Donnerstag, 26. Februar 2015

Kindheit von Charles Manson


Charles Manson steht in der medialen Wahrnehmung für das Böse an sich.

Ich habe mir online einige Interviews mit ihm und auch zwei Dokumentationen angesehen. Und ich muss sagen, dass ich ihn in keinster Weise beeindruckend oder charismatisch finde. Ich erinnere mich, dass ich früher als Jugendlicher oft Gänsehaut bekam, wenn ich auszugsweise die hasserfüllten Reden von Adolf Hitler im Fernsehen hörte. Dieses unverfrorene, direkte böse Reden bewirkte ein wie auch immer gelagertes inneres Entsetzen und Erschüttert sein und irgendwie auch Angst vor so etwas wie „dem Bösen“. Hitlers Reden berühren mich schon lange nicht mehr. Ebenso die Reden von Charles Manson. Beide machen mir vor allem keine Angst vor „dem Bösen“. Das ist es glaube ich, was mich früher beunruhigte. Das so etwas wie „das Böse“ existieren könnte, etwas, das irgendwie von Außen – in einem quasi religiösem Sinne- in die Menschen kommen könnte. Wenn ich heute Menschen wie Hitler und Manson reden höre, dann sehe ich einfach nur Leere. Armselige Leere. Nichts, was irgendwie beeindruckend oder beängstigend sein könnte. Angst muss man nur haben, wenn solche leeren oder auch innerlich tote Menschen plötzlich Menschen um sich gruppieren und zu Macht kommen. Manson war ein solcher Mensch, der zu Macht kam und dadurch Unheil anrichten konnte. Und sein Größenwahn war ähnlich ausgeprägt wie der von Hitler. Nach Mansons damaligen „Helter Skelter Theorie“ wäre nämlich er nach einem Rassenkrieg zum alleinigen Führer der USA aufgestiegen. 
„Das Böse“ in ihm war allerdings hausgemacht, d.h. durch leibhaftige Menschen selbst reproduziert. Seine Kindheit erinnert an die unvorstellbaren, alptraumhaften Kindheiten von denen auch Gilligan und Pincus in ihren Arbeiten mit und über grausame Mörder berichtet haben. Es gab keine Liebe, keine Hilfe, keine Hoffnung; nur Hass, Gewalt und Dunkelheit, von Geburt an. Manson selbst sieht diese Zusammenhänge sehr deutlich (dazu unten ein Zitat).

Ich habe das Buch „Charles Manson. Meine letzten Worte“ von der Journalistin Michal Welles (2011 im Hannibal Verlag, Höfen erschienen) als Online-Kindle Buch durchgearbeitet. Welles hat Manson über einem Zeitraum von 20 Jahren immer wieder in der Haft besucht und mit ihm gesprochen. In ihrem Buch lässt sie ihm viel Raum, um zu Wort zu kommen. Seine Kindheit erklärt vieles und entschuldigt dennoch nichts.

