Sonntag, 26. Oktober 2008

5. Die „offizielle“ Traumatisierung durch die militärische Ausbildung ähnelt der häuslichen Traumatisierung von Kindern

Die Ausschaltung des Mitgefühls und die Unterwerfung unter eine Autorität ist ein wesentliches Ziel der militärischen Ausbildung, die „bestenfalls“ auf die Vorerfahrungen in der Familie aufbaut, wie oben aufgezeigt.
Militärische Erziehung schließt immer rigide Demütigungen erwachsener junger Menschen ein, die Würde der Person gerät gänzlich aus dem Gesichtsfeld. Die Armee als „Erziehungsanstalt der Nation“ soll zur angemessen Zeit eine harte Schule für junge Männer sein, um selbst hart zu werden, gehorchen und befehlen zu lernen und Männlichkeitsvorstellungen zu erfüllen. Das militärisch eingepasste, harte Individuum muss schließlich die Ehrfurcht vor seinesgleichen zurückstellen, da es Lehrgänge absolviert, die die Fertigkeit vermitteln, Menschen umzubringen. (vgl. Gamm, 1986, S. 103ff)
Die griechische Folterschule der Militärjunta (1968-74) ist ein anschauliches Beispiel dafür. In ihr wurden neu rekrutierte Auszubildende zunächst drei Monate lang systematisch „wie der letzte Dreck behandelt und gequält“. Nach Beendigung dieser erniedrigenden „Ausbildung“ wurde ihnen aber in einer feierlichen Übergabe ihrer neuen Uniform zugesichert, dass sie nunmehr ganz vorne stehen und die Elite der Nation darstellen sollen. (vgl. Mentzos, 1995, S. 80)
Einem Bericht aus dem Jahr 2001 ist zu entnehmen, dass unter 18-jährige Rekruten in der Britischen Armee schwer schikaniert und erniedrigt wurden, dies schloss Scheinhinrichtungen, Simulation von Vergewaltigungen, "Regimentsbäder" in Erbrochenem und Urin und das erzwungene Essen von Schlamm ein. (Globaler Bericht über Kindersoldaten, 2001) Ein anderen Bericht über die Schikanierung von britischen Marine-Rekruten enthüllte Fußtritte, bis ein Rekrut das Bewusstsein verlor, Elektroschocks an Genitalien und den Zwang, nackt durch dorniges Buschwerk zu robben. Die Misshandlungen galten als heimliche Initiationsriten. (vgl. SPIEGEL-Online, 27.11.2005)
Bzgl. der militärischen Ausbildung in den USA möchte ich den Kriegsfilm „Full Metal Jacket“ (1987) anführen, der wie kein Zweiter ein Abbild der militärischen Realität liefert. Die Rekruten im Film sollen durch physische und vor allem auch psychische Gewalt einer Gehirnwäsche unterzogen und zu Killermaschinen umgeformt werden. Ihnen wird ihr Status als Männer und als Menschen abgesprochen. Ihre alte Persönlichkeit wird ausgelöscht. Einziges Ziel: Aus Menschen sollen Waffen werden und Befehle sollen sie wie Maschinen ausführen. „Es steht zu fürchten, dass Kubrick (Anmerk. der Regisseur) in seinem Film gar nicht mal zu sehr übertreiben musste. Bekanntlich war Lee Ermey, der Darsteller Hartmans (Anmerk. der Ausbilder im Film) früher tatsächlich Marineausbilder und war ursprünglich nur als eine Art Berater engagiert worden. Da er bei seinen Demonstrationen jedoch so authentisch wirkte, ließ Kubrick ihn schließlich die Rolle seines Lebens spielen. Daraus ergibt sich, dass die Darstellung in „Full Metal Jacket“ weniger Satire denn Abbildung einer absurden Realität ist. Eine Abbildung, die nicht wirklich übertreibt sondern nur die Sache auf die Spitze treibt.“ (Filmkritik von Siegfried König siehe http://www.filmzentrale.com/rezis/fullmetaljacketsk.htm)

