Donnerstag, 25. Oktober 2012

James Gilligan: Gewalt. (und die tieferen Ursachen)



Der (Gefängnis-)Psychiater James Gilligan hat jahrelang – über 25, um genau zu sein – mit diversen Mördern in US-Hochsicherheitsgefängnissen gearbeitet und seine Erkenntnisse daraus u.a. in dem Buch „Violence. Reflections on Our Deadliest Epidemic“ (meine Ausgabe 2000, Jessica Kingsley Publishers, London, UK; Erstausgabe 1996 in den USA) veröffentlicht. 

Er stellt ähnlich wie der Neurologe Pincus besonders schwere Gewalterfahrungen fest:
The degree of violence and cruelty to which these men have been subjected in childhood is so extreme and unusual that it gives a whole new meaning to the term “child abuse”. (…) The violent criminals I have known have been objects of violence from early childhood. They have seen their closest relatives – their father and mothers and sisters and brothers – murdered in front of their eyes, often by other family members. As children, these men were shot, axed, scaled, beaten, strangled, tortured, drugged, starved, suffocated, set on fire, thrown out of windows, raped, or prostituted by mothers who were their “pimps”; their bones have been broken; they have been locked in closets or attics for extended periods, and one man I know was deliberately locked by his parents in an empty icebox until he suffered brain damages from oxygen deprivation before he was let out.
“ (Gilligan, 2000: 43-46) Gilligan schreibt, dass ihm  hunderte Männer erzählt haben, wie sie als Kind beinahe todgeprügelt wurden. (S.  47) 
Gilligan spannt in seinem Buch den Bogen auch weiter, geht u.a. auf die Biologie ein, soziologische Thesen, strukturelle Gewalt und auf Armut und Verelendung. Ich gebe hier nur den Anfang wieder, den Anfang von Gewaltkarrieren und von Hass, dieser liegt in der Kindheit der Täter, was der Autor vor allem im ersten Teil seines Buches beschreibt.

Er bezeichnet die von ihm untersuchten Mörder als Untote („living dead“), was deren Selbstdefinition wiederspiegelt. (vgl. S. 31-39) Diese Männer erlebten derart brutale Misshandlungen und absolute Lieblosigkeit in ihrer Kindheit, dass sie sich leer, innerlich tot, wie „Zombies“, „Steine“ oder „Vampire“ fühlten. (Er ergänzt an anderer Stelle – vgl. S. 49 –, dass auch psychische Folter in der Kindheit alleine innerlich tote Menschen hinterlassen kann.) Sie fühlten nichts mehr, außer, wenn sie sich selbst oder jemanden anderen Gewalt antaten. Ihre Identität existierte nicht. Manche freuten sich auf den körperlichen Tod, der durch die Verurteilung zum Tode bevorstand. Er käme einer Erlösung gleich. Gilligan zitiert z.B. einen Mörder, der die Reaktion seiner Mutter im Gerichtssaal, nachdem er zum Tode verurteilt worden war, kommentiert: (von mir frei übersetzt) „Als sie im Gerichtssaal anfing zu weinen … weinte Sie über etwas, das bereits tot war. … Ich war bereits tot oder etwas ähnliches wie tot.“ An einer anderen Stelle sagte dieser Mann: „Ich weiß nicht, was Leben ist.“ (S.  37) 
Man sollte an dieser Stelle nicht vergessen, dass diese Mörder ganz normal wirken konnten, wie Du und Ich.
These men do not look like „zombies“ or „vampires“, nor do they necessarily behave differently from anyone else in the course of an ordinary conversation. In fact, the most extraordinary thing about these violent men is how ordinary they often appear on the surface. No matter how many violent people I have worked with, I still find myself amazed by these ordinary-looking men, who have actually committed extraordinarily brutal, violent crimes. “(S 33+34)

Eine gängige These lautet, dass Männer selbst erlebte Gewalt überwiegend dahingehend verarbeiten, dass sie Gewalt gegen Andere anwenden, ihren Hass außen ausleben, Frauen richten – der These folgend -  ihren Hass gegen sich selbst. Gilligan beschreibt dagegen, dass die (vorwiegend männlichen) Mörder – neben ihrem mörderischen Verhalten – ihren Hass auch gegen sich richteten, sie verletzten sich selbst, fügten sich Wunden zu usw., um dadurch „irgendetwas“ zu fühlen, zu merken, dass sie noch am Leben waren. (Anmerkung: Und wenn man sich genau ihren Lebensverlauf ansehen würde, würde man wahrscheinlich unzählige Verhaltensweisen feststellen, die selbstzerstörerisch wirkten, im beruflichen, sozialen wie auch im privaten Bereich) Wenn diese Männer an den Punkt kamen, dass die Selbstverletzungen und die Gewalt gegen Andere keinerlei Gefühle mehr bei Ihnen auslösten, brachten sich sehr viele selbst um. Gilligan schreibt, dass in den USA mehr Mörder durch Selbstmord umkommen, als durch die verhängte Todesstrafe. Die Selbstmordrate unter Mördern wäre einige hundert Mal höher, als unter normalen Menschen ähnlichen Alters, Geschlechts usw. (S. 41; Anmerkung: Nachdem er in Massachusetts als Gefängnispsychiater angefangen hatte, ging die Selbstmordrate vor Ort fast auf Null zurück.)

