Aktuell haben die Gerichtsverfahren bzgl. der Umsturzpläne der "Gruppe Reuß" begonnen („Reichsbürger“-Prozess). Außerdem ist das Thema Angriffe auf Politiker und Politikerinnen bzw. Wahlkampfhelfer vermehrt mediales Thema.
Interessant finde ich dazu passend auch den Blick auf die Geschichte, den der Historiker Florian Huber kürzlich in seinem Beitrag „Der Rathenau-Mord: eine neue Tätergeneration“ (in dem Buch „Transgenerationale Gewalt: Weshalb unbehandelte Traumata in familiäre Tyrannei und sozialen Extremismus münden können“, Hrsg. Ralf Vogt, 2024) gemacht hat.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Gründung der Weimarer Republik trat, so Huber, eine neue Tätergeneration auf die politische Bühne: junge Rechtsextremisten, die die Demokratie stürzen wollten. Die Zahl politischer Morde explodierte. „Über 100 Tote waren es in den ersten sechs Monaten nach Gründung der Weimarer Republik, und bis zum Sommer 1922 fielen im Deutschen Reich mehr als 370 Menschen politisch motivierten Mordanschlägen zum Opfer. (…) Von Anfang an gehörte eine neue Gewaltkultur zum politischen Alltag der Weimarer Republik“ (Huber 2024, S. 35).
Wir können uns vorstellen, was es zusätzlich alles an Bedrohungen, Beschimpfungen und Körperverletzungen gegeben haben muss! Die meisten Morde gingen damals auf das Konto von Rechtsextremisten.
Eine demokratische Ordnung entsprach offensichtlich nicht ihrem Weltbild. Und ich möchte ergänzen, dass dies sicher auch mit ihrer „inneren, emotionalen Ordnung“ zu tun hatte, die mit massiven gesellschaftlichen Veränderungen und auch neuen Freiheiten (ein großes Beispiel von Vielen: Das Frauenwahlrecht ab 1918) überfordert war.
Florian Huber bespricht exemplarisch die Biografien von drei Rechtsextremisten/Terroristen dieser Zeit: Herman Ehrhardt, Karl Tillessen und Ernst von Salomon.
Eine wesentliche Gemeinsamkeit: In den Kindheiten der drei Akteure lassen sich deutliche Belastungen ausmachen.
Herman Ehrhardt hinterließ folgenden O-Ton: „Von meinen beiden Schwestern wollte ich nicht viel wissen. Als Mädchen erschienen sie mir geringwertig. Den Respekt für das weibliche Geschlecht brachte mir erst meine Mutter bei. Sie hatte eine lose Hand und quittierte jede Dummheit oder Unnützigkeit mit einer schnellen Ohrfeige“ (Huber 2024, S. 38). Seinen Vater habe Ehrhardt wenig erwähnt, was nicht gerade für eine gute Beziehung spricht.
Eine typische Konstellation der damaligen Zeit und aus meiner Sicht natürlich auch mit politischen Folgen (bis hin zur NS-Zeit).
Als Schüler wurde Herman Ehrhardt einmal vor der Klasse gemaßregelt, was für Herman einer so schweren Demütigung gleichkam, dass er seinen Lehrer ohrfeigte. „Da ist sie wieder, die `schnelle Ohrfeige` als Mittel der Reaktion und Satisfaktion, also die Gewalt als bevorzugtes Instrument der Auseinandersetzung. Ein verbreiteter Zug dieser Generation (…)“ (Huber 2024, S. 38).
Herman wurde in der Folge von der Schule geschmissen und meldete sich sogleich im Alter von 16 Jahren bei den Seekadetten der Marine. Herman selbst berichtet von der „Selbstaufopferung“, „Selbstverleugnung“, der „Wringmaschine“, durch die er dort ging, so dass am Ende nur noch der „Wille der Selbstbehauptung“ blieb. „Er erfuhrt dort, was er niemals infrage stellte, nämlich eine Erziehung durch Gewalt und zur Gewalt“ (Huber 2024, S. 38). Die Jahre dieser harten militärischen Erziehung in jungen Jahren werden ihn nachhaltig geprägt haben. Nach der Kriegsniederlage kam noch das kollektive Trauma und die kollektiv empfundene Demütigung hinzu, was ihn ganz offensichtlich nachhaltig umtrieb.
