Montag, 12. August 2024

Kindheit von Ilse Koch (gefürchtete KZ-Kommandantengattin)

Ilse Koch war die gefürchtete Kommandantengattin von Karl Otto Koch und wurde zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Familie Koch lebte eine ganze Zeit lang ganz nah am KZ Buchenwald.

Der Biograf Pierre Durand schreibt über die Kindheit von Ilse Koch:
Man hat behauptet, Ilse Koch habe eine harte Kindheit gehabt; als Tochter einer Prostituierten, mit zwölf Jahren vergewaltigt, habe sie Gefallen an unmoralischen Sitten gefunden, (…). Aber die Ermittlungen der Polizei und der Justiz zum Augsburger Prozess zeigten, dass sie ein normales Kind war und ein Elternhaus hatte, in dem nichts Ungewöhnliches vorfiel“ (Durrand 1989, S. 13)

Und er ergänzt an anderer Stelle: „Vor ihrer Geburt bis zu ihrem Eintritt in die SS-Welt erscheint uns Ilse Koch, geb. Köhler, als Kind, Jugendliche und junge Frau, die sich nicht aus der anonymen Masse der Deutschen ihrer Zeit abhebt“ (Durrand 1989, S. 15). 

Ja, es wäre in der Tat zu einfach, wenn bei einer Täterin wie Ilse Koch extreme und von der Norm deutlich abweichende Kindheitshintergründe gefunden worden wären. 

Pierre Durand macht es sich hier aber dann doch zu einfach (wie so viele seiner Zunft)! Eine nach Außen intakte Kleinfamilie und durchschnittliche Berufe bzw. Rollenaufteilungen der Eltern sind nicht gleichbedeutend mit einem unbelasteten Aufwachsen. Ilse wurde 1906 geboren. Das Datum an sich reicht bereits aus, um viele Mutmaßungen u.a. bzgl. autoritärer Erziehung und kindheitsfeindlichen Umgangsnormen in den Raum zu stellen. 

Auch der Biograf Arthur L- Smith jr. hat nicht viel über die Kindheit von Ilse Koch geschrieben. Vermutlich erklärt sich dies u.a. auch durch folgendes Verhalten von Ilse Koch selbst: „Auf Befragen lehnte Ilse Einzelauskünfte über ihre Kindheit und Jugend ab; sie beschränkte sich nur auf einen groben Umriss“ (Smith 1994, S. 7). 

Bei Smith finden sich aber zumindest Anhaltspunkte und aufschlussreiche Informationen, die Ableitungen zulassen. 

Zunächst fällt mir auch ein Satz ins Auge, der klassisch ist. Über den KZ-Kommandant Karl Otto Koch  schreibt der Biograf: „Karl wurde 1897 in Darmstadt geboren. Er verbrachte eine relativ normale Kindheit, obwohl seine Mutter starb, als er noch ziemlich jung war“ (Smith 1994, S. 12). Der Tod der Mutter stellt für ein Kind eine schwere und traumatische Erfahrung dar. Das Wortpaar „normale Kindheit“ im gleichen Atemzug mit der Schilderung dieser traumatischen Erfahrung zu nennen, ist schon bemerkenswert. 

Details über die Kindheit von Ilse fehlen wie gesagt, insofern fällt mein Augenmerk auf ihr eigenes Erziehungsverhalten (was oftmals Rückschlüsse über selbst erlebte Erziehungsnormen zulässt). 

1940 wurde Gudrun (das jüngste Kind der Familie Koch) geboren. „Karls Stiefschwester, Erna Raible, half Ilse zeitweise mit den Kindern und ging an, bei den Kochs zu wohnen, als Gudrun geboren wurde. Später kümmerte sie sich um die Kinder, wenn Ilse in Ferien war. Während eines Skiurlaubs, wahrscheinlich verbrachte Ilse ihn allein, erkrankte Gudrun ernstlich, und die beunruhigte Frau Raible ließ die Mutter nach Hause rufen. Das Kind starb jedoch, und Frau Raible warf Ilse vor, sie habe Gudrun vernachlässigt und kehrte nie wieder zur Villa Koch zurück“ (Smith 1994, S. 33). Gudrun starb im Februar 1941 (Smith 1994, S. 258).
Ilse Koch scheint den Ausführungen nach oft ohne ihre Kinder in die Ferien gefahren zu sein. Sie ließ auch den Säugling Gudrun zurück. Es wird deutlich, dass Frau Raible ihr die Schuld für den Tod des Säuglings zuschreibt. 