Gilligan beschreibt in seinem Buch weiter die emotionale Logik hinter der Gewalt, vor allem auch hinter extremer Gewalt. Jedes Gewaltverhalten ist demnach emotional zu verstehen, wenn man sich mit der Psyche der Mörder und Gewalttäter befasst. Was auf den ersten Blick unlogisch und sinnlos erscheint, z.B. extreme Gewaltausbrüche auf Grund von „Nichtigkeiten“, wird emotional verstehbar, wenn man um die Hintergründe des Täters weiß. So verstehe ich Gilligan.
Der Autor spricht auch von der „logic of shame“ (Logik von Schamgefühlen) (S.  
65). Das Wort “shame” spielt in dem Buch eine zentrale Rolle. Gilligan meint damit die totale Abwesenheit jeglicher Fähigkeit, sich selbst zu lieben (bedingt durch die Abwesenheit von Liebe und Gewalterfahrungen in der Kindheit; vgl. S. 47), was eine von grundauf mit chronischen Schamgefühlen und Unsicherheiten durchzogene (und auch innerlich „tote“) Persönlichkeit hinterlässt. Nach der Besprechung eines Fallbeispiels schreibt er: „(…) the most dangerous men on earth are those who are afraid that they are wimps.” (S.  66)  (Frei übersetzt: Die gefährlichsten Menschen der Welt sind die, die Angst davor haben, als “Warmduscher” angesehen zu werden.) Die Angst vor Beleidigungen, Beschämung, Demütigungen, abfälligen Blicken, Respektlosigkeit, das „Gesicht zu verlieren“ usw. (oder sich so zu fühlen), provozierte die Mörder dazu, zu töten. Diese Angst vor „Beschämung“ hing eindeutig mit den real erlebten „Beschämungen/Demütigungen“ in der Kindheit zusammen (Anmerkung: und den „bösen Augen, Blicken“ der Eltern). 

Die meisten Mörder verbergen diese Gefühle (Männer vor allem hinter einer extrem maskulin betonten Fassade), fühlen sich aber tief beschämt. Sie fühlen sich zugleich beschämt darüber, sich beschämt zu fühlen. (S. 111) „Behind the mask of „cool“ or selfassurance that many violent men clamp onto their faces (…) is a person who feels vulnerable not just to “loss of face” but to the total loss of honor, prestige, respect, and status – the disintegration of identity, especially their adult, masculine, heterosexual identity; their selfhood, personhood, rationality, and sanity.” (S. 112) Daher, so Gilligan, werden Kriminelle (und auch Kinder, was er in Klammern einfügt) um so gewalttätiger, je mehr sie bestraft werden. Die Strafen bringen erneute Beschämung/Demütigungen mit sich. (S. 113) 

Ähnlich wie Pincus überträgt Gilligan seine Arbeit mit Einzelpersonen auch auf kollektive Prozesse und nennt als Beispiel Nazi-Deutschland und die Angst der Deutschen vor der „Schande von Versailles“, den „bösen Augen und Blicken“ der Juden usw. (S. 66ff) Er beschreibt den symbolischen Gedanken, der seiner Auffassung nach hinter dem kollektiven Morden Anfang des 20. Jahrhunderts stand: „If we destroy the Jews, we will destroy the evil eye (because they are the bearers of the evil eye)”; or in other words, “If we destroy the Jews, we will destroy shame - we cannot be shamed.(S. 69) 

Mich erinnern diese Ausführungen an zwei Erlebnisse während meiner Zivizeit in einer Drogentherapieeinrichtung. Der eine „Klient“ war ein muskelbepackter Mann, der es liebte, sich mit Ketten und Indianerschmuck zu behängen. Ich war mit ihm, einem anderen Klienten und einer Therapeutin in unserem Dienstwagen unterwegs. Neben uns hielten zwei junge Männer, die neugierig zu uns herübersahen. Daraufhin rastete der erst genannte Mann aus, fing an zu toben und wollte aussteigen, um die zwei zu verprügeln. Die Therapeutin konnte ihn irgendwie davon abhalten. Er beruhigte sich dann, fügte aber noch hinzu, dass er, wenn er draußen alleine gewesen wäre, die beiden fertig gemacht hätte.
Ein anderer Mann, der vor seinem Entzug Zuhälter war und sehr viel wert auf sein „Zuhälteräußeres“ legte, verbrannte sich einmal mit einer Zigarette seine Jacke. Daraufhin rastete er ebenfalls aus, schlug gegen Tür und Wand und ich konnte ihn kaum beruhigen.
Sofern ich etwas über die Hintergründe der Drogenabhängigen erfuhr (teils besuchte ich im Rahmen meiner Tätigkeiten auch deren Familien und bekam Einblicke, die die Therapeuten nicht hatten) , durch Gespräche oder Berichte, stellte sich bei vielen eine sehr traumatischer Hintergrund in der Kindheit heraus. Die beiden o.g. Männer waren zu „cool“, als dass sie mir etwas über sich erzählt hätten (beide brachen auch die Therapie ab, bzw. ersterer wurde durch die Polizei mitgenommen, nachdem er bei einem Anfall das Büro der Therapeuten verwüstet hatte…) . Aber auch sie werden schwere, gewaltvolle Kindheiten gehabt haben. Ihr Selbstbewusstsein, ihre Identität hingen an einem seidenen Faden. Ein falscher Blick (und sich dadurch verletzt und nicht respektiert fühlen.) oder eine kaputte Jacke reichten aus, um eine vorher entspannte Situation in eine gefährliche Situation zu verwandeln. (bei anderen Klienten reichten solche „Beschämungen“ aus, um erneut rückfällig zu werden und wieder Drogen zu nehmen.) Solche „Beschämungen“ lösen, so meine ich, quasi Flashbacks aus, Erinnerungen an die Gewalt und Demütigungen in der Kindheit. Diese unerträglichen Gefühle sollen und wollen aber nicht erneut erlebt werden. Der Ausweg der Klienten: Gewalt oder Selbstvernichtung durch Drogen (und dabei auch kurzfristiger, guter Gefühle, sich geliebt und geborgen fühlen, durch die Einnahme von Substanzen). 

Ähnliches sieht man auch auf der politischen Bühne. Die Sprache von politischen Führern verrät, um was es eigentlich geht, wenn sie davon sprechen, dass man sich von einer anderen Nation „beleidigt“ oder „gedemütigt“ fühle, dass man nicht  „das Gesicht verlieren“ dürfe usw. Wie zerbrechlich das „Selbstbewusstsein von Nationen“ sein kann, sahen wir zu letzt am Deutlichsten nach dem 11. September. Statt die Ereignisse zu betrauern und rechtsstaatliche/friedliche Wege zu gehen, reagierte die USA wie ein „gewaltbereiter Drogenabhängiger“, man schlug einfach los, auf Nationen, von denen man sich bedroht und nicht-respektiert sah, man wollte nicht als „Warmduscher“ und „Weichei“ oder als "Opfer" dastehen, man wollte die starke und mächtige Fassade wiederherstellen, ganz egal wie die eigentlichen Realitäten aussahen. 

Ich erinnere mich an dieser Stelle an die Doku „Familienkrieg“, die ich vor mehreren Jahren einmal gesehen habe und die ich nie vergessen habe. Für die Doku wurde ein Neonazi und seine Familie filmisch begleitet. An einer Stelle sagte er etwas in der Art (meiner Erinnerung nach): „Jemand, der mich beleidigt und nicht respektiert, den mach ich platt.“ Das war im Prinzip sein wesentliches Lebenskonzept: Hass und die Angst, nicht respektiert zu werden.
In einem Filmausschnitt kann man den jungen Mann und seinen Hass sehen. In der Mitte schreit er seine Mutter an: (in einem Dialekt, so dass ich das schreibe, was ich verstehe):
Du hast mir vielleicht auf den Arsch oder an die Ohren hauen können, wie ich noch ein kleiner Junge war, aber jetzt bin ich ein bisschen größer wie Du und es kann sein, dass wenn Du mich jetzt noch einmal unterbrichst, dass ich Dir eins aufs Maul haue!“ Der Vater war zudem abwesend und ist – meiner Erinnerung nach – früh verstorben und blieb vom Sohn idealisiert. Die Gewalt der Mutter gegen den Sohn wird nicht unerheblich gewesen sein, wenn man sich anschaut, wie hasserfüllt und wie unsicher in seiner Identität dieser junge Mann geworden ist.


Mittwoch, 24. Oktober 2012

TV-Doku über das "Böse" mit Scheuklappen



Der TV-Sender 3Sat befasst sich derzeit in einer Themenwoche mit dem „Bösen“. Ich selbst habe bisher nur den Beitrag „Die Natur des Bösen“ gesehen, da mich interessierte, wie Arno Gruen zitiert werden würde. Doch die Doku schaffte es, innerhalb von über 43 Minuten den groß angekündigten Psychoanalytiker und Bestsellerautor Arno Gruen kaum zu Wort kommen zu lassen.  Ich frage mich, warum befragte man überhaupt diesen Analytiker, wenn seine Thesen dann kaum dargestellt werden? Denn seine Thesen gehen ja exakt in die entgegengesetzte Richtung des Doku Titels. Gruen sieht „Das Böse“ bzw. Gewalt und Hass eben nicht als etwas typisch menschliches, naturgegebenes an, sondern behandelt in etlichen Büchern den Einfluss von frühkindlichen Gewalterfahrungen, Gehorsamsforderungen in Familie und Kultur und befasst sich mit dem Verschütten des Selbst bzw. von Gefühlen. 

Im ersten Teil der Doku berichtete Gruen von einem Mann, den er einst befragt hatte. (der einzige kurze, konkrete Interviewauszug, der auf die Kindheit eingeht) Dieser hatten Menschen die Kehlen „wie Salami „durchgeschnitten, so Gruen. Der Mann berichtete gegenüber Gruen, wie ihm seine Mutter im Alter von ca. 3 ½ Jahren mit kochendem Wasser überschüttet hatte, während des Erzählens waren da allerdings keine Gefühle, absolut nichts, „es war einfach etwas, das passierte“, so Gruen. (Sicherlich werden solche Aktionen nicht die Ausnahme im Erleben des Kindes gewesen sein, denn eine Mutter, die ihr Kind absichtlich verbrüht, ist auch zu anderen Gewalttaten fähig) Die Doku lässt Gruen dies erstens nicht weiter ausführen und zweitens kommentiert sie auch nicht. Dabei wäre gerade an dieser Stelle der Punkt, um deutlich zu machen, warum Menschen ihre Gefühle und sich selbst verlieren, es wäre die Stelle, um auf die möglichen Folgen von schweren Gewalterfahrungen hinzuweisen.  Stattdessen verliert sich der gesamte Beitrag in Zitaten eines Theologen und in Berichten über eine Fotografin, die in Kriegsgebieten arbeitet + einen Profiler von der Mordkommission ….  

Ich habe solche und ähnliche Dokus und auch Bücher schon unzählige male gesehen und gelesen. Man kratzt praktisch an den Hintergründen, man erwähnt hauchdünn das Thema Kindheit (wenn überhaupt), aber bloß nicht zu viel darüber aufdecken und berichten. Zu groß ist die Angst, zu tief sitzt kollektiv der Schmerz über die Erniedrigungen und die Gewalt, die bisher eine Mehrheit in unserer Gesellschaft als Kind erlebt hat (und sogar die, die es nicht selbst erlebt haben, spüren wohl noch irgendwie den Nachhall der Schläge und Demütigungen, den ihre Eltern und Großeltern erlitten haben). Da die Gewaltbetroffenheit hierzulande innerhalb der jungen Generation stark rückläufig ist, bin ich allerdings zuversichtlich, dass zukünftig Scheuklappen fallen werden. Es ist nur eine Frage von Zeit.

Samstag, 6. Oktober 2012

Neue Erkenntnisse und gleich ein ganzes Buch über Breiviks Kindheit



Ich wurde gestern von einer Blog-Leserin auf einen interessanten Online-Artikel hingewiesen.  Der norwegische Autor Aage Storm Borchgrevink hat umfassend  recherchiert und ein Buch (bisher nur in norwegischer Sprache) über Breivik und dessen traumatische Kindheit herausgebracht. Bewiesen scheint, dass Breivik eine psychisch kranke Mutter hatte, die ihren Sohn manches mal offen den Tod wünschte und im nächsten Moment wieder „zuckersüß“ mit ihm reden konnte. Der bereits in manchen anderen Medienartikeln geäußerte Verdacht (z.B. hier), dass Breivik auch sexuell missbraucht worden ist, wird durch den genannten Autor offensichtlich noch einmal weiter erhärtet. Vor allem wurde bisher nicht darüber berichtet, wer denn überhaupt der mögliche Täter oder die Täterin war. Borchgrevink lenkt auch hier den Blick auf die Mutter. 

Ich hoffe, dass dieses Buch auch in deutscher oder englischer Sprache erscheint. Ich werde es dann auf jeden Fall lesen. 

Menschen werden nicht zu Massenmördern, wenn sie ein paar mal als Kind angeschrien wurden, sich die Eltern trennten, es zehn mal Schläge gab und Mami oft arbeitete und zu Hause auch noch schlecht kochte. Menschen, die Massenmorde begehen, drücken durch ihre Tat bereits aus, was für tiefe Abgründe sich in ihnen verbergen und wie sie selbst als Kind seelisch ermordet wurden. Das entschuldigt gar nichts, aber es erklärt einiges. 

An dieser Stelle möchte ich auch erneut den Neurologen Pincus zitieren, der seine Erkentnisse über diverse von ihm begutachtete Mörder (über 150) wie folgt zusammenfasste: “It has been amazing to discover that the quality and the amount of „discipline“ these individuals have experienced are more like that of a prisoner in a concentration camp than a child at home.“ (siehe ausführlich über Pincus Buch im vorherigen Beitrag




Freitag, 10. August 2012

Jonathan H. Pincus: Was Menschen zu Mördern macht


Kaum ein Buch hat mich derart erschüttert und gleichzeitig so deutlich in meiner Sicht bestätigt wie „Base Instincts. What Makes Killers Kill?“ von dem Neurologen Jonathan H. Pincus (2001). Selbiger hat jahrelang Mörder, Serienmörder und Massenmörder in diversen amerikanischen Hochsicherheits-Gefängnissen befragt und begutachtet. Ein Satz bringt die wesentliche Gemeinsamkeit auf den Punkt, die er bei fast allen nachweisen konnte: „It has been amazing to discover that the quality and the amount of „discipline“ these individuals have experienced are more like that of a prisoner in a concentration camp than a child at home.“ (S. 27) Die untersuchten Mörder erlebten nicht nur einfach Gewalt, sondern extreme Formen und diese häufig und langjährig. In seinem Buch schilderte er einige Einzelfälle ausführlich und es wird einem wirklich schlecht, wenn man von diesen Kindheiten und der unfassbaren erlebten Gewalt oder eher Folter ließt.

Der Autor ergänzt, dass das Neue dabei ist, wie sich das Gehirn auf Grund von Misshandlungen verändern und Schaden nehmen kann. Seine Grundthese ist, dass Mörder als Kind misshandelt wurden, bei ihnen Gehirnschädigungen nachweisbar sind und paranoides Denken. Nur diese drei Faktoren zusammen führen u.U. zur Gewalt und zu Mord, was er in seinem Buch an Hand von Fallbeispielen nachweist. Er sagt aber auch, dass nicht alle schwer misshandelten Kinder zu Mördern werden.

