Freitag, 21. Dezember 2012

Arbeitspapier über die Ursachen von Krieg.

Ich freue mich sehr, zum Ende diesen Jahres auf einen neuen Text von mir hinzuweisen, der als Arbeitspapier am Lehrstuhl für Internationale Politik der Universität zu Köln  online und auch als Papier veröffentlich worden ist: Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an: Plädoyer für einen offenen Blick auf die Kindheitsursprünge von Kriegen.

Der Weg hin zu dieser Veröffentlichung ist interessant. Er begann mit meiner Kritik an dem Handbuch Kriegstheorien, in dem die Psychohistorie bzw. Zusammenhänge zwischen gewaltvollen Kindheiten und Krieg nicht besprochen wurden. Nachdem ich die beiden Herausgeber Thomas Jäger und Rasmus Beckmann angeschrieben hatte, bekam ich eine Einladung, doch einen Text zum Thema zu verfassen und einzureichen. Ich finde diese Reaktion auf meine Kritik wirklich eindrucksvoll. Eindrucksvoll, weil auf Kritik mit Entgegenkommen und Einladung reagiert wurde, weil ich kein Akademiker bin, sondern nur „Beinahe Akademiker“ und vor allem auch, weil die Erfahrung zeigt, dass auf das Thema häufig und in vielfältiger Weise mit Abwehr reagiert wird.

Mein Text fasst viele Dinge zusammen, die ich in den letzten Jahren hier im Blog besprochen habe. Wer zudem den (zentralen) Literaturangaben folgt und diese durcharbeitet, wird einen umfassenden Eindruck von dem gesamten Themenkomplex bekommen.  Der Text ist somit auch eine Art Wegweiser hin zu ausführlicher Literatur. 

Ich bin sehr gespannt, wie der Text aufgenommen wird und ob ich Rückmeldungen bekomme. Manch einer wird sicherlich das erste Mal durch die o.g. Veröffentlichung mit dieser Art von Ursachenverständnis von Krieg konfrontiert werden. Ich selbst bin derzeit etwas müde. Für mich ist dieses Papier kein Anfang, sondern ein Stück weit eher ein Ende. Drum herum kann man die Details ausbauen, man kann noch mehr Kindheiten von Diktatoren und Kriegsverbrechern untersuchen, noch mehr Zahlen sammeln usw., aber die Grundaussage bleibt die gleiche. Auch die Psyche der Menschen ändert sich nicht, der Einfluss von Gewalt gegen Kinder auf deren späteres Leben ändert sich nicht. Die psychischen Abläufe sind wie sie sind.

Für mich stellt sich am Ende diesen Jahres, nach der Veröffentlichung dieses Papiers und nach über 10 Jahren Beschäftigung mit dem Thema Kindesmisshandlung die Frage:  Wie geht es weiter?

In der Tat habe ich noch etwas im Hinterkopf und in Planung für das kommende Jahr. Ich möchte noch die Kindheiten einiger NS-Verbrecher besprechen, Himmler, Goebbels, Hess u.a. Außerdem möchte ich noch einmal etwas dazu schreiben, warum Männer das gewalttätigere Geschlecht sind.

Wenn ich diese Texte geschrieben habe, dann plane ich, mich von dem Thema deutlich zurückzuziehen. Ich habe nicht vor, wie Alice Miller, Arno Gruen und andere dieses Thema mein Leben lang zu bearbeiten. Denn es gibt in der Tat viele andere Themen auf der Welt, die mit weit aus weniger emotionaler Anstrengung verbunden sind.  Ich selbst finde, dass ich immer sicherer und immer informierter bzgl. des Themas geworden bin. Ich finde aber auch, dass ich persönlich wirklich sehr viel investiert habe in den letzten Jahren; zeitlich, emotional und teils auch finanziell. Um es deutlich zu sagen: Mir tut es gut, dies so getan zu haben. Fast 100.000 Besucher hatte dieser Blog bisher und ich denke, dass ich somit einiges bewegen und anregen konnte. Nach all den Jahren stehe ich heute allerdings an einem anderen Punkt. Mir und meiner Familie wird es gut tun, wenn ich mich ab jetzt aus dem Thema ein ganzes Stück zurückziehe.  Keine Angst, der blog bleibt so erhalten, wie er ist. Die Kraft, die ich bisher aufgebracht habe, werde ich allerdings nicht mehr aufbringen. Mir wird es weiterhin gut tun, darum zu wissen, dass interessierte Menschen täglich durch diesen Blog über das bekannte Thema aufgeklärt werden können und darüberhinaus ab sofort auch noch durch ein wissenschaftliches Arbeitspapier an der UNI Köln.

Montag, 26. November 2012

Kindergesundheitsstudie: Die meisten Kinder fühlen sich glücklich.

Für eine repräsentative Studie ("Elefanten-Kindergesundheitsstudie 2011 - Große Ohren für kleine Leute") hat das PROSOZ-Institut für Sozialforschung in Kooperation mit dem Deutschen Kinderschutzbund im Jahr 2011 fast 5.000 Kinder zwischen 7 und 9 Jahren befragt. Die Ergebnisse wurden kürzlich veröffentlicht. Für mich war vor allem folgender Teil von Interesse:

"Das subjektive, allgemeine Wohlbefinden der Kinder wurde anhand einer fünfstufigen Skala von 1=„sehr schlecht“ bis 5=„sehr gut“ abgefragt und ist, insgesamt betrachtet, gut (M=4,1). 79 % der Kinder geben an, sich meistens „gut“ oder „sehr gut“ zu fühlen, 86 % der Kinder sind „oft“ oder „sehr oft“ glücklich. Dennoch gibt es einen, wenn auch geringen, Anteil von Kindern (5 %), die sich meistens „schlecht“ oder sogar „sehr schlecht“ fühlen, 6 % der Kinder sind nach eigener Aussage „nie“ oder „selten“ glücklich. Es zeigt sich, dass die verschiedenen Angaben zum seelischen und körperlichen Wohlbefinden in engem Zusammenhang miteinander stehen: Kinder, die sich meistens gut fühlen, fühlen sich zudem eher ganz gesund (r=.39), sind häufiger glücklich (r=.29) und zeichnen sich durch ein höheres körperliches Wohlbefinden11 aus (r=.16)." /S. 27) Ergänzend noch das Mittelfeld: 16 % der Kinder fühlen sich meisten "mittelmäßig". 9 % fühlen sich "manchmal" glücklich.

