental meiner Lebenserfahrung widerspricht. Es gibt viele Leute, die früher links oder liberal waren und später konservativ wurden. Nicht nur mein momentaner Chef ist so ein Fall, sondern auch ich selbst.
AntwortenLöschenLinks wurde ich dank der Idiotie meiner Politiklehrerin. Die wollte uns davon überzeugen, dass Kommunismus schlecht und die liberale Demokratie das aller tollste ist. Gleichzeitig sagte sie, am Wichtigsten sei es, eine Gesellschaft zu haben, wo alle Menschen gleich seien. (Und sie hat den "sehr intelligenten" Satz gebracht, um den Kommunismus zu verstehen, müsste man Karl Marx nicht kennen.)
Ich dachte mit 15 aber, der Kapitalismus würde Ungleichheit und Ausbeutung zum Prinzip machen, und nur der Kommunismus könnte uns davor bewahren.
Meine Eltern hatten mich massiv unter Druck gesetzt, kein Kommunist mehr zu sein. Und ich hatte das Gefühl, Kommunismus würde sehr stark den Neid in mir fördern, was ungut sei.
Dann wurde ich dank meinem Vater so ein Klischee Liberaler. Ich hatte fest an diese Dichotomie von "gute Leistungsträger gegen böse Sozialschmarotzer", "Privat vor Staat", Kapitalistische Gier ist toll etc. geglaubt.
Ich wurde dadurch im wörtlichen Sinne zum gierigen, hasserfüllten Arschloch. Ich hab sogar mal einen Obdachlosen, der Geld von mir dumm angemacht und ihm gesagt, er solle sich gefälligst einen Job suchen, wenn er Geld will. Ich schäme mich heute so sehr für mein Verhalten.
Ich entwickelte auch ein selbszerstörerisches Verhalten, was mir beinahe mein Leben gekostet hätte.
Nach dem ich beinahe an Blutvergiftung verstorben wäre, hatte Ich entschieden, mich dem Traditionalismus anzuschließen. Und seitdem hat sich mein Leben extrem verbessert. Ich bin nicht mehr gierig. Bin auch nicht mehr so hasserfüllt. Ich denke nicht mehr, Leidende hätten ihr Leid verdient weil sie Faul und unmoralisch seien. Ich bin auch mehr bereit, Anderen zu zu hören.
Das Einzige, was ist, ist dass Ich Liberalismus heute extrem negativ und als Pfad des Bösen sehe, weil ich erlebt hatte, was diese Ideologie mit mir gemacht hat.
Ein Blick auf Deine Lebensgeschichte sagt da kaum etwas aus, Michael. Es geht hier um Wahrscheinlichkeiten und Korrelation.
AntwortenLöschenDazu gibt es auch einige Studien, z.B. diese hier: "Parenting, temperament, and attachment security as antecedents of political orientation: Longitudinal evidence from early childhood to age 26." (https://psycnet.apa.org/record/2020-31139-001)
Ich selbst hatte ja auch schon einen Blogbeitrag in diese Richtung veröffentlicht: "Politische Spaltung in den USA als Ausdruck von einer gespaltenen Kinderfürsorge?" http://kriegsursachen.blogspot.com/2017/06/politische-spaltung-in-den-usa-als.html
Lesetipp:
AntwortenLöschenRutger Bregman
Humankind: A Hopeful History
Ja danke, das Buch von Bregman habe ich schon gelesen. Werde es evtl. sogar noch im Blog besprechen.
AntwortenLöschenHerr Fuchs,
AntwortenLöschenwie war eigentlich ihre Kindheit bzw was hat Sie veranlasst sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen ?
Meine Beweggründe und einen Einblick in meine Kindheit findet mensch hier: http://kriegsursachen.blogspot.com/2012/01/uber-mich-und-diesen-blog.html
AntwortenLöschenIch lese schon länger diesen Blog und habe mich gerade noch mal ausführlich mit den Einträgen zum Thema Erziehungstraumata in den USA beschäftigt, nachdem ich die Dokumentation über Paris Hilton gesehen habe. Man kann von der Frau halten, was man will, aber die Traumatisierung, von der sie erzählt, scheint real zu sein und diese "troubled teenager industry" tatsächlich als millionenschwere Kindesmisshandlungsindustrie in den USA zu existieren. Was muss in Eltern vorgehen, die ernsthaft Geld dafür bezahlen, dass das eigene Kind mitten in der Nacht aus dem eigenen Elternhaus von Fremden entführt und in eine militärische Erziehungsanstalt gebracht wird?! Je mehr ich Blogs wie diesen lese (vielen Dank für die unermüdliche Arbeit), desto mehr verstehe ich, wie traumatisisert dieses Land sein muss und wie wenig diese zerstörerischen Erziehungsstile dort bisher hinterfragt zu werden scheinen. Sehr erschreckend.
AntwortenLöschenFreut mich - bei allem Schrecken -, dass ich da zur Aufklärung beitragen konnte :-)!
AntwortenLöschenHerzlichen Gruss
Sven Fuchs
Ja. Die USA sind dahingehend richtig furchtbar. Soviel legale, organisierte Kindesmisshandlung und so viele "Geschäftsfelder", deren einziger Zweck Kindesmisshandlung gegen Bargeld ist, hab ich nirgendwo sonst gehört.
AntwortenLöschenDas Judge Rotenberg Education Center ist auch ein anderer abartiger Fall:
https://miscellanynews.org/2019/05/02/opinions/judge-rotenberg-center-tortures-its-disabled-students/