Sonntag, 26. Oktober 2008

8.2 Nazi-Täter und ihren Familien

Noch deutlicher werden die möglichen Auswirkungen von Krieg und Terror für „das Private“ im Zusammenhang von Nazi-Tätern und ihren Familien. Auch wenn die nachfolgenden Forschungsansätze natürlich nicht verallgemeinerbar sind, machen sie doch hellhörig. Müller-Hohagen (1996) geht auf Grundlage seiner Forschungen (und derer anderer AutorInnen wie z.B. Alice Miller, Ursula Wirtz und Jacqueline Spring), die sich mit Aus- und Fortwirkungen der Nazizeit bei seinen KlientInnen einschließlich der jeweiligen Familien befasst, davon aus, dass auch nach 1945 „der Terror im Schoße deutscher Familien weiterging“, dass ein direkter Zusammenhang zwischen politischer Gewalt[1] und sexuellem Missbrauch bestehen kann. „Viele Täter und Tatbeteiligte haben nach der „Stunde Null“ weitergemacht, haben weiterhin Schwächere und Wehrlose „fertiggemacht“, vorausgesetzt, sie liefen dabei keine Gefahr, entdeckt oder bestraft zu werden. Der Missbrauch der „eigenen“ Kinder war die optimale Gelegenheit für solchen Terror, denn wo sonst, außer in der Folter, sind Menschen so schutzlos ausgeliefert? Und wo sonst ist die Gefahr des Entdecktwerdens geringer?“ (Müller-Hohagen, 1996, S. 37)
Die Kontinuitäten der NS-Gewalt haben sich, so Müller-Hohagen, natürlich nicht nur im sexuellen Missbrauch manifestiert. „Vielmehr gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen, die belegen, dass Täter und Beteiligte von NS-Verbrechen ihre Taten nach 1945 in vielfältiger Weise innerhalb der Familie fortgesetzt haben: Kindesmisshandlung, versuchter oder ausgeführter Totschlag und Mord.“ (ebd., S. 39) Der Autor weißt auch auf ein zentrales Ergebnis seiner Forschung hin, nämlich auf die ständige Verleugnung dieser möglichen Zusammenhänge, die nicht verallgemeinerbar seien (sprich: nicht jeder NS-Täter misshandelte und missbrauchte später seine eigenen Kinder), aber in untersuchten Fällen eben real.
Dass diese Erkenntnisse offensichtlich vielfältige Abwehrmechanismen der Menschen bzw. der Gesellschaft hervorrufen, deute ich als Hinweis dafür, dass hier ein wunder Punkt getroffen wurde, ein Punkt, der vielleicht ein ganzes Stück deutscher Nachkriegsgeschichte bzw. -realität bedeutet und der u.U. Folgen auch für die 2. Generation nach dem Krieg haben konnte und kann (sprich NS-Täter misshandelten und terrorisierten ihre Familien und Kinder, die wiederum Kinder bekamen und ggf. ihrerseits die erlittene Gewalt auf die ein oder andere Weise weitergaben; somit befinden wir uns bzgl. den Folgen des 2. Weltkrieges im Hier und Jetzt.).



[1] zusätzlich setzt der Autor noch die Folter in diesen Zusammenhang, deren Ziel die Zerstörung als Person sei, ähnlich wie beim sexuellen Missbrauch und die von den Herrschenden angewandt wird, um eben diese Herrschaft zu sichern.



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