3 % der Kinder fühlen sich durch Gewalterfahrungen "gestresst". Wobei hier nicht weiter ins Detail gegangen wurde und auch kein großes Augenmerk auf Gewalt bestand. Spezialisierte Gewaltstudien werden erfahrungsgemäß höhere Werte nachweisen.

Alles in allem zeigen diese ausgewählten Daten, dass es den meisten Kindern in Deutschland aktuell gut geht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die 5-6 % der Kinder, denen es besonders schlecht geht, zu Hause erheblichen Belastungen (vermutlich auch Misshandlungen und schweren Gewaltformen) ausgesetzt sein. Das Mittelfeld wird entsprechend ebenfalls belastet sein, wenn auch weniger, als die Kinder, denen es besonders schlecht geht.

Ergänzend siehe auch:

- "Geboren 2012 = weitgehend gewaltfreies Aufwachsen, zumindest in Deutschland"

- neue KFN-Gewaltstudie

Donnerstag, 15. November 2012

Breivik. Als Kleinkind von der Mutter geschlagen.

Der norwegische Autor Aage Storm Borchgrevink hat wie bereits in einem Beitrag erwähnt ein Buch („En norsk tragedie“) veröffentlicht, dass Breiviks Leben und seine Kindheit nachzeichnet. Bisher ist das Buch leider nur in norwegischer Sprache erschienen, es wurde aber in den Medien besprochen. „The Telegraph“ (07.10.2012) schildert, dass Breiviks Mutter ihren Sohn bereits im Alter von vier Jahren „sexualisierte“ (vor allem in ihrer Sprache dem Kind gegenüber; Nachbarn berichteten allerdings auch, dass sie sexuelle Handlungen mitbekamen, obwohl  die Kinder anwesend waren.). Außerdem schlug sie ihren kleinen Sohn und äußerte ihm vielfach gegenüber, dass sie seinen Tod wünsche.  (Nebenbei bemerkt befassen sich vor allem englisch sprachige und norwegische Medien mit dem Buch von Borchgrevink und der Kindheit von Breivik. Hierzulande hat bisher nach meinem Wissen nur bild.de von dem Buch berichtet. Dies verwundert insofern wenig, da bisher nach meinen Recherchen Breiviks Kindheit in den deutschen Medien so gut wie keine Rolle gespielt hat. )

Die Info, dass Breivik auch körperliche Gewalt erfahren hat, ist für mich neu (obwohl ich dies von Anfang an vermutet habe). Laut dem Telegraph reagierte der vierjährige Breivik auf die Schläge mit der neckischen Bemerkung, dass ihm diese nicht weh täten. Dabei lächelte er. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Breivik schon in sehr frühen Jahren seine Gefühle und sein Schmerzempfinden abspalten musste.

Der Fall Breivik bestätigt in vielerlei Hinsicht meine hier oft geäußerten und auch belegten Gedanken und Thesen. Die Tat eines Menschen verrät bereits etwas über die Kindheit, die der Täter durchlitten hat. Je grausamer die Tat, desto grausamer die Kindheit. Klassisch für einen Massenmörder ist auch, dass er mehrere Formen von Gewalt erlebte (Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch, psychische Gewalt und körperliche Gewalt + Trennung von einem Elternteil) und dass dies bereits ab der frühen Kindheit erlebt wurde.

Übrigens möchte ich noch auf etwas hinweisen, das für mich eigentlich selbstverständlich ist. Sich mit der Kindheit von Breivik zu befassen, bedeutet nicht, dass ich ihn aus seiner Verantwortung und Schuld entlasten möchte. Der erwachsene Mann und Täter Breivik ist ein gefährlicher und eiskalter Mensch, vor dem die Gesellschaft geschützt werden muss. Ich begrüße das Urteil gegen ihn, in dem klar gemacht wurde, dass man seine psychischen Auffälligkeiten sehr wohl wahrgenommen hat, ihn aber für voll zurechnungsfähig und schuldfähig hält. Nur das Kind, das dieser Mann einst war, verdient unser Mitgefühl. Seine Kindheit erklärt seinen Hass. Entschuldigen tut sie gar nichts.

- siehe ergänzend: Attentäter Breivik: Natural born Killer?

Freitag, 9. November 2012

Kindheit von Hermann Göring


Hermann Wilhelm Göring (ein führender NS-Täter) wurde am 12.01.1893 geboren. Seine Mutter war für die Geburt extra aus der Karibik angereist, wo sich ihr Mann und ihre weiteren Kinder aufhielten. Sechs Wochen nach der Geburt überließ sie den Säugling einer Freundin (über deren Umgang mit dem Säugling man nichts in der Quelle erfährt) und reiste zurück zu Mann und Kindern.
 In den folgenden drei ersten Jahren seines Lebens bekam Hermann weder sie noch seine Geschwister, noch seinen Vater zu Gesicht. Als die Eltern ihn nach der Rückkehr zu sich holten und die Mutter sich zum ersten Mal zu ihm hinabbeugte, schlug der Dreijährige ihr mit den kleinen Fäusten ins Gesicht. Es sei dies seine erste Kindheitserinnerung, erklärte Göring später im Gefängnis dem amerikanischen Gerichtspsychologen Gustave Gilbert.“ (Knopp 2007: 13) Knopp zitiert den erwachsenen Göring mit den Worten: „Das Grausamste, was einem Kind passieren kann, ist die Trennung von der Mutter in den ersten Lebensjahren.“ (ebd.) 

