Montag, 6. Juli 2020

Wie prägt Kindheit den Polizeiberuf?


In meinem Buch habe ich an Hand einiger Studien destruktive Kindheitserfahrungen von Soldaten und Soldatinnen besprochen. Hier im Blog habe ich ergänzend eine weitere Studie zu dem Thema besprochen, die ein sehr hohes Ausmaß von körperlicher Misshandlung in der Kindheit der befragten SoldatInnen sowie ein hohes Ausmaß von sexuellen Missbrauchserfahrungen fand. Nun sind SoldatenInnen und PolizistenInnen zwei unterschiedliche Berufsgruppen. Von den Strukturen her, den Gruppendynamiken, dem Staatsdienst, den potentiellen Gefahren usw. gibt es aber Ähnlichkeiten.  

Nicht erst nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd, der durch Polizeigewalt starb, habe ich mir Gedanken über PolizistInnen und deren Kindheitsbedingungen gemacht. Ich habe jetzt erneut etwas zu dem Thema recherchiert. Intensiv war meine Recherche nicht, aber es entstand schnell der Eindruck, dass es bisher nicht allzu viele Erkenntnisse dazu gibt. Was ich fand, werde ich gleich berichten. 

Vorweg noch ein Vorwort: Ich halte sehr viel von der Polizei (und habe sie auch manchmal in meinem Leben schon dringend gebraucht, z.B. bei einem nächtlichen Einbruch in meinen Geschäftsräumen oder als ich Kindesmisshandlung in einem Haus wahrnahm und die Beamten verständigte). Polizei in Deutschland ist für mich kein Feindbild, sondern Helfer. 

Trotzdem gibt es auch hierzulande immer wieder Fälle von Polizeigewalt, polizeiliches Fehlverhalten und Missbrauch von Macht. Mich interessiert, ob es bei diesem Problemfeld einen ursächlichen Zusammenhang zu Kindheitserfahrungen gibt? Und mich interessiert grundsätzlich, ob PolizistInnen in ihrer Kindheit ein höheres Ausmaß von autoritärer Erziehung und auch von elterlichen Körperstrafen erlebt haben, als im Bevölkerungsdurchschnitt zu finden ist (ähnlich, wie es bei den SoldatInnen feststellbar ist)? Die zweite Frage werde ich hier auf Grund fehlender großer Befragungen nicht klären können (nur Tendenzen lassen sich ausmachen). Die erste Frage lässt sich auf Grundlage folgender Studie schon ganz gut klären. 

137 Polizisten wurden für folgende Studie aus den USA befragt: 
DeVylder, J., Lalane, M. & Fedina, L. (2019): The Association Between Abusive Policing and PTSD Symptoms Among U.S. Police Officers. In: Journal of the Society for Social Work and Research. Volume 10, Number 2. S. 261-273. 

Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: je mehr belastende Kindheitserfahrungen (ACEs) und je mehr traumatische Erlebnisse während des Polizeidienstes gemacht wurden, desto höher waren die Traumasymptome bei den Befragten. Und die Polizisten, die zu missbräuchlicher Polizeiarbeit neigten (das waren 10,9 % der Befragten), hatten wiederum auch die im Vergleich zu den Polizisten, die nicht zu missbräuchlicher Polizeiarbeit neigten, meisten Traumasymptome. 

Daraus lässt sich nach meiner Lesart der Studie ableiten, dass weniger belastende Kindheitserfahrungen und weniger traumatische Erfahrungen im Dienst auch zu weniger missbräuchlicher Polizeiarbeit führen. Und natürlich lässt sich weitergedacht auch ableiten, dass man therapeutisch die Traumasymptome der Polizisten behandeln müsste, um missbräuchliche Polizeiarbeit zu verhindern.

Dazu muss man noch wissen, dass ACE Fragebögen i.d.R. bzgl. körperlicher Elterngewalt nur Misshandlungen erfassen. Solche Studien wie die oben besprochene ließen sich zukünftig noch verfeinern, wenn auch die anderen Formen von körperlicher Elterngewalt erfasst würden.

Bzgl. Kindheitserfahrungen von PolizistInnen in Deutschland fand ich nur eine Studie: 
Böttger, Andreas (1998): Gewalt und Biographie. Eine qualitative Analyse rekonstruierter Lebensgeschichten von 100 Jugendlichen. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden. 