Seine Mutter sei ständig betrunken gewesen, erinnert sich Manson an seine Kindheit. (Kapitel „Über Mich“, Position 974) Sie selbst floh erstmals im Altern von 15 Jahren von ihrem zu Hause und wurde zur Kriminellen mit häufigen Inhaftierungszeiten. (Als Charles geboren wurde, war seine Mutter – laut Wikipedia – gerade 16 Jahre alt.) Sie wollte später unbedingt verhindern, dass Charles bei ihren Eltern (seinen Großeltern) aufwuchs und setzte sich dafür ein, dass er in ein Heim kam (was letztlich klar macht, aus welch schlimmen Verhältnissen sie selbst kam.) „Sie konnte ja nicht ahnen, dass für Jungen, die unter staatlicher Obhut standen, das Bett in der Hölle gemacht ist.“, so Manson wörtlich dazu.  (Kapitel „Über Mich“, Position 974) Er berichtet daraufhin über seine Heimunterbringung bei einer christlichen Organisation, über die heiligen Väter und Nonnen, „die mich windelweich prügelten und dabei behaupteten, es sei nur zu meinem Besten.“ (ebd.)  Manson stand nach eigenen Angaben mit 11 Jahren alleine auf der Straße. Er überlebte u.a. durch kriminelle Taten. Mit 13 Jahren kam er dann, nachdem er festgenommen worden war, in ein Erziehungsheim, floh, wurde wieder festgenommen, kam in ein anderes Heim usw. (Kapitel „Über Mich“, Position 992)
Den ersten Knacks bekam ich gleich zu Anfang, nachdem man mich in ein Heim gesteckt hatte. Ich war erst sechs, als mich ein Junge von vielleicht 14 Jahren missbrauchte. Anschließend beschimpfte er mich und erzählte jedem, was für ein süßes Mädchen ich gewesen war. Es war einfach niemand da, zu dem ich hätte gehen können. Es gab keine Hilfe.“ (Kapitel „Keine Tränen mehr“, Position 1043-1061)
Wenn Du kapierst, dass deine eigene Mutter dich nicht lieben kann, dann verändert es dich und deine Stellung in der Welt.“ (Kapitel „Erinnerungen an ganz, ganz früher“, Position 1118)
Manson berichtet, wie seine Mutter war, wenn sie getrunken hatte (was oft vorkam). Sie fing an, ihn zu beschimpfen und ihn zu verprügeln. „Sie verfolgte mich durch die schmierige Küche (…) brüllte meinen Namen und schrie, sie würde mir mein dreckiges Maul stopfen und mein armseliges Dasein beenden, wenn sie mich erwischen würde. `Dann wirst Du anderen Leuten nicht mehr das Leben schwer machen können. Du elende kleine Ratte.` So ging das immer und immer weiter. Wenn ich heulte, hasste sie mich nur noch mehr. `Hör auf, wie ein kleines Mädchen rumzuflennen. Was bist du nur für ein Weichei!` Sie schrie und brüllte und verfolgte mich durch die ganze Wohnung. (…) Und schau mich heute an. Wo ich bin. Wer ich geworden bin. Für wen ihr mich alle haltet, und wieso  ihr nicht wollt, dass ich je wieder aus dem Knast rauskomme. Der geheime Fluch, der all das in Gang setzte, wurde damals in dieser dreckigen Wohnung ausgesprochen, als ich mein Vertrauen in die Welt verlor und keinerlei Hoffnung mehr hatte, dass man mich wirklich und wahrhaftig lieben würde.“ (Kapitel „Erinnerungen an ganz, ganz früher“, Position 1137) Nach diesen Ausführungen schwenkt er wieder zu seinen Heimaufenthalten und den Demütigungen und Bestrafungen (er benutzt auch das Wort „Folter“) , denen er dort ausgesetzt war. Er wäre im Alter von 10 Jahren in einem christlichen Heim zum Teufel erklärt worden. „Ich floh aus dieser Anstalt, nachdem man mich fast totgeprügelt hatte, weil ich vorm Essen nicht gebetet hatte.“ (ebd.) Manson berichtet dann, wie er einmal im Alter von 11 Jahren eine gute Nonne auf der Straße traf, die ihn kurz aufnahm. Sie wollte etwas von ihm und seinem Leben erfahren. Er fasst zusammen: „Als ich ihr erzählte, ich sei schon seit 11 Jahren auf der Flucht davor, gehasst, abgelehnt und bestraft zu werden, und auf den Straßen sei es selbst an einem solchen Tag (Anmerkung: es war kalt und nass zu der Zeit) wärmer als dort, wo ich herkam, da traten Tränen in ihre alten, müden, braunen Augen.“ Charles Manson hat mit diesem Satz im Grunde die ganze Hölle seiner Kindheit von Geburt an auf den Punkt gebracht.

Seinen Vater hat Charles Manson nie kennengelernt. Der Freund, mit dem seine Mutter gerade bei seiner Geburt zusammen war, gab ihm seinen Nachnamen: Manson. Dieser war nie da und gab ihm nie das Gefühl, in ihm einen Vater zu haben, so Manson. (Kapitel „Vater“, Position 1201)

Ich halte es für enorm wichtig, Kindheitsgeschichten von Mördern und Massenmördern nicht einfach nur kurz mit Worten wie "unglückliche Kindheit" oder "geprügeltes Kind" zu kennzeichnen (was oft in Medien geschieht). Ihre Taten werden erst richtig zu erklären sein, wenn man sich die Details anschaut, das ganze Ausmaß der Leidensgeschichte.