Hermann Göring wuchs ab seinem dritten Lebensjahr im Kreis von neun Geschwistern und Halbgeschwistern auf. Man kann sich vorstellen, dass bei einer solchen Geschwisterzahl nicht viel Zeit und Aufmerksamkeit für das einzelne Kind da war. Sein Vater war bei seiner Rückkehr nach Deutschland bereits 58 Jahre alt und nicht bei gutem Gesundheitszustand. Ab 1898 lebten die Görings in einer mittelalterlichen Burg, die ihnen von Hermanns Patenonkel Epenstein (reicher Sohn einer zum evangelischen Glauben konvertierten jüdischen Familie) kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Das Ganze nicht ohne Hintergedanken.
Mehr oder minder offiziell lebte Franziska Göring in den nächsten anderthalb Jahrzehnten als Geliebte Epensteins – unter stillschweigender Duldung ihres Ehemanns. Von dem tatkräftigen Kolonialbeamten, der Deutsch-Südwestafrika mit aufgebaut hatte, war wenig geblieben. Kränkelnd und vorzeitig gealtert, fand Hermanns Vater sich mit einem Schattendasein als gehörnter Ehemann an der Seite seiner jüngeren Gemahlin ab. Erst als die Liebe zwischen dem »Ritter« und dem »Burgfräulein« verebbte, kam es nach Zwistigkeiten zum schroffen Bruch. Im Streit mit dem einstigen Wohltäter verließ das Ehepaar Göring gemeinsam Burg Veldenstein und siedelte 1912 nach München über.“ (S. 18) Ein Jahr darauf starb Heinrich Göring – Hermanns Vater. Knopp schreibt, dass der kränkelnde Vater für Hermann kein Leitbild war, sondern der “prunksüchtige Lebemann Epenstein, der die ihm durch Reichtum verliehene Macht in vollen Zügen genoss“ und mit dem er bis zu dessen Tod 1934 im Kontakt blieb. (S. 18)

Hermann Göring wurde ab seinem elften Lebensjahr von seinem Vater auf ein Internat geschickt und somit erneut von seiner Familie getrennt (er verbrachte also insgesamt nur ca. acht Jahre bei seiner Familie!!), worauf er rebellisch reagierte. Nach einem Jahr mussten ihn die Eltern von der Schule nehmen und er wurde in einer Kadettenanstalt  in Karlsruhe untergebracht.  Hier war er noch weiter von Veldenstein entfernt, die Erziehung noch strenger, aber es ging dabei militärisch zu. Ziel der Anstalt war, zukünftige Berufsoffiziere heranzubilden.“ (S. 19) Hermann scheint sich dort wohl gefühlt zu haben, denn er liebte alles Militärische, schreibt Knopp.  Robust und selbstbewusst, wie er war, scheinen ihn die üblichen Rohheiten des Kadettenlebens, mit denen ältere Schülerdie ihnen anvertrauten jüngeren »Schützlinge« abzurichten und nicht selten zu quälen pflegten, wenig angetan zu haben. Offenbar ohne Widerwillen ertrug er die strenge Schuldisziplin.“ (S. 20) Und in der Tat wurde Hermann zum Musterkadetten und später zum überzeugten Soldaten, der bei Kampfeinsätzen u.a. als Pilot und Fliegerass im Ersten Weltkrieg mitwirkte. 

Ich teile Knopps Ansicht allerdings nicht, dass sich Hermann als Kadett wohl fühlte. Für mich ergibt sich eher das Bild eines Kindes/Jugendlichen, das/der gelernt hat, Schmerzen, Entbehrungen und Demütigungen auszuhalten, zu funktionieren und entsprechende Gefühle beiseitezuschieben (abzuspalten). Schon sechs Wochen nach seiner Geburt musste er aushalten und drei Jahre auf seine Familie warten, die er dann mit Aggressionen begrüßte. Hermann Göring wurde früh klar gemacht, dass er nichts zählte, dass seine Bedürfnisse nicht zählten. Auch die merkwürdige (offene) Dreiecksbeziehung seiner Eltern wird Spuren bei ihm hinterlassen haben. Für mich ergibt sich das Bild einer Kindheit, die von Trennungen und Schmerzen geprägt war. Hermann fantasierte sich – darüber berichtete auch Knopp - in eine Welt, die Macht, Heldentum und Ritterlichkeit (auch unter Einfluss seines Patenonkels) zum Ideal hatte. 

Über den alltäglichen Umgang der Eltern, ihren Erziehungsstil, offener Gewalt als Disziplinierungsmaßnahme usw. erfährt man nichts in der Quelle (und auch nicht im Internet). Aber: Wer etwas Fantasie hat und sich einfühlen kann, wird an Hand o.g. Darstellungen schnell zu dem Schluss kommen, dass Görings Eltern emotional kalte Personen waren. Was sind das für Eltern, die ihr Neugeborenes drei Jahre bei einer Freundin unterbringen, obwohl sie alle Möglichkeiten dazu hatten, das Kind bei sich aufzunehmen? Es sind grausame Eltern, die sich nicht darum scheren, wie es dem Kind ergeht. Solche Eltern sind nicht auf der einen Seite zu solchen Handlungen fähig und dann auf der anderen Seite später herzlich und emotional zu ihren Kindern. Solche Eltern werden auch im Erziehungsalltag die Bedürfnisse ihrer Kinder übersehen und überhören, solche Eltern werden ihre Kälte auch im Alltag an allen möglichen Stellen und in allen möglichen Situationen unter Beweis gestellt haben, von denen wir nie etwas erfahren werden, weil es keine Zeugnisse davon gibt.