Das Bild über die Erziehungsnormen bei den Kochs wird an anderer Stelle noch deutlicher. Karls ältester Sohn aus erster Ehe, Manfred, lebte eine Zeitlang bei der Familie in Buchenwald. Manfred lehnte es aber ab, Ilse als Mutter zu akzeptieren und gehorchte ihr kaum.
Eines Morgens gab Karl einem SS-Mann, der für die Zellen in einem Bunker am Haupteingang zuständig war, den Auftrag, Manfred in eine leere Zelle zu bringen und ihn dort zu lassen, bis er ihn holen lasse. Jemand hörte, wie Koch zu Manfred sagte: `Du wirst solange in der Zelle bleiben, bis du versprichst, nicht wieder frech zu deiner Mutter zu sein.` Als man Koch im Laufe des Tages mitteilte, der Junge weine, verbot er jedem, sich ihm zu nähern. Schließlich ließ er am Abend, nach dem Essen, den Jungen nach Hause holen, und als der Wachmann mit Manfred erschien, kam Frau Koch mit den Hunden aus dem Haus gerannt, um ihn zu begrüßen. Sie fragte ihn: `Wirst du jetzt brav sein?.` Doch Manfred ging einfach wortlos an ihr vorbei ins Haus. Fast unmittelbar nach diesem Ereignis wurde er in ein Internat gegeben und kehrte nur während der Schulferien zurück“ (Smith 1994, S. 33,36). Auch ein anders Kind von Karl wurde früh weggegeben: „Den jüngste Sohn hatte man wegen geistiger Defekte in eine Anstalt eingewiesen“ (Smith 1994, S. 33). 

Die Eheleute Karl und Ilse hatten keine Skrupel, Manfred zur Strafe in eine Zelle im Gefängnistrakt des Konzentrationslagers Buchenwald zu stecken, mit echten Häftlingen in den Nebenzellen. Eine unfassbar kalte Tat gegen ein Kind. Sein weiterer Ungehorsam gegenüber Ilse hatte eine dauerhafte Trennung von der Familie zur Folge. 

Auch die Ehe der beiden war alles andere als vorbildlich, gerade auch, wenn man sich das NS-Propagandabild der "deutschen Ehe" vor Augen führt. Sowohl Ilse als auch Karl waren untreu und es gab diverse Seitensprünge (Smith 1994, S. 37). 

1943 wurden Karl und Ilse Koch von den Nazis verhaftet. 1944 wurde Karl zum Tode verurteilt (das Urteil wurde am 05. April 1945 im KZ Buchenwald vollstreckt), Ilse wurde freigesprochen. Im Januar 1945 zog Ilse bei Karls Stiefschwester Frau Raible ein. „März: Frau Raible fordert Ilse auf, das Haus zu verlassen; Begründung: Ilses Trunkenheit. Ilse zieht mit den Kindern in ein Hotel, fährt fort zu trinken“ (Smith 1994, S. 259).
Am 02. September 1967, nach diversen Anklagen und ihrer langen Inhaftierung, endete das Leben von Ilse Koch durch Selbstmord in ihrer Zelle. 

In der Familie Koch lassen sich an Hand der gezeigten Infos destruktive Dynamiken und Verhaltensweisen nachweisen. Vor allem der kalte Umgang mit Kindern lässt hier aufhorchen. Die Vermutung liegt nahe, dass sowohl Karl als auch Ilse einen ähnlich kalten Umgang in ihren eigenen Elternhäusern erlebt haben. 

Nebenbei fand ich bei Smith auch eine Information über Bestrafungsformen gegenüber KZ-Insassen in Buchenwald. „Die Prügelstrafe wurde auf einem sogenannten `Bock` vollzogen, einem tischähnlichen Holzgestell, auf dem der unglückliche Gefangene festgeschnallt und mit einem Bambusstock oder einer Weidenrute auf das entblößte Gesäß geschlagen wurde. Die Wucht der Schläge – gewöhnlich 25 Hiebe – brachte häufig Blutgefäße zum Platzen (…) `25 zu bekommen` oder `über den Bock zu gehen` war eine Erfahrung, die unter Kochs Kommando Tausende Gefangene erlitten“ (Smith 1994, S. 42). 

Diese Art der Strafform (knieend über einen Holzgegenstand gelehnt) mit Schlägen auf das Gesäß war gängige Strafform im Deutschen Reich gegen Kinder! Hier haben die SS-Leute ganz eindeutig das wieder-aufgeführt, was sie als Kind selbst erlitten haben (dies gilt vermutlich auch für Karl Koch selbst). 


Verwendete Quellen:

Durrand, P. (1989). Die Bestie von Buchenwald. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (4. Auflage). 

Smith, A. J. jr. (1994). Die Hexe von Buchenwald. Der Fall Ilse Koch. Böhlau Verlag, Weimar – Köln – Wien. (2. Unveränderte Auflage)

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