Dienstag, 30. November 2021

Kindheit des ehemaligen Neonazis und Terroristen Odfried Hepp

Der ehemaliger Neonazi und Terrorist Odfried Hepp hatte eine deutlich belastete Kindheit. 

Meine Quelle: Winterberg, Y. (2004): Der Rebell: Odfried Hepp: Neonazi, Terrorist, Aussteiger. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach.

Der Vater von Odfried gehörte einem deutsch-völkischen Gesinnungsbund an. Später baute er ein Haus für die große Familie, inkl. „Germanenkeller“, in dem auf Holzbänken und Fellen Heldensagen und Geschichten vom Krieg erzählt werden. Um Deutschland tobe schon immer ein Kampf um die Kultur, lässt der Vater seine Kinder wissen. Als die rechtsextreme NPD 1968 in Baden-Württemberg 9,8% der Stimmen erhielt, sah der Vater dies mit Genugtuung. Später überlegte der Vater nach Südafrika auszuwandern, weil dort "deutsche Tatkraft" und "weiße Hautfarbe" noch etwas zählten. Zum 14. Geburtstag erhält Odfried vom Vater das Buch “Vater aller Dinge“ vom Zentralverlag der NSDAP aus dem Jahr 1943 (S. 18, 20, 24, 32, 38). Ganz eindeutig war dieser Haushalt politisch rechtsextrem und konservativ orientiert! 

Die Familie funktioniert nach dem Schema eines UFA-Familienfilms aus den Vierzigerjahren. Der Vater ist eine Respektsperson, der Wohlverhalten belohnt und Unartigkeiten tadelt, nicht immer sanft, aber immer gerecht“ (S. 19) Es ist erstaunlich, dass der Biograf hier Strafen des Vaters mit „immer gerecht“ einordnet. Wie kommt er zu so einem Wortlaut, einer solchen Einschätzung? Ist es nicht der Wortlaut der alten Generationen, der Wortlaut vom immer recht habenden und gerechten Vater, selbst wenn dieser straft?  Solche Kommentierungen sehe ich grundsätzlich mit einer gewissen Skepsis. 

Gelegentliche „Donnerwetter“ des Vaters hätten sich meist an den älteren Geschwistern entladen, nicht gegenüber Odfried, dem Liebling des Vaters. Die Mutter wird als sanft beschrieben, Bestrafungen lagen ihr nicht, schreibt der Biograf. Zuhause war sie meist auf sich allein gestellt, der Vater arbeitete an seinem beruflichen Aufstieg. Insgesamt fällt auf, dass das Bild der Mutter sehr schemenhaft bleibt: über sie wird fast nichts berichtet. Im Zentrum steht der Vater, der die gesamte Familie dominierte. 

Wegen der großen familiären Belastungen muss Odfried "ab und zu", wie sich der Vater erinnert, „eingesperrt“ werden, zunächst in ein Gitterbettchen, dann in einen Laufstall. Der Vater wörtlich:
Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er an den Stäben rüttelt und gegen sie tritt. Sagen konnte er es noch nicht, aber gedacht hat er sicher: Lasst mich hier raus!“ (S. 19). Ein einziges Mal habe er Odfried den Hintern versohlt, hängt der Vater dem an. „Odfried wird weder bestraft noch gedemütigt“, schreibt der Biograf zwei Seiten weiter (S. 21).
An dieser Stelle erschließt sich vielleicht auch der oben zitierte Wortlaut vom „immer gerechten Vater“. Der Biograf scheint viele Informationen über Kindheit und Erziehungsstil direkt vom Vater bekommen zu haben. Dies ist eine legitime und wichtige Quelle. Allerdings sollte man die Quelle auch kritisch hinterfragen, wenn es um mögliches Täterverhalten und Strafen geht. Denn schließlich spricht man direkt mit Demjenigen, dem die möglichen Taten auch anlastbar wären (gerade auch vor dem Hintergrund des späteren Lebenslaufs seines Sohnes).  

Fünf Kinder hat die Familie insgesamt. Diese begehrten allerdings Stück für Stück gegen den Vater auf. „Karl-Lutz hat mit 15 beschlossen, den Vater abzulehnen. Damals hat der ihm beizubringen versucht: `Du musst in bestimmten Situationen bereit sein, einen Menschen zu töten.` Für Karl-Lutz dagegen ist jeder Soldat ein Mörder. Wenig später überrascht Karl-Lutz seine Schwester mit der Erkenntnis: `Vater sagt uns nicht die Wahrheit über das Dritte Reich`“ (S. 25). 