Verwendete Quelle:

Knopp, Guido (2007:): Göring. Eine Karriere. Goldmann Verlag, München.

Samstag, 3. November 2012

Dany Levys: "Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler"

Durch einen Kommentar bin ich auf den Film „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler von Dany Levy (mit Helge Schneider als Hitler) aufmerksam geworden, der mich vorher nicht wirklich interessiert hatte. Der Kommentator hat einige Passagen/Dialoge aus dem Film aufgeschrieben (was
ich hier übernehme) und diese im Kommentarbereich (29.10.12) der Homepage „Die geprügelte
Generation“ gepostet.


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Adolf Grünbaum zu Adolf Hitler: „Gehen Sie noch einmal in das Glückgefühl, das Sie gestern gefunden hatten. Sie denken erneut an ihren Vater, der Ihnen die Steinschleuder gab. Ihr geliebter Vater legt seine Hand auf ihre Schulter…“
Adolf Hitler: „Nein! Fassen sie mich nicht an, Herr Vater! Er darf mich nicht anfassen, sagen Sie ihm das! Er soll damit aufhören! Sagen Sie es ihm! Sagen Sie es ihm!“
A.G.: „Bitte fassen sie ihren Sohn nicht an!“
A.H.: „Wissen Sie, wie oft er mich geschlagen hat, mein Vater?“
A.G.: „Nein, das weiss ich nicht.“
A.H.: „Täglich!“
A.H. (mit der Stimme seines Vaters): „Adolf komm!“
A.H. (mit der Stimme des kleinen Adolf): „Ich habe nichts getan, Herr Vater!“
A.H. (mit der Stimme seines Vaters): „35!… und zählen, los!“
A.H. (mit der Stimme des kleinen Adolf): „Eins, zwei…
…(er beginnt zu schluchzen, zu weinen..), drei, vier, fünf, sechs…, dann fasst er sich wieder und meint: Was gibt’s?“
A.G.: „Das tut mir so leid, Herr Hitler.“
A.H.: „Ihr Mitleid können Sie sich am Arsch abwischen! Mein Vater Adolf hat mich versucht zu brechen, aber es ist ihm nicht gelungen! Seine Prügel, seine Ungerechtigkeit, seine Willkür, haben mich nur gestählt, haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin!
A.G.: „Dann hat Sie Ihr Vater geliebt!“
A.H.: „Mein Vater…, der war eine kümmerliche Natur, ein armseliger Wurm, der nichts Anderes konnte, als ein wehrloses Kind zu schlagen! Die Gene, mein lieber, ihre Gene…
A.G.: „Meine Gene?“
A.H.: „Das Jüdische! Der Vater meines Vaters soll Jude gewesen sein! Das Heimtückische, Jüdische, Verkommene sprang von meinem Großvater auf meinen Vater über! Aber, Grünbaum, nehmen Sie das nicht persönlich, ich habe nichts gegen die Juden, wenn sie mich in Ruhe lassen.“


Später im Film…
A.H.: „Mein Wut gegen das Kranke, Minderwertige, gegen diese lächerlichen Kreaturen… Mein Vater schlug mich nicht nur, wenn ich etwas Verbrochen hatte, – und ich war ein frecher Lausbub -, nein, er schlug mich völlig unberechenbar und willkürlich, jederzeit, auch mitten in der Nacht konnte das passieren! Einmal hörte ich Vater die Treppe herauf poltern, ich floh aus dem Fenster, wollte aus dem kleinen Fenster fliehen…, doch das Fenster war so eng sodass ich mich meiner Kleider entledigen musste, um nackt hindurch zu kriechen, doch ich blieb stecken, Als mein Vater kam, bedeckte ich meine Blöße mit einem kleinen Tuch…, und mein Vater lachte mich laut aus und rief meine Mutter! Das Gefühl dieser Lächerlichkeit war schlimmer als tausend Schläge.
A.G.: „Das Kind ist nie lächerlich, Herr Hitler. Der Vater ist es! Ein wehrloses Kind zu schlagen ist immer feige und lächerlich!
A.H.: „Sie haben recht! Mein Vater ist der Lächerliche! Wehrlose Menschen hinterrücks zu überfallen ist charakterlos!“
A.G.: „Mein Volk wurde hinterrücks überfallen und wehrlos in die Lager getrieben! Ist das die deutsche Charakterstärke? Oder spielen sie da nicht die Rolle ihres Vaters nach?“
A.H. steht regungslos da und schweigt nachdenklich…


In der Schlussrede sagt Adolf Hitler (die Rede hält, versteckt unter dem Rednerpult, Adolf Grünbaum!).:
„Ich danke Euch für Euer blindes Vertrauen in mich, treu und deutsch seid ihr mir gefolgt, um die Welt zu Sauerkraut zu machen! Heute liegt unser geliebtes Vaterland in Schutt und Asche! Ihr seid alle arisch blond und blauäugig, ausser mir, und trotzdem jubelt ihr mir zu?! … Heil mir selbst!
Warum tut ihr das? Ich bin Bettnässer, drogenabhängig, ich kriege keine Erektion, ich wurde vom Vater so oft geprügelt, bis meine Gefühle verstummt waren, und so quäle ich das Wehrlose, wie ich einst wehrlos gequält wurde! Ich räche mich an den Juden, den Schwulen und den Kranken in ganz Europa für die Qualen und Demütigungen in meinem Kinderzimmer! Jedes ungeliebte, hasserfüllte Würstchen kann die Welt erobern, wenn Millionen ihn…. Schüsse fallen, A.G., der für A.H. spricht, wird von einem treuen Nazi erschossen… doch er sagt zum Schluss noch… „Heilt Euch selbst!“
Das Volk ruft wiederholt: „Heil dich selbst! Heil dich selbst!“


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Ich habe den Film kürzlich gesehen. Wirklich angesprochen hat er mich nicht. Ich finde es aber interessant und auch mutig, dass der Regisseur Levy im Grunde eine Botschaft (die wirklich wahrste Wahrheit) unters Volk bringen wollte: Einer wie Hitler konnte nur ein misshandeltes, gedemütigtes Kind sein. Einer wie Hitler war eigentlich schwach, krank und hilflos, tarnte sich aber und setzte eine hoch wirksame Maske auf.