Böttger hat 10 junge PolizistInnen (8 männl., 2 weibl.) befragt (Geburtsdatum ca. 1969-1974). Bzgl. der Kindheit fasst der Autor zusammen: „Die meisten Interviewpartner/innen haben nach ihren Erzählungen die Kindheit und Jugend im Elternhaus als positiv und angenehm erlebt. Dennoch gaben fast alle an, autoritär erzogen und in der Erziehung geschlagen worden zu sein, wobei immer der Vater dominierte und in einigen Fällen die Mutter vermittelnd wirkte“ (Böttger 1998, S. 300)

Was hier auffällt ist die Beschönigung der Kindheit und auch die Rechtfertigung der erlittenen Gewalt. Eine Befragte sagte: „Mein Dad hat ab und zu mal ausgeholt, dass er uns echt mal den Hintern versohlt hat, das kenn ich wohl, aber das war denn auch nur berechtigt. Zu dem Zeitpunkt natürlich nicht, aber im Nachhinein, wenn man noch mal drüber nachgedacht hat, war`s berechtigt“ (ebd., S. 300). Und der Autor merkt dem an: „Was am Beispiel dieser Polizistin auffällt (…) findet sich auch bei mehreren der männlichen Befragten: Die im Elternhaus erfahrene Gewalt wird retrospektiv als gerechtfertigt gedeutet. Das Fehlverhalten eines Kindes mit Schlägen zu bestrafen, wird nicht hinterfragt“ (ebd., S. 300f.). Die Gewalt im Elternhaus der PolizistInnen erfolgte konsequent immer bei bestimmten Anlässen und war nicht willkürlich. „Welche Auswirkungen dies auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben kann, zeigte sich besonders bei den Polizisten, die nach ihren Erzählungen bei der im Dienst ausgeübten Gewalt die Grenzen der Legalität überschritten hatten und dies im Interview rechtfertigten. Denn gerade sie erklärten, solche Formen subjektiv gerechtfertigter Gewalt besonders in ihrer Erziehung `kennengelernt` zu haben“ (ebd., S. 301). 

Ähnliches fand ich auch bei den Befragungen von SoldatenInnen: Die erlittene autoritäre Erziehung und elterliche Gewalt wurden als gerechtfertigt oder normal dargestellt, die eigenen Eltern blieben idealisiert. Nun ist dies an sich klassisch bei erlittener elterlicher Destruktivität. Trotzdem bleibt die Frage, ob diese Kindheitshintergründe die  Berufswahl mit beeinflusst haben? Sind die klaren Regeln, strengen Strukturen und auch die offizielle Legalität von Gewalt bei der Polizei ein Anziehungspunkt gerade auch für Menschen, die als Kind in einem ähnlichen Rahmen aufgewachsen sind?  Auf Grund der niedrigen Fallzahlen lässt sich dazu kein abschließendes Urteil fällen. 

Was Böttgers Studie allerdings auch bestätigt ist, dass die Polizisten, die ein hohes Ausmaß von elterlicher Gewalt erlitten hatten und dies gleichzeitig rechtfertigten auch diejenigen waren, die zu missbräuchlicher Polizeiarbeit neigten. Diese Tendenz fand sich so ähnlich auch bei der oben besprochenen Studie aus den USA.

Mehr Forschung in diesem Bereich ist notwendig! 

Zum Schluss noch ein Hinweis auf ein Interview (Merkur, 22.06.2020: „Was für eine kranke Gesellschaft“: Kriminologe vergleicht Polizeisystem der USA mit Deutschland), das kürzlich der Kriminologe Christian Pfeiffer zum Thema Polizeigewalt gegeben hat. Er sieht einige grundsätzliche Unterschiede zwischen dem Polizeisystem in Deutschland und dem Polizeisystem in den USA. U.a. wäre hierzulande die Ausbildung viel sorgfältiger und auf Kommunikation angelegt. Außerdem sind viele Polizisten in Deutschland weiblich, was sehr förderlich sei. „Aber der wichtigste Punkt überhaupt ist: In den USA halten es drei von vier Elternpaaren für richtig, ihre Kinder zu prügeln, bei uns weniger als ein Viertel. Wenn ein Kind geprügelt wird, prügelt es zurück. Unsere Polizei ist von Grund auf weniger gewalttätig als in den USA“, sagte Pfeiffer. Das ist eine These, der ich so auch zustimmen würde. Die Gewalt gegen Kinder in den USA ist viel weiter verbreitet und auch bzgl. der Schweregrade höher, als in Deutschland. Dies spiegelt sich in allen Gesellschaftsbereichen wider, auch bei der Gruppe der Polizei. 

