Dienstag, 16. Dezember 2008

Die Irrationalität des Krieges

Kriege haben weitgehend emotionale Gründe (die mit traumatischen Kindheitserfahrungen in direkter Verbindung stehen), so die psychohistorische Grundthese. Damit steht diese These weitgehend entgegen üblichen Darstellungen und Theorien, die Kriege mit rationalem Handeln und gesellschaftlich-politischen insbesondere auch ökonomischen Prozessen in Verbindung bringen.
Die Irrationalität des Krieges lässt sich aktuell sehr gut am Beispiel des Irakfeldzuges festmachen. Dazu vorweg einige Informationen:

Ein Untersuchungsbericht vom November 2006 erstellt von einer Gruppe von Fachleuten genannt „Mental Health Advisory Team" schildert folgendes: „Geradezu erschreckende Resultate förderten die Militärpsychologen im Hinblick auf die ethisch-moralischen Einstellungsmuster der US-Soldaten am Golf zutage. Weit weniger als die Hälfte der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Zivilbevölkerung mit Würde und Respekt zu behandeln sei. Dagegen meinten mehr als vierzig Prozent, dass Folter erlaubt sein sollte, wenn das Leben von Kameraden auf dem Spiel stehe oder wenn es schlicht darum gehe, Informationen zu gewinnen. (...) Immerhin zehn Prozent gaben zu, eigenhändig irakische Zivilisten auf die ein oder andere Weise misshandelt zu haben. Diese Ergebnisse bestätigen Aussagen von englischen Offizieren, die bereits vor geraumer Zeit moniert hatten, das US-Militär würde die Iraker als "Untermenschen" behandeln. Wohlgemerkt: die Briten gebrauchten tatsächlich den deutschen Originalbegriff. (...)“ (NDR Info, „Streitkräfte und Strategien“ (Sendereihe), 25.08.2007: „Überfordert in asymmetrischen Konflikten? US-Soldaten im zermürbenden Kampf gegen Aufständische „Gastbeitrag von Dipl. Päd. Jürgen Rose (Oberstleutnant der Bundeswehr) http://www.bits.de/public/gast/07rose-02.htm)

In einem Einzelbericht des ehemaligen Obergefreiten Joshua Key (Buch "Ich bin ein Deserteur") heißt es: „In den Augen unserer Armee waren die Iraker keine Menschen, sondern Terroristen, Selbstmordattentäter, Sandnigger und Lumpenköpfe. Wir mussten sie geringer achten als Menschen, um überhaupt zu unseren Taten fähig zu sein. In der Militärausbildung brachte man uns bei, die Iraker als minderwertig zu betrachten, und diese Haltung überquerte mit uns die Meere, als wir in den Kampfeinsatz flogen“ (ebd.)Er macht dafür vor allem Defizite in der Ausbildung verantwortlich. Den Rekruten werde jede Regung von Mitmenschlichkeit ausgetrieben. Sie würden zu bedingungslos funktionierenden Kampfrobotern gedrillt.

Die vorsichtige Prognose des Ökonomen und Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz lautet: Angenommen die US-Truppen ziehen sich bis 2012 schrittweise zurück, dann kostet zum Beispiel der weitere Militäreinsatz inklusive Milliardensummen für versehrte Veteranen und Zinsen für Kriegskredite: Insgesamt drei Billionen US-Dollar (vgl. ARD-Magazin „Monitor“, 13.03.2008) Man führe sich diese Summe vor Augen: 3.000.000.000.000 Dollar! (Mit dieser Summe könnte man z.B. auf einen Schlag die gesamte Staatsverschuldung Deutschlands tilgen und hätte immer noch ca. 1,5 Billionen über)
"Wenn man uns vorwirft, dass wir nur die Kosten addieren und nicht den Nutzen einberechnen, dann stimmt das", sagt Stiglitz, "aber es fällt mir schwer, überhaupt Nutzen zu erkennen." Auch die Vorhaltung, man ziehe ja schließlich nicht mit einer fertigen Kostenrechnung in den Krieg, will der Nobelpreisträger nicht gelten lassen: "Es war keine Antwort auf einen Überraschungsangriff wie Pearl Harbor, sondern ein selbst gewählter Krieg, ein präventiver Krieg. Da gehört es zu den demokratischen Spielregeln, offen zu sagen, mit welchen Kosten man rechnen muss." (ZEIT-Online, 26.02.2008, "Der Drei-Billionen-Krieg", http://www.zeit.de/online/2008/09/stiglitz-irakkrieg-kosten?page=2)
Ein Tagesschaubericht vom 31.10.2006 stellt die Kosten so dar: Der Irak-Krieg kostet zwei Milliarden Dollar pro Woche (http://www.tagesschau.de/ausland/meldung91602.html) Berechnet wurden hier offensichtlich nur direkte Kosten.
Diese enormen Ausgaben sind für die USA nie wieder durch Ausbeutung des Irak "reinzuholen". Es ging also nie um ökonomische Gründe!

Ein Team um Gilbert Burnham von der Johns Hopkins School of Medicine im amerikanischen Baltimore hat errechnet, dass zwischen März 2003 und Sommer 2006 im Irak 654965 Menschen an Kriegsfolgen ums Leben kamen. Das wären etwa 600 Todesopfer an jedem Tag. Diese aus Umfragen und Hochrechnungen ermittelte Zahl würde bedeuten, dass 2,5 Prozent der irakischen Bevölkerung seit Kriegsbeginn gestorben sind. Die Forscher hatten in den 16 Regierungsbezirken des Irak 50 Regionen zufällig ausgewählt und dort die Zahl der gewaltsamen Todesfälle erhoben. Dazu wurden fast 13.000 Menschen befragt, ob Familienmitglieder umgekommen seien, und Totenscheine eingesehen. (sueddeutsche.de, 11.01.2007, "600 Tote pro Tag", http://www.sueddeutsche.de/politik/205/362027/text/)
Die Befreiung und der Schutz des irakischen Volkes sind hier offensichtlich auch nicht die Gründe für den Feldzug. Was logisch ist, da ein Feldzug an sich nie die Bevölkerung schützen kann, sondern diese erfahrungsgemäß weit mehr schädigt, als die militärischen Akteure.
Ich fand es - nebenbei bemerkt - auch immer sehr erschreckend, wie Bunker, Paläste usw. im Irak eifrig aus der Luft bombardiert wurden, mit dem Ziel, mögliche Waffenlager auch von Massenvernichtungswaffen zu zerstören. Öffentlich war sich die US-Regierung ja sicher, dass der Irak solche Waffen hatte, auch wenn dies nicht der Wahrheit entsprach, wie wir heute wissen. Wenn aber auch nur eine gewisse Chance bestand, dass dort wirklich entsprechende Waffen hätten lagern können, entschuldigung: Dann widerspricht es jeder Logik, diese Stellungen anzugreifen! Denn die Folgen vor Ort für die dortige Bevölkerung wären verheerend gewesen, wenn dort z.B. nukleare Stoffe und andere extreme Gifte in die Umwelt gelangt wären. Auf solche Weise schafft man sich keinen Rückhalt bei dem irakischen Volk, sondern signalisiert nur, wie egal einem Menschenleben sind.

Solche Berichte enthüllen also exemplarisch wesentliche Aspekte, die mir bzgl. des Irakkrieges durch den Kopf gehen:

Soldaten, die logischerweise (durch extreme, systematische Belastungen in der Rekrutenzeit wie es die USA praktiziert) zum Töten ausgebildet werden, können keinen Frieden stiften und Aufbauhilfe leisten. Letzteres ist in ihrer Ausbildung gar nicht vorgesehen. Das ist eine eigentlich ganz banale Feststellung. Wenn die USA behaupten, sie hätten das irakische Volk befreien wollen (US-Präsident Bush erklärt am 20.03.2003 in einer Fernsehansprache, die militärische Operation zur "Entwaffnung Iraks und zur Befreiung seines Volkes" habe begonnen - siehe Artikel: "Chronik eines angekündigten Krieges"), kann man nicht mal mehr lachen.

Die psychohistorische Forschung weist darauf hin, dass Kriege im Grundsatz nicht aus rationalen Gründen („Wir brauchen Öl, also überfallen wir den Irak“) entstehen, sondern hier emotionale (vor allem unbewusste) Gründe überwiegen. Die obigen Berichte zeigen, dass es eigentlich um das Opfern von Menschen – in diesem Fall insbesondere von dem irakischen Volk, aber auch von den eigenen jungen US-Soldaten – geht. Es geht um das Finden von „Giftcontainern“ für eigene unerträglich (Kindheits-)Traumatisierungen, um sich zu erleichtern (siehe dazu ausführlich deMause, 2005). Lloyd deMause schreibt: „Die gesamte Lehrmeinung der rationalen Entscheidungen der Kriegstheoretiker, alle, die behaupten, Nutzen sei das ultimative Motiv für Krieg, scheitern an den extensiven empirischen Forschungsarbeiten der letzten Jahre über Hunderte von Kriegen, die übereinstimmend zeigen, dass Kriege destruktiv und nicht etwa nützlich sind; dass diejenigen, die einen Krieg beginnen, diesen normalerweise verlieren; und dass Führer, die Kriege ausrufen, sich nie darüber Gedanken machen, ob die Gewinne die Kosten übersteigen. (...) In Vietnam kostete Amerika die Tötung jedes feindlichen Soldaten mehrere hunderttausend Dollar; auch die heutige Welt gibt für Kriegszwecke und zur Erhaltung der militärischen Kräfte jedes Jahr Milliarden von Dollar aus, weit mehr, als durch einen Krieg eingenommen werden könnte. (...) Meine jahrzehntelange Untersuchung von Führeransprachen, die Nationen mitteilten, sie würden in den Krieg ziehen, weist nicht eine auf, wo durch diese Aktion materielle Vorteile versprochen worden wären. Führer versprechen „Opfer“, und nicht Gewinn.“ (deMause, 2005, S. 111)

Ich meine, dass die klassischen Kriegstheoretiker zukünftig über den Tellerrand schauen müssen und das Gebot der Stunde ist, sich mal mit den psychohistorischen Thesen zu beschäftigen!

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