Im Kino soll der Film von 780.000 Zuschauern gesehen worden sein und kam zudem noch als DVD raus. Ich glaube nicht, dass die meisten Zuschauer den realen Hintergrund und die Botschaft wirklich verstanden haben. Der Film ist sehr satirisch. Die Geschichte über Hitlers Kindheit wirkt im Film entsprechend ebenfalls ausgedacht, obwohl sie ganz offensichtlich auf historische Quellen zurückgreift. (da hätte man vielleicht im Abspann Alice Miller zitieren können) In Interviews (z.B. SPIEGEL, FAZ, Stern) war Levy nachträglich bemüht, diesen realistischen Hintergrund deutlich zu machen. Das Buch „Am Anfang war Erziehung“ von Alice Miller hatte ihn u.a. sehr inspiriert, diesen Film in dieser Art und Weise zu drehen.

Levy hat auf Kritik u.a. in einen Brief reagiert. Ein Auszug, der für mich sehr bedeutsam ist:
Es war für mich sehr erhellend zu lesen, mit welcher Rigorosität und Vehemenz der Ansatz der Psychoanalytikerin Alice Miller vom Tisch gefegt wird. Wie eine Litanei wird in auffällig vielen Kritiken runtergebetet, man könne doch Hitler „nicht mit seiner schweren Kindheit entschuldigen“. Dieser Satz steckt ungebrochen in den deutschen Köpfen. Ich glaube, damit verweigern Sie sich einem ziemlich substanziellen Ursachenverständnis von Faschismus. Die „Schwarze Pädagogik“, mit der Millionen Deutsche zu gehorsamen, gewaltbereiten und unempathischen Befehlsempfängern zurechtgeprügelt wurden, hat den Nationalsozialismus entscheidend mitgeschaffen. Wollen wir nicht lieber darüber streiten, anstatt es einfach zuignorieren?"

Hitler wurde von Levy in der Tat vom Sockel des „Dämon“ und „absoluten Bösen“ heruntergeholt und zum Menschen gemacht. Ob dies nun besonders gut gelungen ist, darüber lässt sich streiten. Aber dass er es tat, dafür zolle ich ihm Respekt. Erst wenn man Hitler zum Menschen macht, sich auf seine psychische Situation einlässt, sich mit dem Kind befasst, das er einst war, dann kann man dadurch auch etwas erklären.  

Die deutsche Öffentlichkeit war dazu im Jahr 2007 wohl noch nicht bereit. Es wird irgendwann eine neue Gelegenheit kommen, ein neuer Film, eine Medientitelstory und ähnliches, wo das Thema erneut aufgreifen wird. Und irgendwann werden die Menschen verstehen, dass geliebte Kinder nicht zu NS-Mördern hätten werden können.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

James Gilligan: Gewalt. (und die tieferen Ursachen)



Der (Gefängnis-)Psychiater James Gilligan hat jahrelang – über 25, um genau zu sein – mit diversen Mördern in US-Hochsicherheitsgefängnissen gearbeitet und seine Erkenntnisse daraus u.a. in dem Buch „Violence. Reflections on Our Deadliest Epidemic“ (meine Ausgabe 2000, Jessica Kingsley Publishers, London, UK; Erstausgabe 1996 in den USA) veröffentlicht. 

Er stellt ähnlich wie der Neurologe Pincus besonders schwere Gewalterfahrungen fest:
The degree of violence and cruelty to which these men have been subjected in childhood is so extreme and unusual that it gives a whole new meaning to the term “child abuse”. (…) The violent criminals I have known have been objects of violence from early childhood. They have seen their closest relatives – their father and mothers and sisters and brothers – murdered in front of their eyes, often by other family members. As children, these men were shot, axed, scaled, beaten, strangled, tortured, drugged, starved, suffocated, set on fire, thrown out of windows, raped, or prostituted by mothers who were their “pimps”; their bones have been broken; they have been locked in closets or attics for extended periods, and one man I know was deliberately locked by his parents in an empty icebox until he suffered brain damages from oxygen deprivation before he was let out.
“ (Gilligan, 2000: 43-46) Gilligan schreibt, dass ihm  hunderte Männer erzählt haben, wie sie als Kind beinahe todgeprügelt wurden. (S.  47) 
Gilligan spannt in seinem Buch den Bogen auch weiter, geht u.a. auf die Biologie ein, soziologische Thesen, strukturelle Gewalt und auf Armut und Verelendung. Ich gebe hier nur den Anfang wieder, den Anfang von Gewaltkarrieren und von Hass, dieser liegt in der Kindheit der Täter, was der Autor vor allem im ersten Teil seines Buches beschreibt.

