Hitlers Vater, Alois Hitler, hatte ursprünglich einen anderen Nachnamen. Er hieß eigentlich Schicklgruber. Aus Überlegungen heraus und der Gelegenheit dafür (sein vermeintlicher Vater hieß wohl „Hüttler“) ließ sich Alois Schicklgruber einst in „Hitler“ umbenennen. Der Biograf John Toland kommentiert dies so: „Seine Entscheidung, den Namen Hitler anzunehmen, war von großer Tragweite; es ist nur schwer vorstellbar, dass 70 Millionen Deutsche in vollem Ernst `Heil Schicklgruber!` gerufen hätten“ (Toland, J. (1977): Adolf Hitler. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach. S. 22)
Diese historische Wendung, diese mehr oder weniger zufällige Namensänderung werde ich wohl für immer im Hinterkopf behalten! Es ist ja bekanntlich so, dass die Fokussierung auf Kindheitserfahrungen und entsprechende Verknüpfungen mit späterem Verhalten - erst recht, wenn dies Verhalten massenmörderisch war - oft belächelt oder kritisch gesehen wird. Denn, so wird gebetsmühlenartig argumentiert, "nicht alle einst misshandelten Kinder werden später zu einem Hitler“. Es ist doch so, dass ein Lebensweg immer durch unzählige Zufälle, Begegnungen, Ereignisse, Erlebnisse und spezifische Rahmenbedingungen geprägt wird, inkl. der eigenen, einzigartigen genetischen Aufstellung. Auch ist beispielsweise klar, dass, wäre Adolf Hitler ein Mädchen geworden, er bzw. sie – bei gleicher Erziehung und Misshandlungsgeschichte, sowie den gleichen tragischen Todesfällen (der jünger Bruder starb, Vater und Mutter verstarben früh, vor Adolfs Geburt hatte seine Mutter dazu noch 3 tote Kinder zu betrauern) in seiner Familie – niemals „die Führerin“ geworden wäre, weil damals Frauen solche Wege patriarchal-strukturell grundsätzlich verbaut waren. So ist das im Leben der Menschen.
Und ich muss Toland beipflichten: Ein „Führer“ wie Adolf Hitler wäre der Welt wohl erspart geblieben, wenn er „Adolf Schicklgruber“ geheißen hätte. Dieser winzige Zufall der Namensänderung hatte große Folgen.
All dies ändert nichts an der Tatsache, dass destruktive Kindheitserfahrungen immer Folgen haben, die sich um so deutlicher abzeichnen, je schwerer und je häufiger die Belastungen in der Kindheit waren und auch je mehr verschiedene traumatische Erfahrungen sich zu einem „Traumapaket“ kumulieren. Daraus folgt NICHT automatisch ein Weg zum Massenmörder oder Terroristen. Dazu braucht es etliche weitere Einflüsse und auch Zufälle.
Ein „Adolf Schicklgruber“ hätte wohl niemals einen NS-Staat begründet und wäre diesem vorgestanden. Etliche andere Menschen laufen (und liefen) in dieser Welt herum, die unfassbare Traumageschichten im Gepäck haben. Und niemals wird sich ein Historiker mit ihnen befassen, weil sie nicht auf die historische Bühne treten, aus welchen Bedingungen, Begrenzungen und Lebensverläufen auch immer, die es so viele gibt, wie es Menschen gibt.
Aber fest steht auch: Ein als Kind liebevoll, empathisch und gewaltfrei behandeltes Kind Adolf Hitler wäre nicht zum Massenmörder geworden! Und deswegen ist die Analyse der Kindheit von solcher Art Tätern so ungemein wichtig und bedeutsam.
Herr Fuchs,
AntwortenLöschenin dem Artikel wird beschrieben, dass liebevoll erzogenen Kinder zu keinen Massenmördern werden. Wie erklärt sich aber, dass einige Amokläufer scheinbar keine Gewalt in der Kindheit erlitten haben ? Elliot Rodger beschreibt in seinem Manifest beispielweise eine harmonische Kindheit. Haben Sie eine Erklärung für solche Phänomene ?
Hallo Herr Becker,
AntwortenLöschenvielen Dank für diese Frage, die ganz wesentlich ist!
Der erste Teil meiner Antwort dazu ist der Hinweis auf den Fall Breivik: http://kriegsursachen.blogspot.com/2014/01/aage-borchgrevinks-norwegian-tragedy.html
Breivik hat ebenfalls von einer harmonischen Kindheit berichtet. Seine Mutter schwieg sich aus. Dank eines "Zufalls" (er wurde als Kleinkind psychiatrisch begutachtet), wissen wir heute, dass diese Schilderungen nicht stimmen: Seine Kindheit war ein reiner Alptraum! (Lesen Sie bitte den verlinkten Text)
Aus verschiedenen Gründen heraus ist Vorsicht geboten, wenn solcher Art Täter öffentlich eine harmonische Kindheit ausbreiten. Stichworte dabei sind:
- "Innere Spaltungsprozesse", die typische Folgen bei schweren Misshandlungsformen sind/sein können. Die Täter können dann wirklich teils keine negativen Erinnerungen abrufen.
