Sonntag, 12. Februar 2023

Islamistischer Terror: Die Kindheit der Brüder Merah

Mohamed Merah verübte 2012 in Frankreich islamistische Anschläge, bei denen sieben Menschen getötet wurden, darunter drei Kinder. Der Täter wurde später von Sicherheitskräften erschossen. Sein Bruder, Abdelkader Merah, wurde 2017 für die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen und zu 20 Jahren Haft verurteilt. 

Die Brüder Merah sind unter äußerst belastenden Umständen in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen. Beide entwickelten früh einen Hang zur Kriminalität.

Mohamed Merah musste sich erstmals im Alter von nur dreizehn Jahren vor einem Gericht verantworten. Er galt als äußerst gewaltbereit, was auch seine Mutter und die Geschwister zu spüren bekommen hatten. Seine Mutter ging er sogar derart hart an, dass Außenstehende ihre Verletzungen sehen konnten.
Seine aus Algerien stammende Mutter, Zoulikha Aziri, wurde im Alter von 18 Jahren gezwungen, einen Mann zu heiraten, der bereits verheiratet war und einige Kinder hatte. Sie folgte ihrem Mann 1981 mit einem Sohn und einer Tochter nach Frankreich, ihr Mann hatte dort Arbeit gefunden. Eine erste Tochter war noch in Algerien im Säuglingsalter verstorben, entweder krankheitsbedingt oder durch Vergiftung seitens der Mutter ihres Mannes, sie wisse es nicht genau, sagte sie vor Gericht aus (Sayare, S. 2018. Terrorist By Association. The New Republic).

Es folgte die Geburt einer weiteren Tochter und ihres Sohnes Abdelkader. Sie wollte keine weiteren Kinder und versuchte zu verhüten. Dann wurde ihr Sohn Mohamed geboren, ein ungewolltes Kind.
Ihr Mann war gewalttätig, schlug seine Frau und sandte Geld zu seiner Zweitfrau in Algerien. Irgendwann hielt es Zoulikha Aziri nicht mehr aus: “In 1992, she fled with her children to a women’s shelter, and a divorce was completed several months later, at which point whatever stability the family may have known seems to have evaporated” (Sayare, S. 2018. Terrorist By AssociationThe New Republic).

An Stelle ihres Mannes trat nun ihr eigener Bruder, er führte sich wie ein Patriarch auf, schlug seine Schwester und auch ihre Kinder. „Her eldest son, Abdelghani, began drinking heavily; he too beat his mother and his siblings, especially Abdelkader, who was flagged by social workers as a “child in danger” as early as 1995. Various testimonies suggest Abdelkader was raped by an uncle, as well. As he grew older, the middle brother exhibited a distinct sadism and was once alleged to have tied Mohammed to a bed by his wrists and ankles and beaten him for two hours with a broomstick. For most of his childhood, Mohammed would be in and out of group homes, where he could be protected from his brother. Abdelkader beat his older sisters if they smoked or stayed out late; he beat his mother, too, and she took to locking herself in a bedroom when he was home” (Sayare, S. 2018. Terrorist By AssociationThe New Republic).
Mohamed “was frequently sad, he reported—social workers indeed often found him crying, even as a teenager—and he sometimes thought of suicide. (In 2008, while in prison, he tried to hang himself.)” (Sayare, S. 2018. Terrorist By AssociationThe New Republic).

Nach seinem Selbstmordversuch in Haft wurde Mohamed in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Dort berichtet er den Psychologen von seiner Kindheit: „Seine Eltern hätten sich im Jahr 1993, als er fünf Jahre alt war, geschieden. Der französische Vater sei im Jahr 2008 nach Algerien gezogen. Seine Mutter, so berichtet Merah, sei arbeitslos gewesen und habe große Schwierigkeiten gehabt die fünf Kinder – drei Töchter und zwei Söhne – alleine groß zu ziehen. Das jüngste Kind, Mohamed, habe die Algerierin daher ins Heim gegeben. Im Alter von 6 bis 13 Jahren habe er im Heim gelebt, so Merah. Seine Schulzeit sei chaotisch gewesen“ (Flade, F. 2012. Blick in die Psyche des Mörders Mohamed Merah. Welt-Online.)

Alle drei Söhne dieser Familie tyrannisierten die eigene Mutter. Gewalt beherrschte offenkundig die gesamte Familie. Die Gewalt der Söhne traf auch den jüngsten der Brüder und die Schwestern. „Aicha, die jüngste, nahm als 17 Jährige aus diesem, von ihr als „Hölle“ bezeichneten Familienmilieu Reißaus. (…) Die ältere Tochter Souad ging 2014 mit ihren Kindern nach Syrien, wo bereits ihr Mann beim „Islamischen Staat“ angedockt hatte. Zuvor hatte sie mehrmals gedroht, `sich in der U-Bahn mit ihren Kindern in die Luft zu jagen`. Ihre Opfer wären ja `keine Unschuldigen sondern Ungläubige`“ (Leder, D. 2017. Bruder gegen Bruder im Terrorprozess. Kurier).
Auch die Mutter hatte radikale Ansichten und war antisemitisch eingestellt. „(…) als ihr jüngster, Mohamed, seine Morde begangen und als Täter identifiziert worden war, frohlockte sie: `Mein Sohn hat Frankreich in die Knie gezwungen`" (Leder, D. 2017. Bruder gegen Bruder im TerrorprozessKurier).

Scott Sayare bezieht sich an einer Stelle in seinem Artikel über die Brüder Merah auf den Anthropologen Ariel Planeix. Dieses Zitat erspart mir hier das Schlusswort, denn solcher Art Kindheiten finden sich regelmäßig bei Extremisten und Terroristen, was ich in meinem Blog vielfach aufzeigen konnte:
"Planeix had been recruited by the French Ministry of Justice to produce an internal study on the lives of several dozen “radicalized” minors, some of whom had been before the courts, and others whose cases were handled by social workers. The upheaval and trauma of the Merahs’ lives were essentially average among the cases he’d seen, he said. He viewed Mohammed as a template for the generation of jihadists that has emerged since his killings. “He’s the new face of a sort of reactive violence,” he told me, violence that is politicized but that is hardly rooted in politics. The minors Planeix studied had all been abused, abandoned, or raped, and sometimes all three; if they remained in contact with their families, their families systematically denied the existence of any such problems. Their childhoods, like the Merahs’, were an almost absurd cumulation of horrors. A growing body of research suggests that, among this new generation of jihadis, this is indeed the norm" (Sayare, S. 2018. Terrorist By AssociationThe New Republic).



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