1 Kommentar:

  1. Michael Kumpmann18. Juli 2020 um 23:24

    Natürlich sind Polizei und Militär in gewisser Weise das selbe Prinzip: Uniformiert, Kasernen, Disziplin etc. Als Kind hab ich meiner Mutter auch mal gesagt, dass es keinen Sinn macht, dass sie nicht will, dass ich Soldat werde, aber stolz wäre, wenn Ich Polizist würde. Ich hab ihr gesagt, zwischen Polizei und Militär sind die Unterschiede jetzt nicht soo groß.

    Natürlich hängt die Ähnlichkeit mit der Geschichte zusammen. Die Moderne hing auch immer mit einer immensen Militarisierung der Gesellschaft und der Durchdringung militärischen Denkens in Bereiche, wo das nicht hin gehört, zusammen. Preussen ist das perfekte Beispiel dafür.

    Im 19. Jahrhundert hat man ja in einigen Staaten sogar versucht, einfache Fabrikarbeiter mit militärischer Disziplinierung auszubilden. Schuluniformen etc. sind andere Beispiele.

    Dies ist mit ein Grund, warum Ich mehr als Kritisch gegenüber der Moderne bin. (Diese Übermilitarisierung, die im 19. Jahrhundert anfing, ist in meinen Augen auch mitschuld am Totalitarismus des 20. Jahrhunderts.)

    Heute hat man diese Militarisierung etwas zurück gefahren. Dies liegt aber daran, dass wie Felix Guattari sagte, man heute keine Räume der Disziplinierung mehr braucht. Man hat stattdessen indirektere Kontrollmethoden gefunden. Die Gesellschaft muss kein Focaultsches Panoptikum sein, da man mit Handy etc. quasi jederzeit nen Taschenspion und ne Form elektronischer Fußfessel bei sich hat.

    Der andere Grund ist natürlich, dass wir heutzutage den "Krieg der vierten Generation"/"Asymetrischen Krieg" haben, und Partisanen eine immer größere Rolle spielen. Wissenschaftler haben rausgefunden, dass wenn es um Partisanen geht, traditionelle militärische Ordnung und Disziplinierung absolut Kontraproduktiv ist. Dies ist der Grund, warum statistisch gesehen Söldner deutlich erfolgreicher in Terrorismusbekämpfung sind, als staatliche Armeen. (Obwohl Söldner natürlich ebenfalls immens fragwürdig sind.)

    Gleichzeitig fällt auf, dass Armeen, die in Partisanenkriege verwickelt sind, erstaunlich oft die üblen Seiten des Militärs zurück fahren. Bestes Beispiel ist die israelische Armee, wo man international sogar Witze drüber macht, dass dort die Vorgesetzten erstaunlich Nett und Freundlich zu ihren Untergebenen sind.

    Natürlich ist die Existenz eines Militärs und militärischen Denkens schon Sinnvoll. Aber das muss streng begrenzt werden, auf die Teile der Gesellschaft, wo es hingehört. Es ist mega gefährlich, wenn militaristisches Denken in Bereiche eindringt, wo es nichts zu Suchen hat. Ein Händler muss keine soldatische Disziplin haben. Und ein Soldat sollte nicht das Denken eines Kaufmanns an den Tag legen.

    Das mit der Zunahme der Anzahl von Polizistinnen finde ich interessant. Ich bin Anhänger des Philosophen Terence McKenna. Der sagte, es gibt quasi einen Zeitzyklus von Steigerung des Einflusses des chaos und des weiblichen Denkens, Korruption des "weiblichen Denkens" in der Gesellschaft, Aufstieg des männlichen Denkens und des Strebens nach Ordnung, das endet im Totalitarismus als totaler Ordnung. Das zerfällt dann deshalb, weil totalitäre Ordnung die Entropie und das Chaos quasi an den Rand verbannt, und dann irgendwann zwangsläufig der Zeitpunkt kommt, wo das Chaos dann quasi wie eine Flutwelle die Ordnung niederreißt. Und dann herrscht im neutralen Sinn ein Zeitalter des Chaos, wo das feminine Denken wieder wichtiger wird und das Patriarchat langsam zurück gedrängt wird. Dies endet irgendwann dann in einem Status wo es zu viel Chaos gibt und das Patriarchat wieder kommt. So würde sich beides quasi immer abwechseln. Und jetzt seien wir quasi an der Schwelle zum Chaos und zum "Matriarchat".

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