Dass die o.g. filmische Darstellung durchaus realitätsnah ist, zeigt z.B. auch ein Medienbericht zur Ausbildung auf Parris Island, dem Bootcamp des „United States Marines Corps". Der Bericht schildert das Kahlrasieren bei der Ankunft, das Stigmatisieren von Schwächeren und Übergewichtigen, Einschüchterungen, das permanente Anschreien, strikten Drill, sinnlose Befehle und die ständige Erzeugung von Stress. Die Kommandierenden verbaten den Reportern Interviews mit den jungen Soldaten. Man wollte nicht, dass plötzlich jemand in normalem Ton zu dem Rekruten spricht, der dann vielleicht noch „Ich" sagt. „Ich" und „Du" gibt es während der Grundausbildung nicht, man darf nur „dieser Rekrut" oder „jener Rekrut" sagen. Das soll das Individuum ausschalten (vgl. diepresse.com, 19.04.2008)

Auch in Russland gilt der Wehrdienst als „Lehranstalt der Männlichkeit“. Jeder zwanzigste Einberufene hat darüber hinaus bereits eine kriminelle Vergangenheit hinter sich. „Die Streitkräfte ziehen die Aggressivität der Gesellschaft ein und geben sie später wie aus einem Gewaltkraftwerk potenziert wieder ab.“ (Die Zeit, 2004) An diesem Punkt wird erneut deutlich, dass Armeen sich gezielt Rekruten bedienen (bzw. diese anziehen), die bereits eine problematische Sozialisation hinter sich haben.
Die russische Armee hat - nach diesem ZEIT-Bericht - sogar in ihrer Dienstsatzung festgeschrieben, dass der Wehrdienstleistende standhaft Belastungen und Entbehrungen zu dulden habe. Schmerz zu ertragen gehört danach zum Inbegriff des Soldatentums und dient der Abhärtung für den Kampf. Die informelle Hierarchie wird dort allgemein „Großväterherrschaft“ genannt. (Dass sich diese Gewalt-Hierarchie namentlich auf Großväter bezieht, könnte ein Hinweis auf Gewalt in russischen Familien sein)
Die zweijährige Dienstzeit teilt sich in vier Halbjahre: „Während der ersten beiden ist der »Geist«, »Schildkröte«, »Elefant« oder »Schnürsenkel« genannte Rekrut zur Demütigung und Folter freigegeben. Wenn die Dienstälteren das zivile Wertesystem aus ihm herausgeprügelt haben, kommt er in den letzten beiden Halbjahren selbst in den Genuss des Peinigens. Er heißt dann »Fasan« oder »Großvater«.“ (ebd.)
Die „Großväterherrschaft“ sieht u.a. wie folgt aus: Schläge mit Stiefeln auf die Brust, mit Gürtel und Gürtelschnalle auf die Schienbeine, mit Stöcken auf die Nieren und dem Hocker auf den Kopf. „Rekruten müssen mit bloßen Händen die Toiletten putzen, Zigaretten essen und Chlorkalklösung trinken. Sie werden gezwungen, sich über das untere Doppelbett zu hängen, bis die Kräfte nachlassen. Sobald sie fallen, werden sie verprügelt. Die Übung heißt »das Krokodil trocknen«. Um die Nerven besonders zu kitzeln, stellen die Peiniger manchmal einen Dolch ins untere Bettzeug. Sollte der Rekrut hineinfallen, findet sich später der Vermerk »unvorsichtiger Umgang mit Waffen« im Untersuchungsbericht.“ (ebd.)
Laut einem Bericht von amnesty international aus dem Jahr 2005 starben 16 russische Soldaten an diesen brutalen Einführungsritualen. 276 Soldaten begingen Selbstmord, mindestens die Hälfte von ihnen brachte sich wegen Erniedrigung durch Vorgesetzte um. (vgl. amnesty, 2007) Ein ehemaliger Rekrut berichtet rückblickend auf diese Ausbildung und bzgl. der Folgen für sein Leben in der Zivilgesellschaft: „Uns haben sie damals die Bremsen gelöst, und jetzt baut uns keiner neue ein“ (Die Zeit, 2004)
Kümmel / Klein (2002) merken an, dass das Beispiel des russischen Militärs keinesfalls als Einzelfall dasteht. „Der Kollaps militärischer Disziplin und die Aufweichung eines militärischen Ehrenkodexes mit der Folge gravierender Verfehlungen von Soldaten gegen Kameraden sind nicht auf die Streitkräfte autoritärer oder totalitärer politischer Systeme oder auf Zeiten massiver gesellschaftlicher Transformation, gesellschaftlicher Krisen und sozialer Anomie beschränkt. Entsprechende Berichte finden sich für Streitkräfte aus allen Teilen der Welt.“ (Kümmel / Klein, 2002, S. 218)

