Dank eines Leserkommentars hier im Blog bin ich auf einen aktuellen Artikel in der Welt aufmerksam geworden. Bereits im Juli hatte ich ja schon etwas über Breivik und dessen Kindheit geschrieben: „Attentäter Breivik: Natural born Killer?“. Die Welt berichtet nun über neue Details aus Breiviks Kindheit:
„Als Anders Behring Breivik vier Jahre alt ist, soll die Mutter die Kinderschutzbehörde um Entlastung gebeten haben, und ein Psychologe wurde benannt, um den Bedarf zu beurteilen. Aber Entlastung war dem Psychologen zufolge nicht genug. Er beurteilte die Situation als so ernst, dass er empfahl, den Jungen unverzüglich und dauerhaft in ein Kinderheim zu bringen. Der Psychologe war der Auffassung, dass die Mutter ein gefühlsmäßig instabiles Verhältnis zum Sohn hatte. Er fürchtete, dass das Kind psychischen Schaden nehmen könnte. Der Junge kam nicht ins Kinderheim. Aber der Vierjährige wohnte eine Zeit lang bei einer Pflegefamilie. Auch die Pflegeeltern sollen besorgte Meldungen abgegeben haben.“
Man muss dazu anmerken, dass die Herausnahme eines Kindes aus seiner Familie und die Unterbringung in einem Heim die allerletzte Option der Kinderschutzbehörden ist. Wenn dies damals empfohlen wurde, dann lagen wirklich sehr ernsthafte Gründe dafür vor. Uns fehlen weitere Details, aber man kann sich vorstellen, dass Breiviks Mutter wohl nicht nur einfach überfordert war, sondern auch sehr destruktiv und für den Psychologen deutlich erkennbar auf ihren Sohn eingewirkt haben muss.
Bei diesem Thema sind die Entwicklungen fast immer die gleichen. Je mehr Details aus der Kindheit von Serientätern und Mördern ans Licht kommen, desto deutlicher zeichnen sich Gewalt- und Vernachlässigungserfahrungen ab. Nie ist es umgekehrt, findet man immer mehr Beweise für echte Liebe und Geborgenheit.
Kürzlich habe ich das Buch „Muttersöhne“ von Volker E. Pilgrim durchgesehen. Der Autor arbeitet leider etwas unsauber, was Quellenangaben angeht. Auch sein Sprachstil ist teils sehr gewöhnungsbedürftig. Ebenso ist seine Sicht teils sehr eingeengt. Trotzdem bringt das Buch dem Leser eine Wahrheit nahe: Die grausamsten männlichen Täter der Geschichte sind oftmals die, welche einen abwesenden und wenn anwesend destruktiven, strafenden Vater hatten und eine besitzergreifende, emotional missbrauchende Mutter, die ihrem Sohn ihr persönliches Leid und ihr Schicksal als ggf. entrechtete Frau aufbürdet, ihn als Partnerersatz und emotionale Krücke benutzt (man schaue auch im Grundlagentext bzgl. der Kindheit von Diktatoren). In der Psychohistorie wird von Lloyd deMause aufgezeigt, dass Kriegen oft Bilder von monströsen Frauen und vor allem Schlangenwesen und krakenähnlichen Monstern vorrausgehen. Er sieht darin – vor allem in seinen älteren Schriften – einen Zusammenhang zum Phänomen „fötales Drama“ und auch einem Geburtstrauma. Ersteres entsteht vor allem durch Rauchen, Alkoholkonsum, schwere Stress- und Angstbelastungen der Mutter, emotionale Ablehnung des Fötus, Gewalt gegen die Mutter usw. Die Bilder von Kraken, Medusa und ähnlichem sieht er hier als unbewussten Ausdruck dieses frühen Dramas. Ich teile seine Sicht, dass bereits der Fötus Destruktivität erlebt und sich dies auswirkt. Ich meine aber, dass die Krake, Medusa, Schlangenfrau usw. vor allem auch etwas mit dem emotionalen Missbrauch durch Mütter zu tun hat. Wie eine Krake umschlingen emotional missbrauchende Mütter kaum sichtbar die Psyche ihrer Kinder und saugen diese aus. Viele Kinder, die so etwas erleben, sind quasi emotionale Krücken für ihre Mütter, viele brechen unter dieser Last zusammen.
Anders als bei schlagenden Vätern, wird es für die betroffenen Kinder schwerer sein, diesen Missbrauch als eine Form von Gewalt und Grausamkeit gegen sich zu erkennen, da dieser Prozess verdeckter, geschickter, manipulativer und eben auf der psychischen Ebene stattfindet. Dazu kommt, dass es ein kulturelles Bild von der immer ihre Kinder liebenden, sich aufopfernden Mutter gibt. Die Grausamkeit von destruktiven Vätern zu erkennen, fällt sicher leichter, als die Grausamkeit der eigenen Mutter. Doch gerade das Erkennen dessen (und auch bewusste Fühlen), was einem angetan wurde, schützt die Menschen oft davor, selbst zu Tätern zu werden. Breivik war offensichtlich nicht in der Lage, die Grausamkeit seiner Mutter als solche zu erkennen. Er lebte sogar bis kurz vor der Tat noch bei ihr und seinem Manifest fügte er am Ende des Textes ein trautes Foto mit Mutter und Schwester bei. Diese Blindheit vor der eigenen Kindheitsgeschichte ist die Quelle dafür, dass solche Leute ihren Hass nach außen tragen, ohne im Grunde zu wissen, warum sie hassen. Trotzdem ist der Täter voll in die Verantwortung zu nehmen!
Aufschlusreich ist auch Breiviks Angst vor Viren, Bakterien, Ungeziefer usw. (Vergiftungsangst) und dies sogar in direktem Bezug zu seiner Mutter, der er teils mit Mundschutz gegenübertrat, aus Angst sich bei ihre anzustecken.
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