Samstag, 15. Mai 2010

Massenvergewaltigungen und das vererbte Trauma

In der aktuellen EMMA findet sich ein interessanter Artikel (EMMA, Frühjahr 2010: „Das vererbte Trauma“, S. 92ff) über die Auswirkungen der Massenvergewaltigungen deutscher Mädchen und Frauen 1944/45 auf die nächste Generation. Im Folgeartikel (von Ingo von Münch) wird geschätzt, dass ca. 180.000 Frauen und Mädchen bei Vergewaltigungen oder deren Folgen gestorben sind. Mindestens zwei Millionen Frauen wurden allein in Deutschland vergewaltigt. Nur für die Stadt Wien liegt die Zahl der 1945 vergewaltigten Frauen zwischen 70.000 und 200.000. Ein Projekt erforschte genauere Zahlen: Im Durschnitt erlebten die untersuchten Frauen 17 mal Vergewaltigungen, eine befragte Frau erlitt dies 70 mal…

Wenn die zwei Millionen Frauen im Schnitt zwei Kinder bekommen haben, dann hätten wir mindesten 4 Millionen Menschen, die von dem Trauma mit betroffen sein könnten. Wir wirkte sich dies auf die Gesellschaft aus? Das scheint kaum erforscht zu sein, wie man dem Artikel entnehmen kann. Ich frage mich auch, wie viele Kinder auf Grund der Vergewaltigungen geboren wurden? Und wie gingen dann die Mütter damit und mit ihren Kindern (der Täter) um?
Psychologen, die sich mit dem Thema aktuell u.a. im Projekt Lebenstagesbuch mit dem Thema befassen, stellten erstaunt fest, dass sich nicht nur betroffene Frauen bei ihnen meldeten, sondern viel öfter noch deren Töchter – und manchmal auch die Söhne. „Diese schrecklichen Erlebnisse haben sie selbst sowie ihre Ehe und ihre Beziehungen zu uns Kindern zeitlebens belastet“, schreibt die Tochter einer Mutter, die auf der Flucht Opfer von russischen Soldaten wurde. Eine Schwiegertochter berichtet über ihre Schwiegermutter: „(…) Sie war ständig psychosomatisch krank, wurde tablettenabhängig, viele depressive Schübe belasteten die Partnerschaft und das familiäre Zusammenleben. Eine liebevolle Zuwendung zum Ehemann und die damit verbundene Sexualität fiel ihr sehr schwer, auch das Verhältnis zu den Kindern bestand in der Hauptsache aus der sich gehöhrenden Versorgung, aber eine innige liebvolle, über Körperkontakt zugewandte Annäherung an die beiden Kinder war ihr nur sehr schwer möglich.“
Die Folgen für die nächste Generation werden auch an Hand folgender Symptome der Kriegsgeneration deutlich: „Das Erlebnis der Vergewaltigung zieht sich durch das ganze Leben unserer Patientinnen (…) Viele der Frauen leiden bis heute unter Depressionen, Alpträumen oder sogenannten Flashbacks, also dem Wiedererleben der Tat. (…)“
Die TherapeutInnen berichten über entsprechende Probleme der Kinder der Kriegsgeneration, vor allem von Beziehungsstörungen. „Häufig können sie keine Nähe zulassen, weil sie sie zwischen den Eltern nicht erlebt haben, aber auch von der traumatisierten Mutter nicht bekommen haben. Und oft haben sie sich als Kind selbst die Schuld daran gegeben, wenn die Mutter kühl war“, schreibt eine Therapeutin. Vielen dieser Töchter würde langsam klar, dass sie das Erbe ihrer traumatisierten und zum Schweigen verdammten Mütter angetreten haben. Entsprechend häufen sich die Anfragen für therapeutische Hilfe für die zweite Generation.

Mit den Auswirkungen von Krieg auf die nächste Generation habe ich mich auch hier beschäftigt:

- Die Kriegskinder
- Die Kinder von Holocaust-Überlebenden

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