Die Kindheit des japanischen Kaisers Hirohito (1926 bis 1989 Staatsoberhaupt Japans) war schwer belastet. Alleine die Tatsache, dass er im Geiste aufwuchs, von göttlicher Abstammung zu sein, mag die Psyche eines Kindes sehr durcheinanderbringen. Aber auch weitere Sachverhalte sprechen eine deutliche Sprache.
Die Ehe der Eltern war, ganz nach japanischere Tradition, arrangiert. Allerdings musste Hirohitos Mutter Sadako „zunächst nur Geliebte sein. Nur bei einer Schwangerschaft hätte sie Taisho (Hinweis Sven Fuchs: Der Vater von Hirohito) als Gemahlin anerkennen dürfen, und auch dann wieder nur, wenn ihm (…) ein Junge geboren wurde, der die Erbfolge sichern konnte“ (Kirchmann 1989, S. 36). So kam es auch, ein Junge wurde geboren und Geliebte und Kronprinz heirateten in der Folge.
Diese Grundlage für ein neues Leben bedeutet in meinen Augen bereits die erste Belastung für ein Kind: Die Mutter war nicht viel wert - außer durch die Geburt des Sohnes - und eine wirklich emotionale Beziehung gab es nicht zwischen den Eltern. Wobei seine Eltern auch nicht viel als Vorbild zur Verfügung hätten stehen können: „Der strengen Tradition gemäß wurde er seinen Eltern schon früh abgenommen und in die Obhut des Admirals Sumiyoshij Kawamura gegeben, der sich durch Kriegstaten hervorgetan hatte (…)“ (Kirchmann 1989, S. 38).
Allerdings starb dieser Ziehvater, als Hirohito gerade einmal drei Jahre alt war. Der Junge wurde daraufhin in den Palast gebracht, „wo er seine Mutter nur ein oder zweimal die Woche sah, seinen Vater noch weniger“ (Kirchmann 1989, S. 38f.) Der Sohn eines Samurai wurde zum Erzieher bestimmt. Später in der Schule war ein ehemaliger Krieger namens Nogis sein Erzieher, der Hirohito zu hohen Leistungen antrieb. Gelegentlich wurde Hirohito von ihm gezwungen „nackt unter einem eiskalten Wasserfall zu stehen, um Disziplin zu erlernen“ (Kirchmann 1989, S. 41).
Nogis hing dem totalen Kampfgeist der Samurai an und hatte schon sich selbst niemals geschont. Als Hirohito 12 Jahre alt war, starb sein Großvater. Nogis hatte schon zuvor vorsichtige Einwände dagegen vorgebracht, Hirohito als Gottkaiser auf den Thron zu bringen. Er hielt ihn für ungeeignet. Nach dem Tod des Großvaters wurde Hirohito zum Thronfolger erklärt. Nogis suchte seinen Zögling einen Tag vor dem großen Staatsbegräbnis auf und ermahnte ihn, den Traditionen treu zu bleiben und besser zu studieren. Danach begingen er und seine Frau Suizid (Seppuku). Er "schlitzte sich langsam und absichtlich schmerzhaft den Magen auf, immer darauf bedacht, wie ein großer Samurai den Göttern seinen ernsthaften Willen kundzutun, in Ehren aus dieser Welt zu scheiden" (Kirchmann 1989, S. 41).
Dieser fanatische Mann war vorher für die Erziehung des Kronprinzen verantwortlich. Wir dürfen annehmen, dass die Prägungen entsprechend groß gewesen sein dürften. Ob und wie den 12Jährigen dieser Suizid belastete, wird vom Biografen nicht ausgeführt. Da dem Kronprinz keinerlei Elternfiguren zur Verfügung standen und er zudem schon als 3Jähriger einen Ziehvater verloren hatte, gehe ich davon aus, dass ihn der Suizid nicht unberührt gelassen hat.
Hirohito war letztendlich „Objekt einer weitgehenden Vernachlässigung durch seine Eltern, für die wohl weniger seine Mutter Sadako, als der unmenschlich-rituelle Rahmen hofstaalicher Mechanismen verantwortlich war“ (Kirchmann 1989, S. 42). Auch in einer anderen Quelle wird unter der Zwischenüberschrift „Kindheit ohne Eltern“ zusammengefasst: „Die Erziehung war sehr streng und verfolgte das Ziel, dass sich der Junge durch Abstinenz von Elternliebe zu einer starken, eigenständigen Persönlichkeit entwickeln sollte. Wie Kaiser Akihito selbst später äußerte, hätte er sich als Kind gewünscht, in einer `menschlicheren` Umgebung aufzuwachsen“ (Janz 2016). (Dass potentielle Thronfolger von Ammen und Erziehern erzogen und verpflegt wurden, war übrigens gängige Praxis in der Menschheitsgeschichte. Die meisten Könige und Kaiser waren demnach zutiefst von ihren Eltern vernachlässigte, bindungslose Kinder.)
