Montag, 22. November 2021

Kindheit des Ex-Nazis Stefan Jahnel

Die Autobiografie „Mythos Neonazi“  von Stefan Jahnel (2004, pro Literatur Verlag, Mammendorf) zeigt einmal mehr in Richtung Einflussfaktor Kindheit. 

Stefans Eltern trennten sich (das genaue Jahr wird nicht beschrieben). Die Ehe der Eltern war schon früh gescheitert, wie Jahnel ausführt. Und zwar bereits ab dem Zeitpunkt, wo Stefan vier Jahre alt war. Die Mutter wartete aber Jahre, bis sie sich schließlich trennte. Was Jahnel so kommentiert: „Ich denke, es war eine falsche Entscheidung“ (S. 11). Er meint: Sie hätte sich früher trennen sollen. Offensichtlich gab es häufig Konflikte in der Familie. „Die Streitereien zwischen meinem Vater und meiner Mutter führten dazu, dass ich es zuhause nicht mehr aushielt. Mein Vater arbeitete drei Tage in München und hatte dann wieder frei. Ich hasste es, wenn er aus München kam. (…) Dann mischte sich mein Vater in schulische Dinge etc. ein, was jedes Mal zu einem Familienkrach führte“ (S. 11). 

Stefan war es leid, all die Streitereien zu erleben. „Mein Wunsch war es damals, auf ein Internat zu gehen. Und mit 13 konnte ich meine Eltern dann auch tatsächlich überzeugen. Drei Tage später hat meine Mutter die Scheidung eingereicht. Dieser Schritt schien mir nur logisch, auch wenn er mich emotional berührte“ (S. 12) Es wird klar, wie schlimm es für ihn gewesen sein muss, wenn sich ein Kind in diesem Alter zu diesem Schritt entscheidet. Zwei Jahre verbrachte er im Internat und kam dann zurück zu seiner Mutter. „Meine Mutter war wieder liiert. Der Herr hieß Fred und um es ganz prägnant zu formulieren: Wir hassten uns! Zumindest hasste ich ihn“ (S. 11). 

Einmal eskalierte ein Streit zwischen ihm und dem Stiefvater. Der Stiefvater hatte Stefan und dessen weibliche Bekannte zum Essen eingeladen. Nach einem Streit lud er Stefan vom Essen aus. Die Bekannte kam trotzdem zum Essen (der Stiefvater war ein extrem guter, prominenter Koch). Stefan zündete dann aus Rache einen großen Molotowcocktail vorm Haus. Die Mutter ließ ihren Sohn daraufhin für eine Woche in die Psychiatrie einweisen.
„(…) so eine Woche Psychiatrie ist so ziemlich das Übelste, was man erleben kann. Es gibt kaum etwas Schlimmeres. Knast hätte mir weniger ausgemacht. Im Knast hat man zumindest die Chance, einen Rechtsanwalt zu bekommen, der zu 100 Prozent auf deiner Seite steht, den man auch ins Vertrauen ziehen kann. (…) Egal was mir aufgrund meiner politischen Tätigkeit passieren würde, es würde nie etwas Schlimmeres geben, als das, was ich eben erlebt hatte. (….) Die ganze Sache hatte mich ehrlich etwas aus der Bahn geworfen. Ich konnte ja nun schlecht zu meiner Mutter zurück. Mein Vater wollte mich zwar zu sich aufnehmen, aber das hieß: er und vor allem seine Frau wollten nicht mich aufnehmen, sondern einen Sohn, der ihren Vorstellungen entsprach. Und diesen Vorstellungen konnte ich auf die Dauer nicht entsprechen, und ich wollte ihr auch nicht entsprechen“ (S. 23).
Dazu muss ergänzt werden, dass Stefan bereits als Jugendlicher deutlich rechte Ansichten vertrat.  Wobei sein Vater in seiner eigenen Jugend Kameradschaftsführer in der Hitlerjugend gewesen war und Jahnel andeutet, dass sein Vater zumindest deutlich konservative Ansichten vertrat und für Politikerschelte zu haben war (S. 23f.). 

Nach dem Umzug zum Vater zog die Mutter ins Ausland. „Meine Mutter zog relativ kurze Zeit später nach Spanien, aber das tangierte mich nicht mehr. Ich war eigentlich sogar recht froh, dass sie mir nicht mehr über den Weg lief“ (S. 24). Der krasse Bruch zwischen Mutter und Sohn zeigt sich in dieser Aussage überdeutlich. 

Als 17Jähriger kam eine weitere traumatische Erfahrung hinzu. Stefan war in seine Bekannte Manu verliebt. Die Liebe seines Lebens, wie er schreibt. Manu litt wohl unter Depressionen und kam aus schwierigen Verhältnissen. Sie starb als 16Jährige bei einem Autounfall. Alles deutet darauf hin, dass der Wagen absichtlich gegen einen Baum gefahren wurde. Zusammen mit dem Fahrer war das Ganze offensichtlich als Doppelselbstmord geplant. „Am liebsten wäre auch ich gestorben, aber das Leben musste weitergehen. Allerdings bedeutete mir mein Leben zu diesem Zeitpunkt fast gar nichts mehr. Ich hätte mich sicherlich zu fast jeder blödsinnigen Aktion hinreißen lassen: Das Zeigen von Reichskriegsflaggen in Schulräumen ist verboten? Na egal, dann habe ich eben eine aus dem Fenster gehängt“ (S. 27). In der Folge drang Jahnel immer weiter in die rechte Szene ein. Über 10 Jahre war er darin aktiv. 

Es wird deutlich, dass Stefan Jahnel als junger Mensch vor allem psychosoziale Hilfen dringen gebraucht hätte. Besser noch wäre Unterstützung von Familienangehörigen gewesen. Letztere scheinen aber eher DAS Problem in seinem Leben gewesen zu sein. 


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