Häufigen und langjährigen körperlichen und sexuellen Missbrauch durch Elternteile oder Elternfiguren fand Pincus bei den meisten ca.  150 Mördern, die er während seiner langjährigen Arbeit befragt und begutachtet hat. (vgl. S. 67) Er zitiert dabei auch eine seiner Studien, die einen fünf Jahres Zeitraum umfasste und nachwies, dass 94 % der untersuchten Mörder nachweisbar schwer als Kind  misshandelt wurden. (Anmerkung: Schwere diverse Misshandlungen in unterschiedlichen Formen erleben dagegen nur verhältnismäßig wenige Menschen. Eine deutsche repräsentative Studie wies z.B. nach, dass 1,4 % der Befragten drei, 0,8 % vier und 0,1 %  fünf schwere Formen des Missbrauchs  bzw. der Misshandlung erlebt haben. Wenn ich den Fallbeispielen im Buch folge, gehören die meisten Mörder wohl eher zu dieser Kategorie, mit einer Tendenz in Richtung fünf erlebter unterschiedlicher Misshandlungsformen.)

Bei den vielen Fallbeispielen im Buch fiel mir neben der Schwere der Gewalt auch immer wieder folgendes auf: Oft ging die Gewalt nicht nur von einer Person aus, sondern von mehreren (z.B. beide Eltern, zusätzlich andere Verwandte oder Geschwister, Pflegeeltern, in einem Fall auch Nachbarn, denen erlaubt wurde, das Kind in Abwesenheit der Mutter körperlich zu bestrafen).  Sofern ein Elternteil (i.d.R. die Mutter) nicht offen körperlich gewalttätig war, stand dieser den Gewalttaten duldend und nicht-helfend (ohnmächtig oder zustimmend?) gegenüber. Die besondere Schwere der Gewalt (der Sadismus und die Folter), der diese Mörder ausgesetzt waren, ist hier nicht wiederzugeben, da man jeden einzelnen Fall in seiner ganzen Realität ausbreiten müsste, so wie dies Pincus in seinem Buch teils getan hat. Unten gehe ich kurz auf zwei Fälle ein. Vorher möchte ich auf den Fall "Whitney" hinweisen. Pincus hat die erfahrene Gewalt, die dieser Mörder als Kind erlitten hat,  quantitativ an Hand der Gespräche erfasst. Der Vater pflegte den Jungen innerhalb eines festen Rituals körperlich zu bestrafen. Der Junge wurde so positioniert, dass er sich nicht bewegen oder wehren konnte. Der Junge durfte auch nicht weinen oder sich ansatzweise sträuben, ansonsten riskierte er noch mehr Schläge. Er wurde auch gezwungen, seinen Kopf in einem Kissen zu vergraben und seinen Vater bei der Ausübung der Prügel nicht zu beobachten. (Da eine Schwester berichtet hat, dass sie ihren Vater nach einer Prügelorgie draußen hat masturbieren sehen, könnte dies auch während dieser Prügel geschehen sein und der Grund dafür, warum der Junge sich nicht umdrehen durfte) Mit einem Gürtel schlug der Vater dann ca. 10 bis 20 mal auf diverse Körperstellen. Diese Prügel konnten einige Minuten andauern. In dieser Form fand die Gewalt  zwei bis drei mal die Woche statt, das ganze über 10 Jahre lang, ab dem Alter von 5 Jahren bis "Withney" 15 wurde. (vgl. S. 144) Ich habe einmal nachgerechnet. Dieser Junge bekam pro Woche den Angaben folgend im Minimum ca. 20, im Maximum ca. 60 sadistische Schläge; im Min. 80  und im Max. 240 pro Monat; im Min. 9.600 und im Max. 28.800 innerhalb von 10 Jahren (sprich 120 Monaten)! Und dies sind nur die Angaben bzgl. der ritualisierten (nicht außerordentlichen) körperlichen Gewalt und auch nur die des Vaters. Denn "Whitney" wurde auch von seiner Mutter misshandelt, die sich dafür eine Art Peitsche gebastelt hatte. Außerdem kam auch sexueller Missbrauch in dieser Familie vor. .

Eines fand ich auch besonders aufschlussreich. Pincus berichtet, dass von allen Gewalttätern und Mördern, die er befragt hat, zunächst zwei Drittel sagten, dass sie keine Kindesmisshandlung erlebt hätten. (vgl. S. 159) Wenn er diese Fälle nicht weiter untersucht hätte, so Pincus, wäre er wohl nicht darauf gekommen, dass Misshandlungserfahrungen besonders weit unter Gewalttätern verbreitet sind. Er erklärt sich die ersten Antworten der Befragten damit, dass viele sich nicht an die erlebte Gewalt  erinnern können (oder wollen) und zusätzlich auch weiterhin Angst haben, darüber zu sprechen.
Pincus beschreibt auch ausführlich den Fall eines Mörders – mit Namen Ray -, der selbst sagte, er sei nicht misshandelt worden. (vgl. S. 106ff) Ray ging konform mit der „harmonischen“ Geschichte, die seine Mutter, sein Bruder und sein Stiefvater seinem Anwalt erzählt hatten. Sein Vater – Jack – wurde als „guter Mann“ , „guter Ehemann“ und „guter Vater“ beschrieben, der besonders gut zu seinem Sohn Ray war. Dieser tolle Mann verstarb früh an Leukämie. Und sein Sohn hätte dies wohl nicht gut vertragen und sei daraufhin zum Alkohol gekommen und zum Mörder geworden. Während Ray dies Pincus erzählte, wirkte er wenig glaubhaft auf ihn.
Pincus führte daraufhin ausführliche Gespräche mit Familienmitgliedern und stieß auf die wahre Geschichte. Rays Vater war ein Alkoholiker (und ehemaliger Soldat), der seine Frau und Kinder schlug, dies immer heftiger und häufiger, je mehr er dem Alkohol verfiel. Die Konflikte zwischen den Eltern eskalierten immer mehr und das Leben der Mutter wurde sogar ernsthaft bedroht.
Rays Vater schlug ihn u.a. mit Stöcken, Gürteln, Schnallen, einer Gitarre und einem Gewehrrohr. Manchmal nahm der Vater seinen Sohn einfach mit auf lange Reisen, um sich an seiner Frau zu rächen und drohte  ihn zu seiner Großmutter in einen anderen US-Staat abzuschieben. Auch während dieser Reisen wurde der Sohn mit einer Peitsche misshandelt (bis er blutete), die der Vater extra für diesen Zweck im Auto aufbewahrt hatte. Als Rays Mutter einmal auf so einer Reise dabei war, goss sie Alkohol auf die Wunden ihres Sohnes, angeblich um ihm zu helfen. Als Ray nach diesem Vorfall gefragt wurde, ob dies nicht Schmerzen verursacht hatte, rollte er mit den Augen und sagte: „Gott, hab erbarmen!“. Auf Rays Rücken fand Pincus diverse Narben, die von den Misshandlungen stammten. Im Alter von zwölf Jahren gab es wieder einen handfesten Streit zwischen seinen Eltern. Ray schrie seinen Vater an: „Warum stirbst Du nicht?“Eine Woche später starb der Vater an Leukämie und Ray fühlte sich dafür schuldig. Soviel zu dem „tollen Vater“ und der „harmonischen Kindheit“ dieses Mörders... 

