Am Sonntag (25.01.2009) sah ich im Ersten den "Weltspiegel"-Bericht "Krieg der Kindergangs".
Es ging um den aufgegebenen Stadtteil Norris Green in Liverpool. Dort beherrschen Jugendgangs die Straße. „Sie handeln mit Crack und Heroin, sind zwischen 12 und 18 Jahre alt, die meisten von ihnen bewaffnet. Jugendliche, die Krieg statt Fußball spielen, und die hier oben im Norden Liverpools jetzt die Macht übernommen haben.“, heißt es in dem Bericht.
„Was geht euch durch den Kopf wenn ihr mit den Waffen schießt?“, fragte ein Reporter.
„Glücklich. Das ist ein glückliches Gefühl. Ein normales Leben würde keiner mehr haben wollen, von uns keiner mehr. Viel zu langweilig. Wenn Du einmal in der Gang bist, willst du nicht mehr aufhören. Willst immer so weitermachen. So einfach ist das.“
Wer sich glücklich fühlt, wenn er auf andere schießt, zeigt deutlich, wie innerlich leer und tot er selbst bereits ist. Gefühlsregungen sind nur noch unter dem "Kick" von kriegsähnlichen Bedingungen möglich.
Eine solche Aussage erinnert mich auch wieder an einen Bericht, den ich bereits im Nachwort des Grundlagentextes erwähnt habe:
Am 18.10.07 gab es auf dem Sender N-TV eine Dokumentation über den „Terror der RAF“, in der auch der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock interviewt wurde. Er sagte dort aus, dass der Moment der Schleyer Entführung (damals kamen während der Entführung auch Begleiter von Schleyer ums Leben; Schleyer selbst wurde später umgebracht) und nachdem alles so „glatt gelaufen“ wäre, er sich so lebendig gefühlt habe, wie nie zuvor in seinem Leben. Wenn sich ein Mensch nur mit Hilfe von Terror „lebendig“ fühlen kann, dann sagt das viel über tiefere, emotionale Ursachen seiner Taten aus, die im Kern nichts mit politischen Zielen oder der Zeit usw. zu tun haben, wie ich meine.
Lloyd deMause zitierte in seinem Buch den Gefängnispsychiater James Gilligan, der sein Leben damit verbracht hat, Kriminelle zu analysieren: „Manche Leute glauben, bewaffnete Räuber begehen ihre kriminellen Handlungen, um zu Geld zu kommen. Aber wenn du dich hinsetzt und mit den Leuten redest, die wiederholt solche Verbrechen begehen, ist die Antwort, die du hörst: "Noch nie in meinem Leben wurde mir so viel Respekt erwiesen, als zu dem Zeitpunkt, als ich das erste Mal die Waffe auf jemanden richtete." (vgl. deMause, 2005, S. 110ff)
Die Gefühle, die oben beschrieben werden, müssen dabei im Grund unecht und von ihrem eigentlichen Sinn her entleert und abgetrennt sein.
„sich glücklich fühlen“ = Ich schieße auf Menschen
“sich lebendig fühlen“ = Ich entführe und töte Menschen
„sich respektiert fühlen“ = Menschen mit Waffen bedrohen
Das ist schon ziemlich pervers...
Ich las einmal als Schüler - ich glaube in Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ - von einem Hauptmann, der in etwa sagte: „Ich musste erst in den Krieg ziehen, um mein Leben zu lieben.“ Diese Stelle fällt mir hier wieder ein und sie beschreibt dasselbe Phänomen. Positive Gefühle werden mit Tod, Gewalt und Vernichtung vermischt. Dies erschreckt uns Menschen natürlich. Es wird aber verstehbar, wenn man sich bewusst macht, dass – so nehme ich stark an - einst auch die Eltern der Akteure positive Wörter und Gefühle mit Gewalt vermischten: „Ich schlage Dich und nenne dies Liebe“ usw. usf.
Ganz offensichtlich scheint es den Akteuren auch eine emotionale Befriedigung und Erleichterung zu verschaffen, Gewalt anzuwenden. DeMause hat hier entsprechend den sehr gut passenden Begriff von "Giftcontainern" gewählt. Eigene unerträgliche innere Gefühle von Terror, Angst, Wut usw. all das Destruktive, was auf Grund früher kindlicher Gewalterfahrungen in den Menschen brodelt, wird in diese "Giftcontainer" gepackt; dies verschafft den Akteuren ein (kurzfristiges) "gutes Gefühl".
Ich denke, dass diese Gedanken u.a. sehr gut die beiden vorangegangenen Beiträgen zur "Irrationalität des Krieges" und zum "Gaza Krieg" ergänzen. Kriege müssen im Grundsatz immer auch emotional analysiert werden. Sonst wird sich dem jeweiligen Betrachter kein komplexes Bild der Wirklichkeit offenbaren.
Sehr deutlich wird der Zusammenhang der o.g. Gedanken zur kollektiven Gewalt auch durch folgendes: Als Deutschland Frankreich 1914 den Krieg erklärte, frohlockte eine deutsche Zeitung: "Es ist eine Freude zu leben, Deutschland jubelt vor Glück." (vgl. deMause,L. 2000: Was ist Psychohistorie? Psychosozial-Verlag, Gießen, S. 133)
Nationen sind eben keine "technischen", "rationalen" Gebilde (so wie es die Sozialwissenschaft oft sieht), die für sich stehen. Sie bestehen aus Menschen, die alle eine Psyche und Emotionen haben. Wenn eine Mehrheit dieser Menschen, die eine Nation bilden, als Kind traumatische Erfahrungen machen musste, wird auch das "kollektive Glück" bei einem Kriegseintritt verständlich, so wie es auch für einzelne Mitglieder von Kindergangs und Kriminelle verständlich ist.
Mittwoch, 28. Januar 2009
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