Er bezeichnet die von ihm untersuchten Mörder als Untote („living dead“), was deren Selbstdefinition wiederspiegelt. (vgl. S. 31-39) Diese Männer erlebten derart brutale Misshandlungen und absolute Lieblosigkeit in ihrer Kindheit, dass sie sich leer, innerlich tot, wie „Zombies“, „Steine“ oder „Vampire“ fühlten. (Er ergänzt an anderer Stelle – vgl. S. 49 –, dass auch psychische Folter in der Kindheit alleine innerlich tote Menschen hinterlassen kann.) Sie fühlten nichts mehr, außer, wenn sie sich selbst oder jemanden anderen Gewalt antaten. Ihre Identität existierte nicht. Manche freuten sich auf den körperlichen Tod, der durch die Verurteilung zum Tode bevorstand. Er käme einer Erlösung gleich. Gilligan zitiert z.B. einen Mörder, der die Reaktion seiner Mutter im Gerichtssaal, nachdem er zum Tode verurteilt worden war, kommentiert: (von mir frei übersetzt) „Als sie im Gerichtssaal anfing zu weinen … weinte Sie über etwas, das bereits tot war. … Ich war bereits tot oder etwas ähnliches wie tot.“ An einer anderen Stelle sagte dieser Mann: „Ich weiß nicht, was Leben ist.“ (S.  37) 
Man sollte an dieser Stelle nicht vergessen, dass diese Mörder ganz normal wirken konnten, wie Du und Ich.
These men do not look like „zombies“ or „vampires“, nor do they necessarily behave differently from anyone else in the course of an ordinary conversation. In fact, the most extraordinary thing about these violent men is how ordinary they often appear on the surface. No matter how many violent people I have worked with, I still find myself amazed by these ordinary-looking men, who have actually committed extraordinarily brutal, violent crimes. “(S 33+34)

Eine gängige These lautet, dass Männer selbst erlebte Gewalt überwiegend dahingehend verarbeiten, dass sie Gewalt gegen Andere anwenden, ihren Hass außen ausleben, Frauen richten – der These folgend -  ihren Hass gegen sich selbst. Gilligan beschreibt dagegen, dass die (vorwiegend männlichen) Mörder – neben ihrem mörderischen Verhalten – ihren Hass auch gegen sich richteten, sie verletzten sich selbst, fügten sich Wunden zu usw., um dadurch „irgendetwas“ zu fühlen, zu merken, dass sie noch am Leben waren. (Anmerkung: Und wenn man sich genau ihren Lebensverlauf ansehen würde, würde man wahrscheinlich unzählige Verhaltensweisen feststellen, die selbstzerstörerisch wirkten, im beruflichen, sozialen wie auch im privaten Bereich) Wenn diese Männer an den Punkt kamen, dass die Selbstverletzungen und die Gewalt gegen Andere keinerlei Gefühle mehr bei Ihnen auslösten, brachten sich sehr viele selbst um. Gilligan schreibt, dass in den USA mehr Mörder durch Selbstmord umkommen, als durch die verhängte Todesstrafe. Die Selbstmordrate unter Mördern wäre einige hundert Mal höher, als unter normalen Menschen ähnlichen Alters, Geschlechts usw. (S. 41; Anmerkung: Nachdem er in Massachusetts als Gefängnispsychiater angefangen hatte, ging die Selbstmordrate vor Ort fast auf Null zurück.)

Gilligan beschreibt in seinem Buch weiter die emotionale Logik hinter der Gewalt, vor allem auch hinter extremer Gewalt. Jedes Gewaltverhalten ist demnach emotional zu verstehen, wenn man sich mit der Psyche der Mörder und Gewalttäter befasst. Was auf den ersten Blick unlogisch und sinnlos erscheint, z.B. extreme Gewaltausbrüche auf Grund von „Nichtigkeiten“, wird emotional verstehbar, wenn man um die Hintergründe des Täters weiß. So verstehe ich Gilligan.
Der Autor spricht auch von der „logic of shame“ (Logik von Schamgefühlen) (S.  
65). Das Wort “shame” spielt in dem Buch eine zentrale Rolle. Gilligan meint damit die totale Abwesenheit jeglicher Fähigkeit, sich selbst zu lieben (bedingt durch die Abwesenheit von Liebe und Gewalterfahrungen in der Kindheit; vgl. S. 47), was eine von grundauf mit chronischen Schamgefühlen und Unsicherheiten durchzogene (und auch innerlich „tote“) Persönlichkeit hinterlässt. Nach der Besprechung eines Fallbeispiels schreibt er: „(…) the most dangerous men on earth are those who are afraid that they are wimps.” (S.  66)  (Frei übersetzt: Die gefährlichsten Menschen der Welt sind die, die Angst davor haben, als “Warmduscher” angesehen zu werden.) Die Angst vor Beleidigungen, Beschämung, Demütigungen, abfälligen Blicken, Respektlosigkeit, das „Gesicht zu verlieren“ usw. (oder sich so zu fühlen), provozierte die Mörder dazu, zu töten. Diese Angst vor „Beschämung“ hing eindeutig mit den real erlebten „Beschämungen/Demütigungen“ in der Kindheit zusammen (Anmerkung: und den „bösen Augen, Blicken“ der Eltern). 

