Sonntag, 26. Oktober 2008

8.1 (demoralisierte) Soldaten und ihre Familien

Hauser (2003) weist darauf hin, dass in Nachkriegszeiten vor allem durch politische Instabilität, Kriegszerstörungen und ihren sozialen Folgen und der ökonomischen Perspektivlosigkeit eine erhöhte Inzidenz von Gewalt wie beispielsweise häuslicher Gewalt und Inzest. (in allen Ländern von Ex-Jugoslawien, Ruanda, etc.) zu verzeichnen wäre. (vgl. Hauser, 2003)
Dieser Erklärungsansatz für ein Ansteigen häuslicher Gewalt verharrt auf der gesellschaftlich-politischen Ebene, was fehlt sind die Zusammenhänge bzgl. den Folgen erlittener psychischer Kriegstraumatisierungen. Die Heinrich-Böll-Stiftung stellt dazu fest: In Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen nimmt die „private Gewalt“ extrem zu und sie endet auch nach dem Abschluss offizieller Friedensverhandlungen meist nicht. Die Heimkehr demobilisierter Soldaten lässt das Ausmaß häuslicher Gewalt häufig drastisch ansteigen (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung, 2003)
Häusliche Gewalt tritt laut einem Medienbericht nach unterschiedlicher Schätzungen zwischen zwei und fünf mal so häufig in der US-Armee auf, wie im Rest der Gesellschaft. (vgl. Netzeitung, 2002) Diese Einschätzungen müsste wissenschaftlich auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden, um mehr Gültigkeit zu haben. (Die Frage dabei ist, in wie weit das Militär ein Interesse hat, solche Studien überhaupt zu unterstützen)

Kümmel / Klein (2002) schreiben bzgl. Berufssoldaten passend zu diesem Kapitel: „Bei Gewalt in Soldatenfamilien können die weit verbreitete Kultur des Machismo, der hierarchisch-autoritäre, dem Prinzip von Befehl und Gehorsam folgende Charakter des Militärs als Institution, das Training in Gewaltanwendung, die soziale und geographische Isolation in Folge von zahlreichen Versetzungen und einsatzbedingten Abwesenheitszeiten, die immer von Neuem das Gleichgewicht im Familiensystem stören, und die potentiell wie aktuell lebensbedrohende Tätigkeit des Soldaten eine Gewalt unterstützende Rolle als Stressoren spielen.“ (Kümmel / Klein, 2002, S. 223) Die Autoren weisen auch darauf hin, dass der häuslichen Gewalt auch einige Faktoren entgegen spielen könnten wie z.B. der „soldatische Ethos“. Letztlich weisen Kümmel / Klein (2002) auf den Forschungsbedarf für das weitgehend unbeleuchtete Themenfeld „Gewalt in Soldatenfamilien“ hin, um weitere Antworten geben zu können.
Im Rahmen der Studie „Gewalt gegen Männer“ äußert sich in der Expertenbefragung ein Berater einer Initiative gegen Zwangsdienste aufschlussreich :„Ich weiß, dass diese Prägung, die du beim Militär selbst er fährst, wenn du normalerweise durchmarschierst, sich fortsetzt für den Rest deines Lebens. Dieses Befehl- und Gehorsamsprinzip verfestigt sich [...] und das setzt sich ins Familienleben fort. Jemand der gewöhnt ist, Befehle auszuführen, das für sich selbst verinnerlicht hat, der geht später mal auf seine Kinder so zu und sagt: Warum hast du das jetzt nicht gemacht – und wenn du das jetzt nicht machst, dann bestrafe ich dich dafür! Das sind Sachen, die ich selbst bei mir noch merke. (...) Ich merke es bei Männern, die seit längerer Zeit in der Armee sind, und das hört man auch immer wieder von Angehörigen, von Freunden, von Freundinnen: ‚Innerhalb der ersten zwei Monaten hat der Typ sich so verändert, dass ich den teilweise gar nicht wieder erkenne.‘ Das äußert sich in der Sprache und in der Verhaltensweise. Natürlich auch in der Gewaltbereitschaft, in der direkten Gewaltbereitschaft, die wird nämlich logischerweise trainiert. (...)“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2004a, S. 177ff)
Der weiter o.g. Medienbericht schildert außerdem eine Serie tödlicher häuslicher Gewalt im US-Armeestützpunkt Fort Bragg. Mehrere Soldaten hatten ihre Ehefrauen brutal ermordet. Experten haben darauf hingewiesen, dass es in allen der Fälle von Fort Bragg bereits vorher Probleme mit häuslicher Gewalt gegeben habe, und durchweg lehnten sie einen engen kausalen Zusammenhang mit den Einsätzen in Afghanistan ab. (vgl. Netzeitung, 2002)

Sicherlich endet die häusliche Gewalt durch Soldaten nicht immer tödlich. Man sollte allerdings die Frage stellen, was mit einem Menschen passiert, der erst durch eine verletzende, demütigende und ggf. traumatische Ausbildung zum Töten anderer Menschen gebracht werden soll und anschließend ggf. real tötet und/oder selbst traumatische Erfahrungen durch das Kriegsgeschehen machen muss. (und ggf. auch noch als Kind verschiedene Formen von Gewalt erlebt hat, so dass sich die Traumatisierungen zu einer gefährlichen Masse addieren)?
Erschreckend und aufschlussreich sind auch folgende Daten: Im Jahr 2009 starben mehr US-Soldaten durch Suizid (334) als auf dem Schlachtfeld im Irak (149). Schon 2008 stellten Militärärzte fest, dass jeden Monat 1000 Veteranen versuchen, sich das Leben zu nehmen. Weit über 100 Ex-Kämpfer aus dem Irak und aus Afghanistan sind durchgedreht und haben Menschen getötet; ein Drittel der Opfer waren Freundinnen, Ehefrauen oder andere Familienmitglieder. (vgl. SPIEGEL-Online, 25.03.2010)

Folgendes Zitat (Gesprächsauszug der bosnischen Journalistin Jasna Bastic mit Anton Golik, einem ehemaligen Major der kroatischen Armee) bringt noch mal einige Kerngedanken zu diesem Thema auf den Punkt. „Soldaten waren Zivilisten, bevor sie Soldaten wurden, und sie werden nach dem Krieg meistens wieder zu Zivilisten. Sie haben Eltern, vielleicht eine Ehefrau und Kinder, sie sollten einer zivilen Arbeit nachgehen und sie bewegen sich in einem Netz von FreundInnen und Bekannten. Wenn sie aus dem Krieg psychische Probleme mitbringen, die es ihnen unmöglich machen, im gewohnten zivilen Umfeld zu funktionieren, so wird ihr Trauma zum Problem für ihr ganzes Umfeld. Sie bedrohen die psychische Stabilität ihrer Bezugspersonen, indem sie sich nun in der einen oder anderen Form «kriegsgerecht» verhalten oder indem sie sich umbringen. Manchmal - wenn sie zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen neigen - gefährden diese Leute sogar die physische Sicherheit ihrer Mitmenschen.“ (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee)
Die Soldaten bringen sich und ihre Erlebnisse mit nach Hause, in die zivile Gesellschaft. Im Irak beispielsweise hielten sich im Jahr 2006/2007 beständig ca. 150.000 Soldaten und Soldatinnen der US-Armee auf (Die Gesamtzahl der dort stationierten SoldatInnen erhöht sich noch erheblich, wenn man die Ablösungen dazurechnet). Wenn ein gewisser Teil davon traumatische Erfahrungen machen musste (Vorsichtig wird geschätzt, dass jeder fünfte US-Soldat mit psychischen Störungen von den fernen Kriegsschauplätzen zurückkehrt – vgl. Ärzte Zeitung, 09.03.2005 - andere Schätzungen gehen davon aus, dass jeder dritte Heimkehrer aus dem Irak oder Afghanistan langfristige psychologische Betreuung braucht - vgl. ZDF „auslandsjournal“, 13.12.07 - ), bleibt dies sicherlich nicht ohne Folgen für die amerikanische Gesellschaft. Ewas überspitzt könnte man formulieren, dass die Gefahr einer „Militarisierung des Zivilen“ besteht, wenn dergleichen viele SoldatInnen in Kriegseinsätze geschickt werden.
In der Fernsehdokumentation „Gezeichnet fürs Leben“ kommen – um hier ein weiteres Fallbeispiel anzuführen – einige deutsche Soldaten zu Wort, die die Folgen für ihr persönliches, ziviles Leben nach den Einsätzen beschreiben. „In ergreifender Art schilderte ein junger Vater, wie er das Grauen des Krieges nicht verarbeiten konnte und über längere Zeit keinerlei Gefühl für seine Frau und seine beiden kleinen Kinder mehr empfinden konnte. Er sei wie abgestorben gewesen, er habe gar nichts mehr fühlen und sich seinen Kindern nicht mehr zuwenden können. Heute nach längerer therapeutischer Behandlung seien Gefühle wieder am Entstehen. Doch die lange Zeit seines totalen Rückzuges habe dazu geführt, dass auch der ältere der beiden Söhne therapeutisch behandelt werden müsse. Der kleine Sohn sei verzweifelt gewesen, dass dies nicht mehr der Vater war, den er vor dem Einsatz in Afghanistan gekannt hatte.“ (Zeit-Fragen, 27.11.2006)
Und in einem anderen Fernsehbericht über traumatisierte Soldaten heißt es:
„Zurück in Deutschland ist Martin J. ein anderer Mensch. Er schottet sich ab. Stundenlange, einsame Läufe. Seine Familie erkennt ihn nicht mehr wieder. Im Keller kämpft er weiter – am PC. Er ist voller Aggressionen. Doch es wird alles noch viel schlimmer. Martin J. fühlt nichts mehr, er wird unkontrolliert brutal, trinkt. Lange versucht er, den Schein zu wahren: Gute Soldaten sind keine Weicheier – und er ist ein besonders stolzer Soldat.“ (Panorama, 31.08.2006)
Auch das ZDF Magazin „Mona Lisa“ widmete sich am 18.11.2007 unter dem Titel „Von der Bundeswehr alleingelassen? Nach Einsatz traumatisiert“ diesem Thema. Die Geschichte hier gleicht denen der anderen „Einzelfälle“. Den Krieg, sagt der vorgestellte deutsche Kriegsheimkehrer, habe er mit nach Hause genommen: Aus dem ehemaligen Soldaten ist ein Jahr nach dem Einsatz "Enduring Freedom" ein psychisch kranker Mann geworden. Er hatte sich nach dem Einsatz verändert, war ständig gereizt, seine langjährige Beziehung ist zerbrochen. Alltägliche Geräusche wie ein Rasenmäher, ein Flugzeug, oder das Brummen seines Eisschranks versetzten ihn in höchste Alarmbereitschaft: Herzrasen, Schweißausbrüche, Panik, die Muskeln bis zur Verkrampfung angespannt. (siehe http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/4/0,1872,7125732,00.html)
"fritz1949" berichtet bei SPIEGEL-Online: "Mein Vater war Teilnehmer des zweiten Weltkrieg und kam bis zu seinem Tot bei jedem Gespräch, das länger als ein paar Sätze dauerte, auf das Thema Krieg. Seine Erlebnisse haben ihn sein Leben lang verfolgt. Ich habe als Kind von angreifenden Flugzeugen und fallenden Bomben geträumt, obwohl ich den Krieg selber gar nicht erlebt habe." Auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie sich ein Kriegstrauma auf die nachfolgende Generation auswirken kann.
Einen Gedanken möchte ich hier noch anbringen. Ich erinnere mich an einzelne Fernsehberichte über heimkehrende Soldaten (die ich leider aus der Erinnerung nicht mehr betiteln kann). Und einen Satz hörte ich dabei so oder so ähnlich mehr als einmal: „Einen anderen Menschen zu töten, das war für mich so, als ob ich selbst mich ein Stück weit tötete.“ Oder „Mit jedem getöteten Gegner, starb auch ich ein Stück mehr.“ Konkrete Sätze: "Nach dem Kriegseinsatz geht der Kampf erst richtig los", berichtet ein traumatisierter, deutscher Kriegsheimkehrer und er spricht von "Narben im Kopf", die immer wieder aufreißen würden. (vgl. DIE ZEIT-Online, 21.4.2010) Die Witwe eines traumatisierten US-Soldaten, der Selbstmord begang, sagte, ihr Mann habe sich oft gewünscht, dass er im Krieg ein Bein verloren hätte. Und nicht die Seele. "Joseph hat nicht Selbstmord begangen", sagte sie. "Er ist an seinen Kampfwunden im Kopf gestorben." (SPIEGEL-Online, 25.03.2010)
Diese (und ähnliche) Sätze machen die möglichen individuellen und gesellschaftlichen Folgen deutlich, die aus Kriegseinsätzen heraus entstehen können.

An dieser Stelle möchte ich noch ein Zitat des amerikanischen Psychologen und Ex-Offiziers David Grossman anbringen, der dazu ermahnt, die „psychologischen Kosten“ von Krieg nicht zu vergessen: „Individuelles Leid wird nicht als „Kosten“ des Krieges erfasst. Man rechnet in Geld, Menschenleben, Verwundeten. Doch allein die Teilnahme an Kriegshandlungen ist seelisch extrem zerstörerisch. In jedem Krieg des 20. Jahrhunderts war die Wahrscheinlichkeit, psychisch krank zu werden, größer als die, getötet zu werden. Zwei Monate nach der Landung in der Normandie 1943 waren 98 Prozent aller US-Soldaten psychisch krank. Beim Töten selbst hängt es vom Einzelnen ab, manche können damit leben, manche entwickeln eine dauerhafte Amnesie, manche leiden ihr Leben lang unter posttraumatischem Stress (PTSD)“ (Greenpeace Magazin, 01/2004) (Nach David Grossman haben sich ca. 150.000 Vietnam-Veteranen das Leben genommen – dreimal mehr, als während des Krieges gefallen sind.)

Dass nach traumatischen Kriegserfahrungen die Gefühle abstumpfen oder gar komplett verschwinden ist menschlich. Dies ist letztlich eine wichtige Überlebensstrategie für uns Menschen, um dergleichen Erlebnisse psychisch erst einmal aushalten zu können. Doch dieses „Ausschalten der Gefühle“ belastet - wie oben geschildert - nicht nur den Soldaten, sondern auch sein Umfeld und vor allem seine Familie. Gerade Kinder brauchen glückliche, lebendige Eltern, die sich selbst fühlen, eigene Grenzen und die der anderen wahrnehmen und dem Kind ein Vorbild sind. Was mit Kindern passiert, die ihren heimkehrenden Vater plötzlich als innerlich leer, kalt und abgestumpft erleben, lässt sich nur erahnen. Zu vermuten ist auch, dass dort, wo das Gefühl für sich selbst verloren ging, auch die Gefühle und Wahrnehmung bzgl. der Mitmenschen getrübt wird. Hier liegt der Nährboden und die Gefahr für destruktives Verhalten gegen Andere und Familienmitglieder.



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