An einer Stelle erklärt Manson übrigens seinen Erfolg als Sektenguru. „Alle von diesen jungen Leuten, die bei uns landeten, hatten etwas in sich, was an ihnen nagte, ihnen die Ruhe und das Selbstvertrauen untergrub und ihr eigentliches Ich zerstörte. Und ich, der ewige Knacki, das Straßenkind, das schon im Kleinkindalter getürmt war, der Sünder seit dem Tag seiner Geburt, ich stand da und erklärte ihnen, dass mit ihnen alles in Ordnung war. Das allein war schon ein Schock. Als ich ihnen dann noch zu sagen wagte, dass ihre Eltern falsch gehandelt und nicht das Recht gehabt hatten, ihnen die Seelen zu stehlen, entstand daraus die geheime Mischung, aus der meine Macht erwuchs.“( Kapitel „Vater“, Position 1218)  Die von ihm gegründete Gemeinschaft oder Sekte nannte sich auch "The Family" oder "The Manson Family". Führer und Gefolgschaft vereinte offensichtlich ihre destruktive Kindheitsgeschichte, ihre Suche nach Halt/Anerkennung und ihre Rachefantasien.

Dienstag, 17. Februar 2015

Papst befürwortet im Prinzip Gewalt gegen Kinder und verrät dabei viel über sich selbst.

Am 04.02.2015 hat sich Papst Franziskus in seiner wöchentlichen Generalaudienz im Prinzip für Körperstrafen gegen Kinder ausgesprochen. Sein entscheidender Satz lautete: 
"Einmal habe ich einen Vater bei einem Treffen mit Ehepaaren sagen hören: 'Ich muss manchmal meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu demütigen'." "Wie schön!", erklärte Franziskus. "Er weiß um den Sinn der Würde. Er muss sie bestrafen, aber tut es gerecht und geht dann weiter." (siehe z.B. ZEIT-Online) Seine Äußerungen kann mensch auch als Video auf youtube sehen. Als der Papst mit den Worten „Wie schön!“ beginnt, hebt er belehrend und unterstreichend die rechte Hand (Daumen und Zeigefinger verbindend) und gleitet in ein Lächeln ab, als er auf die „Gerechtigkeit“ der Strafe zu sprechen kommt. Ich fand seine Aussage und Gesten sehr authentisch. Sprich: Er glaubt wirklich, dass Körperstrafen „gerecht“ und „würdevoll“ sein können und Sinn machen, um Kinder väterlich zu „korrigieren“ (Dass Väter ihre Kinder mit „Bestimmtheit korrigieren“ sollen, sagte er vorher in seiner Rede.)

Dazu habe ich (passend zur kirchlichen Tradition) dreifaltige Anmerkungen:

1. Die Reaktionen in den deutschen Medien und auch in Kommentarbereichen entsprechender Artikel über die Papstaussage sind eindeutig kritisch. Gewalt gegen Kinder kann niemals würdevoll sein und ist falsch, das ist die überwiegende Reaktion. Ist das nicht großartig? Noch vor 15-20 Jahren hätte es kaum derart breite kritische Anmerkungen in den Medien bzgl. der Papstaussage gegeben.

2. Viele befürchten, dass der Papst durch seine Äußerungen Gewalt in der Erziehung befördern könnte. Das glaube ich weniger. Er stützt eher die, die sowieso schon schlagen. Eltern brauchen keine päpstlichen Belehrungen, um Schläge auszuteilen. Sie kommen alleine darauf, weil sie nur das weitergeben, was sie selbst als Kind erlitten haben.
Anders wäre es gewesen, wenn er sich eindeutig gegen jegliche Gewalt in der Erziehung gestellt hätte. Da hätte manch gläubiger Katholik vielleicht Denkanstöße mit nach Hause bekommen.

3. Das besonders Erschreckende an seinen Äußerungen ist etwas, dass in den Medien nicht angesprochen wurde. Die o.g. Papstaussage lässt die starke Vermutung zu, dass Franziskus selbst als Kind geschlagen wurde. „Auf Nachfrage verteidigte Vatikan-Vertreter Thomas Rosica die Thesen des Papstes.“, schreibt die ZEIT.  „Wer habe nicht schon einmal sein Kind gezüchtigt oder sei von den Eltern gezüchtigt worden, schrieb Rosica in einer E-Mail. Der Papst habe nicht über Gewalt oder Grausamkeit gegenüber Kindern gesprochen, sondern vielmehr darüber, jemandem zu Wachstum und Reife zu verhelfen.“ Der Papst-Sprecher Rosica spricht im Grunde also aus, was ich vermute. Wer sei nicht schon einmal als Kind geschlagen worden?, antwortet er, wohl auch im Namen des heiligen Vaters Franziskus. (Rein statistisch ist es eh extrem wahrscheinlich, dass er als Kind geschlagen wurde. Er ist Jahrgang 1936 und stammt zudem aus Südamerika, wo das Schlagen von Kindern auch heute noch sehr weit verbreitet ist) 
Nun möchte ich nicht schreiben, dass es grundsätzlich erschreckend ist, dass ein – vermutlich – als Kind Geschlagener so eine mächtige Position wie die des Papstes inne hat (Natürlich sind die Mächtigen in der Welt eh den gleichen Erziehungspraktiken ausgesetzt gewesen, wie das Volk) Erschreckend ist, dass dieser mächtige Mensch offensichtlich weiterhin mit dem Aggressor identifiziert ist (wobei es da unterschiedlich starke Ausprägungen gibt) Wo elterliches Gewaltverhalten mit einem Lächeln unterstrichen wird und Gewalt mit positiven Begriffen wie „Würde“ und „Gerechtigkeit“ verbunden wird, da stimmt etwas nicht in dem emotionalen Zugang zur Welt, da wurde die eigene Wahrnehmung einst vernebelt und verdreht. Die Frage ist, in wie weit dies politisch-kirchliche Entscheidungen ggf. mit prägt. Und eine andere grundsätzliche Frage ist auch, in wie weit eine Organisation wie die katholische Kirche - mit ihren festen Hierarchien, ihren festen Strukturen und Erklärungen von Welt – in besonderem Maße Menschen anzieht, die durch ihre Kindheitserlebnisse aus der Bahn geworfen wurden und Sinn und Halt suchen. Ohne dass ich dies jetzt zwangsläufig negativ bewerte, denn ein religiöses Auffangen, dass nicht zu Gewalt und Destruktivität führt, kann ja auch nützlich sein.

Übrigens hat einzig die Pädagogin Katharina Saalfrank in einem offenen Brief an den Papst den vorgenannten Gedanken ebenfalls öffentlich gemacht (Danke an Mario für den Hinweis auf den Brief im Gästebuch!) Sie schreibt: "Im Grunde aber strafen die Erwachsenen zumeist, weil sie als Kinder selbst geschlagen wurden und unbewusst etwas selbst Erlebtes wiederholen. Würden wir uns gegenüber sitzen, so würde ich die Frage stellen, wie war es eigentlich bei Ihnen? Vermutlich haben Sie selbst Schläge erlebt und die Programmierung „es geschieht zu Deinem Besten“ hat vortrefflich funktioniert." (siehe hier)

Dass Eltern Kindern nicht immer gerne ins Gesicht schlagen, hat übrigens oft einen ganz anderen Grund, als den, sie – angeblich -  nicht „in ihrer Würde zu verletzten“. Schläge ins Gesicht hinterlassen sichtbare Spuren für Nachbarn, Lehrer und Umfeld und das könnte im Zweifel Konflikte hervorrufen.

Anmerkung:
Im Kommentarbereich des o.g. ZEIT-Artikels hat übrigens jemand im Kommentar Nr. 3 folgendes geschrieben:
"Ich bin froh darüber, dass mich mein Vater damals als ich mit 11 Jahren angenfangen habe aus meinen elterlichen Portmonee Geld zu stibitzen mir einpaar gescheurt hat. Oder meine Mutter als ich mehrere 6er hintereinander nach Hause gebracht habe nur wegen Faulheit. Es hatte seine nachhaltige Wirkung.
Alles was ich heute bin oder erreicht habe, habe ich meinen Eltern zu verdanken. Meinen Eltern war ich halt nicht einfach egal wie bei anderen Eltern es so oft der Fall ist.
Es gibt halt einfach schwierige Kinder wo einfache Strafen wie Hausarrest oder einfaches reden nicht wirklich hilft. Bei mir war das auch nicht anders. Und nicht jede Eltern sind irgendwelche pseudo Psychologen."
Solche Kommentare finden sich vereinzelnd fast immer unter solchen Themenartikeln. Erschreckend ist dabei, wie deutlich zu sehen ist, wie das einst geschlagene Kind die Sicht der Eltern übernahm und sich unterwarf. Es ist das eigentlich ver-rückte, dass Erwachsene ihren Eltern rückblickend dankbar für Schläge sind. Ach, was hätte der Papst wohl dazu gesagt?