- Viele einst misshandelte Kinder empfinden im Rückblick die destruktiven Erlebnisse im Elternhaus als "nicht schlimm". Viele definieren dies auch nicht als Misshandlung, obwohl sie schlimmste Formen von Gewalt erlebt haben. Wer nichts anders kennt, der empfindet Gewalt schlimmstenfalls als "normal" und sieht sie gar nicht als Gewalt
- Schamgefühle: Warum sollte ein Täter in der Öffentlichkeit eine schlimme Kindheit ausbreiten? Gerade männliche Täter wollen doch ein Bild von Stärke und Macht demonstrieren. Dazu passt kein "Gejammer" über die eigene Kindheit.
Es gibt noch mehr Überlegungen zu dem Thema. Ich habe dies ausführlich in meinem Buch in dem Kapitel "Das Schweigen der Täter" behandelt.
Über die Kindheit von "Elliot Rodger" habe ich in der Vergangenheit nur oberflächlich recherchiert. Ich werde da noch mal bei Zeiten genauer hinsehen. Denn es gibt noch einen weiteren Punkt: Viele Medienschaffende erwähnen wichtige Infos zur Kindheit nur nebenbei.Das ist meine Erfahrung. Man muss sehr genau hinschauen, was berichtet wurde.
Außerdem möchte ich Ihnen noch folgenden Text mit auf den Weg geben:
https://kriegsursachen.blogspot.com/2019/08/massenmord-in-el-paso-und-dayton-die.html
Abschießend: Meine zugespitzte These ist stets die, dass Massenmörder keine geliebten und gewaltfrei (Gewalt verstanden inkl. Vernachlässigung) aufgewachsenen Kindern waren. Diese Grundthese werde ich nie zu 100% bestätigen können, vor allem aus den Gründen, die ich oben aufführte. Das Wichtige aber ist: Ich kann diese These sehr gut zu einem großen Teil belegen! Siehe dafür meinen Blog und mein Buch.
Hallo Herr Fuchs,
AntwortenLöschenvielen Dank für Ihre schnelle Antwort. Die Informationen bezüglich des Falles Elliot Rodger habe ich aus seinem selbst geschriebenem Manifest, welches im Internet verfügbar ist.
Auch ein weiterer Punkt macht mich bezüglich der Gewaltthese in jedem Einzelfall skeptisch. Wie erklärt sich die angeblich zunehmende Verrohung der Gesellschaft, wenn gleichzeitig die Gewalt in der Erziehung zurückgeht ?
Früher war ich ebenfalls der Auffassung, Destruktitivät in der Erziehung und gesellschaftliche Gewalt hingen kausal zusammen. Mittlerweile sehe ich diese These relativiert und bin der Meinung, dass es auch Menschen gibt, die einfach aufgrund ihrer Veranlagung einen Hang zum bösen haben und im Extremfall sogar bei einer liebevollen Erziehung zu Verbrechern werden.
Vermutlich wird im allgemeinen ein geprügeltes Kind als Erwachsener mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Hitler wählen und autoritäre Regime befürworten als ein gewalfrei erzogenes Kind. Dennoch glaube ich, dass nicht nur Erziehung den Menschen prägt. Auch Medien könnten durch ihre Gewaltverherrlichung Kinder die keine Gewalt erfahren haben auf die falsche Bahn lenken.
Freundliche Grüße
Alfred Becker
"Dennoch glaube ich, dass nicht nur Erziehung den Menschen prägt."
AntwortenLöschenDas versteht sich von selbst! Natürlich werden wir durch etliche Einflüsse geprägt. Der zentrale Blick auf Kindheitserfahrungen soll das gar nicht ausklammern.
"Wie erklärt sich die angeblich zunehmende Verrohung der Gesellschaft, wenn gleichzeitig die Gewalt in der Erziehung zurückgeht ?"
Meiner Auffassung nach ganz einfach: Die zunehmende Verrohung der Gesellschaft ist so nicht zutreffend. Die meisten Daten zeigen in die genau andere Richtung: Jugendkriminalität ist stark rückläufig, Alkhohlkonsum von jungen Menschen: Rückläufig, Gewalt an Schulen: Rückläufig, Suzide: Rückläufig usw.
Ich habe noch zwei Fragen, die vielleicht etwas ungewöhnlich sind
AntwortenLöschen1.Bei Psyschohistorikern wird im Regelfall nicht auf die Auswirkungen von Überbehütung aufmerksam gemacht. Welche Meinung haben Sie diesbezüglich ?
" Sven Fuchs hat geschrieben : " Meine zugespitzte These ist stets die, dass Massenmörder keine geliebten und gewaltfrei (Gewalt verstanden inkl. Vernachlässigung) aufgewachsenen Kindern waren"
2. Meiner Meinung nach ist Psyschohistorie etwas einseitig. Sie wiederspiegelt in gewisser Weise das Bild als erlebten alle Kinder die bereits einmal geschlagen wurden einen destruktiven Alptraum im Elternhaus.
