Gestern Abend meldete sich erstmals ein Vater, dessen Tochter durch den Amokläufer von Winnenden erschossen wurde, im Fernsehen bei "Maybrit ILLNER" zu Wort. Neben vielen Dingen sagte er auch einen sehr wichtigen Satz: „Tim K. hatte kein Gewissen!“ Die anschließende Diskussionsrunde beschäftigte sich dann ausschließlich mit Forderungen nach schärferen Waffengesetzen und mehr Jugendschutz bei Computerspielen. Auch in dem Offenen Brief der Opfer-Familien aus Winnenden an die Politik ging es hauptsächlich um diese Forderungen. (Von den Eltern erwarte ich allerdings auch keine tiefere Analyse, sehr wohl aber von den Medien) Zu diesen Punkten möchte ich jetzt gar nicht weiter Position beziehen.
Mich wundert allerdings, warum der Satz „Tim K. hatte kein Gewissen!“ nicht aufgegriffen wurde? Mich wundert in der medialen Diskussion sowieso, warum dieser Satz nicht zur Frage „Wie kommt es, dass ein 17jähriger kein Gewissen mehr hat?“ umformuliert eine zentrale Rolle einnimmt?
Man scheint fast davon auszugehen, dass dies wohl in unserer Gesellschaft irgendwie normal ist, dass es „zum Menschsein gehört“, dass mal der ein oder andere Amok läuft. Keiner scheint nach dem Verlauf einer Sozialisation zu Fragen, die ganz offensichtlich einen gefühlskalten jungen Mann hervorbrachte, der kein Gewissen und keinerlei Mitgefühl mehr hatte. Zumindest fanden sich in einem Text von Alice Schwarzer einige Fragen in Richtung männliche Sozialisation und am Ende die Forderung nach „aufmerksamen, zugewandten Eltern und LehrerInnen, mehr Psychologen und Sozialarbeiter in Schulen und Jugendhäusern – sowie eine Erziehung nicht etwa zum Selbstmitleid und zur "Männlichkeit", sondern zur Mitleidensfähigkeit und Menschlichkeit.“
Alice Schwarzer stand ja ursprünglich auch auf der Gästeliste der gestrigen Sendung, kam dann aber doch nicht zu Wort, schade. Diese Forderungen gehen schon mehr in die Tiefe.
Darüber hinaus sollte noch der Punkt Kinderschutz- und -fürsorge ausführlich diskutiert werden. In den Medien wird ja gerne von dem behütenden Elternhaus des Täters gesprochen, wohl weil diese wohlhabend und sehr bürgerlich sind. Man muss hier fragen, ob ein wirklich behütetes und geliebtes Kind überhaupt eine derartige Gefühlskälte entwickeln kann?
weiteres zu dem Thema:
- Amokläufer Tim K. - neue Details
- Interview mit "Beinahe-Amokläufer"
Das weltweite, enorme Ausmaß vielfältiger Gewalt gegen Kinder und die An- oder auch Abwesenheit von Mitgefühl sind für mich zentrale Aspekte der Kriegsursachen-/Extremismusforschung, denen ich hier nachgehen möchte. Meine Grundfrage lautet: Wie politisch war und ist Kindheit?
Freitag, 27. März 2009
Freitag, 20. März 2009
Fuck the world!
In dem SPIEGEL-TV Bericht „Polizei gegen Jugendgewalt, Teil 3“ (vom 09.03.2009) wurde u.a. ein (ursprünglich aus Afghanistan stammender) junger Mann während einer Vernehmung im Jugendgefängnis vorgestellt. Zu diesem Bericht möchte ich einige Gedanken zusammenfassen.
Der Mann ist ein bulliger, unruhiger Kerl, vor dem man in der Tat Angst haben müsste, wären nicht zwei Polizisten im Raum. „Einsichtig“ berichtet er, dass er bzgl. einer seiner Straftaten heute anders gehandelt hätte. Damals gab es einen Konflikt mit einem anderen Jugendlichen. Er schnitt ihm darauf ein Ohr ab. Heute würden es auch Schläge tun, meint er...
Und dann sprudelt es während der Befragung aus ihm heraus. „Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht, was ich heute bin.“ In Afghanistan herrschte überall Gewalt, berichtet er. Zu Hause in der Familie und auch draußen. Nirgends gab es Sicherheit. Er musste lernen, zu überleben. Dann zieht er sein T-Shirt aus und zeigt seine vielen Tätowierungen. Diese habe er sich nicht zum Vergnügen machen lassen. Sie seien alle Symbole. Hinten am Rücken prangt in großer Schrift „FUCK THE WORLD“. Diesen Schriftzug habe er machen lassen, nachdem sein Vater gestorben war. Die beiden Beamten im Raum verfolgen still und fast etwas betroffen (so kam es mir vor) diese Schilderungen.
Dieser Intensivtäter kommt einem in dem Bericht nah, zumindest ging es mir so. Und gleichzeitig möchte man ihn auf Distanz halten und ihm nicht alleine begegnen. Ich empfand Erschrecken und auch Mitleid für das, was dieser Mann früher erleiden musste. Vor allem das eintätowierte „Fuck the World“ brachte zum Vorschein, dass sich dieser Mann aufgegeben hat. Ich fragte mich, ob es überhaupt menschmöglich (z.B. in einer Therapie) sein könnte, an einen so tief verletzten Menschen heran zu kommen?
Gleichzeitig entschuldigt dies nichts und man muss die Gesellschaft vor ihm schützen. Da fühlte ich ganz klar eine Grenze. Und irgendwie wollte ich ihm auch zurufen: „Du bist verantwortlich für das, was Du getan hast!“
Im direkten Kontakt mit den Tätern ist dieses „Du bist verantwortlich für das, was Du getan hast!“ notwendig und das einzig richtige. Die Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen, ist nebenbei bemerkt auch für die Heilung von Tätern sehr wichtig. Erst danach könnten sie sich selbst langsam ihre Taten verzeihen und Frieden finden. In der Realität geschieht dies leider selten. In der Analyse „von oben“ würde ich der Aussage „Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht, was ich heute bin.“ zustimmen. Für mich geht das beides, ich weiß aber auch darum, dass genau dies ein Problem für viele darstellt.
Nun habe ich mich im Grundlagentext intensiv mit Diktatoren beschäftigt, von denen einige Millionen Menschen auf dem Gewissen haben. Ich vermute, dass es vielen Menschen aufstoßen wird, wenn ich die Kindheit dieser Schlächter beschreibe.
Was ich sagen will ist: Mir geht es hier um ein Grundverständnis dafür, wie Gewalt und Hass entsteht. Und dies aus präventiven Gründen. Das kann ich gar nicht oft genug wiederholen. Ich möchte die TäterInnen nicht entschuldigen! Wenn man dies begriffen hat, dann kann man sich wirklich auf das Thema einlassen. Der nächste Schritt wäre dann im Grunde der, dass man weltweiten Kinderschutz intensiv vorantreibt. Damit nicht noch mehr Menschen in ihre Seele und manch einer auch auf seinen Körper einbrennen „FUCK THE WORLD!“
Der Mann ist ein bulliger, unruhiger Kerl, vor dem man in der Tat Angst haben müsste, wären nicht zwei Polizisten im Raum. „Einsichtig“ berichtet er, dass er bzgl. einer seiner Straftaten heute anders gehandelt hätte. Damals gab es einen Konflikt mit einem anderen Jugendlichen. Er schnitt ihm darauf ein Ohr ab. Heute würden es auch Schläge tun, meint er...
Und dann sprudelt es während der Befragung aus ihm heraus. „Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht, was ich heute bin.“ In Afghanistan herrschte überall Gewalt, berichtet er. Zu Hause in der Familie und auch draußen. Nirgends gab es Sicherheit. Er musste lernen, zu überleben. Dann zieht er sein T-Shirt aus und zeigt seine vielen Tätowierungen. Diese habe er sich nicht zum Vergnügen machen lassen. Sie seien alle Symbole. Hinten am Rücken prangt in großer Schrift „FUCK THE WORLD“. Diesen Schriftzug habe er machen lassen, nachdem sein Vater gestorben war. Die beiden Beamten im Raum verfolgen still und fast etwas betroffen (so kam es mir vor) diese Schilderungen.
Dieser Intensivtäter kommt einem in dem Bericht nah, zumindest ging es mir so. Und gleichzeitig möchte man ihn auf Distanz halten und ihm nicht alleine begegnen. Ich empfand Erschrecken und auch Mitleid für das, was dieser Mann früher erleiden musste. Vor allem das eintätowierte „Fuck the World“ brachte zum Vorschein, dass sich dieser Mann aufgegeben hat. Ich fragte mich, ob es überhaupt menschmöglich (z.B. in einer Therapie) sein könnte, an einen so tief verletzten Menschen heran zu kommen?
Gleichzeitig entschuldigt dies nichts und man muss die Gesellschaft vor ihm schützen. Da fühlte ich ganz klar eine Grenze. Und irgendwie wollte ich ihm auch zurufen: „Du bist verantwortlich für das, was Du getan hast!“
Im direkten Kontakt mit den Tätern ist dieses „Du bist verantwortlich für das, was Du getan hast!“ notwendig und das einzig richtige. Die Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen, ist nebenbei bemerkt auch für die Heilung von Tätern sehr wichtig. Erst danach könnten sie sich selbst langsam ihre Taten verzeihen und Frieden finden. In der Realität geschieht dies leider selten. In der Analyse „von oben“ würde ich der Aussage „Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht, was ich heute bin.“ zustimmen. Für mich geht das beides, ich weiß aber auch darum, dass genau dies ein Problem für viele darstellt.
Nun habe ich mich im Grundlagentext intensiv mit Diktatoren beschäftigt, von denen einige Millionen Menschen auf dem Gewissen haben. Ich vermute, dass es vielen Menschen aufstoßen wird, wenn ich die Kindheit dieser Schlächter beschreibe.
Was ich sagen will ist: Mir geht es hier um ein Grundverständnis dafür, wie Gewalt und Hass entsteht. Und dies aus präventiven Gründen. Das kann ich gar nicht oft genug wiederholen. Ich möchte die TäterInnen nicht entschuldigen! Wenn man dies begriffen hat, dann kann man sich wirklich auf das Thema einlassen. Der nächste Schritt wäre dann im Grunde der, dass man weltweiten Kinderschutz intensiv vorantreibt. Damit nicht noch mehr Menschen in ihre Seele und manch einer auch auf seinen Körper einbrennen „FUCK THE WORLD!“
Samstag, 7. März 2009
Vom Fühlen eines Schwerverbrechers
Bei SPIEGEL-Online findet sich ein Bericht ("Ich bin lebendiger, als du es je warst", 06.03.2009) über den „Ausbrecherkönig“ MICHEL VAUJOUR. 27 Jahre hat dieser im Gefängnis gesessen, 17 Jahre davon in Einzelhaft. Fünfmal ist er getürmt, ein Ausbruch war spektakulärer als der andere, wird berichtet.
Im Artikel erfährt man beiläufig, wie Vaujour als 17 Jähriger aus einem Gefühl der „Sinnlosigkeit“ heraus anfing zu klauen. Von den Eltern war er als Kind früh zu einer Tante abgeschoben worden. Er sei ein „wildes Kind“ gewesen. Im Gefängnis lernt er Gilles kennen. Später folgte eine Reihe von Überfällen und Diebstählen an Gilles Seite, dessen Frau und Schwester – die für Vaujour die "einzige echte Familie" waren, die er je kannte. Dies sind kleine aber wichtige Hinweise über die familiären Hintergründe dieses Schwerverbrechers.
Bezeichnend fand ich folgende Stelle im Text:
Bei einem Banküberfall geschah das, was Vaujour heute "meinen schönsten Ausbruch" nennt: Eine Kugel aus der Waffe eines Polizisten trifft ihn im Kopf. "Als ich da auf dem Trottoir lag, diese Kugel im Kopf, hörte ich noch den Polizisten zu seinem Kollegen sagen: 'Vergiss den, der ist schon tot!' Da dachte ich bei mir: 'Ich bin lebendiger, als du es jemals warst.'"
Nach dieser todesnahen Erfahrung änderte er sein Leben, sagt der SPIEGEL.
Hier finden sich erneut Parallelen zu Fallbeispielen, die ich im Beitrag „Krieg der Kindergangs“ dargestellt habe. Menschen wie Vaujour suchen die Bedrohung und den Tod, um sich dadurch „lebendig“ zu fühlen. Das ist eine erschreckende Erkenntnis.
Menschen, die als Kind Liebe und Achtung erfahren haben, werden keine Todesnähe brauchen, um sich zu fühlen. Ihr Leben wird durch alltägliches echtes Fühlen reich sein.
Im Artikel erfährt man beiläufig, wie Vaujour als 17 Jähriger aus einem Gefühl der „Sinnlosigkeit“ heraus anfing zu klauen. Von den Eltern war er als Kind früh zu einer Tante abgeschoben worden. Er sei ein „wildes Kind“ gewesen. Im Gefängnis lernt er Gilles kennen. Später folgte eine Reihe von Überfällen und Diebstählen an Gilles Seite, dessen Frau und Schwester – die für Vaujour die "einzige echte Familie" waren, die er je kannte. Dies sind kleine aber wichtige Hinweise über die familiären Hintergründe dieses Schwerverbrechers.
Bezeichnend fand ich folgende Stelle im Text:
Bei einem Banküberfall geschah das, was Vaujour heute "meinen schönsten Ausbruch" nennt: Eine Kugel aus der Waffe eines Polizisten trifft ihn im Kopf. "Als ich da auf dem Trottoir lag, diese Kugel im Kopf, hörte ich noch den Polizisten zu seinem Kollegen sagen: 'Vergiss den, der ist schon tot!' Da dachte ich bei mir: 'Ich bin lebendiger, als du es jemals warst.'"
Nach dieser todesnahen Erfahrung änderte er sein Leben, sagt der SPIEGEL.
Hier finden sich erneut Parallelen zu Fallbeispielen, die ich im Beitrag „Krieg der Kindergangs“ dargestellt habe. Menschen wie Vaujour suchen die Bedrohung und den Tod, um sich dadurch „lebendig“ zu fühlen. Das ist eine erschreckende Erkenntnis.
Menschen, die als Kind Liebe und Achtung erfahren haben, werden keine Todesnähe brauchen, um sich zu fühlen. Ihr Leben wird durch alltägliches echtes Fühlen reich sein.