Es war Ende der 1960er Jahre zu dieser Zeit. Die Kinder wurden offensichtlich von der Revolte der jungen Generation erfasst. Mit 17 riss der älteste Sohn Karl-Lutz von Zuhause aus und reiste nach Paris. Zurück in Deutschland wurde er vom Vater mit heftigen Ohrfeigen begrüßt, "entgegen seiner Gewohnheit", wie der Biograf betont (S. 27). Wir haben hier also den bereits zweiten Beleg für Gewaltverhalten des Vaters, wieder etwas abgemildert durch die Kommentierung des Biografen. Da wie gesagt der Vater eine wesentliche Quelle für Informationen war, rate ich erneut zur Vorsicht und würde weitere Übergriffe zumindest nicht ausschließen. 

Karl-Lutz floh erneut, diesmal nach Nordirland. Auch zwei Schwestern brachen jetzt aus. „Auch Karin und Heidi laufen nun von zu Hause fort. Einerseits kämpft der Vater verzweifelt darum, sie wieder zurückzuholen, andererseits erwartet er Reue und Umkehr zu einem Leben in seinem Sinne. Da ist der Keim für den nächsten Ausbruch schon gelegt. (…) in die kleinbürgerliche Idylle ist eine Art von Grauen eingedrungen, für das ihm der Name fehlt – und die Rezepte sowieso“ (S. 27).

Odfried habe von all dem nur wenig mitbekommen, betont der Biograf. „Er verkriecht sich in sein Zimmer – und will gar nicht so genau wissen, weshalb es im Wohnzimmer unter ihm laut wird“ (S. 27). Hier sehen wird erneut eine Abmilderung seitens des Biografen. Natürlich hat Odfried von den Auseinandersetzungen etwas mitbekommen, deswegen hatte er sich ja verkrochen!

Im Herbst 1970 übertrat der Vater eine Grenze. Im Streit und bei einer heftigen Auseinandersetzung mit Karl-Lutz stellte sich die Mutter dazwischen und wurde von einem Schlag des Vaters getroffen. Ein „zufälliger Schlag“, wie der Biograf anhängt (S. 28) (Wortlaut des Vaters?) Wir haben hier also den dritten Beleg für Gewaltverhalten des Vaters. Am nächsten Tag erklärte die Mutter, dass sie die Scheidung will. Odfried war zu dieser Zeit zwölf Jahre alt.
Odfried beschloss, beim Vater zu bleiben. Ihm ging es vor allem um die vertraute Umgebung. Die Familie brach auseinander. Die Geschwister gingen in verschiedene Richtungen. Odfried blieb alleine beim Vater zurück und dieser bestärkte Odfried in der Ablehnung seiner Mutter. 

Der Vater hatte allerdings kaum Zeit für seinen Sohn. Eine Haushälterin kümmerte sich um den Haushalt. Schließlich brachte der Vater seinen Sohn Odfried im rechten Bund Heimattreuer Jugend unter. Die rechtsextremen Prägungen nahmen ihren weiteren Verlauf. 

Als Odfried 15 Jahre alt war, kamen Vater und Mutter wieder zusammen und heirateten erneut. „Über Nacht ändert sich für Odfried alles. Zwei Jahre lang hat Odfried wie ein Erwachsener gelebt. Jetzt wird er aus seiner Sicht in der sozialen Stellung zurückverwiesen, in den Status des Kindes zurückgestuft. (…) Odfried beginnt an seinem Vater zu zweifeln. (….) Der Bund Heimattreuer Jugend wird zum Familienersatz“ (S. 41f.).

In der Kindheit von Odfried Hepp gab es eine Reihe von Belastungen, wie oben aufgeführt. Das Bild über seine Kindheit erschließt sich nur, indem man einzelne Puzzleteile zusammenfügt und auch ein Gefühl für die Familienatmosphäre entwickelt. Ein deutlich rechtsextremer Vater mit seinen völkischen Ideen und seinem Anspruch über die Familie zu bestimmen, wird auch zu Verletzungen im Alltagsleben der Kinder geführt haben. Väterliche Feinfühligkeiten sind hier kaum zu erwarten. Wie geschildert haben wir wenig konkrete Berichte über Erziehungsverhalten. Allerdings wollten die Kinder aus dieser Familie ausbrechen, ganz am Schluss auch Odfried. Ich gehe von ganz erheblichen Belastungen in dieser Familie aus, die weit über die z.B. vereinzelt berichteten körperlichen Übergriffe des Vaters hinausgehen. Für mich ergibt sich vor allem das Bild von einem Geflecht aus Kontrolle, Dominanz, psychischem Missbrauch und Manipulationen, gepaart mit ideologischer "Aufladung".


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