Ich will nich die Auswirkungen von Gewalt leugnen. Jedoch teile ich nicht die Aufassung, dass Kinder die Gewalt erlebten immer ohne Liebe erzogen wurden. Vielmehr stelle ich die gewagte These auf, dass jene Liebe keinen konstruktiven für diese hatte.
Vielleicht wurde auch Hitler von seiner Mutter geliebt. Dennoch hat die Gewalt seines Vaters seine Persönlichkeit geformt.
Auch können wir nicht behaupten ( wie z.B Alice Miller ), dass wenn 75 Prozent der Bürger als Kind geschlagen wurde alle eine unglückliche Kindheit hatten und lebenslange Folgen dieser Erziehung tragen.
Ich glaube zwar, dass auch eine Ohrfeige subtile Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung haben kann. Dennoch sagt elterliche Gewalt nicht unbedingt etwas darüber aus, ob die Kinder von ihren Eltern geliebt wurden . Im Umkehrschluss gibt es sicherlich auch Kinder die keine körperliche Gewalt erfahren haben und keine seelische Gewalt benennen können, aber trotzdem ungebliebt waren und unter den Folgen leiden.
Viele Psychohistoriker sind von Hause aus Psychologen, Psychoanalytiker oder Psychotherapeuten. Ich würde einfach mal behaupten, dass viele dieser Leute negative Folgen von "Überbehütung" (also einer sehr angstbesetzten Eltern-Kind-Beziehung, die das Kind einengt) sehen und auch anerkennen. Es stimmt aber schon, dass in psychohistorischen Analysen sichtbarere Formen von Gewalt gegen Kinder dominieren, gerade weil diese "sichtbarer" und mit mehr Daten unterlegt sind.
AntwortenLöschenZur zweiten Frage:
Ich sehe dabei ganz deutlich die Grautöne und Abstufungen. Jemand, der vielleicht als Kind zwei Mal von seinem Vater geschlagen wird, muss deswegen nicht traumatisiert sind. Und auch die sonstige Familienatmosphäre kann selbstverständlich positiv sein. (Mir fällt dazu z.B. Alice Schwarzer ein, die von ein oder zwei körperlichen Übergriffen seitens ihres Großvaters berichtet hat, diese Erinnerung habe sich ihr tief eingebrannt. Aber ansonsten war das Verhältnis zu ihm sehr gut)
Aber: Je mehr Gewalt, je häufiger, je schwerer die Formen, desto folgenreicher wird es für das Kind und desto eher kann man auch davon ausgehen, dass es so etwas wie "Liebe" in der entsprechenden Familie nicht gibt.
Aber: Natürlich gibt es auch Mischformen. Also einen Elternteil, der brutal und lieblos agiert und einen anderen Elternteil oder Großelternteil oder Geschwister, die Zuwendung und Schutz bieten. Ich persönlich glaube, dass es gerade diese Mischformen sind, die verhindern, dass die Menschen komplett durchdrehen. Insofern sind diese Mischformen wohl gar nicht so selten.
Elliot Rodger hatte keine wirklich glückliche Kindheit. Der war Außenseiter, der nicht wirklich von der Klasse akzeptiert wurde. (Und deshalb auch mal "Dresche" bekam.) Der hat mehrfach die Schulen gewechselt und wurde zum Teil zu Hause unterrichtet, weil er in der Schule nicht zurecht kam.
AntwortenLöschenDie Eltern haben sich geschieden gehabt. Er hatte (wie komischerweise alle Autisten und Autistinnen, die Ich kenne), eine sehr absonderliche Mutter-Kind Beziehung. (Seltsamerweise habe ich definitiv noch von gar keiner Person mit Autismus gehört, die ne "normale Beziehung" zur Mutter hatte. Stattdessen geht das meistens von krankhafter Abhängigkeit bis hin zum Ödipus Komplex. Für letzteres ist Chris Chan ein gutes Beispiel.)
Warum Rodgers seine frühe Kindheit idealisierte, ist aus dem Grund, weil er da keinen Sexualtrieb hatte. Und aus eigener Erfahrung kann Ich sagen, wenn man in der Gesellschaft als Paria leben muss, und trotzdem mit nem Sexualtrieb gesegnet ist, ist dies ehrlichgesagt eine extrem beschissene Kombination.
(Und Psychiarter sind bei dem Thema mit Verlaub extrem dämlich. Die ignorieren solche Probleme beim Patienten meistens komplett. Oder, sie versuchen, den Patienten dazu zu bringen, stattdessen mehr Pornos zu gucken. Als ob das wirklich hilfreich wäre, wenn ein Junge, der darunter leidet, dass Mädchen ihn abweisen oder sogar demütigen, stattdessen Pornos guckt. Insbesondere, da man bei Pornos recht schnell richtig eklige Sachen findet, die eigentlich nur Demütigung, Erniedrigung etc. der Frau darstellen, halte ich sowas noch für eher Kontraproduktiv. Aber Psychiarter glauben halt eben an das vorherrschende Dogma der sexuellen Vielfalt.)