Ich erinnere mich an dieser Stelle, dass nach Amokläufen routinemäßig in den Medien das behütende, durchschnittliche bürgerliche Elternhaus des Täters beschworen wird und die Unerklärlichkeit der Tat. Die Tatsache, dass zwei Drittel der befragten Mörder zunächst abstritten, misshandelt worden zu sein, Pincus aber bei fast allen eine schwere Misshandlungsgeschichte fand, sollte nachdenklich machen, vor allem auch die JournalistInnen, die über solche Mörder berichten.  

Besonders interessant fand ich das Kapitel „Hitler and Hatred“ (ab Seite 178) im Buch. Pincus verknüpft seine Erkenntnisse darin mit möglichen politischen Prozessen, wie sie in NAZI-Deutschland stattfanden. Er bezieht sich auf den Historiker Goldhagen, der davon ausgeht, dass mehr als 500.000 Deutsche während dieser Zeit aktive Täter und Mörder waren. Pincus vermutet, dass diese Mörder in ganz besonders hasserfüllten und misshandelnden Familien aufgewachsen sind. 

Er behandelt in diesem Kapitel auch den Fall des Mörders „Trent“. Trents Eltern waren misshandelnde Alkoholiker und er wurde im Altern von drei Jahren per Gerichtsbeschluss  zusammen mit seinem Bruder aus der Familie genommen und zu einem Onkel gebracht. Auslöser für diesen Weg war eine Situation, in der Trents Vater ein Messer über einer Flamme heiß machte und damit zur Strafe Trent verbrannte. Der Onkel, zu dem Trent kam, war allerdings ebenfalls Alkoholiker, der Trent und seinen Bruder regelmäßig schwer verprügelte, dabei u.a. einen Gürtel, Fäuste oder andere Instrumente verwendete. Einmal, als der Onkel total die Kontrolle verlor, trat er Trent so heftig auf den Kopf, dass Pincus bei seiner Begutachtung des Erwachsenen immer noch die Narbe deutlich vorfand.  Der Onkel dachte sich auch andere Grausamkeiten aus, z.B. musste Trent nackt in der Ecke stehen und durfte sich nicht herum drehen, sonst wurde er mit einem Gürtel verprügelt. Da er sich nicht herumdrehen durfte, sah er auch nicht, wann sein Onkel kam, um ihn zu kontrollieren. Schläge kamen dann quasi aus dem Nichts über ihn. Diese Folter konnte über Stunden andauern. Der Onkel zwang beide Brüder auch dazu, quasi in einer Art Gladiatorenkampf  zu seiner Unterhaltung gegeneinander anzutreten. Zusätzlich missbrauchte er die Jungen sexuell, zwang sie zu Oral- und Analsex, bei Trent bereits ab dem Alter von vier Jahren. Trents Tante unternahm nichts gegen all dies und war ebenfalls Opfer von Schlägen durch ihren Mann.
Einmal wollte der Onkel zur Strafe die Finger einer Hand von Trent mit einem Beil abtrennen und verfehlte diese, traf aber noch einen Finger, so dass Trent von seiner Tante ins Krankhaus gebracht werden musste. Dadurch kamen die Misshandlungen heraus und die Brüder kamen zunächst in eine Pflegefamilie; danach wurde Trent in diversen Einrichtungen untergebracht. .Auch in einigen Pflegefamilien wurde Trent erneut schwer verprügelt und sexuell missbraucht.
Das Unfassbare: Sein Onkel holte Trent für manche Wochenenden oder auch Urlaube aus den Pflegefamilien. Erneut wurde er sexuell missbraucht und sogar dazu gezwungen, bei der Vergewaltigung seiner Tante mitzuwirken. Der Onkel redete Trent dann ein, dass ihm all die Gewalt widerfahren sei, weil seine Tante nicht die sexuellen Dinge mit dem Onkel getan hatte, die dieser sich gewünscht hatte. Trent entwickelte daraufhin einen enormen Hass auf diese Tante und auf Frauen allgemein.
Diese Tante missbrauchte den Jungen ebenfalls sexuell, veranstaltete regelmäßig „Badetage“, ließ sich von ihm "waschen" und „wusch“ ihn. Bereits im Alter von 17 Jahren kam Trent ins Gefängnis, nachdem er erneut eine Lehrerin schwer angegriffen hatte (vorher hatte er eine andere Lehrerin fast vergewaltigt). Dort vergewaltigte er eine weibliche Wärterin. Später brachte er ohne Skrupel "einfach so" einen Mithäftling um. 