All diese Informationen bilden nur den Grundrahmen, der deutlich schwerste Belastungen für das Kind aufzeigt. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass dieses Kind in seinem strikten und strengen Lebensrahmen mit diversen Bediensteten und ohne enge, emotionale Bindungen an Elternfiguren in seinem Alltag etlichen Belastungen ausgesetzt gewesen sein wird, von denen wir nichts erfahren werden. Ein Kaiser ist immer auch Symbolfigur und den Dynamiken der vorhanden Strukturen ausgesetzt. Allerdings stellt sich schon die Frage, ob und wie politische Entscheidungen (vor allem auch während des Zweiten Weltkriegs) mit dieser traumatischer Kindheit zusammenhingen?
Quellen:
Janz, H. (2016, 23. Dez.): Kaiser Akihito: Aufrichtigkeit, Vergebung und Volksnähe. Japandigest.
Kirchmann, H. (1989): Hirohito. Japans letzter Kaiser. Der Tenno. Wilhelm Heyne Verlag, München
Nur kurze Ergänzung: Wasserfallmeditation ist gängige Meditationspraxis im Shintoismus und Zen Buddhismus. Das kommt auch ständig in japanischen Filmen und Animes vor. Das ist also keine von grausamen Eltern erdachte Foltermethode, sondern buddhistische Tradition. Da geht es darum, durch Anspannen und Loslassen der Muskulatur ne höhere Körpertemperatur zu erzeugen, welche die Kälte des Waserfalls ausgleicht. Ist ne Form des sogenannten Tummo Yoga.
AntwortenLöschenDas geht auf den Kerl hier zurück: https://de.wikipedia.org/wiki/Naropa
Ich verlasse mich da auf die Aussagen des Biografen. Er hat diesen Erzieher als "Krieger" dargestellt, der den Prinzen ständig zu Leistungen drängte und ihn abhärten wollte.
AntwortenLöschenEin Kind zu zwingen, nackt unter einem eiskalten Wasserfall zu stehen, hat nichts mit
"Wasserfallmeditation" zu tun. So stellt es sich für mich dar.
Dieser Erzieher beging Seppuku (Suizid), als der Thronfolger 12 Jahre alt war (muss ich im Text glatt noch ergänzen). Der Mann war durch und durch fanatisch und hing dem "Ehrbild" der Samurai an.
Wenn Erwachsene sich freiwillig aus Gründen der Meditation unter das Wasser stellen, bitteschön.
Ich habe den Text jetzt wie folgt ergänzt:
AntwortenLöschenGelegentlich wurde Hirohito von ihm gezwungen „nackt unter einem eiskalten Wasserfall zu stehen, um Disziplin zu erlernen“ (Kirchmann 1989, S. 41).
Nogis hing dem totalen Kampfgeist der Samurai an und hatte schon sich selbst niemals geschont. Als Hirohito 12 Jahre alt war, starb sein Großvater. Nogis hatte schon zuvor vorsichtige Einwände dagegen vorgebracht, Hirohito als Gottkaiser auf den Thron zu bringen. Er hielt ihn für ungeeignet. Nach dem Tod des Großvaters wurde Hirohito zum Thronfolger erklärt. Nogis suchte seinen Zögling einen Tag vor dem großen Staatsbegräbnis auf und ermahnte ihn, den Traditionen treu zu bleiben und besser zu studieren. Danach begingen er und seine Frau Suizid (Seppuku). Er "schlitzte sich langsam und absichtlich schmerzhaft den Magen auf, immer darauf bedacht, wie ein großer Samurai den Göttern seinen ernsthaften Willen kundzutun, in Ehren aus dieser Welt zu scheiden" (Kirchmann 1989, S. 41).
Dieser fanatische Mann war vorher für die Erziehung des Kronprinzen verantwortlich. Wir dürfen annehmen, dass die Prägungen entsprechend groß gewesen sein dürften. Ob und wie den 12Jährigen dieser Suizid belastete, wird vom Biografen nicht ausgeführt. Da dem Kronprinz keinerlei Elternfiguren zur Verfügung standen und er zudem schon als 3Jähriger einen Ziehvater verloren hatte, gehe ich davon aus, dass ihn der Suizid nicht unberührt gelassen hat.
Sehr gute Ergänzungen. Wirklich.
AntwortenLöschenDas mit der Kriegerethik ist ein SEHR guter Hinweis.
Ich zitiere nämlich mal den Philosophen Julius Evola über die Essenz der Kriegerethik:
"Alles Sterbliche opfern, für die heilige Mission"
Der ältere stoische Spruch "Per Aspera ad Astra" beschreibt das selbe.
Und das hat definitiv problematische Seiten, die ziemlich offensichtlich sind, beim ersten Lesen.