Samstag, 15. November 2008

Fehlende Empathie und Krieg

Es ist für mich immer wieder erschreckend, wie sehr sich im Alltag das für mich bestätigt, über was ich hier schreibe.

Eine Bekannte von mir traf heute auf eine Bekannte (toller Satzbau...), nennen wir letztere einfach mal „Cordula“. Ich selbst habe das Gespräch zwischen den beiden nur bruchstückhaft mitbekommen, allerdings berichtete mir meine Bekannte anschließend ausführlich und sehr erschüttert:
Selbige hat vor einigen Monaten ein Kind bekommen und dies in dem Gespräch Cordula (diese ist ca. 65 Jahre alt) erzählt. Daraufhin bekam sie erst mal Glückwünsche und man kam ins Gespräch über Erziehung. Cordula kam gleich zur Sache und berichtete ganz offen (als Erziehungsempfehlung), wie sie früher einen ihrer Söhne regelmäßig mit einem Holzstab geschlagen hatte. Dieser Sohn sei im Gegensatz zu ihren anderen Kindern immer herausfordernder gewesen und habe sie stets auf die Palme getrieben. Die anderen Kinder waren einfach sensibler, meinte sie weiter. Doch dieser Sohn... Außerdem war sie oft alleine mit der Erziehung der Kinder, da musste sie sich durchsetzen. Ja und dieser Sohn habe sie sogar darum gebeten, bestraft zu werden. Sie wäre diesem Wunsch dann nachgekommen. Als der Holzstab schon etwas älter war, zerbrach er dann bei einer Ihrer Prügelaktionen. Der Sohn musste dann von seinem Taschengeld einen neuen kaufen, dies habe ihm ganz offensichtlich erheblich mehr weh getan, als die Bestrafungen. Cordula lacht und ist amüsiert. Jedenfalls, so meinte sie weiter, sei dieser Sohn von all ihren Kindern der robusteste und es habe ihm nicht geschadet.

Es ist für mich immer wieder ganz erstaunlich, wie empathielos Menschen sein können. Cordula fehlt offensichtlich jedes Unrechtsbewusstsein für ihre Handlungen. Mehr noch: Sie gibt im Jahr 2008 solche Erziehungsratschläge an eine junge Mutter. Es ist ihr nicht peinlich, sie scheint eher stolz darauf zu sein. Die Folgen für den Sohn werden kurz deutlich: Er sei der „robusteste“ von allen, die anderen seien sensibler. Robust bedeutet für sie, der schafft es im Leben. Robust bedeutet für mich in diesem Zusammenhang: Der arme Sohn, sehr wahrscheinlich musste er sich gefühlsmäßig ausschalten, um das alles zu ertragen.


Ich erinnere mich an ein anderes Erlebnis (ist schon ein paar Jahre her), das ich mit einer ehemaligen Kinderpflegerin hatte. Sie bekam mit, dass ich einen Text von Alice Miller las und fragte neugierig nach. Ich berichtete kurz, um was es ging und welche Thesen Miller vertritt. Daraufhin grübelte sie kurz. Dann meinte sie, „weißt Du, das ist nicht immer alles so zu sehen. Ich hatte in einem Kindergarten mal einen Jungen, der war wirklich schwierig. Außerdem hat er sich dauernd in die Hose gemacht. Irgendwann reichte es mir dann. Ich habe ihn geschnappt, bin mit ihm aufs Klo und habe ihn richtig durchgeprügelt. Danach war der nie wieder frech zu mir und hat sich benommen, wirklich vorbildlich. Außerdem habe ich seinen Eltern dann berichtete, dass ich ihn körperlich bestraft habe. Diese hatten damit kein Problem und meinten, dass das schon richtig so wäre.“ Diese Kinderpflegerin war sichtlich stolz auf ihren „Erfolg“. Für sie war es ihre Art mir zu sagen, dass Alice Miller ja wohl nicht immer recht haben könne.

Nachdem sie zu Ende berichtete hatte, fragte ich ohne weiteres Vorwort, wie sie denn ihre eigene Kindheit erlebt hatte und ob sie geschlagen worden war. Ihr stolzes Lächeln blieb in ihrem Gesicht und sie sagte: „Oh ja, wir sind richtig oft verprügelt worden. Wir mussten uns immer in der Reihe aufstellen und unserem Vater den Lederriemen überreichen. Danach konnten wir teilweise gar nicht mehr sitzen. Ach was haben wir Kinder damals Nachts zusammen über unsere Eltern geklagt“, sie lachte.

In beiden Beispielen sieht man, wie abgespalten diese Frauen von ihren Gefühlen sind. Im letzteren hat mich besonders erstaunt, dass die ehemalige Kinderpflegerin auch nach meiner deutlichen Nachfrage nicht den Zusammenhang verstanden hat, auf den ich sie hingewiesen hatte. Nämlich das sie weitergab, was sie selbst erlitten hatte. Sie lächelte einfach. Es war schlimm für mich zu sehen, wie gespalten diese Frau war.

Beide Frauen sind ansonsten vollkommen normal und unauffällig. Sind ökonomisch eher Mittel bis gehobene Mittelschicht. Haben einen breiten Bekannten- und Freundeskreis. Wissen, wie man sich benimmt usw.

Was hat das ganze nun mit dem Thema Krieg in diesem Blog zu tun? Sehr viel, meine ich. Denn diese Frauen sind keine Randgruppe, da bin ich sicher. Es ist erstaunlich wie ver-rückt beide eigentlich sind und wie scheinbar normal sie trotzdem ihr bürgerliches Leben hinbekommen. Warum werden in Kriegszeiten ganz normale Menschen plötzlich zu menschlichen Monstern? Eine Frage, die im Angesicht des Krieges oft gestellt wird. Die Antwort: Viele Menschen sind nur schein-normal, in vielen schlummert mörderische Aggressivität und viele besitzen kein Mitgefühl. Ein Weg, diese Spaltung aufzulösen, ist eine Psychotherapie. Ein anderer, viel wichtigerer ist Prävention in Form von massivem, gut strukturiertem und gut finanzierten Kinderschutz.

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