Was wäre, fragt sich Pincus, wenn jemand wie Trent einen politischen Führer – so wie Hitler  - hätte sagen hören: „Die Frauen sind unser Unglück“, „Die Juden sind unser Unglück“?  Was wäre, wenn so jemand gehört hätte, dass die Juden für Pornographie verantwortlich sind, für Unmoral, dass sie Krankheiten übertragen, dass sie schwach sind und keine Menschen, so wie Hitler es tat? So eine Nachricht wäre bei Jemandem wie Trent sehr willkommen gewesen, so Pincus, genau wie diese Nachricht bei vielen Deutschen willkommen geheißen wurde. Er fragt sich weiter, was gewesen wäre, wenn jemand wie Trent Anführer in einem Lager geworden wäre, mit dem Auftrag, Frauen und Homosexuelle zu töten.  Pincus schreibt, dass er zu wenig Daten hat, glaubt aber auf Grund seiner Arbeit mit unzähligen Mördern, dass Trent und Hitler sehr viel gemeinsam haben. Und er hat Recht damit, wenn man um die Kindheit von Hitler (auf diese geht Pincus auch kurz ein) weiß oder auch um die Kindheit der meisten Deutschen, die vor allem Lloyd deMause beschrieben hat.
Am Ende des Kapitels schreibt der Autor, dass die beste Prävention von Gewalt und Terror Kinderschutzprogramme sind. Und wie Recht er damit hat!

Studien wie diese machen den Blick frei auf das Wesentliche. Abgründe tun sich auf. Man muss aber dort hineinschauen, um zu verstehen, wie Menschen zu grausamen Mördern werden können. Und man wird daraufhin auch den von mir oft formulierten Satz ableiten können:
Wirklich geliebte Kinder werden nicht zu (Massen)Mördern, Serienkillern oder Terroristen!



Siehe ergänzend: 

 "Stephen Harbort: Das Serien-Mörder-Prinzip."

"James Gilligan: Gewalt." 

Donnerstag, 9. August 2012

Was hat Kindesmisshandlung mit Umweltzerstörung zu tun?

 Kindesmisshandlung als gewichtige Ursache von Umweltzerstörung.

Auf den ersten Blick scheint die Frage im Titel vielleicht eine ungewöhnliche Verknüpfung zu sein. Die Fragezeichen lassen sich eingangs ganz leicht aus dem Weg räumen, wenn man sich ein Teil-Ergebnis der ACE-Studie anschaut. 

Die amerikanische Kaiser Permanente Krankenversicherung hat ab 1995 eine Studie mit Daten von 17.421 Versicherten bzgl. dem Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, kurz ACEs, die u.a. emotionale, körperliche, sexuelle Misshandlungen und emotionale und körperliche Vernachlässigung beinhalten) und dem Gesundheitszustand durchgeführt. Es wurde dabei u.a. ein starker Zusammenhang zwischen Kindesmisshandlung (ACE Werten) und Rauchen festgestellt. (siehe den Text “The Relationship of Adverse Childhood Experiences to Adult Health:  Turning gold into lead”, S. 4 ) Am wenigsten Raucher (ca. 7 %) fanden sich in der Gruppe der Befragten, die über keinerlei Misshandlungserfahrungen (ACEs) berichteten. Mit jedem einzelnen ACE Wert, der angegeben wurde, stieg auch der Anteil der Raucher. Am häufigsten rauchten entsprechend die Personen, die über 6 und mehr ACE Werte berichteten (fast 18 % von diesen Personen rauchten). Rauchen ist ein selbstzerstörerischer Akt. Wer um die möglichen  Folgen von Kindesmisshandlung weiß, der wird sich über das aufgezeigte Ergebnis wenig wundern. 