Karl Tillessen wuchs in einer vielköpfigen katholischen Offiziersfamilie auf und wurde entsprechend militärisch geprägt. Die Familie musste in verschiedene Garnionsstädte umziehen, in die der Vater jeweils versetzt wurde.
Über die väterliche Erziehung berichtet Karl: „Vater schlug nie, er knuffte nur mit der Faust und sah einen danach 24 Stunden überhaupt nicht mehr an. Das war furchtbar hart. Ich erinnere mich eines Gesprächs mit einem Freund, der unglücklich über eine kurz zuvor verabfolgte Tracht Prügel war. Dem erklärte ich dann, wie viel lieber es mir wäre, wenn mein Vater mich, statt mich mit Verachtung zu strafen, kurz und bündig verdreschen würde“ (Huber 2024, S. 41). In einem Gedicht schreibt Karl von dem „fordernden Befehle“ des Vaters, von „Gehorsam, Treu, Mut und Dankbarkeit“, die der Vater ihm eingepflanzt habe (Huber 2024, S. 42). Das Ganze offensichtlich absolut identifiziert mit dem strengen Vater und ohne den Hauch einer Kritik an diesem.
Die Mutter wird offensichtlich laut der Quelle gar nicht beschrieben. Wir sollten nicht ausschließen, dass diese auch harte Erziehungsmethoden anwandte. Zumal laut Karls weiteren Berichten die Beziehung zu seinen beiden Brüdern spannungsreich und von Rivalität und auch Gewalt geprägt war (Kinder übernehmen Konfliktlösungsstrategien von den Eltern). Mit seinem älteren Bruder habe es oft gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben. Der jüngere Bruder wurde dagegen von Karl selbst „terrorisiert“, wie er offen sagt.
Auch die Erziehungsmethoden einer Angestellten sollten zentral in den Blick genommen werden, es ist von einem „Terrorregime einer Kinderfrau“ (Huber 2024, S. 42) die Rede. Außerdem gibt es Berichte über demütigende Strafmaßnahmen (inkl. Körperstrafen) in der Schule.
Ernst von Salomon war der Sohn eines Kleinadligen und Polizeikommissars. Über den Erziehungsalltag im Elternhaus schreibt Huber nichts. Als Polizist im Kaiserreich wird dieser Vater sehr wahrscheinlich eine strenge Autoritätsperson gewesen sein. Die Normen und Einstellungen der Eltern zeigen sich allerdings ganz offen indirekt. Denn ab dem zehnten Lebensjahr schickten sie Ernst zur Erziehung in den Kadettenanstalten in Karlsruhe und Berlin. Vor allem in letzterer wollte man militärische Eliten heranziehen: „Für den Schüler bedeutete das, sich vollständig den Gesetzen und Werten des preußischen Kriegsideals zu beugen und demnach seine ganze Persönlichkeit formen, umbiegen und notfalls brechen zu lassen“ (Huber 2024, S. 44f.). Ernst selbst beschreibt später drastisch in einem autobiografischen Roman diese Zeit und den Alltag, „dem er hier im Alter zwischen elf und sechzehn Jahren unterworfen war. (…) Sie lernten sich zu panzern gegen das Gebrüll, die Schmerzen und die Erniedrigungen, aber auch gegen jede Form von Mitgefühl“ (Huber 2024, S. 45).
Laut Huber stellte sich bei Ernst bald das Gefühl ein, bei den eigenen Eltern kein Zuhause mehr zu haben. Die Welt der Familie Zuhause erschien ihm fremd und leer. Viel zu sagen hatte man sich bei Besuchen nicht mehr.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kindheitsbiografien ganz klassisch sind für Rechtsextremisten, auch auf unsere Zeit bezogen. Heute gibt es keine Körperstrafen mehr an Schulen und das autoritäre Kaiserreich existiert nicht mehr. Die verbindenden Linien sind allerdings die komplexen Kindheitsbelastungen dieser Akteure. Hier liegen die Wurzeln für ihren Hass, damals wie heute
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen