Samstag, 30. Mai 2009

Kindheit von Alice Schwarzer

Nachdem ich mich in der Vergangenheit hier viel mit den (schrecklichen) Kindheiten von Diktatoren beschäftig habe, war es mir wirklich eine Freude, mich nun mit der Kindheit von Alice Schwarzer zu befassen. Ich habe schon vor geraumer Zeit darüber nachgedacht, dass man eigentlich das Thema Ursachen von Gewalt/Destruktivität zusätzlich von einer ganz anderen Seite angehen müsste. Die TäterInnen bekommen stets viel Aufmerksamkeit und werden erforscht, was auch gut ist. Als „Vergleichsgruppe“ müsste man aber eigentlich auch die biographischen Hintergründe von Menschen analysieren, die eben nicht destruktiv handeln, sondern die sich vielmehr authentisch fürs Gemeinwohl einsetzen und durch ihr echtes Mitgefühl auffallen. Wenn ich die Zeit hätte, ich würde mir die Biographien von so einigen interessanten Menschen schnappen und diese durcharbeiten. Die erste Grundannahme wäre dabei für mich, dass solche Menschen sehr wahrscheinlich mindestens einen liebevollen und fürsorglichen Elternteil oder eine Elternfigur in ihrem Leben hatten, der/die Vorbildfunktionen übernahm und die Empathiefähigkeit des Kindes förderte. Die zweite Grundannahme wäre, dass solche Menschen sehr wahrscheinlich kaum oder keine Gewalt durch Elternteile oder Elternfiguren erlebt haben.

Zur Sache: Alice Schwarzer wuchs – unehelich geboren – bei „einem sehr fürsorglichen Großvater und einer sehr politischen Großmutter" (http://www.aliceschwarzer.de/144.html) wie eine Tochter auf und wurde von deren Erfahrungen geprägt. Ihre Mutter war für sie eher wie eine ältere Schwester, während dem Großvater die Mutterrolle zukam.
Über Alice Schwarzers biologischen Vater erfährt man nicht viel. Er war ein Freund ihrer Mutter und erfuhr nichts von der Schwangerschaft. Alice Schwarzer hat nach eigenen Angaben ihren Vater nie kennengelernt. (vgl. Mika, 1998, S. 28+52)
Ihr Großvater wird von Dünnebier & v. Paczensky (1998) als sensibler, weicher und zärtlicher Mensch beschrieben, der für das Kind die Breie kochte, Kuchen backte und am Abend Gute-Nacht-Geschichten vorlas. Die Großmutter interessierte sich seit die kleine Alice reden konnte sehr für sie, nahm sie ernst und beriet sich auch mit ihr. Zu den Großeltern sagte Alice Mama und Papa und zu ihrer Mutter Mutti. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Großeltern einen antiautoritären Erziehungsstil gegenüber Alice anwandten. Alice hatte als Kind sehr viele Freiheiten und durfte i.d.R. machen, was sie wollte. Alice musste sich an keine vorgeschriebenen Rollen anpassen, sie durfte als Mädchen wild spielen, Baumhäuser bauen, über spiegelglatte Straßen mit dem Schlitten rasen, stark sein usw. Zwangsläufig übernahm sie dadurch auch früh Verantwortung für ihr Leben. Insbesondere wurde sie als Person schon als Kind ernst genommen. Gewalt und Patriarchentum gab es in der Familie Schwarzer nicht. Bis heute haben sich ihr die beiden einzigen Male tief eingegraben, wo sie vom Großvater eine Ohrfeige bekommen hat, weil das so ganz außerhalb der Regeln war. Auch gab es in der Familie Schwarzer Vorbilder für Zivilcourage. „Ich hatte das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die die Nazis gehasst hatte und weiterhin politisch wach blieb.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 23)

Als schmerzvolle frühe Erfahrungen können wohl die Verwirrungen der Kriegsjahre und der damit zusammenhängende kurze Aufenthalt in einem Kinderheim angesehen werden. Später werden auch die Erfahrungen von heftigen Streitereien zwischen ihren Großeltern nicht spurlos an Alice vorübergegangen sein. Die Großmutter wird als ambivalenter Charakter beschrieben, mit Eigenschaften wie großem Gerechtigkeitssinn, Charakterstärke, Intelligenz, hohem politischen Bewusstsein usw., aber sie wird auch mit Worten wie tyrannisch und boshaft (gegenüber dem Großvater, nicht gegenüber Alice) und vom Leben enttäuscht dargestellt, was es Alice – die natürlich auf der Seite des geliebten Großvaters stand – sicherlich nicht gerade leicht machte.

Alles in allem hatte es Alice Schwarzer als Kind wohl auch in Teilen schwer. Die Autorin Bascha Mika versucht in ihrer „kritischen Biographie“ insbesondere die spezielle Familienkonstellation, die Familienstreitereien und die Rolle eines unehelich geborenen Kindes im Nachkriegsdeutschland herauszustellen. Bei Dünnebier & Paczensky werden diese Probleme erwähnt, aber nicht zum zentralen Problem, da Alice als Kind ihre Familiensituation selbst nicht im Wesentlichen als problematisch erlebte, hatte sie doch „Vater“ und „Mutter“, eine „Mutti“ und viele Freiheiten. Eher noch wird diese spezielle Situation zum Antriebspunkt, Dinge und gesellschaftliche Normen anders zu betrachten.

Auch die kritische Bascha Mika beschreibt allerdings den fürsorglichen, liebevollen Großvater, der gegen den Zeitgeist sehr mütterlich war. (vgl. Mika, 1998, S. 37ff) Alice Schwarzer erlebte Geborgenheit und Liebe und – für damalige Verhältnisse recht ungewöhnlich – keine traumatische Gewalt in der Familie. Schaut man sich das Leben und die Arbeit von Alice Schwarzer an, dann finden sich viele Verbindungslinien zu ihren Kindheitserfahrungen und ihrer (ungewöhnlichen) Sozialisation. Ihr authentischer und starker Einsatz gegen eine Spaltung von Menschen in Männer und Frauen, für mehr Emanzipation und Gerechtigkeit, gegen Krieg, gegen Kindesmissbrauch, gegen Extremismus usw., ihre humorvolle, lebensfrohe Art, ihre häufige Betonung, dass ihr Handeln sehr von Mitgefühl geleitet würde, die journalistische Arbeit für die Darstellung positiver Identifikationsfiguren bzw. Vorbilder, das Ernstnehmen ihrer LeserInnen und nicht zuletzt ihre Fähigkeit, keine Feindbilder für die Aufrechterhaltung ihres Selbstwertes zu brauchen (diesen Punkt mag der ein oder andere kritisch sehen, wenn man aber genau hinschaut, will Frau Schwarzer die Emanzipation im Grunde mit den Männern zusammen und auch für diese gestalten, nicht gegen sie.) all das bringt mich zu der Frage, ob Alice Schwarzers Weg der selbe gewesen wäre, hätte sie als Kind Gewalt durch ihre Elternfiguren erlebt. Alice Schwarzer sagte mit Bezug zur Wirkung der erlebten gewaltfreien Erziehung über sich selbst: „Und da ich zwar Schmerz, aber keine Erniedrigung und Gewalt innerhalb meiner Familie erlitten hatte, war ich, glaube ich, eine recht stolze, unerschrockene Person.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 26f) Eine Aussage, die für sich spricht.



Literatur:

Dünnebier, A. & v. Paczensky, G. 1998: Das bewegte Leben der Alice Schwarzer. Die Biographie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.

Mika, B. 1998: Alice Schwarzer. Eine kritische Biographie. Rowohlt Verlag Reinbek.

Mittwoch, 13. Mai 2009

Kindheit von Napoleon Bonaparte

Im Grundlagentext habe ich für dieses Thema wichtige Passagen über die Kindheit von Napoleon Bonaparte durch die Quelle "Neumayr, A. 1995: Diktatoren im Spiegel der Medizin. J & V Verlag, Wien. " hinzugefügt:

Der eränzte Text sieht wie folgt aus:

Schon als Kind fiel Napoleon nach Neumayr (1995) durch seine aufbrausende Art, seinen Jähzorn, seine Grobheit und bisweilen auch durch Brutalität auf. Ein ehemaliger Mitschüler Napoleons berichtet über ihn: „Immer lag etwas Bitteres in seinen Worten, sein Wesen hatte nichts Liebevolles (...).“ (Neumayr, 1995, S. 17)
Schon seine Jugendjahre waren zudem geprägt von Lebensmüdigkeit und depressiven Verstimmungen „Was soll ich in der Welt? Da ich doch einmal sterben muss, könnte ich mich dann nicht jetzt schon umbringen?“ und „Das Leben ist mir zur Last, ich habe keinen Genuss, alles wird Schmerz.“ (ebd., S. 18+19) An dieser Stelle wird deutlich, wie viel Wahrheit in dem Satz „Glückliche Menschen fangen keine Kriege an.“ (deMause, 2005, S. 109) steckt, diesen Satz habe ich über dem Inhaltsverzeichnis dem Gesamttext einleitend vorangestellt.
Als Erwachsener prägte Napoleon schließlich entscheidend die Entwicklungen in Europa und ging vor allem auf Grund seiner Feldzüge und Kriege in die Geschichte ein. Mit dem Namen Napoleon verbindet man auch einen ausgeprägten Größenwahn, Narzissmus und Minderwertigkeitskomplex.

Dienstag, 5. Mai 2009

Kindheit von Nicolae Ceauşescu

Im Grundlagentext habe ich für dieses Thema wichtige Passagen über die Kindheit von Nicolae Ceauşescu durch die Quelle "Miller, A. 1990: Abbruch der Schweigemauer. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. " hinzugefügt:


Über den Vater des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu wird berichtet, dass er sein weniges Geld im Wirtshaus vertrank, statt seine Kinder zu ernähren (insgesamt hatte er 10 Kinder, wovon eines früh starb) und dass er seine Kinder täglich „zu ihrem Besten“ schlug. Die Mutter achtete streng auf die schulischen Leistungen der Kinder, die sie ebenfalls ausgiebig prügelte. (vgl. Miller, 1990, S. 115) Alice Miller analysiert in ihrem Beitrag u.a. den Wahn des Diktators Ceauşescu, der sein Volk zu einem Überfluss an Kindern zwang, die nicht ernährt und gewärmt werden konnten. „Der Tyrann hat sich für sein persönliches Schicksal stellvertretend an Tausenden Müttern, Vätern und Geschwistern gerächt. Indem er sich weigerte, sich mit seinem Schicksal zu konfrontieren, seine Geschichte und seine Gefühle von damals total verdrängt hielt, brachte er ein ganzes Volk an den Rand des Untergangs. Ceauşescu hat nicht nur die rumänischen Kinder in die gleiche Not getrieben, die einst die seine war: Lieblosigkeit, Hunger, Kälte, ständige Kontrolle und die allgegenwärtige Heuchelei. (...) Er wollte Millionen Frauen dazu zwingen, Mütter zu werden, um ja niemals fühlen zu müssen, was er als Kind verdrängte: dass er seiner Mutter nur eine Last war und dass seine Existenz nachweisbar von ihr vergessen wurde.“ (ebd., S. 120)

Montag, 4. Mai 2009

Kindheit von Saddam Hussein

Im Grundlagentext habe ich die Schilderungen über die Kindheit von Saddam Hussein noch mal wesentlich durch die Quelle "Coughlin, C. 2002: Saddam Hussein. Porträt eines Diktators. List Verlag, München." ergänzt.

Bzgl. der traumatischen Kindheit von Saddam Hussein standen mir ursprünglich nur einige kurze Passagen durch die Quelle deMause (2005) zur Verfügung. Im Internet fand ich fast nichts dazu. Ich vermutete, dass es wohl kaum gesicherte und ausführliche Darstellungen über seine Kindheit in einem kleinen irakischen Dorf geben würde. Falsch gedacht! Coughlin (2002) beschreibt Saddams Kindheit ausführlich in einem eigenen Kapitel und geht insbesondere auch auf die vielen Gewalterfahrungen ein, was fast schon etwas ungewöhnlich für einen Biographen ist. Ich hatte mit einem hohen Ausmass von Gewalt gegen Saddam gerechnet. Was ich bei Coughlin las, übertraf meine Vermutungen.
Ich frage mich, wer im Angesicht dieser Gewaltexzesse gegen das Kind Saddam noch ernsthaft die Augen vor einem deutlichen Zusammenhang von Saddams Kindheit und seiner späteren mörderischen Politik verschließen möchte?


Der Text lautet jetzt wie folgt:

Auch der irakische Diktator Saddam Hussein hatte laut deMause (2005) „eine unglaublich traumatische Kindheit“. „Seine Mutter versuchte ihn abzutreiben, indem sie mit den Fäusten gegen ihren Unterleib schlug, sich mit einem Küchenmesser schnitt und dabei schrie: „In meinem Bauch trage ich einen Satan!“ „ (deMause, 2005, S. 29) Saddam verlor früh den Vater, wobei die Umstände dessen Verschwindens im Dunkeln bleiben. Zur Vaterfigur wurde ein Onkel mütterlicherseits – Khairallah Tulfah -, bei dem Saddam unterkam und den er bewunderte. Dieser Onkel wird von Coughlin (2002) als „streitsüchtiger und launischer Mensch“ und als „unbelehrbarer Bewunderer Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus“ beschrieben. (vgl. Coughlin, 2002, S. 46) DeMause schreibt, dass Saddam regelmäßig von diesem Onkel geschlagen wurde, dieser ihn den „Sohn eines Köters“ nannte und er Saddam beibrachte, wie man eine Waffe gebraucht. (vgl. deMause, 2005, S. 29) Khairallah kam schließlich für seine Naziverehrung ins Gefängnis und der junge Saddam musste wieder bei seiner Mutter leben, die mittlerweile einen neuen Mann gefunden hatte. Willkommen geheißen wurde er nicht und er scheint in seinem zu Hause „sträflich vernachlässigt worden zu sein“. Der neue Stiefvater war zudem brutal. Er „(...) verpasste dem kleinen Jungen gern eine Tracht Prügel mit einem mit Asphalt überzogenen Stock.“ (Coughlin, 2002, S. 48) Saddam Hussein vertraute dem offiziellen Biographen Iskander an, dass er niemals jung und unbeschwert war, sondern stets ein eher trauriges Kind, das sich von den anderen fern hielt. Coughlin spekuliert auch über einen möglichen sexuellen Missbrauch Saddams durch den Stiefvater. (vgl. ebd.) Da Saddam vaterlos und ein Außenseiter war, wurde er zusätzlich gnadenlos von den anderen Kindern des Dorfes gehänselt und oft auch verprügelt. „Er wurde so schlimm drangsaliert, dass er sich angewöhnte, zur Verteidigung einen Eisenstab mitzunehmen, wenn er sich aus dem Haus wagte.“ (ebd., S. 49)
Saddam Hussein vergötterte seine Mutter (die nebenbei bemerkt auf keinem erhaltenden Foto lächelte, sondern eher finster dreinblickte) bis zu ihrem Tode, worüber sich der Biograph Coughlin „angesichts der Erniedrigungen“ sehr wundert. (Anmerkung: Wenn man sich die Fakten anschaut, erscheint Saddams Bezeichnung für den ersten Golfkrieg als "Mutter aller Schlachten" in einem ganz anderen Licht...)Ebenso verehrte er seinen (gewalttätigen) Onkel, den er später zum Bürgermeister von Bagdad machte. Hier findet sich erneut eine starke Identifikation mit den Aggressoren.
Saddam Hussein verübte nach deMause seinen ersten Mord im Alter von 11 Jahren... (vgl. deMause, 2005, S. 29)



Nachbemerkung:
Alice Miller sprach sich in einem SPIEGEL-Online Artikel für die Todesstrafe gegen Saddam Hussein aus. „Selbstverständlich bin ich gegen die Todesstrafe im Allgemeinen, doch mit Ausnahme der Diktatoren. Es geht mir hier nicht um die "gerechte Strafe", sondern vielmehr um Prävention, um die Vorbeugung von neuen mörderischen Taten. Diktatoren haben bewiesen, dass es ihnen immer wieder bis zu ihrem Tode gelungen ist, Menschen zu verführen und sie sich zu unterwerfen. Daran arbeiten sie, solange sie leben.“ (SPIEGEL-Online, 12.01.2004, Alice Miller über Saddam Hussein: „Mitleid mit dem Vater“)
Mich verwundert diese Einstellung, trotz ihrer „sachlichen Argumentation“. War es doch vor allem Alice Miller, die immer wieder darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Menschen sich destruktiver, unbewusster Prozesse bewusst werden müssen, um Gewalt verhindern zu können. Einen Diktator zu töten, bringt gar nichts und würde außerdem den Vollstrecker selbst zum Mörder machen. Ich halte mehr davon, die destruktive Kindheit dieser Tyrannen öffentlich zu machen, den Menschen klar zu machen, warum diese so handeln und natürlich breiten Kinderschutz voranzutreiben.