Die meisten Mörder verbergen diese Gefühle (Männer vor allem hinter einer extrem maskulin betonten Fassade), fühlen sich aber tief beschämt. Sie fühlen sich zugleich beschämt darüber, sich beschämt zu fühlen. (S. 111) „Behind the mask of „cool“ or selfassurance that many violent men clamp onto their faces (…) is a person who feels vulnerable not just to “loss of face” but to the total loss of honor, prestige, respect, and status – the disintegration of identity, especially their adult, masculine, heterosexual identity; their selfhood, personhood, rationality, and sanity.” (S. 112) Daher, so Gilligan, werden Kriminelle (und auch Kinder, was er in Klammern einfügt) um so gewalttätiger, je mehr sie bestraft werden. Die Strafen bringen erneute Beschämung/Demütigungen mit sich. (S. 113) 

Ähnlich wie Pincus überträgt Gilligan seine Arbeit mit Einzelpersonen auch auf kollektive Prozesse und nennt als Beispiel Nazi-Deutschland und die Angst der Deutschen vor der „Schande von Versailles“, den „bösen Augen und Blicken“ der Juden usw. (S. 66ff) Er beschreibt den symbolischen Gedanken, der seiner Auffassung nach hinter dem kollektiven Morden Anfang des 20. Jahrhunderts stand: „If we destroy the Jews, we will destroy the evil eye (because they are the bearers of the evil eye)”; or in other words, “If we destroy the Jews, we will destroy shame - we cannot be shamed.(S. 69) 

Mich erinnern diese Ausführungen an zwei Erlebnisse während meiner Zivizeit in einer Drogentherapieeinrichtung. Der eine „Klient“ war ein muskelbepackter Mann, der es liebte, sich mit Ketten und Indianerschmuck zu behängen. Ich war mit ihm, einem anderen Klienten und einer Therapeutin in unserem Dienstwagen unterwegs. Neben uns hielten zwei junge Männer, die neugierig zu uns herübersahen. Daraufhin rastete der erst genannte Mann aus, fing an zu toben und wollte aussteigen, um die zwei zu verprügeln. Die Therapeutin konnte ihn irgendwie davon abhalten. Er beruhigte sich dann, fügte aber noch hinzu, dass er, wenn er draußen alleine gewesen wäre, die beiden fertig gemacht hätte.
Ein anderer Mann, der vor seinem Entzug Zuhälter war und sehr viel wert auf sein „Zuhälteräußeres“ legte, verbrannte sich einmal mit einer Zigarette seine Jacke. Daraufhin rastete er ebenfalls aus, schlug gegen Tür und Wand und ich konnte ihn kaum beruhigen.
Sofern ich etwas über die Hintergründe der Drogenabhängigen erfuhr (teils besuchte ich im Rahmen meiner Tätigkeiten auch deren Familien und bekam Einblicke, die die Therapeuten nicht hatten) , durch Gespräche oder Berichte, stellte sich bei vielen eine sehr traumatischer Hintergrund in der Kindheit heraus. Die beiden o.g. Männer waren zu „cool“, als dass sie mir etwas über sich erzählt hätten (beide brachen auch die Therapie ab, bzw. ersterer wurde durch die Polizei mitgenommen, nachdem er bei einem Anfall das Büro der Therapeuten verwüstet hatte…) . Aber auch sie werden schwere, gewaltvolle Kindheiten gehabt haben. Ihr Selbstbewusstsein, ihre Identität hingen an einem seidenen Faden. Ein falscher Blick (und sich dadurch verletzt und nicht respektiert fühlen.) oder eine kaputte Jacke reichten aus, um eine vorher entspannte Situation in eine gefährliche Situation zu verwandeln. (bei anderen Klienten reichten solche „Beschämungen“ aus, um erneut rückfällig zu werden und wieder Drogen zu nehmen.) Solche „Beschämungen“ lösen, so meine ich, quasi Flashbacks aus, Erinnerungen an die Gewalt und Demütigungen in der Kindheit. Diese unerträglichen Gefühle sollen und wollen aber nicht erneut erlebt werden. Der Ausweg der Klienten: Gewalt oder Selbstvernichtung durch Drogen (und dabei auch kurzfristiger, guter Gefühle, sich geliebt und geborgen fühlen, durch die Einnahme von Substanzen). 

Ähnliches sieht man auch auf der politischen Bühne. Die Sprache von politischen Führern verrät, um was es eigentlich geht, wenn sie davon sprechen, dass man sich von einer anderen Nation „beleidigt“ oder „gedemütigt“ fühle, dass man nicht  „das Gesicht verlieren“ dürfe usw. Wie zerbrechlich das „Selbstbewusstsein von Nationen“ sein kann, sahen wir zu letzt am Deutlichsten nach dem 11. September. Statt die Ereignisse zu betrauern und rechtsstaatliche/friedliche Wege zu gehen, reagierte die USA wie ein „gewaltbereiter Drogenabhängiger“, man schlug einfach los, auf Nationen, von denen man sich bedroht und nicht-respektiert sah, man wollte nicht als „Warmduscher“ und „Weichei“ oder als "Opfer" dastehen, man wollte die starke und mächtige Fassade wiederherstellen, ganz egal wie die eigentlichen Realitäten aussahen. 

Ich erinnere mich an dieser Stelle an die Doku „Familienkrieg“, die ich vor mehreren Jahren einmal gesehen habe und die ich nie vergessen habe. Für die Doku wurde ein Neonazi und seine Familie filmisch begleitet. An einer Stelle sagte er etwas in der Art (meiner Erinnerung nach): „Jemand, der mich beleidigt und nicht respektiert, den mach ich platt.“ Das war im Prinzip sein wesentliches Lebenskonzept: Hass und die Angst, nicht respektiert zu werden.
In einem Filmausschnitt kann man den jungen Mann und seinen Hass sehen. In der Mitte schreit er seine Mutter an: (in einem Dialekt, so dass ich das schreibe, was ich verstehe):
Du hast mir vielleicht auf den Arsch oder an die Ohren hauen können, wie ich noch ein kleiner Junge war, aber jetzt bin ich ein bisschen größer wie Du und es kann sein, dass wenn Du mich jetzt noch einmal unterbrichst, dass ich Dir eins aufs Maul haue!“ Der Vater war zudem abwesend und ist – meiner Erinnerung nach – früh verstorben und blieb vom Sohn idealisiert. Die Gewalt der Mutter gegen den Sohn wird nicht unerheblich gewesen sein, wenn man sich anschaut, wie hasserfüllt und wie unsicher in seiner Identität dieser junge Mann geworden ist.