Was aber hat Rauchen mir Umweltzerstörung zu tun? Sehr viel. Mensch lese sich den Greenpeace Magazin (Ausgabe 6/11) Artikel „Rauchen zerstört die Umwelt“ durch. Weltweit wurde, dem Artikel folgend,  zwischen 2000 und 2005 rund 13 Millionen Hektar Wald in etwa die Fläche von Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zusammen für den Tabakanbau abgeholzt. Monokulturen, Pestizide, Kunstdünger und Holzverbrauch (auch Tropenholz) für die Trocknung des Tabak tun ihr Weiteres zur Zerstörung der Umwelt. Ein enorm großes Problem ist auch der (Gift)Müll, der durch weggeworfene Zigarettenkippen entsteht. 40 Liter Grundwasser werden durch eine einzige weggeworfene Zigarettenkippe  (die unzählige Giftstoffe enthält) verunreinigt.  „Laut UN-Umweltprogramm stammen 40 Prozent des Mülls in den Weltmeeren aus Kippen und Verpackungen das ergab eine Untersuchung im Mittelmeerraum. Zigaretten und Zigarettenfilter machen demnach außerdem den weltweit größten Anteil an Müllobjekten an den weltweiten Stränden und Küsten aus. Jährlich würden laut UN doppelt so viele Kippen wie Plastiktüten gefunden.“, schreibt das GM. (Dazu kommen andere destruktive Auswirkungen, wie Kinderarbeit im Tabakanbau. In Malawi sind z.B. in der Hauptsaison bis zu 150.000 Kinder am Schuften. Ein zynischer Zusammenhang, wenn man bedenkt, dass misshandelte Kinder später häufiger rauchen und dadurch wiederum Kinderarbeit „beauftragen“.)
Raucher zerstören sich selbst, aber auch ihre Umwelt. Rauchen hängt erwiesenermaßen stark mit belastenden Kindheitserfahrungen zusammen. Insofern ist es nicht übertrieben zu schreiben, dass Kindesmisshandlung auch etwas mit Umweltzerstörung zu tun hat. 

Dieses Thema lässt sich sicher auch noch weiter ausbauen. Beispiele für extreme und irrsinnige Umweltzerstörung gibt es zu Hauf. Es ist noch nicht all zu lange her, dass gesetzlich erlaubt  Atommüll im Nordatlantik versenkt werden durfte (der mittlerweile wieder auftaucht und sogar in Fischen nachweisbar ist). Wer damals  solche Gesetze geschaffen und wer solche Fässer im Meer versenkt hat, muss emotional blind sein und unter Realitätsverlust leiden.  Es bedarf eines hohen Verdrängungspotentials, wenn solche Dinge geschehen. Genau dieses Ausblenden von Emotionen und Realitäten, von Auswirkungen auf das eigene Handeln trifft auf viele willentliche und direkte (aber auch indirekte) Handlungen zu, die die Umwelt zerstören. Das Ausblenden von Emotionen und Realitäten ist auch etwa, was Kinder brauchen, um in einer Atmosphäre der familiären Gewalt zu überleben. „Das geschieht mir nicht“; „Meine Eltern sind doch lieb“; „Gewalt ist Fürsorge und Liebe“ usw. das sind Verdrehungen der Wirklichkeit, die Eltern durch ihr gewaltvolles Handeln und ihre Äußerungen (gezielt) auslösen. Gewalt gegen Kinder bedingt auch manches mal Denkblockaden (aus den genannten Gründen). 

Mir scheint, dass das weltweite Wegsehen bzgl. der Realitäten (des von Menschen gemachten Klimawandels und der Zunahme von Umweltkatastrophen) sehr viel mit destruktiven Kindheitserfahrungen zu tun hat. Bei vielen Menschen, denen ich im Alltag begegne, stelle ich auch eine Art „Starre“ fest. Man kann ja eh nichts tun und ändern, die Politik muss es richten usw. Man ergibt sich der Ohnmacht oder besser gesagt man gibt sich ihr hin. Dabei kann jeder etwas im Alltag tun, was schon beim Kaufverhalten oder der Wahl des Stromanbieters  anfängt. 

Es wäre zudem interessant, z.B. die Kindheiten von Greenpeace Mitgliedern mit den Kindheiten von Nicht-Mitgliedern und zusätzlich auch Menschen, die Greenpeace ablehen zu vergleichen oder die Kindheiten von überzeugten Ökostromkonsumenten (oder auch deren Produzenten) und überzeugten Atomstromkonsumenten (und deren Produzenten). Das hört sich vielleicht etwas merkwürdig an (weil solche Verknüpfungen bisher nicht gestrickt wurden), aber ehrlich, ich vermute, dass sich dabei signifikante Unterschiede feststellen ließen. 

Selbstzerstörung in diversen Ausformungen (z.B. Drogenkonsum, Prostitution, Soldatenberuf, selbstverletzendes Verhalten, Suizid) sind typische mögliche Folgen von Kindesmisshandlung. Ich habe noch in keinem einzigen Buch über Kindesmisshandlung gelesen, dass auch die Selbstzerstörung durch Umweltzerstörung eine mögliche Folge von Kindesmisshandlung sein kann. Dieser Bereich ist gänzlich unerforscht und es wird noch nicht einmal darüber nachgedacht. In Anbetracht der massiven weltweiten Umweltzerstörung (und der extrem weit verbreiteten Gewalt gegen Kinder) ist dies eine fahrlässige Lücke. 

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass Kriege massive Auswirkungen auf die Natur und Umwelt haben. In Kriegszeiten werden gedankenlos Fabriken bombardiert, Abwasserkanäle zerstört, Uranmunition oder gar Chemiewaffen eingesetzt, Entlaubungsmittel versprüht (z.B. in Vietnam) oder wie im 2. Weltkrieg geschehen Atombomben eingesetzt. Da die (massenweise) Misshandlung von Kindern in einem direkten starken Zusammenhang zu der Entstehung von Kriegen steht (die Grundthese dieses Blogs) wird einmal mehr deutlich, dass Kindheiten Auswirkungen auf den Umgang mit der Natur haben. 

Klimaschützer und Umweltschützer müssen immer auch Kinderschützer sein, sie müssen für den Schutz von Kindern vor Gewalt, für die Lebendigkeit und Lebensfreude von Kindern und deren freien Eigenwille eintreten, wenn sie langfristig viel bewirken wollen.