Mein Eindruck nach meinen Recherchen ist, dass die Brutalität und gezielte Gewalt gegenüber Rekruten gerade in den Armeen hoch bzw. noch systematischer zu sein scheint (z.B. Russland oder USA), die auch stets mit realen Kampfeinsätzen rechnen oder zu tun haben. Vielleicht ist es also auch kein Zufall, dass ein deutscher Misshandlungsskandal in der Bundeswehr gerade von zwei Zugführern ausging, die nach ihren Auslandseinsätzen in Afghanistan und im Kosovo die Idee hatten, auch mit 163 Rekruten Geiselnahmen zu üben. Die Scheingeiselnahmen im Sommer 2004 in Coesfeld arteten offensichtlich in sadistische Exzesse aus: Den Rekruten wurden die Augen verbunden, sie bekamen Fußtritte, Schläge und demütigende Worte, ihnen wurde Wasser in die Hose gespritzt und Sand nachgeschüttet, andere wurden mit Stromstößen eines Feldfernsprechers traktiert. Die Rekruten schwiegen über die Vorfälle. Sie hatten die simulierten Geiselnahmen offensichtlich als Ausbildung empfunden und/oder Angst, als Schwächling dazustehen. (vgl. DER SPIEGEL, 20.03.2007)
Aufschlussreich bzgl. der Gewalt in der deutschen Armee ist auch die Studie „Gewalt gegen Männer“. In der Befragung zeigte sich, dass viele erlebte Gewaltakte in der Wehrdienstzeit von den Männern als „selbstverständlich“ angesehen werden. Daher gab es häufig eine Übereinkunft von Interviewer und Befragten, nur über solche Erfahrungen zu reden, die „über das normale Maß“ hinausgehen. Trotz dieser Einschränkung ergaben sich folgende Ergebnisse: Drei von fünf Männern, die Wehrdienst geleistet haben, berichten, schikaniert, unterdrückt, schwer beleidigt oder gedemütigt worden zu sein (63 von 107). Ein Drittel (31 von 107) gibt an, gezwungen worden zu sein, etwas zu sagen oder zu tun, was sie absolut nicht wollten. Jeder Sechste (17 von 107) ist eingesperrt, gefesselt oder anderweitig in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden. In den offenen Nennungen berichten die Befragten zusätzlich von ungerechter Behandlung und Ausnutzen einer Machtposition durch Vorgesetzte. Außerdem wird von sinnlosen und demütigenden Tätigkeiten erzählt, zu denen sie gezwungen wurden. Zwischen den Soldaten wird über Rituale berichtet, „bei denen man sich unterwerfen muss“. (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2004b)

Die militärische Ausbildung macht Rekruten - wie oben dargestellt - gezielt zu Opfern, die real traumatisiert werden und dies nach Wolf (1993) im „psychopathischen Stil“ durch eine Spaltung verarbeiten und integrieren bzw. pseudoverarbeitet und pseudointegrieren. Bei den Rekruten wird quasi eine „paranoide Kampfhaltung“ herangezüchtet, die neben der Normalpersönlichkeit besteht und in der Pararealität „Krieg“ aktiviert werden kann. Eine solche Persönlichkeit erinnert nach Wolf an die posttraumatische Belastungsstörung bzw. die traumatisierte Persönlichkeit. Die gespaltene Persönlichkeitsstruktur wird von der Realität entsprechender Kampfsituationen geradezu als notwendige Überlebenstechnik gefordert bzw. neben der Ausbildung durch eben diese erlebte Kampfrealität (durch erneute Traumatisierung) reproduziert und verstärkt. Wolf greift in diesem Zusammenhang auch auf das Konzept der Borderline-Persönlichkeitsstörung zurück.(Für ein tieferes Verständnis dieser Störung siehe Dulz & Scheider (2001) ) Bei dieser Störung steht u.a. die Spaltung in „gut“ und „böse“ – mit entsprechenden Gefühlsdispositionen - im Vordergrund. (vgl. Wolf, 1993, S. 85ff)
Auf Soldaten bezogen ist dies natürlich geradezu „ideal“. Die idealisierte Armee und der Präsident sind dann z.B. ausschließlich „gut“, der geortete Feind absolut „böse“. Die traumatischen Erlebnisse mit den verbundenen Gefühlsanteilen wie z.B. Hass, Wut, Rachegefühle, Ekel usw. – die sonst, abgespalten im Alltagsleben nicht unbedingt eine Rolle spielen müssen – können dann in Kampfsituationen aktiviert bzw. reinszeniert werden und zur Projektion bzw. Externalisierung auf den Feind herhalten, um schnell, funktional und (mit-)gefühllos handeln bzw. töten zu können.
Ich habe dies so ausführlich dargestellt, weil Persönlichkeitsstörungen leider auch all zu oft Folgen des „Lebens selbst“ sind. Kindesmisshandlung, starke Vernachlässigung, psychische Gewalt und Missbrauch führen unter bestimmten Umständen zu entsprechenden Störungen und Abspaltungen. Etwas überspitzt könnte man sagen: Was die Armee gezielt bei ihren Rekruten durch eine traumatisierende Ausbildung bewirken will, um sie zu mitleidlosen „Kriegern“ zu erziehen, gehörte und gehört für viele Kinder bereits zu ihren Alltagserfahrung speziell innerhalb ihrer Familie. Dieses destruktive, schlummernde Potential stellt unter verstärkenden und bestimmten sozialen Umständen (und wenn es zusätzlich nicht individuell aufgearbeitet bzw. therapeutisch bearbeitet wird) eine Gefahr dar, wie ich weiter unten herausstellen werde.
Die Parallelen zwischen „misshandelnder Familie“ und „Armee“ sind übrigens offensichtlich: Beide – destruktive Eltern und die Armee – fordern Gehorsam und eine Aufgabe des Selbst ein. Das Kind und auch der Soldat soll sich anpassen, unterwerfen, so sein und handeln, wie sie es haben wollen, um zu einem „guten Kind“ bzw. einem „gutem Soldaten“/“richtigen Mann“ zu werden. Die Identifikationen, die in beiden Systemen stattfinden, folgen dem Muster einer „Identifikation mit dem Aggressor“.
Peter Boppel schreibt dazu:„Das Ich der Soldaten regrediert unter körperlichen Misshandlungen und schwersten Kränkungen - ähnlich wie die Opfer von Folter - in die Nähe der Gefahr totaler psychischer Zerstörung mit extremer Abhängigkeit und Angstentwicklung auf eine frühe narzisstische Abwehrstufe, die borderline- und psychosenahe ist. In dem geschilderten regressiven Zustand kaserniert und dem Gruppendruck ausgesetzt, gelingt dem Rekruten weder Flucht noch Kampf. Wie Kinder und Frauen beim sexuellen Missbrauch durch Angehörige oder Initianden bei den Torturen durch Stammesälteste sind Täter und Retter das selbe Objekt, e i n e Person, von der man auf Gedeih und Verderb abhängig ist. Nur sie könnte den grässlichen Zustand beenden! (...) Um den Ausbilder als "gutes" Objekt erhalten zu können, müssen Schmerzen wie Wut an dieser Stelle von ihrem biographischen Inhalt abgetrennt werden, was mit Hilfe von Dissoziation, bzw. Verdrängung vom psychischen Apparat bewerkstelligt wird.“ (Boppel, 1999, S. 23ff) und „Unter dem Ausmaß einer traumatisierenden Ausbildung, wie sie von Spezial(Elite)soldaten oder noch ausgeprägter von zukünftigen Folterern durchzumachen ist, kommt es zu einem "Verbinden" von Ich und Du, Selbst und Objekt, zur Verschmelzung von Selbst und Fremdrepräsentanzen: Der andere (Ausbilder) ersetzt mich (Rekrut) durch sich, wird ein Teil meines Selbstbildes, steuert mich unbewusst wie eine sonst in langer Sozialisierung erworbene Elterninstanz.“ (Boppel, 2005, S. 197) Die Ähnlichkeiten zur Form und Wirkung von Kindesmisshandlung sind hier derart offensichtlich, dass man bei o.g. Schilderungen von Boppel das Wort „Ausbilder“ durch „Eltern“ und „Solodaten/Rekrut“ durch „Kind“ ersetzen und die Sätze dann fast wortgleich in ein Fachbuch über Kindesmisshandlung aufnehmen könnte.
Bei einer Umfrage des Corps-Magazins „Marines", was die Rekruten im US-Marine-Bootcamp am meisten vermissten, stand an erster Stelle das Verbot, ich oder du zu sagen. An zweiter Stelle: „Keinen Teddy-Bären." (vgl. diepresse.com, 19.04.2008) Bzgl. der zweiten Antwort dachte ich erst an einen Scherz. Wenn man sich aber die o.g. Ausführungen vor Augen führt und sich klar wird, dass die Rekruten unter diesen extremen Belastungen regredieren (also in kindliche psychische Ebenen und Verhaltensmuster zurückfallen; vgl. dazu auch Boppel, 2005), wird deutlich, dass dies durchaus ernst zu nehmen und wirklich nicht allzu weit weg vom Thema Familie, Kindheit und Kindesmisshandlung ist.

In beiden Systemen besteht zudem ein deutliches Machtungleichgewicht, sowohl in der Eltern-Kind-Beziehung als auch in der Armeeführung-Soldaten-Beziehung. Die Methoden der destruktiven Eltern sind dabei u.a. Liebesentzug, böse Blicke, ignorieren, drohen, schlagen, prügeln, demütigen, einsperren, verachten, missbrauchen usw. Die Methoden der Armee zeigen auch hier deutliche Parallelen, wie weiter oben ausgeführt. Und – das fällt besonders auf – in beiden Systemen herrscht ein absolutes Schweigegebot nach Außen bzgl. erlittener Verletzungen. Kinder werden zum Schweigen gebracht, indem man ihnen u.a. androht, sie würden ins Heim kommen, keiner würde ihnen glauben oder man würde einen geliebten Menschen oder das Haustier umbringen usw. Die Drohung, die über dem Soldaten schwebt, ist der Ausschluss aus der Kameradengemeinschaft und die Darstellung als „Weichei“ bzw. als einem „Nicht-Mann“. Das Kind (und auch der Soldat) kann in einer solchen Situation nur (seelisch) überleben, wenn es sich anpasst und das erfahrene Leid verdrängt oder abspaltet und sich schließlich mit dem Aggressor identifiziert. Der „Lohn“ für die Aufgabe des eigenen Selbst ist die „Liebe“ und (scheinbare) Anerkennung der Eltern. Und der „Lohn“ der Soldaten fürs Durchhalten und für das Ertragen der ganzen Schmerzen ist, dass sie nun „echte Männer“ sind, „Helden der Nation“. „Ihr seid nur etwas wert, wenn ihr Euch so verhaltet, wie wir es wollen!“ und „Ohne uns seid ihr nichts!“, so die Botschaft der Armeeführung gegenüber ihren Soldaten und der destruktiven Eltern gegenüber ihren Kindern. Doch bei beiden scheint die Bindung brüchig und nicht wirklich echt.
Berichte über Kriegsveteranen (z.B. aus Großbritannien vgl. ARD-Weltspiegel vom 23.09.07 und ZDF-Auslandsjournal vom 13.12.07 oder auch aus Deutschland vgl. ZDF Magazin „Mona Lisa“ vom 18.11.2007) zeigen exemplarisch, wie austauschbar Soldaten sind, wie wenig der Führung an ihren Soldaten liegt, und wie wenig sie diese später (nach physischen und psychischen Kriegsverletzungen oder im Todesfall gegenüber den Familien) finanziell, sozial und psychologisch betreut.
Im „Mona Lisa“ Bericht „Von der Bundeswehr alleingelassen? Nach Einsatz traumatisiert“ heißt es bzgl. einem deutschen traumatisierten Kriegsheimkehrer, dass die Diagnose "Posttraumatischen Belastungsstörung" nichts mit dem Einsatz bei "Enduring Freedom" zu tun habe, so Gutachten der Bundeswehr, sondern diese sei „persönlichkeitsbedingt“. Ein Soldat, der Kriegseinsätze psychisch nicht durchsteht, ist also selbst schuld, so könnte man diese Aussage übersetzen. Das Bundesverteidigungsministerium lehnte ein Interview mit "Mona Lisa" ab und teilte telefonisch mit: zuständig seien die Versorgungsämter. Man habe nach Entlassung der Soldaten nichts mehr damit zu tun. (zu diesem Fall siehe unter Punkt 7.1 mehr) "Wir sind gut darin, uns an unsere Siege zu erinnern und an die Toten. Aber wir sind auch gut darin, die Lebenden zu vergessen - und unsere Soldaten, die den Preis des Überlebens bezahlen. Mit physischen und psychischen Wunden.", so ein britischer Kriegsveteran im o.g. ZDF-Auslandsjournal.

Abschließend möchte ich noch einmal die Grundthesen zum Militär zusammenfassen, die sich aus den beiden vorherigen Kapiteln erschließen:
Der Verlust des Mitgefühls wird durch die militärische Ausbildung gezielt verstärkt. Dieser Verlust muss aber grundsätzlich schon vorher bei den einzelnen Menschen eine Rolle gespielt haben. Denn wirklich empathische Menschen wären nicht zum Militär gegangen.


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2 Kommentare:

  1. Kann ich bestätigen, auch wenn bei uns in der Schweiz nicht alle (aber erschreckend viele) Punkte zutreffen. Z.B: Permanentes Anschreien, Ausschluss, körperliche Bestrafung, sinnlose Aufgabenstellung, Anzweiflung der Männlichkeit, ständiger Stress, Abschaffung des Individuums, etc... Ich selbst brach schon nach 4 Tagen die RS ab, nachdem ich einen Nervenzusammenbruch hatte. Es war SEHR schwer, wieder weg zu kommen. Seit dem habe ich oftmals Albträume, in denen es um militärische Unterdrückung und Unterordnung geht. Auserdem bekomme ich starke Aggressionen, wenn ich jemanden in Uniform sehe oder mit dem Militär konfrontiert werde. PS: Ich wollte anfangs sogar ins Militär, weil ich dachte, das ginge menschlicher und professioneller zu und her.So kann man sich irren...

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  2. Dieses ganze Gutmenschgequatsche. Für einen Krieg braucht es nunmal Kämpfer, die bereit sind zu töten. In unserer Gesellschaft "entsteht" solcher Nachwuchs aber nicht von selbst, die urnatürlichen Instinkte müssen durch eine solche Ausbildung wieder hervorgehoben werden. Nur so und mit solchen Männern kann man einen Krieg überhaupt führen. Nur wer ist es jetzt Schuld, die Männer oder das System selbst das überhaupt Kriege führt? Solange also das System nicht geändert wird, solange es Staaten und Länder gibt solange wird es Kriege geben, denn solange will das eine Land vom anderen Geld, Rohstoffe. Natürlich könnte man das Geld auch abschaffen oder rausstellen das der Hauptzweck des Menschen nicht das Ansammeln von Geld ist und sich die Taschen vollzustopfen. Das Problem liegt also im ICH Bezogensein, hätten wir einen (Welt)Staat wo nur das WIR zählt, wäre dieses Problem gelöst. Also sind solche gezüchteten Killer nur die sichtbare Spitze der Problematik im Staat

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