Freitag, 17. Dezember 2021

Hitlers Heerführer - Lebenswege von 25 NS-Akteuren und Details über Kindheit und mögliche Traumaerfahrungen

 „Hitlers Heerführer - Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42“ (2007, R. Oldenbourg Verlag, München) von Johannes Hürter ist ein Buch, das auf den ersten Blick nicht viel über Kindheitshintergründe und potentiell traumatische Erfahrungen der hohen NS-Militärs bietet. Beim genaueren Hinsehen erschließen sich allerdings einige interessante Details! 

25 NS-Oberbefehlshaber wurden hier systematisch durchleuchtet:
Fedor von Bock, Ernst Busch, Eduard Dietl,  Nikolaus von Falkenhorst, Heinz Guderian, Gotthard Heinrici, Erich Hoepner, Hermann Hoth, Ewald von Leist,  Günther von Kluge, Georg von Küchler, Wilhelm Ritter von Leeb, Georg Lindemann, Erich von Lewinski gen. Manstein, Walter Model, Friedrich Paulus, Walter von Reichenau, Hans-Georg Reinhardt, Gerd von Rundstedt, Richard Ruoff, Rudolf Schmidt, Eugen Ritter von Schobert, Adolf Strauß, Carl-Heinrich von Stülpnagel und Maximilian Freiherr von Weichs. 

Die Geburtsdaten der Akteure schwanken zwischen ca. 1875 und 1891. 

92 % der Akteure stammten aus den damals „erwünschten Kreisen“, um einen hohen militärischen Rang einnehmen zu können: Die Väter der Akteure waren Offiziere, höhere Beamte, Gutsbesitzer oder Akademiker. Wobei mit 60 % die meisten Väter der Akteure Offiziere waren. Ich mutmaße alleine auf Grund dieser Zahl, dass ein entsprechender Anteil der Akteure auch in der Kindheit in ihrer Familie sehr militärisch geprägt wurde und entsprechende Erziehungsmethoden vorherrschten. 

Auch die Daten zur Schulbildung bringen einige Erkenntnisse zu Tage. 60 % (N= 15) der Akteure besuchten als Kind ein humanistisches Gymnasium, 40 % (N= 10) besuchten ein Kadettenkorps. 

Die 10 Kadettenschüler waren Fedor von Bock, Ernst Busch, Nikolaus von Falkenhorst, Heinz Guderian, Hermann Hoth, Günther von Kluge, Erich von Lewinski gen. Manstein, Gerd von Rundstedt, Rudolf Schobert und Eugen Ritter von Strauß. 

Wie es dort zuging, beschreibt Hürter wie folgt:
Die Kadettenhäuser (…) waren militärisch geführte, straff organisierte Internatsschulen, auf denen Kinder und Jugendliche nach strengen Regeln und weitgehend abgeschottet von der Außenwelt die für den Offiziersnachwuchs als ideal angesehene Erziehung und Schulbildung erhalten sollten. Die Kadettenanstalt wurde mit guten Gründen  als `totale Institution` beschrieben, deren Normen sich der Zögling vollständig unterwerfen musste, wenn er nicht ausgesondert werden wollte. (…) Die Erziehung war in der Regel hart, besonders in den Voranstalten. “ (S. 42). Die Erziehung war von Begriffen wie "Ehre", "Pflicht", "Gehorsam", aber auch "Verantwortung" geprägt.  

Johannes Hürter zitiert u.a. aus dem autobiografischen Roman „Die Katetten“:
Sie sind hier, um Sterben zu lernen. Alles, was Sie bisher erlebten, sahen und begriffen, haben Sie zu vergessen … Sie haben von nun an keinen freien Willen mehr; denn Sie haben gehorchen zu lernen, um später befehlen zu können“ (S. 42f.)
Der Autor zitiert auch den Heeresführer Herman Hoth: „Die Erziehung als Kadett wurde entscheidend für meine ganze innere Entwicklung. Ich habe hier in 8-jähriger Gemeinschafts-Erziehung eine glühende Liebe zum Soldatenberuf in mich aufgenommen, nicht durch Soldatenspielerei, sondern durch das Beispiel meiner militärischen Erzieher u. einen vorzüglichen Unterricht, der auf geschichtlichem Bewusstsein ruhte. Gewiss haben diese Jahre, die unter dem Zwang standen, mich sehr früh u. sehr eng in eine Gemeinschaft einordnen zu müssen, in mir das Gefühl für Disziplin, Gehorsam, Zurückstellung eigener Wünsche u. Ansichten besonders stark gefördert. Eine gewisse Überschätzung des Autoritätsglaubens, die in diesen Jahren ihren Ursprung hat, habe ich nicht mehr ganz verloren“ (S. 45f.) 

Jahrelange Erziehung in solchen Anstalten prägen und – davon gehe ich aus – traumatisieren die Kinder und Jugendlichen auch. Diese Erziehung gilt wie gesagt für 40 % der untersuchten Akteure!

Aber auch an den damaligen Gymnasien ging es rau und streng zu, wenn auch sicher nicht in dem Ausmaß, wie an den Kadetteneinrichtungen: „Die Stellung des Humanistischen Gymnasiums als Verteidigerin der Tradition gegen die Moderne besaß auch einen politischen Aspekt. Sie stützte die konservative bürokratische und akademische Klientel gegen fortschrittlich-liberale Kräfte des Bürgertums und erst recht gegen alle `Reichsfeinde`. Besonders im Wilhelmischen Deutschland verstärkten sich die autoritären und nationalistischen Züge. An der Loyalität gegenüber Kaiser und Reich gab es ohnehin keinen Zweifel. Die Schüler trugen uniforme Jacken und Mützen, die Disziplin war in der Regel streng, Sedantage und Kaisergeburtstage wurden mit Pathos gefeiert“ (S. 39).

Dazu kam mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine strenge, autoritäre Erziehung im Elternhaus, was der Autor allerdings weder im Allgemeinen, noch direkt auf die 25 untersuchten Akteure beschreibt. Die Geburtsdaten der Akteure und das bekannte Wissen um damalige Erziehungspraktiken und -einstellungen lassen allerdings viel erahnen.   

Dazu kommen vermutlich auch Traumatisierungen im Ersten Weltkrieg. Alle 25 Akteure waren „vom ersten bis zum letzten Kriegstag“ im Dienst und bestanden die „große Überlebens- und Bewährungsprobe des Ersten Weltkriegs“ (S. 70). 

Diese Akteure führten später Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion. 

Ich selbst habe in meinem Blog bereits die belastete Kindheit von Friedrich Paulus (einem der 25 hier untersuchten Führer) besprochen. Paulus besuchte keine Kadettenschule. Dies zur Ergänzung. 



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