Freitag, 19. Februar 2021

3 Fallstudien über rechtsextreme Jugendliche

Es ist wirklich erstaunlich, dass ich nach all meinen Recherchen immer noch neue Forschungsarbeiten finde. Meine neue Quelle ist: 

Krall, H. (2007): Aggression und Gewalt bei rechtsextremen Jugendlichen — Perspektiven sozialpädagogischer Jugendarbeit. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, Volume 6, S. 99–113.

Dies ist somit die bis heute 27. Forschungsarbeit, für die Rechtsextremisten begutachtet/befragt wurden, die ich bisher gefunden habe!!

Der Autor ist Psychotherapeut und arbeitet sozialpädagogisch mit Jugendlichen u.a. in Wohnprojekten. In der o.g. Arbeit hat er 3 rechtsextreme Jugendliche vorgestellt, mit denen er gearbeitet hat. 

Der Fall „David“:

  • Scheidung der Eltern als er 5 Jahre alt war, die Ehe der Eltern war bereits Jahre zuvor belastet, was das Kind entsprechend mitbekommen haben wird. 
  • Der Kontakt zum Vater reduzierte sich nach der Trennung auf gelegentliche Besuche. Später sagte David, dass er seinen Vater hassen würde.
  • David reagierte nach der Scheidung aggressiv und musste nach Schulbeginn in der 1. Klasse auf Grund seines Verhaltens bereits die Schule wechseln
  • Die Mutter brachte David in der Folge für 1 Jahr bei ihrer Schwester unter, was eine erneute Trennungserfahrung bedeutete. 
  • Häufige Spannungen und Konflikte zwischen Mutter und Sohn, aber auch in der Schule.
  • Als David 11 Jahre alt war, holte die Mutter Hilfe beim Jugendamt. David sollte gegen seinen Willen in einem Heim untergebracht werden und rastetet in der Folge derart aus, dass er zunächst 3 Monate in eine Art Jugendpsychiatrie kam. Dort notierte man, dass David Zuhause keine Geborgenheit und keinen emotionalen Halt fand.
  • Danach kam er in einer betreuten Wohngemeinschaft unter, seine Mutter nahm ihn später allerdings wieder auf. Danach wiederholten sich die alten Muster und David wurde schließlich von der Mutter erneut in einer Jugendeinrichtung untergebracht. Später kam er dann zu seiner Mutter und deren neuen Partner zurück.
  • Mit 15 Jahren schloss er sich einer rechten Skinheadgruppe an
  • Als David 17 war, wurde er erneut Zuhause rausgeschmissen. 2 Monate später erhängte er sich unweit der mütterlichen Wohnung in einem Waldstück. 

Auch bei den anderen beiden Fällen – Marko und Gerit (beide in der rechten Skinheadszene aktiv) - zeigen sich sehr belastete Kindheitshintergründe. Über Marko fasst der Autor zusammen: „Emotionale Verwahrlosung, Ablehnung und Misshandlungserfahrungen hatten Markos Kindheit und Jugend geprägt“ (S. 106).

Gerits Eltern hatten sich früh getrennt, mit der Mutter gab es dauernd Konflikte, der Vater war sehr kontrollierend und abwertend gegenüber seiner Tochter und es deutet sich auch sexuelle Übergriffigkeit an (er ging einmal mit seiner 13 Jahre alten Tochter in Bordelle und sprach Prostituierte an). Mit 14 Jahren ist sie noch eskalierenden Konflikten mit der Mutter damit einverstanden, in einer betreuten Wohngemeinschaft unterzukommen. Dort wurde sie von einem Mann, den sie außerhalb kennengelernt hatte, vergewaltigt. Ein ähnliches Erlebnis hatte sie bereits 2 Jahre zuvor (also im Alter von 12 Jahren). 


Montag, 8. Februar 2021

Kindheit des Ex-Nazis Achim Schmid

Ich habe die Autobiographie des Ex-Nazis Achim Schmid durchgesehen:

Schmid, Achim (2016): Vergessene Erinnerung - Bis Alles in Scherben fällt: Autobiographie eines ehemaligen Rechtsextremisten. Edition widerschein. Kindle E-Book Version.

15 Jahre war Achim Schmidt ein Schwergewicht in der rechten Szene“ (Adler, S. (2019, 15. Dez.): Neonazi-Aussteiger Achim Schmid - Weg von diesem ganzen Hass. Deutschlandfunkkultur)  Er war außerdem einer der bekanntesten Rechtsrocker Deutschlands, Skinhead und gründete im Alter von 25 Jahren den „Klu Klux Klan“ in Deutschland. Mittlerweile lebt er in den USA und ist außerdem Botschafter für Exit Deutschland.

Seine Kindheit gleicht der von vielen anderen Nazis und auch Aussteigern. Als er 2 Jahre alt war, trennten sich seine Eltern und sein Vater zog aus. Schmid hat heute kaum noch Erinnerungen an ihn. Er konnte seinen Vater damals an manchen Sonntagen besuchen, daran erinnert er sich noch, ebenfalls an die Beerdigung des Vaters. Denn als Achim in der 2. Klasse war, starb sein Vater an Lungenkrebs. 

Achim lebte mit seiner alleinerziehenden Mutter in einem kleinen süddeutschen Dorf (ein „konservatives Bauerkaff“, wie er betont) mit ca. 500 Einwohnern. Die Familie war zugezogen und wurde von den Dorfbewohnern argwöhnisch beobachtet und auch ausgegrenzt. Achims Eltern hatten die einzige Kneipe im Dorf , was den Argwohn ebenso steigerte, wie die Herkunft der Mutter (sie stammte aus Köln) und der entsprechend andere Dialekt. Immerhin fand Achim einen besten Freund und hat gute Erinnerungen an die Zeit mit ihm. In dem Dorf scheint auch rechtes Gedankengut offen vertreten worden zu sein.

Zentral ist allerdings, dass Achims Mutter Alkoholikerin war! Schmid meint, dass seine Mutter kein glücklicher Mensch war. Nachmittags kam sie nach Hause, rauchte, trank Kaffee, löste Kreuzworträtsel, abends schloss sie sich in ihr Zimmer ein, schaute fern und trank. Der Alkoholismus der Mutter war ein weiterer Grund dafür, dass der Ruf der Familie im Ort nicht der beste war. „Aber sie versuchte mich trotzdem gut zu erziehen und hatte es letztlich immer gut gemeint“ (Schmid 2016, Position 287) Diese Idealisierungen bzw. Beschwichtigungen gleich im Nachsatz zu Berichten über elterliche Destruktivität (in seinem Fall der Alkoholismus der Mutter) habe ich so gefühlt schon über 100 Mal so gelesen. Und so erfährt man auch nicht darüber, wie der Erziehungsalltag mit seiner Mutter aussah. Hat sie Gewalt angewandt, gerade auch, wenn sie betrunken war? Gab es psychische Gewalt? Was hat Achim alles miterlebt? Diese Fragen bleiben offen. 

Man braucht allerdings nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass die Kindheit von Achim Schmid sehr belastet war. Als Jugendlicher kam er vor allem durch die Musik in Kontakt mit der rechten Szene und verspürte schnell ein Bedürfnis dazuzugehören.