Montag, 18. Oktober 2021

Kindheiten von rechten Jugendlichen und Hooligans

Ich habe eine weitere Arbeit gefunden, innerhalb der die Kindheiten von rechtsextremen Jugendlichen besprochen wurde:

Bohnsack, R., Loos, P., Schäffer, B., Städtler, K. & Wild, B. (1995): Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe: Hooligans, Musikgruppen und andere Jugendcliquen. Leske + Budrich, Opladen. 

Die Biografien gewaltbereiter Hooligans werden dabei mit denen nicht-gewaltbereiter, anderer Jugendgruppen verglichen. Für mich von Interesse sind die Biografien von vier Hooligans, von denen drei auch in der rechten Szene aktiv waren: 

Bernd (geboren 1973) hat kaum Erinnerungen an seine frühe Kindheit. In der Schule hat er körperliche Gewalt und Demütigungen durch Lehrkräfte erlitten und war weitgehend ein Einzelgänger. „Die Geschichte der Schulzeit von Bernd erscheint als eine Zeit des Erleidens und des Ausgeliefertseins, durch die er sich bis heute verunstaltet fühlt (…) und von deren Auswüchsen und Stigmatisierungen er noch heute `träumt`“ (S. 138).
Der Vater war gewalttätig gegenüber Bernd (inkl. schwerer Prügel oder Angriffen mit einer Schere) (S. 140). Er habe seinen Vater gehasst. Bernd geriet als Jugendlicher in die rechte Skinheadszene, wechselte später dann zu gewaltbereiten Hooligans. „Bernd hat siebzehnmal in Untersuchungshaft gesessen, wobei die Eltern nur in wenigen Fällen (`dreimal`) über seine Aktionen und auch nur selten über die Untersuchungshaft informiert waren, was wiederum Aufschluss über die Art der innerfamilialen Kommunikation gibt“ (S. 147). 

Über die Erziehungsstile der Eltern von Benno (geboren 1970) erfährt man im Grunde kaum etwas. Allerdings berichtet er von einer schweren traumatischen Erfahrung. Nach der Scheidung der Eltern fing der Vater an zu trinken. Angetrunken geriet er unter eine U-Bahn und starb, als Benno 14 Jahre alt war. Durch anderen Personen liegt die Vermutung im Raum, dass der Vater sich vor die U-Bahn geworfen hätte, was Benno nicht glauben will. Weitere Problemlagen kamen hinzu: „Die Nachbarn  beschuldigen die Mutter, den Vater in den Tod getrieben zu haben und wollen Benno und seine Geschwister adoptieren. In der damaligen schwierigen Situation, in der Ehe und Familie in doppelter Weise (Scheidung der Ehe und Tod des Vaters) zerbrochen sind, zerbricht zugleich auch die Einbindung in die dörfliche Gemeinschaft (…). Von Seiten der Nachbarschaft wird nicht nur die moralische Degradierung der Mutter betrieben, sondern ihr wird die Erziehungsfähigkeit abgesprochen (…)“ (S. 152f.) Die Mutter habe laut Benno all dies seelisch nicht verkraftet und sei ein paar Mal „umgefallen“ (S. 152).
Die Mutter reagierte schließlich mit Flucht aus dem Dorf und zog mit ihrem Sohn um. In dieser Phase schloss sich Benno der Skinheadszene an. Mit dem Einstieg in die Gruppe fing für Benno „das Leben erst richtig an“ (S. 155). Die Gruppe war für ihn eine „riesengroße Familie“ (S. 156). Mit seiner Mutter geriet Benno in der Folge zunehmend in Konflikt und Streitigkeiten (S. 158f.) Später veränderte sich sie Skinheadszene und Benno wurde offenbar zum Hooligan. 

Falko (1973 geboren) war ebenfalls Teil der Hooliganszene, allerdings war er im Gegensatz zu den anderen Fallbeispielen nicht vorher in der rechten Szene aktiv. Der Vater wendete häufig körperliche Gewalt an (S. 173). Als Falko 14 Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden. Allerdings verschwiegen sie dies ihren Kindern. Die Kinder bekamen dies zufällig heraus, als sie entsprechende Unterlagen einsahen. „Falko reagiert (…) auf die Scheidung der Eltern mit dem Wunsch nach einer Kur, also mit einer Flucht“ (S. 175). Nach der Scheidung sah Falko seinen Vater nur noch selten (S. 178f.). 

Arno (geboren 1968) war zunächst Teil der rechten Skinheadszene in der DDR. Das Verhältnis zu seinen Eltern beschreibt er als gut, die Eltern seien tolerant gewesen. Seine Kindheit sei normal verlaufen. Ich bin bei solchen Schilderungen immer sehr misstrauisch, vor allem wenn ich mir das Verhalten von Arno anschaue, der sehr gewaltbereit war. Die Forschenden konnten seine Schilderungen nicht abgleichen (Befragungen anderer Familienmitglieder). Im Alter von 16 Jahren war Arno an einer Schlägerei beteiligt, bei der ein Polizist verletzt wurde. Nach bevor Arno volljährig war, kam er in den Erwachsenstrafvollzug. Auch später geriet er immer wieder in Konflikt zum DDR-Staat und kam auch erneut in Haft. Durch seine erste Haftzeit kam er in Kontakt mit der rechten Skinheadszene. Später orientierte er sich in Richtung Fußball und wurde Teil der Hooligans. 

Hier liegen genau genommen also nur drei Biografien vor, die sich auf rechte Jugendliche beziehen. In zwei von drei dieser Biografien (wenn man - bei einer so kleinen Untersuchungsgruppe - so will also bei der deutlichen Mehrheit der untersuchten Fälle) lassen sich schwere Belastungen in der Kindheit ausmachen. Die Kindheitsbiografie von Arno bleibt für mich mit Fragezeichen behaftet.  



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen