Bisher habe ich in dieser Arbeit auf verschiedenen Ebenen herauszustellen versucht, wie destruktive Kindheitserfahrungen ursächlich mit kriegerischem Handeln zusammenhängen können. In diesem Abschnitt möchte ich das ganze jetzt von der umgekehrten Seite aufziehen und stelle die Frage: In wie weit entsteht durch Krieg, Terror und Leid ggf. wiederum Gewalt gegen Kinder? Ist hier gar ein „Kreislauf der Gewalt“ zu erkennen?
Der idealtypische Kreislauf [1], an den ich hier denke, sieht folgendermaßen aus: Die destruktiven Kindheitserfahrungen und die Psychopathologie der Machthaber scheinen in einem ursächlichen Verhältnis zu deren kriegerischer Politik zu stehen, wie weiter oben ausgeführt. Das einst misshandelte Volk identifiziert sich wiederum mit den Aggressoren und unterstützt diese destruktive, kriegerische Politik aktiv und/oder durch Mitläufertum bzw. dem Verharren in der Opferrolle. Aus diesem „willigen“ Volk rekrutieren sich bei einem gesamtgesellschaftlichen Krieg (wie z.B. im 1. und 2. Weltkrieg) auch die SoldatInnen. Berufsarmeen rekrutieren ihrerseits (ob nun bewusst oder unbewusst) Menschen, die bereits im Vorfeld eine problematische Sozialisation hatten bzw. die schlimmstenfalls Exzesse von Gewalt in ihren Herkunftsfamilien erleiden mussten. Durch die verletzende Ausbildung wird ihnen zusätzlich ihr Mitgefühl „abtrainiert“. Im Krieg machen dann alle – vor allem das Volk und die Soldaten – zusätzlich traumatische Erfahrungen (als Opfer ebenso wie als Täter, denn auch jemand der tötet, traumatisiert sich dadurch selbst), so dass dann im Extremfall wie nach den Weltkriegen ein kollektiv traumatisiertes bzw. durch die individuellen Vorerfahrungen „multi-traumatisiertes“ Volk zurückbleibt. Ich denke, es leuchtet ein, dass sich diese destruktiven Erfahrungen nach einem Friedensschluss nicht einfach in Luft auflösen und ohne Nachwirkungen auf die nunmehr zivile Gesellschaft bleiben. Diese möglichen „Nachwirkungen“ möchte ich an Hand einiger ausgewählter Indizien andeuten. Die vier ausgewählten Beispiele scheinen auf den ersten Blick nicht gerade homogen zu sein. Die Parallelen sehe ich dabei vor allem in den möglichen Folgen für die Familie und die nachfolgende Generation, denn Leid erzeugt letztlich oftmals wiederum Leid.
[1] Die Realität ist sehr komplex. „Idealtypisch“ meint, dass das Vorgestellte nur ein Gedankenmodell ist, dem sich die Realität so annähern kann bzw. das die Realität nie absolut erfüllen wird.
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