Sonntag, 23. Oktober 2011

Neue KFN-Studie: Deutlicher Rückgang von sexuellem Missbrauch

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat im Jahr 2011 repräsentativ 11.428 Personen der Altersgruppe 16 bis 40 u.a. zu Gewalterfahrungen befragt. Das Zwischenergebnis (Langfassung hier) bzgl. sexuellen Missbrauch: 6,4 Prozent der weiblichen und 1,3 Prozent der männlichen Befragten gaben an, vor ihrem 16. Lebensjahr mindestens einen sexuellen Übergriff mit Körperkontakt erlebt zu haben. Das KFN vergleicht diese Zahlen mit einer älteren Studie im selben Hause: „Im Vergleich zur KFN-Untersuchung des Jahres 1992 ist ein deutlicher Rückgang des Missbrauchs zu verzeichnen. Damals hatten von den Frauen 8,6% und von den Männern 2,8% bis zum 16. Lebensjahr mindestens eine Missbrauchserfahrung mit Körperkontakt erlebt.“ Noch deutlicher wird dieser rückläufige Trend, wenn man sich drei Alterskohorten anschaut: „So haben die heute weiblichen 31 bis 40-jährigen der aktuellen Untersuchung bis zu ihrem 16. Lebensjahr zu 8,0% einen Missbrauch mit Körperkontakt erlitten, die 21 bis 30-jährigen zu 6,4%, die 16 bis 20-jährigen dagegen nur zu 2,4%. Bei den Männern lauten die Vergleichsquoten 1,8%, 1,1% und 0,6%.
Je jünger die Menschen also sind, desto weniger sind sie vom sexuellem Missbrauch betroffen. Das ist zunächst einmal eine sehr gute Nachricht für unser Land und bestätigt auch den allgemeinen Trend, dass hierzulande die Kinder Jahr für Jahr weniger an Gewalt erfahren. Wie schon oft von mir gesagt, wird sich damit mittel- bis langfristig die gesamte deutsche Gesellschaft enorm verändern. Weniger Gewalt gegen Kinder und eine bessere Kindererziehungspraxis bringen mehr echte Gefühle, mehr Authentizität, mehr Selbstbewusstsein, Flexibilität, Freiheit und vor allem weniger Destruktivität in allen persönlichen und auch gesellschaftlichen Bereichen mit sich.

Trotzdem bleiben die o.g. Zahlen immer noch erschreckend. (Man muss an dieser Stelle auch wieder mit Erschrecken feststellen, dass das Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Kinder vor über 100 Jahren enorm gewesen sein muss, wenn wir den o.g. Trend historisch zurückrechnen.) Wenn man sich die Bevölkerungsstruktur anschaut, dann lebten laut Statistischem Bundesamt in Deutschland im Jahr 2009 31,05 Mio. Menschen, die zwischen 15 und 45 Jahren alt waren. Die o.g. Studie bezieht sich ja auf die 16 bis 40jährigen, insofern muss man von der genannten Statistik noch einiges abziehen. Ich ziehe mal einfach 4 Mio Menschen ab. Bleiben runde 27 Mio. Ums rechnerisch leichter zu machen, teile ich diese Zahl bzgl. der Geschlechter einfach durch zwei. Gehen wir jetzt von den 6,4 Prozent der weiblichen und 1,3 Prozent der männlichen Befragten aus, die sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt angaben, dann ergibt sich daraus in absoluten Zahlen bzgl. der o.g. Altersgruppe: 864.000 Frauen und 175.000 Männer. Dabei sind wohlgemerkt die Kinder unter 16 und die Erwachsenen über 40 nicht enthalten!

Dazu kommen all die bekannten Probleme, die solche Studien aufweisen. Vor allem schwerere Missbrauchserfahrungen werden oftmals nicht oder in einem gewissen Zeitraum nicht erinnert, Erfahrungen vor dem 3. Lebensjahr werden dazu sowieso meist kaum bewusst auf Grund der Voraussetzungen des Gehirns erinnert. Diese und weitere Probleme lagen aber auch bei der Vergleichsstudie aus dem Jahr 1992 vor. Insofern ist der Rückgang der Zahlen ein realer.

Interessant ist hier noch, dass z.B. Dirk Bange alle bisher vorliegenden Studien zu der Thematik im Jahr 2002 besprochen hat und bei einer Anpassung der unterschiedlichen Definitionen von sexuellem Missbrauch zu dem übereinstimmenden Ergebnis kam, dass 10 -15 % der Frauen und 5-10 % der Männer bis zum Alter von 14 oder 16 Jahren mindestens einmal einen sexuellen Kontakt erlebt haben, der unerwünscht war oder durch die „moralische“ Übermacht einer deutlich älteren Person oder durch Gewalt erzwungen wurde. (vgl. Bange, D. 2002: Ausmaß. In: Bange / Körner (Hrsg.): Handwörterbuch - Sexueller Missbrauch. Hofgrefe-Verlag, Göttingen, S. 25)
Studien, die sich schwerpunktmäßig auf sexuelle Gewalt konzentrierten, sich auf Studierende konzentrierten (die meist zu mehr Selbstreflexion fähig sind und Befragungen an sich aufgeschlossener gegenüberstehen) oder auch z.B. durch persönliche Interviews durchgeführt wurden, scheinen meist höhere Raten festzustellen. Die Methodik und das Forschungsdesign haben immer Einfluss auf das Ergebnis. In der aktuellen KFN Studie wurde auch folgendes festgestellt:
"Im Vergleich der deutschen Befragten zu denen mit Migrationshintergrund fällt auf, dass vor allem die Frauen mit türkischem Migrationshintergrund erheblich seltener von Missbrauchserfahrungen berichtet haben, z.B. Missbrauch mit Körperkontakt bis zum 16. Lebensjahr zu 1,7%, deutsche Frauen dagegen 7,3%." Andere KFN Studien stellt bzgl. körperlicher Gewalt und Partnergewalt meist erheblich höhere Raten bei den Befragten mit türkischem Migrationshintergrund fest. Das passt insofern nicht ins Bild und scheint insofern mit dem sehr Scham- und Schuldgefühl belastetem Thema Missbrauch und/oder ggf. auch mit dem Aufbau der Studie in Zusammenhang zu stehen.

Trotzdem finde ich die aktuelle KFN Studie wichtig und bin zudem auf weitere Ergebnisse gespannt.

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