Mittwoch, 24. Oktober 2012

TV-Doku über das "Böse" mit Scheuklappen



Der TV-Sender 3Sat befasst sich derzeit in einer Themenwoche mit dem „Bösen“. Ich selbst habe bisher nur den Beitrag „Die Natur des Bösen“ gesehen, da mich interessierte, wie Arno Gruen zitiert werden würde. Doch die Doku schaffte es, innerhalb von über 43 Minuten den groß angekündigten Psychoanalytiker und Bestsellerautor Arno Gruen kaum zu Wort kommen zu lassen.  Ich frage mich, warum befragte man überhaupt diesen Analytiker, wenn seine Thesen dann kaum dargestellt werden? Denn seine Thesen gehen ja exakt in die entgegengesetzte Richtung des Doku Titels. Gruen sieht „Das Böse“ bzw. Gewalt und Hass eben nicht als etwas typisch menschliches, naturgegebenes an, sondern behandelt in etlichen Büchern den Einfluss von frühkindlichen Gewalterfahrungen, Gehorsamsforderungen in Familie und Kultur und befasst sich mit dem Verschütten des Selbst bzw. von Gefühlen. 

Im ersten Teil der Doku berichtete Gruen von einem Mann, den er einst befragt hatte. (der einzige kurze, konkrete Interviewauszug, der auf die Kindheit eingeht) Dieser hatten Menschen die Kehlen „wie Salami „durchgeschnitten, so Gruen. Der Mann berichtete gegenüber Gruen, wie ihm seine Mutter im Alter von ca. 3 ½ Jahren mit kochendem Wasser überschüttet hatte, während des Erzählens waren da allerdings keine Gefühle, absolut nichts, „es war einfach etwas, das passierte“, so Gruen. (Sicherlich werden solche Aktionen nicht die Ausnahme im Erleben des Kindes gewesen sein, denn eine Mutter, die ihr Kind absichtlich verbrüht, ist auch zu anderen Gewalttaten fähig) Die Doku lässt Gruen dies erstens nicht weiter ausführen und zweitens kommentiert sie auch nicht. Dabei wäre gerade an dieser Stelle der Punkt, um deutlich zu machen, warum Menschen ihre Gefühle und sich selbst verlieren, es wäre die Stelle, um auf die möglichen Folgen von schweren Gewalterfahrungen hinzuweisen.  Stattdessen verliert sich der gesamte Beitrag in Zitaten eines Theologen und in Berichten über eine Fotografin, die in Kriegsgebieten arbeitet + einen Profiler von der Mordkommission ….  

Ich habe solche und ähnliche Dokus und auch Bücher schon unzählige male gesehen und gelesen. Man kratzt praktisch an den Hintergründen, man erwähnt hauchdünn das Thema Kindheit (wenn überhaupt), aber bloß nicht zu viel darüber aufdecken und berichten. Zu groß ist die Angst, zu tief sitzt kollektiv der Schmerz über die Erniedrigungen und die Gewalt, die bisher eine Mehrheit in unserer Gesellschaft als Kind erlebt hat (und sogar die, die es nicht selbst erlebt haben, spüren wohl noch irgendwie den Nachhall der Schläge und Demütigungen, den ihre Eltern und Großeltern erlitten haben). Da die Gewaltbetroffenheit hierzulande innerhalb der jungen Generation stark rückläufig ist, bin ich allerdings zuversichtlich, dass zukünftig Scheuklappen fallen werden. Es ist nur eine Frage von Zeit.

Samstag, 6. Oktober 2012

Neue Erkenntnisse und gleich ein ganzes Buch über Breiviks Kindheit



Ich wurde gestern von einer Blog-Leserin auf einen interessanten Online-Artikel hingewiesen.  Der norwegische Autor Aage Storm Borchgrevink hat umfassend  recherchiert und ein Buch (bisher nur in norwegischer Sprache) über Breivik und dessen traumatische Kindheit herausgebracht. Bewiesen scheint, dass Breivik eine psychisch kranke Mutter hatte, die ihren Sohn manches mal offen den Tod wünschte und im nächsten Moment wieder „zuckersüß“ mit ihm reden konnte. Der bereits in manchen anderen Medienartikeln geäußerte Verdacht (z.B. hier), dass Breivik auch sexuell missbraucht worden ist, wird durch den genannten Autor offensichtlich noch einmal weiter erhärtet. Vor allem wurde bisher nicht darüber berichtet, wer denn überhaupt der mögliche Täter oder die Täterin war. Borchgrevink lenkt auch hier den Blick auf die Mutter. 

Ich hoffe, dass dieses Buch auch in deutscher oder englischer Sprache erscheint. Ich werde es dann auf jeden Fall lesen. 

Menschen werden nicht zu Massenmördern, wenn sie ein paar mal als Kind angeschrien wurden, sich die Eltern trennten, es zehn mal Schläge gab und Mami oft arbeitete und zu Hause auch noch schlecht kochte. Menschen, die Massenmorde begehen, drücken durch ihre Tat bereits aus, was für tiefe Abgründe sich in ihnen verbergen und wie sie selbst als Kind seelisch ermordet wurden. Das entschuldigt gar nichts, aber es erklärt einiges. 

An dieser Stelle möchte ich auch erneut den Neurologen Pincus zitieren, der seine Erkentnisse über diverse von ihm begutachtete Mörder (über 150) wie folgt zusammenfasste: “It has been amazing to discover that the quality and the amount of „discipline“ these individuals have experienced are more like that of a prisoner in a concentration camp than a child at home.“ (siehe ausführlich über Pincus Buch im vorherigen Beitrag