Sonntag, 26. Oktober 2008

10. Fazit

Wo die Liebe fehlt, wächst die Wut.“ ist der Titel einer Fernsehdokumentation von Jo Frühwirth. Der Film zeigt eindrücklich, wie kaputte Familienstrukturen kaputte Kinder produzieren und dass intakte Familien und andere sichere Beziehungen die beste Keimzelle für ein gesundes menschliches Aufwachsen sind, so die Filmbeschreibung auf Phoenix vom 17.10.07. „Wo die Liebe fehlt, wächst die Wut“, ein Satz, der eigentlich schon alles sagt, um was es hier grundsätzlich in diesem Text geht.

In diesem Text finden sich einige Anhaltspunkte dafür, wie präventiv bzgl. individuellem Leid, aber auch bzgl. (kriegerischer) Gewalt als mögliche Folge von Kindesmisshandlung gehandelt werden könnte. Da ist zum einen das Konzept des „Helfenden Zeugen“ (siehe Alice Miller), das einen Auftrag an alle Erwachsenen (gerade auch PädagogInnen und PsycholgInnen, aber auch Nachbarn, Familienmitglieder usw.) enthält, die Kinder (aus schwierigen Verhältnissen) erleben. Da ist z.B. die (internationale) Politik gefordert, statt milliardenschwer in Militär, Verteidigung, Terrorbekämpfung usw. milliardenschwer in Kinderschutz und menschenwürdige Lebensverhältnisse zu investieren, sowohl national als auch international. (Zahlenbeispiel für den Irak-Krieg: Die vorsichtige Prognose des Ökonomen und Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz lautet: Angenommen die US-Truppen ziehen sich bis 2012 schrittweise zurück, dann kostet zum Beispiel der weitere Militäreinsatz inklusive Milliardensummen für versehrte Veteranen und Zinsen für Kriegskredite: Insgesamt drei Billionen US-Dollar (!).“Monitor“ fragt: Was hätte man mit drei Billionen US-Dollar eigentlich machen können? Die Schätzungen des Nobelpreisträgers und anderer Experten: 45 Millionen Lehrer ein Jahr lang bezahlen. Oder 219.000 Grundschulen bauen. Oder das Studium von 129 Millionen Studenten finanzieren. (vgl. ARD-Magazin „Monitor“, 13.03.2008) Persönliche Anmerkung: Oder man hätte weltweit massiv und nachhaltig in Kinderschutz investieren können.
Die Prävention von Kindesmisshandlung lohnt sich grundsätzlich immer auch finanziell. Laut einem Bericht,verursacht Kindesmisshandlung allein in Deutschland pro Jahr rund 30 Milliarden Euro an direkten und indirekten Kosten. (vgl. sueddeutsche.de, 25.09.2008) )
Lloyd deMause fordert beispielsweise insbesondere kostenlose globale Trainingszentren für Eltern (vgl. deMause, 2005, S. 306), in denen u.a. Unterstützung, Rat, Begleitung und Austausch angeboten wird und wo man Eltern zeigt, wie man Kinder aufzieht, ohne sie zu schlagen, zu missbrauchen und zu vernachlässigen und wie man die Unabhängigkeit von Kindern fördert usw. Da unsere destruktive (Kriegs-)Technologie unseren Fortschritt bei der Kindererziehung bei weitem übersteigt, ist nach deMause Eile geboten; wir können es uns nicht leisten abzuwarten, bis sich die globale Kindererziehung von selbst weiterentwickelt.
Gefordert ist auch die Gesellschaft an sich, gefordert sind die Medien usw. die vorliegenden Erkenntnisse weiter auszuformulieren und zu verbreiten, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Bzgl. der Biologie bzw. Genforschung und Gewaltursachen werden sogar ganze Titelthemen besetzt mit ausdruckstarken Titeln wie „Tatort Gehirn. Neuro-Forschung. Warum Menschen zu Verbrechern werden“ im Focus Nr. 41 vom 08.10.2007 oder „Das Böse im Guten. Die Biologie von Moral und Unmoral“ im Spiegel 31/2007. Bzgl. dem Zusammenhang von Kindheit und Krieg/Gewalt ist mir in den Medien noch kein Titelthema aufgefallen, obgleich mir dies sinnvoller erschiene, als uns Menschen auf unsere Gene und neurobiologische Prozesse zu reduzieren...
Ich halte es insbesondere auch für erforderlich, dass die „Evolution der Kindheit“ nach Lloyd deMause (genauso wie die biologische Evolution des Lebens), Formen und das aktuelle Ausmaß der Gewalt gegen Kinder, die möglichen Folgen der Gewalt und Infos über mögliche Hilfen und Anlaufstellen in die Lehrpläne von Schulen und Universitäten aufgenommen werden.
Vor allem ist aber auch jeder Einzelne gefordert, selbst bei sich zu schauen, seiner Familiengeschichte bewusst und realistisch gegenüber zu treten und ggf. mit Hilfe einer Psychotherapie Blockaden aufzubrechen, erfahrenes Leid zu verarbeiten, „das Fremde“ (siehe Arno Gruen) abzuschütteln, selbst zu leben und zu fühlen. Aus einem gesunden Gefühl zu sich, entsteht sehr wahrscheinlich auch Mitgefühl gegenüber den Mitmenschen und dies macht Krieg und Gewalt letztlich unmöglich, wie ich meine. Miller schreibt dazu: „Wenn unser Planet überleben soll, gibt es zur Wahrheit, d.h. zur Konfrontation mit unserer individuellen und kollektiven Geschichte, keine Alternative. Nur deren Kenntnis kann uns vor der perfekten Selbstzerstörung bewahren.“ (Miller, 1991)
Mir ist natürlich bewusst, dass gerade diejenigen, die eine Therapie am Nötigsten haben und ein enormes destruktives Handeln an den Tag legen, diesen Text hier wohl kaum lesen werden und auch sonst schwer zugänglich für Hilfsmaßnahmen und Veränderungen sind. Diesen Menschen kann man nur mit einem konsequenten Grenzen-setzen entgegenwirken. Gewalt muss schon im Ansatz und auch im Privaten entgegengetreten werden. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Entgegentreten wird meiner Meinung nach steigen, wenn sich mehr Menschen nicht auf ihre Opferrolle (die zweite Seite der Medaille, durch die Gewalt möglich wird) zurückziehen und Selbstbewusstsein entwickeln, wenn mehr Menschen feststellen, dass sie die Dinge aktiv beeinflussen können. Auch hier kann eine Therapie u.U. sicherlich hilfreich sein.
Arno Gruen hat darüber hinaus betont (vgl. Gruen / Weber, 2001, S. 65ff), wie wichtig es für die Demokratie ist, die Menschen in der Mitte (nicht zu verwechseln mit der gebetsmühlenartig beleuchteten ökonomischen „Mitte“, die PolitikerInnen meinen.) zu erreichen. Diese Mitte besteht aus Menschen, die in ihrer Kindheit Förderung und Ablehnung/Zurückweisung erlebt haben. Anders ausgedrückt könnte man auch sagen, dass diese Mitte nicht nur Destruktivität als Kind erlebt hat und ihnen auch Schutzfaktoren zur Seite standen. Das Wissen um diese „Mitte“ scheint wichtig für zukünftige Friedensarbeit.

Was NICHT helfen wird ist, misshandelte Kinder bzw. Erwachsene, die dies erlebt haben, vorzuverurteilen und zu stigmatisieren! Ich hoffe, ich konnte – trotz der notwendigen klaren Worte - auch im Verlauf des Textes deutlich machen, dass mir dies fern liegt. Wir müssen Menschen immer nach ihrem Verhalten beurteilen.
Mit Blick auf die „Wurzeln des Übels Krieg“ möchte ich mit zwei eindrücklichen Zitaten schließen:
Kriege „(...) werden leider akzeptiert, weil es unzählige Menschen gibt, für die das Leben wertlos und hassenswert ist, das eigene genau wie das des anderen, die nur gelernt haben, Leben zu zerstören und von anderen zerstört zu werden. Es sind Menschen, die ihre Liebe zum Leben nie entwickeln konnten, weil sie keine Chance dazu erhalten haben.“ (Miller, 1991)

"Je mehr Kinder bei uns und weltweit vernachlässigt, geschlagen, gedemütigt werden und in Hoffnungslosigkeit und Hass abgleiten, desto höher ist das destruktive Potential in unserem eigenen Land und weltweit. Vor diesem Hintergrund ist Kinderschutz zu einer Frage des Überlebens geworden. Weltweiter Kinderschutz ist der Königsweg zur Prävention nicht nur von seelischem Leid, sondern auch von Kriminalität, Militarismus und Terrorismus. Er sichert die Demokratie und den friedlichen kulturellen und ökonomischen Austausch." (Riedesser, 2001)
Diese Erkenntnisse müssen den Menschen weltweit bewusst gemacht werden, wenn ich mit diesem Text ein wenig dazu beitragen konnte, dann freut mich das natürlich sehr.



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