Fast drei Wochen lang verfielen große Teile der Nation in panische Angst vor „dem Feind im Essen“ (siehe die beiden letzten Beiträge von mir).
Die psychohistorische Forschung weist immer wieder auf (wörtliche und echte) Bilder in den Medien hin, die Rückschlüsse auf aktuelle Gruppenfantasien zulassen.
Im letzten Beitrag hatte ich bereits meine Auffassung darüber dargelegt, dass Deutschland aktuell auf der Suche nach einem Feind ist. Lloyd deMause hat in seinen Arbeiten darauf hingewiesen, dass die Feindessuche (aber auch Kriege) vor allem auch in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums beginnt. Derzeit befinden wir uns in so einer ökonomischen Wachstumsphase. Nach deMause drohen in Zeiten von Wachstum und Wohlstand furchteinflößende (psychisch abgespaltene) Erinnerungen aus der Kindheit zurück ins Bewusstsein zu drängen. Diese Erinnerungen müssen abgewehrt werden. Z.B. durch Selbstzerstörung (auch ökonomischer Art) oder durch äußere Feinde.
Der SPIEGEL hat nach seinem letzten Titelthema „Der Feind im Essen“ mit der jetzt neuen Ausgabe noch mal in eine sehr interessante Richtung nachgelegt. „Bruder Todfeind“ lautet der Titel, womit gleich in zwei Ausgaben hintereinander das Wort „Feind“ groß im Titel zu lesen ist. Zu sehen sind die „Brüder“ Hitler und Stalin, beide Körper überlappen sich im Bild (gehören also irgendwie zusammen), allerdings stehen sie quasi Rücken an Rücken (ineinander), die Köpfe schauen jeweils in die entgegengesetzte Richtung. Solche und ähnliche Bilder gibt es immer wieder auch von einzelnen Führungspersonen, siehe z.B. ein Bild von Präsident Bush: Diese Bilder wie auch das aktuelle SPIGEL Titelbild geben Hinweise darauf, dass emotionale Prozesse in Gange sind, die etwas mit dem psychischen Phänomen der Abspaltung zu tun haben. Dass solche Bilder ihren Weg in die großen Medien finden, verwundert insofern nicht, wenn man darum weiß, dass NICHT geschlagene und vernachlässigte Kinder auch in Deutschland nicht die Regeln, sondern die Ausnahme sind. Insofern mussten die meisten heutigen Erwachsenen in ihrer Kindheit mal mehr mal weniger schwere Gewalterfahrungen und entsprechende Gefühle abspalten. Diese abgespaltenen Teile der Einzelnen können sich in bestimmten gesellschaftlichen Phasen zu einer Gruppenfantasie zusammenfinden und ihren Ausdruck auf der gesellschaftlichen Bühne finden.
Der Titel "Bruder Todfeind" hat zudem etwas mit Hassliebe zu tun. Gefühle von Hassliebe sind typisch für misshandelte Kinder, die ihre Eltern natürlich lieben wollen und auf eine Art auch lieben müssen, um psychisch zu überleben und auf der anderen Seite ihre Eltern abgrundtief für das hassen, was sie ihnen an Gewalt und Entbehrungen antun, diesen Hass aber nicht zeigen dürfen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir aktuell eine starke Phase vorfinden, was solche Gruppenfantasien angeht. Auch in anderen Kontexten als EHEC sind die deutschen Medien seit einiger Zeit merkbar mit Angst- und Kriegswörtern überhäuft. Da Deutschland auf Grund seiner Entwicklung allerding eher unwahrscheinlich einen äußeren Feind finden und bekämpfen wird, ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich der unterdrückte Hass und die Angst wieder nach innen richten wird. Denkbar wäre z.B. ein Promineter oder ein Politiker, den man öffentlich fertig machen und opfern kann. Auch bestimmte Gruppen wie Ausländer oder sozial Schwache könnten potentielle Opfer sein. Dazu kommen Möglichkeiten, die ökonomische Entwicklung zu stoppen und ökonomische "Opfer" zu bringen. Entsprechend werde ich die Entwicklungen der nächsten Wochen und Monate aufmerksam verfolgen.
Übrigens: Wenn man auch darum weiß, dass die Kindheiten der beiden "Brüder" Stalin und Hitler erhebliche Parallelen aufweisen, ist der aktuelle SPIEGEL Titel auf eine Art in der Tiefe noch mal aufschlussreicher.
Sehr gelungener Artikel! So tief gehen Blogbeiträge selten...
AntwortenLöschenAber war an dieser Stelle vielleicht physisch gemeint und nicht psychisch`?
"um psychisch zu überleben"
". Auch in anderen Kontexten als EHEC sind die deutschen Medien seit einiger Zeit merkbar mit Angst- und Kriegswörtern überhäuft."
AntwortenLöschenDafür gibt es sogar relativ empirische Belege. Bei google trends wird in der unteren Kurve des Links angezeigt wie oft das Wort "Angst" von den Medien verwendet wird.
Während die obere Kurve der normalen Nutzer die nach Angst googlen nur gelegentlich Abweichungen verzeichnet existiert in der Medienkurve ein deutlicher Trend...
http://www.google.com/trends?q=angst&ctab=0&geo=de&geor=all&date=all&sort=0
Vielen Dank für den Hinweis mit der Googel Trend Analyse! War mir noch nicht klar, das googel so etwas öffentlich anbietet.
AntwortenLöschen"psychisch zu überleben" war schon so von mir gemeint, weil Kinder im wahrsten Sinne verrückt bzw. psychisch "drauf gehen" würden, wenn sie die Realität nicht filtern bzw. abspalten würden. Auch der körperliche Tod ist möglich, wenn keine Filterung der Realität erfolgt, das ist wahr. Insofern denke mal einfach das Wort "physisch" mit.